Ich gucke Fernsehen
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Ich gucke Fernsehen

Heute wollte ich mir die Zeit beim Bügeln vertreiben. Auf der Suche nach Nachrichten landete ich auf einem Privatsender. Eigentlich läuft bei uns kein Fernseher vor dem Abend. Aber ich war alleine, dachte ich könnte Unterhaltung gebrauchen.

Was ich sah, hat mich entsetzt. Ich sah, wie ein Paar unfähig war, eine Beziehung zu führen. Das kann passieren. Aber hier bestimmte Übergewicht, Sprachlosigkeit, Dummheit, Ignoranz, unmögliches Benehmen und Arbeitslosigkeit ihren Alltag. Die Probleme galt es zu lösen. Aber sie taten es nicht. Sie lebten dahin, machten sich gegenseitig das Leben schwer und suchten die Fehler bei der Gesellschaft. Nicht bei sich, das wäre zu schwierig gewesen. Sie waren vollkommen perspektivlos - ohne Ziele, ohne Träume. Das Fernsehen hielt gnadenlos drauf. Ohne Rücksicht auf Privatsphäre. Aber die hat sich das seltsame Paar ja auch nicht vorbehalten. Also wurden sie vorgeführt, gedemütigt, lächerlich gemacht. Hat das Fernsehen keine Verantwortung? Oder wird die für die Quote abgegeben? Dann kam Werbung. Zielgruppenorientierte Werbung. Geworben wurde für Windeln, Küchenpapier, Hygieneartikel, Putzmittel. Ich hoffe nicht, dass genau diese Zielgruppe zugeschaut hat. Aber das wurde sicher vorher ermittelt. Man bat den Zuschauer, dran zu bleiben. Ich tat es. Das war ein Fehler.

Nach der Werbung folgte der Niedergang. Ich wollte ausschalten - war aber zu gebannt vom Krieg zwischen einer Mutter und einer Tochter. Ich war mir sicher, das konnte nur gestellt sein. Das konnte so nicht wirklich passieren. Mutter und Tochter führten ein Leben, geprägt von Ablehnung, Beleidigungen, Demütigungen und Hass. Der Alltag war zermürbend, ohne Struktur und langweilig. Man machte sich mit verbalen Entgleisungen, Gewalt, Vernachlässigung, Ablehnung und Kriminalität das Leben schwer. Wieder dachte ich mir, wo bleibt die Verantwortung der Sender? Hier wurden zwei Menschen vorgeführt in einer Art und Weise, die mir Angst machte. Unsicher und vielleicht gelockt mit etwas Geld tappten sie von einer Falle in die nächste. Auch sie waren völlig ohne Perspektive, hatten keine Vorstellung, wie der nächste Tag aussehen könnte. Nicht mal ungefähr. Die Selbstachtung - man suchte sie vergeblich. Ich fragte mich, wer Schuld hat. Die Mutter? Angeblich selbst aus schwierigen Verhältnissen - niemand kann das nachprüfen. Die Tochter - aufgewachsen ohne Vorbilder und Zuneigung. Mir taten sie leid.

Aus dem Hintergrund kam immer diese vor Mitgefühl triefende Stimme. Sie sagte uns Zuschauern “bleiben Sie dran.“ Ich konnte nicht mehr hinschauen. Ich blieb nicht dran. Stellte angewidert das Fernsehen aus.

Der Zuschauer entscheidet. Ich entschied mich. Ich schaltete aus.

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