Sehnsucht
von gwennifer

 

Mit hängenden Schultern ging sie langsam durch die nur spärlich erleuchteten Gänge des Klosters. Müde war sie, unendlich müde. Es hätte nicht viel gefehlt und die Priesterin hätte den Jungen verloren. Doch wie hätte sie ihrem Vetter dann je wieder in die Augen blicken sollen?
Den Jungen zu verlieren, hätte ihm das Herz gebrochen. Das hatte einfach nicht geschehen dürfen.
Während sie um das Lebens Ion kämpfte, hatte sie alles ausgeblendet, was sie davon ablenken konnte, sich ganz auf ihn zu konzentrieren. Gleich glühenden Nadeln hatten sich seine Schmerzen auch für sie spürbar in ihren Körper gebohrt, hatte sie seine Pein in sich aufgenommen und versucht sie zu lindern. Doch er kannte sie nicht gut genug, um ihr völlig zu vertrauen, sich bei ihr fallen zu lassen. Noch war sie eher eine Fremde, die es immer wieder schaffte, sich in die merkwürdigsten Situationen zu bringen und doch …
Sie konnte nicht in Worte fassen, wieviel ihr sie ihr alle bedeuteten.. es war einfach noch viel zu frisch.. zu ungewohnt. Abermals überstürzten sich die Ereignisse in ihrem Leben , rollten über sie hinweg wie eine Lawine.. stark und machtvoll, und doch so vieles mit sich führend.
Und doch breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus, wenn sie an sie alle dachte.
Leise öffnete sie die Tür zu ihrem Quartier und schlüpfte hinein. Sie schloß die Tür, bevor der ihr zugewiesene Heiler ihr folgen konnte. Allein der Gedanke , das jemand in ihrer Nähe sein mochte, war ihr in dem Augenblick unerträglich, konnte die Elfe es nicht ertragen, die Fragen über sich ergehen zu lassen. Ruhe war das einzige , was sie im Augenblick brauchte. Und die konnte ihr niemand anders als sie selbst geben.
Wahrscheinlich hatte die Priesterin den Mann zutiefst beleidigt, doch war es der Frau ausnahmsweise völlig egal. Ganz leise trat Gwenn ans Fenster und öffnete es weit.. atmete tief die reine kalte Nachtluft ein.
Müde schloß sie die Augen, schwankte schon fast vor Erschöpfung. Doch mochte sie sich noch nicht hinlegen.
Zu nah war noch die Berührung seiner Hände auf ihren Schultern. Irgendwie hatte Gwennifer das Bedürfnis diesen Augenblick festzuhalten, ganz tief in ihrem Herzen zu verschließen, es zu bewahren wie einen kostbaren Schatz, der nur ihr allein gehörte. Vor ihrem innerem Auge trat das Bild hervor, wie er selbst am Rande des Zusammenbruchs hinter sie getreten war.. ihr seine Kraft zur Verfügung gestellt hatte, ja.. wie in diesem Augenblick seine Seele in ihren Händen lag. Und sie war wie ein Schwamm gewesen, hatte genommen, was sie bekommen konnte, es aufgezogen gleich einem Verdurstendem in der Wüste, dem das erste kühle Nass durch die Kehle rinnt.
Machtvoll hatten seine Gefühle sie durchströmt , gelenkt durch die Kraft ihres Geistes.. gesteuert von der Kraft ihres Herzens sich ganz tief in dem einen Punkt gesammelt und konzentriert, sodaß sie fähig war, ihr Werk zu vollenden. Aber es lag soviel mehr darin
Sie schmeckte seinen Kuss, spürte, sie seine Hände sich um ihren schlanken Körper legten.. wie seine Wärme sich auf sie übertrug. Fast schon selbst über sich erschrocken hatte Gwenn sich ihm entgegen gehoben, hatte es zugelassen und ebenso wie er hatte sie den Augenblick genossen.
Leidenschaftlich waren sie sich begegnet.. so voll von dem, was so tief in ihnen verborgen lag, das es wohl dieses Zustandes der völligen Erschöpfung bedurfte, um es an die Oberfläche dringen zu lassen. Keiner von beiden war zu dem Zeitpunkt mehr in der Lage gewesen, sich zu kontrollieren.. sich zu beherrschen und die Fassade der sachlichen Freundlichkeit aufrecht zu erhalten.
Weder er noch sie konnte die Mauer aufrecht erhalten, die ein jeder zu seinem Schutz errichtet hatte und so hatten die Steine zu bröckeln begonnen.. Zuerst kaum merklich , bis sie dann in dieser Nacht zusammen gebrochen war.
Seine leise Stimme flüsterte ganz nah an ihren Ohren. Die Wärme seiner Hände lies ihren so schmalen Körper erschaudern gleich einem heftigen Fieber, doch fühlte es sich so unglaublich gut an. Die so beherrschten kühlen Lippen streifen ihre Haut. Der Mund, der so arrogant verzogen lächeln konnte raunte ihr liebevolle Worte zu und sie war in dem Augenblick nur noch da.. ganz einfach da.. nicht Priesterin.. nicht Mutter.. nicht Elfe.. sondern einfach nur noch eine Frau, die sich nach nichts mehr sehnte als ein bischen Liebe und Zärtlichkeit.. nach Sicherheit.
Ganz leise flüsterte er :“ Du bist die wundervollste Elfe, die es gibt.... gemeinsam schaffen wir alles.“ Dann wurde er ganz still , holte tief Luft.. während seine Arme sie ein wenig von sich schoben , seine Augen in ihren ertranken. Und fast schon einem verzweifeltem Aufschrei gleich drang es an ihre Ohren: „ Gwenn..! Bitte.. Bleib bei mir..“
Schlagartig riß es sie aus dem Rausch , in den sie verfallen war.. wurde sie sich bewusst, was sie im Begriff war, ihm anzutun. Mit einer rasenden Geschwindigkeit spulten sich die Bilder ihres Leben und des seinen in ihrem Kopf ab.. der Tempel.. die Familie.. ihre Pflichten..das Kloster.. seine verantwortungsvollen Aufgaben .. seine Berufung. Ruhig wurde sie.. ganz ruhig.. Mit einer unendlich sanfter Bewegung schloß sie die Arme um ihn und küsste ihn noch einmal.. zärtlich und liebevoll und doch auf eine so sonderbare Weise.
Das Silber ihrer Augen verdunkelte sich.. gleich geschmolzenem Metall glänzten sie im Licht der Fackeln und Kerzen, die den düsteren Raum nur spärlich erhellten. Tieftraurig sah sie ihn lange an, lies ihren Blick auf ihm ruhen.
Dann sprach sie sehr leise: „ Lenier.. ich werde immer bei dir sein, wenn du mich brauchst. Du wirst mich niemals verlieren.“ „ Dein Herz ist vergeben.“ entgegnete er sanft und ebenso leise. Tränen traten ihr in die schönen Augen , fast schon qualvoll brannte der Schmerz, den sie ihm zufügen musste in ihr. „ Wir haben etwas.. das uns niemand nehmen kann.. etwas sehr wertvolles.. und das.. wird dir immer gehören. Wir haben.. unsere Freundschaft, Lenier.“
Sehr sanft erklang die reine Stimme der Priesterin, schwingend wie die Seite einer Laute fuhr sie fort.. und so behutsam Gwenn auch sprach.. so grausam war sie in diesem Augenblick, als sein Herz.. seine Seele ihr zu Füßen lag. „ Freundschaft Lenier.. ist nur eine besondere Form der Liebe.. Und die wird immer rein und klar in meinem Herzen für dich sein.“
Ihre Arme legten sich mit einer anmutigen Geste um seinen Nacken, schmiegte sich die zarte Elfe an den Körper des Mannes.. in jeder Faser die Sehnsucht nach ihr spürend. Ihre Lippen trafen sich zu einem langen Kuss. Und noch während sie so vereint war, glitt ihre Hand zu dem Gürtel.. löste die weiße Rose, die dort strahlte.
Ganz leise flüsterte sie schlicht: „ Für dich.“ Es brauchte kein Wort mehr.. keine Erklärung. In ihrem Bewusstsein wusste sie, das er verstehen würde.. wofür sie keine Stimme mehr fand.
Behutsam nahm er die Blume entgegen, hielt sie für einen Augenblick zärtlich in seinen Händen, dann befestigte er sie ebenso schweigend wie sie an dem seinen.. ebenso wissend, das jedes Wort ein Wort zuviel gewesen wäre.
Eine lange Weile war es sehr still im halbdunklen Raum, dessen Kerzen und Lichter nahezu hinunter gebrannt waren. Dann hauchte er mit samtiger Stimme, die ihre Haut zum glühen brachte:“ Und ich werde immer für dich da sein.. immer.. auch.. wenn du mehr als einen Freund brauchst. Ich lasse dich in dein Quartier bringen. Du solltest dich ausruhen.“ Fast sachlich erklang der letzte Satz, als brauchte er die Ferne, um sich nicht in der Nähe ihrer Begegnung zu verlieren.
Leise erwiderte sie:“ Und du gehörst ebenso ins Bett, Lenier. Ruh dich bitte aus.“
„Wie die Dame meines Herzens befiehlt:“ erklang seine warme Stimme gedämpft in den Raum ..
Der Schmerz in seinen Augen brach ihr fast das Herz und doch wusste sie, das sie ihm keine Hoffnungen machen durfte, wenn sie ihn nicht noch viel mehr verletzen wollte.
Wie auf Kommando drehten sie sich beide um , verließen den Raum und die Schrecken der letzen Stunden fast gleichzeitg. Als sie um die Ecke bog hörte sie ein leises Rascheln.. Gequält presste sie die Lippen zusammen und eilte schneller, um nicht umzukehren, fast floh sie ein Stück... das Bild seiner hohen Gestalt vor Augen, die hinter der Ecke zusammen gekauert auf dem Boden hockte.
Erst als sie einige der langen Flure hinter sich gebracht hatte , das Herz nicht mehr zu zerspringen drohte.. verlangsamte sich ihr Schritt, sanken ihre Schultern hinab.
Lautlos tauchte der Heiler auf, den er ihr wohl gesandt hatte, doch beachtete sie ihn kaum. Nur ein müdes Nicken rang sie sich ab, als er sie in ihr Zimmer geleitete und fassungslos vor der Tür stehen blieb, die die Priesterin etwas unsanft vor seiner Nase schloß.
Ein kalter Luftzug lies sie zittern , holte sie durch Zeit und Raum in die Gegenwart zurück.
Und obwohl sie vor Kummer, Erschöpfung und Sorgen fast zusammenbrach.. so bliebt sie am offenen Fenster stehen , sah mit brennenden Augen hinaus in die tief dunkle Nacht.
Dem Igumen des Priesters erging es nicht anders. All seine Macht bedeutete ihm in diesem Moment nichts, denn sie vermochte nicht, ihm das zu geben, was er sich in diesem Moment wünschte.
Diese bezaubernde Elfe, die sein Herz gefangen hatte, dass gerade in diesem Moment wild in seiner Brust flatterte wie ein gefangener Schmetterling.
Die zarte Blume, die sie ihm als Unterpfand für ihre Freundschaft gegeben hatte, ruhte sanft gehalten auf seinen zu einem Gefäß gehaltenen Handflächen.
„Gwenn…“, flüsterte Lenier sehnsüchtig und hob den Blick, um durch sein Fenster hinauf an den wolkenlosen Himmel zu sehen.
Noch immer konnte er ihren zarten Griff in seinem Nacken spüren, ihre Lippen auf den seinen.
Während er für über eine Stunde die Sterne anstarrte, begann sich sein eifrig hüpfendes Herz zu beruhigen. Es schlug nun langsam, völlig ruhig, als wolle es seinen Besitzer zu dem Schlaf zwingen, nach dem sein Körper bereits seit Tagen schrei. Und tatsächlich sank der Igumen langsam in die Knie, blieb noch einen Moment in demütiger Haltung, das Haupt gesenkt, die Hände mit der Rose jedoch immer noch vor seine Brust haltend, hocken. Dann übermannte ihn die Erschöpfung und mit einem leisen Seufzen sank er zu Boden.
Das Rechteck aus Monden- und Sternenschein, durchbrochen durch das geometrische Muster der eisernen Gitter, fiel kalt auf den grauen Steinboden, auf dem die Gestalt des Priesters lag. Die Knie angezogen lag er auf der Seite, die Arme noch immer angewinkelt, die Rose in der Nähe seines Gesichtes, so dass er im Schlaf ihren süßen Duft würde einatmen können.
Er schlief. Er träumte. Und niemand würde sehen, wie er in dieser Nacht das erste Mal seit Jahren eine Träne weinte. Jedoch nicht, weil er das Wesen, dass er so sehr begehrte, nicht an seiner Seite wusste, sondern, weil sie diesen wundervollen Moment miteinander geteilt hatte, an dem ihre Seelen sich so nah waren.
Das Gefühl dieser Nähe umfing ihn wie einen wärmenden Mantel und nie würde er vergessen, wie wundervoll es sich angefühlt hatte.
Gwennifer…

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