Eine kleine Geschichte mit der Zeit
von sloggi

 

Die Wolken ziehen über den sonst azurblau gefärbten Himmel. Mit jedem Millimeter, den sie vorankommen verstreichen die Sekunden. Zeit die niemand zurückholen kann. Was wäre, wenn die Zeit für einen Moment still stünde?

Für einen Augenblick wäre es still auf der sonst so lauten, schnellen Welt. Kein Ton, kein Luftzug und auch keine Bewegung auf ihr. Und doch, es würde niemand bemerken.

Es wird Abend in meiner kleinen Welt. Schon zum hundertsten Mal sehe ich auf die Uhr und hoffe, der große Zeiger würde endlich die 12 erreichen. Noch fünf Minuten, endlich. Eigentlich wird es Zeit den Rechner abzuschalten, meinen Schreibtisch ein wenig zu ordnen und dann zu verschwinden. Aber alles wozu ich in diesem Moment fähig bin, ist darüber nachzudenken, wie es wohl sein wird sie wieder zusehen. Schon stellt sich dieses unverwechselbare Kribbeln ein. Genug, es ist Zeit zu gehen, ermahne ich mich selbst.
Ich verlasse das Gebäude und spüre den kalten, klaren Wind auf meiner Haut. Nur noch ein paar Schritte und ich erreiche mein Auto. Ich kehre dieser Stadt den Rücken und folge der Spur der Autobahn. Ein Weg ins Ungewisse, begleitet durch die Musik im Radio, dem gleichmäßigem Summen des Motors und einer Welt, die um mich herum im Rausch der Geschwindigkeit verschwimmt. In einer dreiviertel Stunde werde ich da sein. Vorfreude steigt wieder in mir auf, auch diesmal versuche ich, sie zu ignorieren. Ich versuche mich auf das Fahren zu konzentrieren, aber es ist wenig Verkehr, so schweifen meine Gedanken immer wieder ab und malen die schönsten Bilder einer imaginären Ausstellung. Wieder schaue ich auf die Uhr, um meinen Gedanken eine andere Richtung zugeben, wissend, dass es auch diesmal nicht funktionieren wird. So vergehen die Sekunden. Mühelos wandert der Zeiger über das Ziffernblatt. Ein endloser Kreislauf, der gleichzeitig Bewegung und Stillstand symbolisiert. Es scheint, als stünde er für eine Sekunde still doch die Zeit läuft weiter und so setzt auch er unaufhaltsam seinen Weg fort. Diese und ähnliche Gedanken begleiten mich, bis ich endlich ihre Strasse erreiche.
Sie lächelt, als sie mich sieht, eine flüchtige Umarmung und dann die Frage: was nun? Meine Gedanken sind zu hektisch, so dass mir nichts einfällt. Sie sind immer noch bei ihrem Lächeln, ihrer Berührung, der Wärme, die sich in mir ausbreitet, mich verwirrt und doch so glücklich macht. Mexikaner, Hunger sind die Worte, die diesen Gedankenwald durchdringen. Sie kennt in der Nähe ein nettes Lokal, ob ich Lust hätte etwas essen zugehen? Ich stimme zu.
Es ist ein kleines Restaurant, das wir betreten, die Tische und Stühle sind aus altem Teakholz und wirken rustikal. Auf jedem der Tische leuchtet eine Kerze. Die Deckenbeleuchtung ist ausgeschaltet, so dass mir sofort die entspannte Atmosphäre und die Gemütlichkeit dieses Ortes auffällt. In einem dunkleren Winkel spielt eine kleine Liveband mexikanische Songs, die den Zauber dieses Ortes unterstreichen. Wir nehmen einen Tisch gegenüber vom Fenster. Durch die beruhigende Umgebung fällt die Nervosität langsam von mir ab und es entwickelt sich ein interessantes Gespräch über Vergangenheit und Zukunft. Seltsam, wie einfach und schön es ist sich mit ihr zu unterhalten. Wir bestellen und irgendwann wird auch das Essen gebracht. Doch für mich scheint alles verschwommen, fast traumhaft. Von dieser einzigartigen Atmosphäre, ihrer Anwesenheit und ihren Worten umgeben, zieht die Zeit an mir, an uns zu schnell vorbei.
Wie um Luft zu holen, schaue ich aus dem Fenster und bemerke die kleinen still fallenden Schneeflocken, wie sie sich leise ihren Weg durch die Nacht suchen. Ich frage sie, ob sie nicht Lust hätte, ein Stück spazieren zu gehen und sie lächelt. Sie hatte auch schon eine Idee, wo es hingehen sollte.
Wir laufen einem Schloss entgegen. Es ist nicht groß, aber reich verziert. Im orangefarbenen Schein der Laternen wirkt es, als sei es einem Märchen entsprungen. Um uns herum tauchen die Schneeflocken die Welt zunehmend in ein weiches, kühles Weiß. Während wir durch den Park gehen erzählt sie eine Geschichte aus ihrer Vergangenheit. Ihre Worte verzaubern mich, tragen mich über das Weiß und lassen mich zwischen den Schneeflocken schweben. Nach einer Weile erreichen wir den Schlosshof. Wir stehen unter einer Laterne und ich schaue in das Licht, das die Schneeflocken um uns herum reflektieren. Wie kleine tanzende Glühwürmchen sehen sie aus.
Ich schaue sie an, in ihre Augen und mit einem Lächeln in meinem Herzen.

Gibt es einen Augenblick, in dem die Zeit still steht, so wünschte ich, es wäre dieser gewesen.

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