Dr. dent 2
von sami omar (schwesig)

 

Dr. dent. 2

Ob ich das Spiel gestern gesehen habe, fragt er. Ich mache zwei Ah-Laute zur Verneinung, denn es befinden sich drei Objekte in meinem Mund. Eines ist sein Finger. Die anderen wurden vom Kinn her eingeführt. Ich könnte raten was es ist, lasse es aber. Gott, ist der jung! Der ist in meinem Alter! Ich habe Schwierigkeiten meine Kontoauszüge zu lesen. Ihm liegt meine dentale Zukunft in den Händen. Und dann hat er sowas sportliches, sowas dynamisches. Sitzt hier gegelt auf diesem Drehhocker mit seinen Fingern in fremden Mündern, redet über Sport - ÜBER SPORT !- und ist höchstens dreißig.

Dynamische Surf-Juppies verhalten sich zu Zahntechnik, wie Ketteraucher zu Pyrotechnik. Hier fehlt es an Besonnenheit, an Erfahrung. Ich frage gestisch, ob ich ausspülen darf. Er sagt ich darf, schmunzelt gefällig und fügt hinzu, er habe aber eigentlich nur einen Blick hineingeworfen, es gebe also eigentlich nichts auszuspülen. Ich spüle dreimal gründlich und verabschiede mich.
Ich wußte, daß der Verlust meines Zahnarztes eine Tragödie nach sich ziehen würde. Der Tip mit dem Kettenraucher-Zahnarzt bekam ich von einer Kollegin, die mich nach einer Teambesprechung mit ihren Arztgeschichten belästigte. Dabei versuchte sie doch tatsächlich ihre Schwierigkeiten auf der Suche nach einem geeignetem Gynäkologen mit meiner nach einem geeignetem Zahnarzt zu vergleichen. Und fast hätte ich nochmal den schlechten Witz versucht, den mein Bekannter schon nicht lustig fand.
Am 22. habe ich noch einen Termin. eine Kontrolluntersuchung, bei einem neuen Dentisten. Es ist wie Hosen anprobieren an einem Samstag bei H&M. Ich habe schon längst keine Lust mehr, doch die Suche erfolglos abzubrechen hinterließe nur Leere in mir.
Der Neue heißt Malik. Ohne Doktortitel ! Ein klares Indiz meiner Verzweiflung, daß ich ihn überhaupt aufsuche.
Seine Sprechstundenhilfe trägt Kopftuch, was mir zuerst auffällt und mich überlegen läßt, ob das in Bayern ginge. Und falls nicht, ob es sich bis zum BGH durchklagen ließe.
Die Einrichtung seiner Praxis hat nichts Orientalisches. Überall stehen schwarze Ledermöbel auf weißen Fliesen. Es sieht einwenig aus, wie bei einem deutschen Arzt mit echtem Examen.
Deutsch oder nicht, ich werde hineingebeten, was mir einen Applaus-Schauer über den Rücken jagt. Könnte ich eines der beiden wählen, Schauspielen oder Musikmachen, ich würde immer Musikmachen wählen. Kein Schwein applaudiert Schauspielern vor oder während eines Auftrittes. Zwar gibt es Szenenapplaus, aber der nervt. Deutsche Theaterhäuser sind eben keine schwarzen Südstaaten-Kirchengemeinden. In der Herz-Jesu-Gemeinde in meiner Straße steht auch niemand während des Fürbittengebetes auf und ruft: " Lord Jesus thankyou for being the head of my life!" Szenenapplaus ist nichts schlechtes, doch im Theater............. Man bekommt ihn eben nur als Musiker, weshalb ich Musikmachen wählen würde.
Herr Malik ist mitte vierzig und hat unglaublich behaarte Unterarme. Das stört mich nicht. er verbreitet Ruhe. Ruhe und Gellassenheit. Er ist souverän, er trägt weiß, er hat Chancen bei mir! Die Zahnarzthelferin ist ein Bild einer Frau, kein Handgriff ist suchend. Verdi-Musik rieselt vom Deckenlautsprecher auf mich herab. Wäre Herr Malik ein Friseur und dies sein Salon, mir würde in diesem Moment Kaffee gereicht werden.
Er untersucht mein Gebiß gewissenhaft, legt seine Stirn in Falten und läßt sich, scheinbar unnötig, Besteck reichen. Dann legt er es, kaum gebraucht, nicht weg, sondern gibt es eingespielt aus der Hand. Ja, er hat Chancen bei mir.
Er sagt es sei alles in Ordnung bei mir, behält dabei aber diesen kritischen Diagnose-Blick. Dann erst sieht er auf, blickt auf seine Uhr und verabschiedet mich mit Handschlag.

"Herr Doktor", sage ich, "Herr Doktor, sie wohnen doch nicht in der Nähe?"
"Aachen", sagt er, indem er meine Akte beschriftet." Ich pendle."
Den nehm ich !

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