Zoch 2002
von Rutz Rische

 

Do beste fies op et Föttche jefalle.

Nicht der Wecker, sondern die ersten Spielmannszüge reissen Ilona aus dem Schlaf. "Schön!" denkt sie sich, wankt ins Bad und stellt fest, dass sie gestern vergessen hat, sich
abzuschminken. Klöchen, duschen, zähneputzen...rein ins Bärenfell. In diesem Jahr klemmt es etwas unter den Armen, ausserdem geht der Reissverschluss nicht zu, und im Schritt zwackt es auch erheblich.
Hat sie etwa zugenommen?
Insgeheim fragt sich Ilona, wieviel Liter Kölsch das Kostüm noch fassen kann. Dann greift sie nach dem Rucksack, in dem wie jedes Jahr eine angenehme Anzahl an Bierdosen verstaut ist, und macht sich auf den Weg.
Auf der Bonner Strasse sieht sie einen Schröder aus Pappmache, die ein oder andere Gardeuniform zieht an ihr vorbei, eine Gruppe Funkemariechen steht in Reih und Glied. Dann kommt ein Jeck an ihr vorbei, der sich als Thierse entpuppt. "Was der hier zu suchen hat?" fragt sich Ilona, während sie eine der Bierdosen aus dem Rucksack holt, aufzieht und einen tiefen Schluck nimmt. "Ich hätte doch lieber Flaschen kaufen sollen,ich Umweltsau!" denkt sie.
Vor dem Severinstor macht Ilona erstmal halt und reiht sich in die schunkelnde Menge ein. Vom Ubierring her kommen irgendwelche Reiter. Oder hat sich der Zug aus der Bonner Strasse etwa doch schon in Bewegung gesetzt? Ilonas Bierdose ist leer, wird entsorgt. "Ob die zweite wohl auch so gut rutscht?" Ilona vergreift sich an der zweiten Halbliterdose und beobachtet eine verbiesterte Rentnerin, die sich vorgenommen hat, sich in diesem Jahr nicht nach Kamelle zu bücken, und stattdessen den "Kamelle"-brüllenden Kindern den Weg versperrt.
Ilona stolpert über einen Kinderwagen.
"Na, haste drei Haare auf der Brust?" fragt ein Jüngling, indem er an ihren Plüschohren zieht. Ilona schiebt sich durch die Menge. Aussichtslos, durchs Severinstor kommt sie nicht so einfach.
Aber einen kleinen Abstecher könnte sie machen. Beim Metzger kauft sie ein Mettbrötchen, das mäßig schmeckt. Am Chlodwig-Eck ist es aufgegessen, aber dafür trifft Ilona alte Bekannte: einen Maffioso, eine Haremsdame, eine Parkscheibe und einen Tiger. Weil Ilonas Bierdose leer ist, und die Freunde immer durstig sind, schmeisst sie erstmal eine Runde.
Irgendwie ist sie froh, dass ihr Kavalier von gestern nicht dabei ist. Der hatte so eine ekelig pelzige Zunge gehabt. Ilona wird übel, aber mit einem tiefen Schluck lässt sich jede fiese Erinnerung wegspülen.
Nach einer weiteren Runde zieht Ilona Richtung Severinskirche.
Ein Mainzer, ein Schlafwandler, ein Knastbruder und ein Gartenzwerg erwarten sie schon. Es gibt Glühwein aus der Thermoskanne, für den es eigentlich zu warm ist. Ilona kommt ins Schwitzen und setzt die Bärenohren ab.
"Wer hat mir die Rose auf den Hintern tätowiert?" singt die Meute und Ilona spürt einen subtilen Druck im Unterleib - ohne Zweifel ihre Blase.
"Ich muss mal." murmelt sie, aber die Freunde ziehen sie durch die Menge Richtung Severinsbrücke.
Ein dicker Husar drückt Ilona einen Kuss auf die Wange und schenkt ihr eine vertrocknete Nelke. Die Menge brüllt "Alaaf". Der Gartenzwerg verteilt Feiglinge. Währenddessen kneift das Bärenkostüm im Schritt.
Die Gruppe bleibt stehen und singt "Am Eigelstein ist Tanz". "Da packt dat dicke Rita den Fridolin..." röhrt Ilona mit, während sie den Beckenbodenmuskel betätigt. Bei "Die Hände zum Himmel" schielt sie unauffällig nach einem potentiellen WC-Schild. Nichts in Sicht!
Der Knastbruder macht sich an Ilonas Rucksack zu schaffen. "Auch eins?" fragt er und drückt Ilona eine Bierdose in die Hand. Die Menge brüllt "Kölle, Alaaf". Ilona wippt bereits bedrohlich mit den Knien. ´"Gibts hier n Klo?" fragt sie aufs Geratewohl in die Menge. Ein älterer Clown winkt nach rechts. Ilona macht sich auf den Weg.
Eine Gruppe schunkelnder Frauen versperrt ihr den Weg. "Macht Platz, ihr Pissnelken" faucht Ilona. "Unverschämt, ne?" die Damen sind erbost. Ilona verzichtet auf eine Entschuldigung. Wäre sie ein Mann, hätte sie sich in den Schritt gegriffen, um so Gegendruck auf ihre Blase auszuüben.
Ein Moderator brüllt "Alaaf".
"WC" steht auf einem Schild jenseits der Severinsbrücke. Ilona geht auf ein flaches Gebäude zu. "Heut brennt mein Iglu" klingt es heraus. Ilona öffnet eine Tür und - Schlangen ohne Ende. Selbst der Trick mit dem Männerklo klappt nicht, auch hier warten erboste Plattsteinkötter. Ilona reiht sich ein. Das Engelchen vor ihr jammert ebenfalls über das geringe Fassungsvermögen seiner Blase. Ilona wiegt sich nervös von links nach rechts.
Nein, das packt sie wirklich nicht.
"Chlodwig-Eck, da ist um diese Uhrzeit nicht so viel los." kombiniert Ilona. Und trabt los. Severinsbrücke. Bis zum Chlodwig-Eck noch Ewigkeiten. "Darf ich bitte mal durch?" Die Panzerknacker drehen ihr den Rücken zu. "Lasst mich durch!" Ilona stößt einem ihren Ellbogen in die Seite.
"Komm, halt durch" sagt sie sich und schielt in eine Kneipe. Keine Chance, gerammelt voll. "Wisst Ihr was, ich bin der Hans, ich hab nen großen...Fuss", gröhlt die Menge.
Wieder ein Kinderwagen im Weg. "Nehmen Se den Kinderwagen da weg!"
"Hej, Ilona, warste erfolgreich?" ihr Freund, der Gartenzwerg, winkt fröhlich mit einer Sektflasche. Ilona ignoriert ihn, und drängelt sich weiter durch die Menge. Ewigkeiten bis zur Severinskirche. Der Zoch flimmert unbeirrt an ihr vorbei. Ihr gesamtes Denkvermögen kreist nur noch um den unerträglich gewordenen Druck, der fast in Schmerz überzugehen scheint. Die Menge brüllt "Kölle, Alaaf".
Ilona checkt den Kirchplatz ab, wenn sie vielleicht in einem Eckchen? Aber überall Menschen.
"Oder etwa nen Dixie?" Naheliegend, davon gibts hier drei Stück. Aber auch hier Schlangen. Zu allem Überfluss ist ein Jeck auf eines der türkisfarbene Häuschen geklettert, um einen besseren Blick auf den Zoch zu werfen. "Na, wenn der mal nicht einstürzt!"
Die Menge hat sich gelichtet, Ilona läuft durch die Nebenstrassen. Die Tränen schiessen ihr in die Augen. Das Chlodwig-Eck.....Gott-Sei-Dank, keine Schlange drängt in die Kneipe, auch wenn sich schon ein Türsteher postiert hat. "Ich war noch niemals in New York" wummert es aus den Lautsprechern. Ein Matrose will ein Tänzchen wagen, Ilona schiebt ihn weg. Gottseidank hatte sie aus Figurgründen den Reissverschluss offen gelassen.
Während Ilona Endspurt einlegt, befreit sie ihre Arme aus dem Bärenfell. Beide Türen verschlossen. Aber niemand wartet -ausser ihr. Zwei Teenies schminken sich. Die eine dreht den Wasserkran auf, Ilona treten die Tränen in die Augen.
"Bitte!" fleht sie und hüppelt von einem Bein aufs andere. Endlich die ersehnte Klospülung, obwohl ihr jedes Geräusch, das auf Wasser schliessen lässt, zuwider ist. Ilona horcht auf die Bewegungen ihrer Vorgängerin: eine Strumpfhose wird hochgezogen, das Zirren eines Reissverschlusses. Endlich geht die Tür auf. Ilona drängt die Vorgängerin aus der Zelle und sich selbst hinein, verriegelt die Tür, befreit ihren Hintern aus dem Bärenkostüm und endlich!!!
Als Ilona schliesslich abspülen will, treten ihr erneut die Tränen in die Augen: hätte sie die Bärenärmel besser festgehalten, wären sie nicht ins Klo gefallen.
Von der Straße her ertönt ein "Alaaf".

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