Ich kenn` nur Deine Stimme...
von

 

... und den Rest stell ich mir vor.

Für meinen Job muss man das Lächeln in der Stimme haben. Nur an manchen Tagen bleibt es mir nach 8 Stunden schon mal im Halse stecken.


Zunächst einmal: ich bin froh. Froh, einen Job gefunden zu haben, der mich während meines Studiums über Wasser hält. Man kann es sich eben nicht immer aussuchen; meine Eltern will ich mit 23 Jahren nicht mehr anpumpen , Bafög bekomme ich nicht, und wo wird nun mal immer gesucht? Richtig! Im Telefonmarketing.
Also tippe ich an der Tür zur Agentur den Code ein, und betrete meine Arbeitsstätte. Welches schnuckelige Plätzchen suche ich mir denn heute aus? Lieber eines in der Mitte, wo die Gefahr besteht, gleich zur linken UND zur rechten einen lauten Schwafler sitzen zu haben, oder doch lieber am Rand, wo ich ein Stück vom Himmel durchs Fenster zumindest erahnen kann, aus meiner legebatterieähnlichen Kammer. Ans Fenster also. Wenn ich Glück habe, ist der Kopfhörer des Platzes neben mir defekt, und ich bleib ungestört.
Neben meinem üblichen Projekt heute, unseren langjährigen Kunden ein vergünstigtes Angebot für eine weitere Zeitschrift zu machen, bekomme ich auch noch Inbound-Anrufe rein. Das heißt: Von Leuten die Antwort auf die Frage, wer denn die "Quizshow" moderieren würde (Boris Becker, Stefan Raab oder doch der Jörg Pilawa) entgegenzunehmen. Doch zum warm werden tätige ich erst einmal ein paar Anrufe nach draußen.
„Schönen guten Tag, mein Name ist Sandra Müller. Ich rufe an vom Leserservice Ihrer…“ KLICK Ach, wie schön, gleich ein netter Mensch, dem ich gar nicht erst erzählen darf, was ich möchte. Nicht ärgern lassen, weiter geht’s. „Einen wunderschönen guten Morgen! Mein Name ist Sandra Müller, ich rufe an vom Leserservice ihrer Zeitschrift, der Hörzu. Spreche ich mit Else Schmidt?“ „Was wollen sie denn von der?“, fragt mich eine Frauenstimme. „Mit ihr über ihre Zeitschrift sprechen. Sind Sie Frau Schmidt?“ „Ich hab die Hörzu schon!“ „Ich weiß, Frau Schmidt. Und das finde ich auch ganz toll. Und weil Sie eben so eine gute langjährige Kundin sind, habe ich für Sie auch noch ein ganz tolles Dankeschön im Gepäck.“ „Ich kauf nix!“ „Darf ich Ihnen das Angebot denn kurz mal vorstellen?“ „Kostet es Geld? Dann nicht! Sie wissen ja nicht, wie es ist, mit einer Rente von 800 € im Monat auszukommen. Da ist kein Platz mehr für noch was. Ich kauf nix!“ KLICK Genau, Frau Schmidt, ich habe keine Ahnung, wie das sein muss. Denn ich habe leider nur zwei Drittel von Ihrer Rente, und lebe nicht in einem Haus, das schon seit vierzig Jahren abbezahlt ist. Ach ja, und die Studiengebühren. Die kommen ja nun auch bald, so dass ich noch mal 500,-- € pro Semester extra mit einberechnen darf. Sie haben Recht, Frau Schmidt, ich weiß nicht, wie das ist, aber da ich bald bestimmt noch mehr als 20 Stunden die Woche arbeiten muss, um mir mein Studium leisten zu können, werden wir wohl noch häufiger das Vergnügen haben, und Sie werden beim nächsten Mal vielleicht nicht gleich auflegen, sondern mir erzählen, wie das denn so ist. Das alles denke ich natürlich nur, während mein Computer schon automatisch die nächste Nummer wählt.
Nicht mal meinen Frust kann ich hier überdenken, denn da kommt schon der erste Inbound-Anruf. „Herzlich willkommen beim großen Gewinnspiel! Mein Name ist Sandra Müller, und wen habe ich bitte am Apparat?“ „Hallo? Jörg Pilawa! Das ist der Jörg Pilawa. Das weiß ich ganz genau!“ „Ja, ich brauche aber bitte erstmal Ihren Namen. Mit wem spreche ich denn bitte?“ „Warum woll’n sie das wissen? Ist da doch n Haken dran? Ja, ne? Das macht doch keiner umsonst, solche Spiele. Die Nummer ist wirklich kostenlos? Nicht, dass ich dann auf der Rechnung plötzlich Hundert Mark stehen hab. Kenn ich alles nämlich, solche Tricks, ausm Fernseher“ „Der Anruf ist für Sie garantiert kostenlos. Sie möchten doch an unserem Gewinnspiel teilnehmen, oder? Dann muss ich einmal Ihre Daten aufnehmen. Sonst kann ich Sie im Gewinnfall doch gar nicht benachrichtigen!“ „Na, gut, aber nicht, dass ich dann dauernd von der SKL oder so angerufen werde. Mein Name ist Kaffka.“ „Kafka, wie der Autor? Mit einem F?“ „Was? Wie wer?“ „Ihr Name, wird der wie der des Autoren mit einem F in der Mitte geschrieben?“ „Ich kenn kein Auto das Kaffka heißt. Mein Name schreibt sich K, A, F, F, K und noch mal A.“ „Gut, und in welcher Straße wohnen Sie, Herr Kaffka?“ „Rosenweg 3 in Duisburg.“ „Postleitzahl?“ „02…“ „Moment, Herr Kaffka, ich brauche die Postleitzahl von Duisburg. Die beginnt doch bestimmt mit einer 4, oder?“ „Ja, nee, 02. Ach, so, nee, Postleitzahl. Ach, das war ja die Vorwahl“ (ich weiß) „Moment, Inge" brüllt er seiner Frau entgegen und mir ins Ohr, "wie ist denn hier, na, Du weißt schon, die Postdings…“ Das ist kein Grund für mich, nervös zu werden. Alles noch im Lot, das übliche eben. Nach 5 Minuten habe ich endlich seine Adresse vollständig notiert, doch irgendetwas lässt mich ahnen, dass dies kein neuer Kunde wird. Nachdem mir Herr Kaffka noch mal gesagt hat, dass der Jörg Pilawa die Quizshow moderiert, und dass das richtig sein muss, denn er habe es in seiner Fernsehzeitung noch mal nach gelesen, überrasche ich ihn damit, dass ich noch ein ganz tolles Angebot für ihn habe. „Sie lesen doch bestimmt gerne, Herr Kaffka, oder? Und daher können Sie sich jetzt bei mir einfach mal eine tolle Zeitschrift aussuchen, und die bekommen Sie dann aber nur für ein halbes Jährchen. Und das beste ist, drei komplette Monate Ihrer Wunschzeitschrift, schenke ich Ihnen noch oben drauf!“ „Ha, wusste ich es doch! Da ist der Pferdefuß! Ich will nichts bestellen. Ich denke das ist alles kostenlos. Ich will nur beim Gewinnspiel mitmachen, und jetzt muss ich wieder ne neue Zeitschrift nehmen, und da komm ich dann jahrelang nicht raus!“ „Herr Kaffka, so ist das hier nicht. Sie KÖNNEN, wenn Sie mögen, sich ein Magazin Ihrer Wahl aussuchen, und nach dieser ersten Lesezeit die Belieferung jederzeit stoppen. Sie haben dann keinerlei Kündigungsfristen!“ „Und wenn ich das jetzt nicht mache, dann streichen Sie mich aus dem Gewinnspiel!“ „Lieber Herr Kaffka, nein, dieses Angebot ist unabhängig von dem Gewinnspiel. Sie nehmen auf jeden Fall an unserer Verlosung teil. Nur wenn Sie MÖGEN DÜRFEN Sie sich noch zu besonders günstigen Konditionen ein Magazin Ihrer Wahl bei mir aussuchen!“ „Alles Betrüger! Dann eben nicht. Dann mach ich eben nicht mit. Dann streichen Sie mich doch!“ KLICK Danke, fürs Gespräch. Natürlich werde ich Herrn Kaffka nicht streichen, und natürlich wird er, wie alle anderen an der Verlosung teilnehmen. Warum legen die Leute denn nur immer gleich auf? Sogar, wenn SIE MICH angerufen haben?
Um ehrlich zu sein, nicht jeder Tag verläuft wie dieser, aber es wäre schön, wenn es mehr als das angesehen wird, was es ist: mein Job! Ich zwinge niemanden zum Kauf, ich drücke nicht, ich lüge nicht. Ich bleibe freundlich, und zeige ab und an auch Verständnis für eine besonders schwere finanzielle Situation. Ich bin froh, diesen Job zu haben, auch wenn er mir manchmal zum Halse heraus hängt. Aber kann denn jeder, der einen Anruf bekommt, nicht auch ein bisschen so darüber denken, dass ich, wenn ich im Kaufhaus etwas sehe, auch nicht gezwungen bin, es zu kaufen, obwohl der Verkäufer es anpreist. Und so ist es doch im Grunde genommen auch am Telefon: man hört sich das Angebot an, und entscheidet sich. Fertig. Man muss mir auch nicht erzählen, dass man jetzt Hartz IV bekommt und doch schon 5 Zeitschriften hat, und daher keine weitere will, damit ich mich freundlich verabschiede und auflege. Lasst mich doch einfach meinen Job machen, damit ich ganz schnell fertig studieren kann, und endlich RICHTIGE Arbeit finde! ;o)

(2005)

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