Traumwelt
von amelia

 

Wir liefen ziellos durch die Strassen und ließen uns fallen. Kein Mensch konnte uns aufhalten. Es war das Gefühl zu fliegen. Kein Anfang, kein Ende und keine Grenzen. Erst als wir erschöpft auf einer Wiese lagen, bemerkten wir, dass nur noch unser Geist arbeitete. Unsere Körper waren völlig verbraucht und dürsteten nach Ruhe. Ein Traum löste den nächsten ab und entführte uns immer wieder in eine Traumwelt, in der wir uns mehr und mehr zu verlieren schienen. Nichts war wirklich – alles war real. Unsere Atemzüge wurden langsam und tief. Unsere Körper lagen im feuchten Gras, doch unsere Geister liefen unentwegt durch die Straßen der Stadt. Ab und zu schwebten sie auch über unseren Körpern und starrten uns an. Dann flohen wir wieder in die Traumwelt und unser Geist streifte weiter durch die Straßen.

Jedes Mal wenn wir uns unserer Traumwelt hingaben, schien die Zeit still zu stehen. Wir kannten keine Sorgen oder Ängste. Nicht in diesen Stunden. Viele machten sich Sorgen um uns, doch wir wussten es besser. Wir alleine wussten, was das Beste für uns war. Und die Zeit ging dahin…

Immer wieder dachten wir darüber nach, ob wir es lassen sollten. Ob wir nie wieder in unsere Traumwelt zurückkehren sollten. Nein - es soll nicht sofort enden.
Also ein letztes Mal, aber dann…Nein - ein letztes Mal hört sich so endgültig an. Und Angst einflößender als das erste Mal. Denn beim ersten Mal hat man zwar Angst, aber man weiß, dass es ein Anfang ist. Doch ein letztes Mal bedeutet danach nicht mehr die Wärme zu spüren. Nicht mehr auf den Rücken unserer Geister durch die Straßen zu laufen und die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen. Nicht mehr in der Lage zu sein, die Wahrheit, bestehend aus Angst und Sorgen, verschwinden zu lassen und einfach in der Magie des Augenblicks aufzugehen.

Ich weiß gar nicht mehr, wie es begonnen hat. Es spielt auch keine Rolle. Denn was zählt ist, dass es nur diese Art von Freiheit für uns gab. Kein einfacher Spaziergang, Ausflug oder Urlaub hätte uns diese Stunden ersetzen können.
Mit jedem Mal, das wir uns in dieser Leichtigkeit verloren, wollten wir danach mehr. Mit jedem Mal fühlten wir, das es wunderbar war. Und vielleicht doch nicht genug. Es geht immer noch ein bisschen mehr. Mehr Glück, mehr Leid, mehr Freude, mehr Liebe, mehr Schmerz. Der Mensch kann von allem mehr ertragen, als er es sich selbst je zutrauen würde.
Und doch wussten wir, dass wir irgendwann den Punkt erreichen würden, wo ein bisschen mehr ein bisschen zu viel war. Dieser Punkt würde das Ende unserer Realität und den Anfang der Absolutheit und Endgültigkeit unserer Traumwelt markieren. Denn dann würden wir für immer weiter schweben und nie wieder landen können. Wäre das so schlimm…ich wusste es nicht…
Vielleicht wäre es jetzt nicht so schlimm, wenn wir beide für immer fliegen würden. Doch es ist schwer zurück zu bleiben und dabei zuzusehen wie ein Teil von dir davon fliegt.

Wir wollten nur ein bisschen Abstand zur Realität gewinnen, die freie Zeit, die wir uns genommen hatten genießen. Wir liefen durch die Straßen, besuchten unseren Sandmann. So nannten wir ihn, denn er gab uns die nötige Unterstützung, um in unsere Traumwelt tauchen zu können. Wir liefen weiter und fanden endlich unser Paradies. Ein Ort, näher am Himmel, als wir es irgendwo anders hätten sein können. Wir lagen da, schauten in den Himmel, folgten mit unseren Augen dem Treiben der Wolken und öffneten langsam das Tor zu unserer Traumwelt. Wir schauten uns in die Augen und gingen gemeinsam durch die Tür. Sie nahm meine Hand und führte mich hindurch auf eine grüne Wiese mit wunderschönen Blumen, in Farben, die man sich in seinen schönsten Phantasien vorstellt. Wir liefen eine Weile und sahen über uns den lila Himmel mit orangefarbenen Wolken.
Sie sagte: ’Tanz mit mir’ und ich tanzte mit ihr. Wir hoben kaum die Füße, tanzten nur auf der Stelle. Bis sie mich losließ und einige Schritte von mir weg ging. Sie schaute mich an und sagte: ’Hier ist es wunderschön. Ich möchte für immer mit dir hier bleiben.’ Sie tanzte, mit einem Lächeln zum Himmel hinaufschauend und den Armen ausgestreckt, immer weiter weg von mir. Und plötzlich war sie fort…ich suchte und suchte, doch ich konnte sie nicht finden. Zurück in der Realität erfuhr ich, dass sie vom Dach des Hochhauses gefallen ist…

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