In der Tiefe
von Mario Schumann

 

An Tagen, wenn es draußen dunkel ist und wenn das Mondlicht unruhig über meine Seele streicht dann zieht es mich hinunter in meinen Keller. Es zehrt mich hinunter als würden Gewichte an meinen Füßen hängen, tonnenschwer, eisern und vom Rost zerfressen. Endlos ist die Treppe die ich so hinunterstürze bis das letzte Fünkchen Licht verloren ist und sich die nackte Kälte des harten Steines unter meinen Füßen ausbreitet und Wände und Decke immer mehr zusammenschrumpfen bis sie mich ganz und fest umschlossen in dieser bodenlosen Finsternis. Immer weiter zieht es mich hinunter, immer weiter und nach Zeiten die mir endlos scheinen und nach Schritten die an den harten Wänden verhallen, zurückgeworfen, noch lauter wieder in mich einbrechen, erreiche ich den Grund. Dort breitet sich ein düsterer Schimmer aus, ganz flach am Boden, er kriecht über ihn hinweg wie eine brennende Flüssigkeit und leckt mit seinem blutroten Schein an meinen Füßen. Noch ein Stück über diesen Boden muss ich gehen bis ich da bin, schräg hinab, direkt ins Herz dieser Welt hinab. Dieser Boden, voll gesogen mit Bitterkeit und stummen Schreien, jeder Schritt den ich gehe ist Schmerz, jeder Schritt ist eine Folter, eine Qual. Schwarze Finger verlorener Seelen greifen nach mir, verwesend und feucht, bei jedem Schritt brechen ihre Gelenke, dieses Geräusch, das Knacken und Krachen der Knochen, es scheint in mir zu sein so laut stöhnt es in meinem Kopf.
Schritt um Schritt nähere ich mich der Tür, dieser Tür die schon so oft mein Ziel am Ende dieser grauenvollen Wanderung war, diese Tür von der das blutigrote Licht ausgeht das meinen Weg beleuchtet. Es ist kein Licht. Es ist Dunkelheit. Es ist unaussprechbar. Es ist ein Fluch, verdammt immer in den Tiefen der dunkelsten Hölle zu bleiben, verflucht, niemals an den Tag hervorzutreten, verflucht ewig sein und niemals zu versiegen.
Und ich bin verflucht es zu sehen.
Schon bald wird es stärker werden, in grellem Schein kriecht es die Wände hinauf und überflutet das Grau des uralten Gesteins. Noch ein paar Schritte und ich stehe vor der Tür. Wie mächtig und stark muss sie sein, nichts dringt von den undenkbaren Abscheulichkeiten der anderen Seite hinüber außer diesem vergifteten Schein des Blutes, doch je mehr ich mich ihr nähere, um so lauter werden die Schreie in meinem Kopf, um so stärker zieht es mich zu ihr. Schließlich wenn ich meine Hand auf diese Tür lege, wenn Dunkelheit mich einhüllt und verschlingt, wenn unaussprechliches sich wie heißes Öl in meinen Verstand und in meine Seele frisst und die Tür sich öffnet...wer könnte mit Worten beschreiben was dahinter liegt?

Welcher Verstand könnte sehen ohne zu brechen?
Wer könnte die Ströme des Leides messen die sich in einem tiefen Tal der Qualen voranwälzen?
Wer könnte die groteske und abartige Gestalt eines menschlichen Wesens verstehen die meinen Namen tausendfach mit Blut an die Wände schreibt?
Wer könnte diese Abgründe beschreiben, auf denen Dinge geschehen, die sich ein menschlicher Verstand nicht vorzustellen vernag?
Wer könnte die namenlosen Toten zählen, die gebrochenen Knochen, die zerrissenen Glieder und die Fetzen von Fleisch, gerissen von tierischen Kreaturen , wie sie die schlimmsten Alpträume der Menschheit nicht hervorbringen könnten?
Wer kann von dem Herrscher erzählen, der in mitten all dieses Grauens, auf einem blutigen Thron von perverser Gewalt regiert?
Wer kann sein Gesicht sehen das sich in Flüssen von Blut spiegelt?

Wer kann sehen......das es meins ist?

Wenn ich morgens aufwache liege ich in meinem Bett. Ich bin der einzige der weiß wo ich war und damit es so bleibt, wasche ich mir jedes Mal, wenn ich in der Tiefe war, das Blut von den Händen.
Niemand soll es wissen, niemand es sehen müssen.

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