Die Saga von Gorm Heldenbrust
von Carsten Maday

 

Ein Zwerg hieß Grimur und wohnte in der Grube unter dem Zwillingstal. Man sagt, er habe in seiner Jugend auf Raub gebaut. Später wurde er Haspelknecht. Grimur war sehr knorrig. Er heiratete Sigrun, die Tochter Bjarne Eisenbiegers. Ihr Sohn war Gorm. Gorm wurde ein vielversprechender Zwerg. Als er alt genug war, ging er nach Felsnadel. Die Gegend dort war sehr wild, hatte aber reiche Zechen. Gorm arbeitete hart und wurde sehr stark. Man sagt, er sei sogar noch knorriger als sein Vater geworden. Gorm wurde ein berühmter Kämpfer, der viele Großtaten vollbrachte, denn Felsnadel lag im Trollgebiet. Wegen seiner Taten wurde Gorm Heldenbrust zubenannt. Gorm nahm Helga Ulfstochter zur Frau. Sie stammte aus dem Geschlecht der Gylldinger. Die Leute sagten, Gorm habe in eine bessere Sippe geheiratet als die, aus der er stammte. Helga war eine tüchtige Frau und die Eheleute wirtschafteten gut. Ein Krieg mit den Trollen brach aus. Helga trug zu dieser Zeit ein Kind unter dem Herzen. Die Männer zogen in den Krieg, auch Gorm.
Die Trolle hatten den Krieg gut vorbereitet. Ihr König war Krak Schädelbrecher. Er war sehr stark und für einen Troll sehr schlau. Die Trolle besetzten die Tunnel, die zur Grube führten, und schnitten so Felsnadel ab. Es wurde viel gekämpft in dieser Zeit, aber nie in einer großen Schlacht, da die Trolle lieber in kleinen Gruppen umherzogen und den Zwergen in Hinterhalten auflauerten. Viele Zwerge und Trolle ließen damals in den dunklen Gängen ihr Leben. Einmal brach sogar eine Gruppe Trolle in Felsnadel ein. Die Frauen und Alten mussten sich an ihren Herden wehren. Die Männer kämpften anderswo. Die Trolle zerstörten und mordeten sehr viel. Helga erschlug zwei Trolle in ihrer Küche, ehe der Trolleinbruch aufgehalten worden war. Die Leute sagten später, das sei ein Fehler gewesen, denn der Kampf habe in der Ulfstochter das wilde Blut der Gylldinger geweckt und das Kind habe im Leibe davon geschmeckt.
Bei Gorm war sein Freund Grimm Arnissohn. Er galt damals als sehr klug, weil er viel las. Viele meinten, er würde den Krieg nicht durchstehen, da er ein wenig schwächlich war.
Einmal erhielten die Zwerge Kunde davon, dass eine große Gruppe Trolle am Eisfluss lagerte. Da zogen zweihundert Zwerge unter Angbrand Angbrandssohn aus, um die Trolle zu stellen. Bei dieser Gruppe waren auch Gorm und Grimm. Grimm meinte, er habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache, da Angbrand ihm zu sehr auf Ruhm aus sei. Gorm sah das ähnlich und meinte, Ruhm komme von selbst. Wenn man ihn suche, fände man meistens etwas, das einem wenig behage.
Als die Zwerge an den Eisfluss kamen, fanden sie dort mehr als vierhundert Trolle. Angbrand befahl gleich den Angriff. Obwohl die Zwerge durch den Marsch sehr erschöpft und durstig waren, brachten sie die Reihen der Trolle ins Wanken. Die Trolle aber hatten von Anmarsch der Zwerge erfahren. Krak Schädelbrecher führte eine weitere Trollgruppe oberirdisch in den Rücken der Zwerge und griff sie von hinten an, als die Zwerge den Sieg schon für errungen hielten. Da brach großes Wehgeschrei bei den Zwergen aus, als die Trolle sie in Stücke schlugen. Wer konnte floh. Viele flohen in eine Höhle, die nur einen schmalen Zugang hatte. Die Zwerge erschlugen jeden Troll, der ihnen in die Höhle folgte. Also mauerten die Trolle den Gang zu und warteten ab.
Unter den Eingeschlossenen waren Angbrand Angbrandsohn, Gorm und Grimm. Daneben hatten sich fast hundert weitere Zwerge hierher retten können. Nach drei Tagen ohne Wasser und Nahrung war den Zwergen sehr elend zumute. Kaum einer war ohne Wunde, viele Verwundete starben. Es stank sehr nach Toten, Blut und Kot. Viel Hoffnung gab es nicht mehr. Wegen der Mauer konnten die Zwerge keinen letzten Ausfall machen und so den Tod finden. Und Selbstmord war der Natur der Zwerge fremd.
Als Angbrand Angbrandssohn am vierten Tage sah, dass keine Hilfe kam und die Leute immer schneller starben, ging er zu den Trollen. Dort verhandelte er mit König Krak selbst.
Krak versprach, die Zwerge gefangen zu nehmen und gegen Lösegeld freizulassen. Krak war sehr daran gelegen, die Sache hinter sich zu bringen. Aus der Grube waren nämlich Verstärkungen eingetroffen und Krak wollte nicht, dass sie ihn bei der Belagerung überraschten.
Angbrand ahnte davon nichts und stimmte dem Handel zu. Die Zwerge ergaben sich und kamen aus der Höhle. Das waren elende Gestalten. Als der letzte Zwerg die Höhle verlassen hatte, erschlug Krak den Angbrand und warf ihn seinen Trollen zum Fraß vor. Die Zwerge waren sehr erschrocken, als sie das sahen. Gorm aber meinte, das käme nicht gerade überraschend.
Die Trolle führten die Zwerge fort. Der Trollkönig dachte nicht daran, sie freizulassen. Lieber wollte er sie als Sklaven halten und langsam töten. Wie alle Trolle hasste Krak die Zwerge sehr. Der Weg wurde den Zwergen sehr mühsam. Die Trolle gaben ihnen nur wenig Essen und Trinken. Strauchelte ein Zwerg, prügelten sie ihn mit Schlägen wieder auf die Beine. Blieb einer liegen, zerrissen sie ihn vor den Augen seiner Kameraden. So wankten die Zwerge der Sklaverei in den Trollhöhlen entgegen.
Die Zwerge leisteten harte Arbeit in den Trollminen. Viele kamen dabei um. Die Trolle gaben ihnen nur wenig Nahrung, denn sie hatten Angst davor, die Zwerge zu Kräften kommen zulassen
Der Krieg verlief nun ungünstig für die Trolle. Ulf Axtstiel führte ein Heer aus der Grube gegen sie und konnte den Trollkönig bei Dreibrück am Helfluss in einer Schlacht besiegen. Krak fiel und nur wenigen Trollen gelang die Flucht. Den Gefangen in den Trollhöhlen half das wenig. Zu tief waren sie in Trollland, um auf Rettung hoffen zu dürfen.
Nachts sperrten die Trolle die Zwerge in eine Höhle. Oft holten sie einen Zwerg, um üble Späße mit ihm zu treiben. Sie schlugen ihn und zwickten ihn mit glühenden Zangen. Seine Kameraden hörten die grausigen Schreie und das Gelächter der Trolle. Wen die Trolle holten, der kam nicht zurück. Denn wenn es ihnen mit dem Zwerg langweilig wurde, fraßen sie ihn. Später holten sie keine Zwerge mehr. Die Verhungernden waren zu dünn und krank. Sie schmeckten nicht mehr und starben schnell, wenn man sie zwickte.
Große Verzweiflung herrschte bei den Zwergen. Manche wurden vor Hunger wahnsinnig, andere sanken in verzweifelte Dämmerung und starben. Gorm pflegte später zu sagen, er habe die Gefangenschaft nur überlebt, weil er seine Frau und sein Kind wiedersehen wollte. Einige sagten, das sei eine sehr unmännliche Einstellung, aber darauf gab Gorm Zeit seines Lebens wenig.
In der Höhle war es schrecklich. Die Trolle holten die Toten nicht mehr zum Fressen. Sie verwesten unter den Kameraden. Es stank sehr. Einmal schreckte Gorm aus dem Dämmerschlaf und sah einige Zwerge an einer Leiche nagen. Da grauste es Gorm sehr, denn er glaubte auch seinen Freund Grimm dabei gesehen zu haben. Gorm schloss schnell die Augen. Schlafen aber konnte er nicht mehr.
Schließlich waren nur noch drei Zwerge am Leben. Der eine war Gorm, der andere Grimm und der dritte war Ketil Flachnase. Das machte die Trolle sehr betroffen. Sie hatten sich sehr daran gewöhnt, Zwerge zu quälen. Bald aber würden keine mehr da sein. Viele Trolle meinten, man hätte anfangs nicht so verschwenderisch mit ihnen umgehen sollen, dann hätte man jetzt mehr übrig.
Unter den Trollen war einer, der meinte ein großer Foltermeister zu sein. Er sagte, er könne einen Zwerg drei tagelang foltern, ehe er starb. Das wollte er gerne beweisen und forderte dann andere auf, seinen Rekord mit den anderen beiden Zwergen zu brechen. Das schien den Trollen in guter Gedanke zu sein. Die Trolle forderten die Zwerge auf, das erste Opfer selbst zu bestimmen. Das hielten sie nämlich für besonders gemein. Gorm sagte, er wolle erster gehen sollte. Die Trolle gaben Gorm einen Stärketrunk, damit er nicht zu schnell starb, und ketteten die Zwerge an die Wand. Am Morgen sollte die Folterung beginnen.
Die Zwerge hingen in Ketten und konnten mit ihren Füßen kaum den Boden berühren. In der Nacht begann der Trunk zu wirken und Gorms Kräfte kehrten zurück. Gorm zog sich an der Kette hoch, bis er über dem Ring hockte. Dann zog er. Er gab lautes Ächzen von sich und wurde ganz rot. Dann brach der Ring aus der Wand. Gorm fiel zu Boden und machte viel Lärm dabei. Zu der Zeit bewachten nur noch zwei Trolle die Zwerge, denn ihre Furcht vor den elenden Gestalten war nicht mehr stark. Die Trolle kamen herein gestürmt, um nach dem Rechten zu sehen. Gorm war sehr wütend, wegen der vielen Leiden, die er und seine Kameraden hatten erdulden müssen. Das gab ihm stark Kraft. Gorm erschlug den einen Troll mit der Kette, die noch um seine Handgelenke war. Der andere Troll wollte fliehen. Da warf Gorm ihm die Kette um den Hals und würgte den Troll. Der war ganz stark und wehrte sich lange, bis er tot war. Gorm fand die Schlüssel zu den Ketten und befreite Grimm und Ketil. Die drei umarmten sich freudig. Dann suchten sie alles an Nahrung und Waffen zusammen und flohen aus den Trollhöhlen.
Es war ein sehr weiter Weg zurück nach Felsnadel und die Trolle verfolgten sie lange. Gorm, Grimm und Ketil vollbrachten viele Großtaten, ehe sie nach Hause kamen. Dort hatte man die drei längst für tot gehalten und man war sehr überrascht. Helga war sehr froh, als ihr Mann zurückkehrte. Sie hatte bereits eine Tochter geboren und Gorm freute sich sehr, obwohl es ein Mädchen war. Als er der Tochter den kleinen Finger in die Wiege streckte, griff diese ihn fest und ließ ihn nicht mehr los. Da begann Gorm stark zu weinen und meinte, man habe ihn wieder gefangengenommen, aber auf bessere Weise als bei den Trollen. Da sagte Helga, man solle die Tochter nach Gertrude Asbrandstochter benennen, die Gyll, den Stammvater der Gylldinger geborenen hatte und als starke und schöne Frau bekannt gewesen war. Gorm gefiel der Name sehr, obwohl er meinte, dass seine Tochter mehr nach seiner Familie kam. Sie hatte nämlich schwarzes Haar und ein kantiges Gesicht.
Der Trollkrieg fand ein Ende. Alle gingen ihren üblichen Geschäften nach und hatten ihn bald vergessen, nur Gorm, Grimm und Ketil nicht. Sie zeigten sonderbares Verhalten. Grimm arbeitete fortan als Tunnelratte tief im Berg, wo neue Adern gesucht wurden und der Troll nie still hielt.
Gorm litt stark an Ängsten vom Kriege her und ertrug es nicht, tief im Berg zu leben, was, wie alle meinten, für einen Zwerg sehr ungünstig war. Kämpfen mochte er auch nicht mehr. Er fand schließlich Arbeit übertage in einem Wasserwerk.
Am schlimmsten aber hatte es Ketil getroffen, denn er verließ die Grube, um im Süden unter Menschen zu leben. Das war damals eine ungehörige Sache bei den Zwergen im Norden.
Gorm und Helga bekamen noch zwei weitere Töchter. Die Leute meinten, dass es wahr sei, dass Gorm im Krieg sein Glück verloren habe, da Töchter wenig einbrachten und viel Mitgift kosteten. Gorm aber gab nichts auf solches Gerede und lebte so glücklich er es konnte mit seiner Frau und seinen Töchtern bis an sein Ende.

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