Schutzgesetze
von babsi bielefeld (babsibielefeld)

 



Zur Feier des Rauchverbots in Kneipen habe ich nen zukunftsorientiertenText geschrieben, über Leute, die von Leuten geschädigt werden und Gesetze, die von Leuten geschädigte Leute schützen.
Und deswegen heisst mein Text:

Schutzgesetze





Ich habe heute nen Brief von WeightWatchers gekriegt mit einem Gutschein für eine Beitrittskostenvergünstigung, wenn ich mich sofort anmelde.
Mich wundert immer wie die genau herauskriegen, wann ich gerade nen Kilo zugenommen habe. Ich bin dann auch gleich ins Badezimmer und hab meine Waage untersucht - und tatsächlich, dort war eine winzig kleine Sonde angebracht, deren rotes Licht lustig blinkte. Ich schaute mich vorsichtig weiter in meinem Badezimmer um und fand eine oben am Regal angebrachte Minikamera. "Die Schweine", dachte ich, "damals Lidl und jetzt hier." Mein intimes Badezimmerleben der letzten Monate lief noch einmal im Zeitraffer vor meinen Augen ab.
Ich telefonierte sofort herum um etwas über meine Rechte zu erfahren und erfuhr von der von den Krankenkassen unterstützten WeightWatchers Kampagne: "Die Fetten ins Spot-Licht".
Die Videoaufnahmen waren legal, denn ein neues Nicht-Dicke-Schutzgesetzt war ein Jahr nach dem Vegetarierschutzgesetz und 3 Jahre nach dem Nichtraucherschutzgesetzt als Entwurf durch den deutschen Bundestag gekommen.
Das mit dem Rauchverbot in Kneipen nervte die Raucher ja schon 2008, danach waren die Fleischesser dran, nur weil eine militante Vegetariergruppierung dagegen geklagt hatte, dass man als Pflanzenesser psychische Defekte erleidet, wenn man sieht, wie jemand mitten auf der Bahnhofsstrasse ein Spiessbrötchen isst, und nun auch davor geschützt werden möchte weil ja seit dem 2009 eingeführten Paragraphen kein Mensch mehr einen anderen durch sein eigenes Lebensverhalten schädigen darf.
Erst wurde das Fleischessen auf offener Strasse untersagt, in den Kindergärten und Schulen waren Wurstbrote verboten und vegetarische Pastete wurde von den Lehrern per Fingereinstippen überprüft, damit keiner echte Leberwurst einschmuggelte.
Stufe zwei waren die Gaststätten und Imbissbuden, die einen abgeteilten Fleischesserraum haben mussten, der durch einen hermetischen Geruchswindfang abgeriegelt war. Metzger mussten zum Tofufachverkäufer umgeschult werden.
Als die Dönerbuden auf Tofu umsatteln sollten, sank die Anzahl der türkischen Bevölkerung Deutschlands rapide.
Aber es war auch eine heimelige Zeit, man durfte noch in besondern gekennzeichneten Internetforen über fleischliche Gelüste reden, es gab altersbeschränkte Seiten auf denen man sich gegen Bezahlung Bilder von Echt- Fleisch ansehen durfte, man fuhr am Wochenende nach Amsterdam und schmuggelte holländische Würstchen im Enddarm.
2009 stellte jemand fest, dass eigentlich mehr Fussgänger von Autos angefahren wurden wie Nichtraucher vom passivrauchen Lungenkrebs bekamen, also wurde jede Innenstadt wegen des neuen Nicht-Autofahrer-Schutzgesetzes komplett zur Autofreien Zone erklärt.
Und nun waren wir dran, die Übergewichtigen. Am Anfang lachten wir noch darüber und malten uns aus, wie die Fussgängerzone blickdicht abgeteilt wurde, um diese visuelle Bedrohung für die Nicht-Dicken abzuwenden.
Ein im Jahre 2010 von Manfred Spitzer veröffentlicher Bericht darüber, dass es durch Betrachten ekelerregender Dinge zur Tumorbildung im Sehzentrum kommen konnte unterstützte das Vorhaben des Gesundheitssystems und die Kassen wollten schnelle Ergebnisse, deswegen auch die Badezimmernacktaufnahmen.
Jeden Tag war auf dem Jahnplatz Grossbildschirm ein anderer Bielefelder Bürger zu sehen, mit rot blinkender Gewichtsangabe, Name und vollständiger Adresse. Vera Intveen und Dirk Bach wurden von der Mattscheibe verbannt. Man hatte siebenmal die Woche Zwangs- Fitneßstudiotherapie, musste seinen Führerschein abgeben und durften nur noch fliegen, wenn sie in den Sitz passten.
Die Forderung, dass Beamte nur noch mit einem BMI unter 25 verbeamtet werden, wurde erhoben, dann aber festgestellt, dass es die Regelung in einigen Bundesländern schon seit Jahren gab.
Im Restaurant wurde man nicht bedient oder im Zweifelsfalle im Hinterzimmer auf die Waage gestellt. Marktkauf, Real, Aldi, Plus, dasselbe. Man hatte von der Krankenkasse eine "Du Darfst Liste", die man an der Kasse vorzeigen musste und auf der die wöchentlichen Rationen abgestrichen wurden. Übergewichtige durften nur noch abends ab 21:00 in die Läden und mussten ein T-Shirt mit der aktuellen BMI-Angabe tragen. Ulla Poppken meldete Insolvenz an und wer "Big is beautiful" sagte, dem wurde der Mund öffentlich mit Fettlöser ausgewaschen





Es war einfach nicht mehr länger möglich dick zu sein.
Meint man.
Aber sie lebten draussen, vor der Stadt, in Cellulitis-Reservaten, gleich neben den Bratwurstinternierungslagern, die krankhaft Abhängigen, die sich ihren FettStoff irgendwoanders besorgten, die XXXXXXXL-er liessen sich nicht so einfach aus-X-en auch wenn sie einfach nicht mehr runterkamen von ihrem Fresstrip, oder aber sie bekamen einen der begehrten Plätze in der städtischen "Rainer Calmund Klinik", denn es gab sie, die die durchdrehten, wenn sie nicht genug zu essen bekamen, die des nachts dünne nichtrauchende fahradfahrende Vegetarier anfielen, ihnen Rauch ins Gesicht pusteten und mit Blutwurst und Sahnepudding mästeten, um ein Zeichen zu setzen! Ein Zeichen! Eine Lanze zu brechen, für die lasterhaften Menschen, die trotzdem menschlich sein können oder auch gerade deshalb weil sie Laster haben, weil sie nicht ohne Fehl und Tadel sind, weil sie Schwächen eingestehen können, weil sie sich deswegen nicht selbst kasteien wollen, weil sie erwachsen sind und selbst entscheiden möchten, was sie mit sich machen.

Eine Nikotinwolke schwebt über dem Raucherreservat, eine Grillrauchwolke über den Baracken der Fleischesser und eine Dunstglocke über dem Dickenreservat.
Über dem Rest der Welt schwebte eine Wolke der Reinheit
Dort lebten die, die keinen anderen mehr Schädigten
Dort war die Welt unbefleckt und schön
und stinklangweilig

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