Landung in der Schwertbucht: Die andere Seite
von Carsten Maday

 

Die Halle war leer. Nur ein einziger Fallschirm hing schlaff von der Decke, wo sonst hundert hingen. Die Bänke und Tische waren verwaist. Hier packten und pflegten sonst Männer ihr Zeug, machten derbe Späße dabei. Jetzt hatten sie ihre Ausrüstung geschultert und warteten gebannt auf den Einsatz.
Es war still. Draußen brach die Nacht herein. Es regnete es in Strömen. Das Warten nahm kein Ende. Ich nahm einen Schluck Siba. Die Tasse mit dem heißen Albentrunk wärmte angenehm meine Hände. Die zitterten vor Anspannung. Wann würde es endlich losgehen?
Es war Hochsommer, aber draußen regnete und stürmte es wie im Winter. Schon einmal war die Landung verschoben worden. Und zwar auf heute. Das Orakel von Elion hatte eine leichte Wetterbesserung prophezeit, aber noch war davon keine Spur zu sehen. Noch einmal würden die Herren und Damen im Generalstab das Unternehmen nicht verschieben können, nicht ohne die seekranken Männer von den Booten zu holen, auf denen sie schon seit zwei Tagen eingepfercht waren. Das käme einem Abbruch gleich. Es würde Wochen dauern, ehe Wind und Gezeiten günstig für einen erneuten Versucht stünden. Wochen, in denen der Dunkle Meister seine Küstenverteidigung weiter ausbauen konnte. Nein, es musste jetzt geschehen oder nie. Ich sah hinaus in den Regen.
>Verflucht<, sagte ich in die Stille der Halle. >Sie können es doch nicht schon wieder verschieben.<
Die Hallentür flog auf. Ich hörte schwer den Regen prasseln, als eine kleine, gedrungene Gestalt eintrat. Es war Ulf Steinthor, zwergischer Pionierhauptmann, stark wie zehn Männer, mit einer obszönen Freude daran in den Kampf zu ziehen, besonders wenn es gegen Orks ging. Ulf war ein alter Freund und der beste, wenn es darum ging, den Feind zu unterminieren oder Olifantensperren zu errichten.
>Neues<, fragte ich hoffnungsvoll.
>Es regnet noch immer<, antwortet Ulf mürrisch. Er schüttelte sich das Wasser aus dem Umhang. Er deutete auf sein Kettenhemd.
>Ich roste langsam.<
Ich ging zu dem Kohlebecken, nahm die Kanne mit heißem Siba und goss Ulf eine Tasse ein. Er griff sie dankbar.
Wir setzten uns auf eine Bank und tranken schweigend.
>Ich hab da die eine Frage, die mir nicht aus dem Kopf gehen will<, sagte ich schließlich.
Mit Ulf konnte ich reden. Er war zwar ein mörderischer kleiner Bastard, aber lange genug dabei, um mich zu verstehen. Ulf nickte.
>Ich verstehe dich<, sagte er. >Du fragst dich, warum unsere Landezone so verflucht schmal ist und ausgerechnet mitten zwischen gefluteten Feldern und dem von Orks besetzen Ort Sainte-Mère-Hoblise liegen muss.<
Ich sah ihn verwundert an.
>Ähm, nein, eigentlich hatte ich eine andere Frage. Aber deine ist auch gut, irgendwie verstörend und beunruhigend, aber gut.<
>Okay, ist es dann wegen der Klapper?<
>Was?<
>Na, die Holzklapper, die man uns geben hat, damit wir im Dunkeln Freund von Feind unterscheiden können. Man klappert einmal und wenn es zweimal zur Antwort klappert, weiß man, dass es ein Freund ist.<
>Ähm, ja, was ist damit?<
>Ist dir nie aufgefallen, dass zweimal Klappern wie das Durchladen einer Repetierarmbrust klingt?<
>Was? Nein. Das ist ja schrecklich. Wer denkt sich so etwas nur aus?<
Ulf zuckte mit den Schultern:
>Alben.<
>Ach, Alben!< Ich verzog das Gesicht. >Glorifizierte Militärmusiker, wenn du mich fragst. Nein, die Frage, die mir wirklich durch den Kopf geht –und nach deinen besorgniserregenden Einwürfen mehr denn je- ist schlicht und einfach: was mache ich hier nur?<
Es war einer dieser seltsamen Fragen, von denen man die Antworten zwar kannte, aber nicht recht verstand. Ich erinnerte mich daran, dass ich einst eine freie und ungebundene Bardin gewesen bin. Ich sang, dichtete, lebte von meiner Kunst und dem einen oder anderen schlecht bewachten Gegenstand. Ich lebte ein Leben ohne tiefere Bedeutung und Aufgabe. Ich war glücklich. Ich war gewandt mit Worten, geistreich und witzig, mit feuerrotem Haar und prächtigem Ausschnitt hatte ich keine Mühe jeden Mann, den ich wollte, ins Bett zu bekommen. Und einmal auch eine hübsche Frau. Ich hatte damals diese experimentelle Phase, aber, nun je, ich war ein Freigeist. Dann trat ER in mein Leben. Ein Knabe fast, dem kaum der Flaum auf den Wangen spross. Gejagt von den Häschern des Dunklen Meisters, seelen- und gestaltlosen Kreaturen, stand ich ihm zur Seite, durchlebte Mühen und Gefahren mit ihm, für die ich mich, hätte man mich zuvor gefragt, nie freiwillig gemeldet hätte. Aber ich spürte tief in meinem Inneren, dass es einfach richtig war, es zu tun. Spürte, dass hohle Phrasen von Mut, Tapferkeit und Aufopferung mich nicht unberührt ließen, dass Lieder und rauschende Feste unbedeutender wurden, als der Kampf gegen das Böse. Und ich spürte, wir spürten es alle, dass dieser junge Mann, dieser verschollen geglaubte Königssohn das Ruder herumreißen konnte. Dass es ihm nie genug sein würde, die Heerscharen des Dunklen Meisters, die ein freies Reich des Westens nach dem anderen überrannt hatten, davon abzuhalten, die letzte Insel der Freiheit, Elbland, zu erobern. Dass es ihm nie genug sein würde, den Feind an den Stränden Elblands zu bekämpfen, an den Landezonen, auf den Feldern, in den Straßen und auf den Hügeln, sondern dass er zurückzuschlagen, den Kampf aufs Festland tragen und siegen würde. Sieg, was immer er kosten mochte, Sieg trotz allen Schreckens, Sieg, so lang und beschwerlich der Weg dahin auch sein mochte.
>Das mag vielleicht erklären, warum ich mich der Sache des Königs verschrieben habe<, sagte ich zu Ulf, nachdem ich ihn an meinen Gedanken hatte teilhaben lassen.
>Aber das erklärt noch lange nicht, warum ich mich dazu bereit erklärt habe, bei Nacht aus der Gondel eines zwergischen Luftschiffes zu springen mit nichts als einem kleinen Fetzen Seidenstoff zwischen mir und dem Tod, um mitten im Feindesgebiet strategische Schlüsselstellungen einzunehmen und so den Erfolg des größten Landeunternehmens in der Geschichte der Alben zu sichern.<
Ulf sah mich ernst an.
>Du hast mal mit einer Frau?<
Ich boxte ihn auf den Arm. Es tat mir mehr weh als ihm.
>Ich sehe, du hast dir den Blick fürs wesentliche bewahrt. Aber jetzt mal ehrlich, an einem dünnen Stück Stoff aus der Gondel in die Tiefe zu segeln? Wer denkt sich so was denn aus?<
Wir kannten die Antwort darauf natürlich.
>Alben<, grunzte Ulf. Ich nickte.
>Dünne Alben-Damen mögen damit vielleicht sanft wie eine Feder zu Boden gleiten. Ich bin aber eher nicht der androgyne Typ. Und mit der ganzen Ausrüstung grenzt es an ein Wunder, wenn ich mir nicht alle Knochen bei der Landung breche. Das Zeug wiegt fast soviel wie ich.<
>An die hundertachtzig Pfund. Das kommt hin<, grinste Ulf. Ich boxte den unverschämten Kerl erneut.
>Aua<, sagte ich. >Mann, ich wünschte, alles wäre vorbei. Es wäre Frieden und ich könnte wieder Lieder dichten. Weißt du, ich habe seit Jahren kein Lied mehr gedichtet. Ich komm einfach nicht dazu. Hier ´ne Schlacht, da ein Kampf. Das dauernde Marschieren, campieren, Zeug putzen und Rüstung polieren. Und seit ich in der Luftlandetruppe bin, ist´s noch schlimmer. Ich renne jeden Tag mit meinen Männern einen verschissenen Hügel rauf und wieder runter. Warum? Gut, damit die Männer fit werden, alles klar. Aber ich bin schon fit. Warum muss ich dann jedes mal mit? Und ich bin seit Jahren müde. Wann hab ich das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen?<
>Im Lazarett vor zwei Jahren?<
>Ne, da hat mich die Sorge um mein Bein wachgehalten. Und wenn ich schlief, hatte ich immer diese Fieberträume. Ich bin einfach zu müde für Lieder. Böse Leute kennen keine Lieder. Und schlaflose scheint´s auch nicht. Ich krieg noch nicht mal eine einfache Melodie hin. Alles nur wirre Töne, so etwas wie da-da-da-dam.<
>Aha<, sagte Ulf. >Klingt nicht besonders.<
>Genau. Und dann ist da noch die Sache mit dem Sex.<
>Ach<, seufzte Ulf. >Jetzt wünschte ich doch wirklich, die Landung würde losgehen.<
>Also, meine Männer reden den ganzen Tag von nichts anderem als na du weißt schon was. Und ich? Ich fühle nichts, jedenfalls keine Fleischeslust oder Begierde irgendeiner Art. Ich bin einfach nur müde. Und selbst wenn nicht. Sieh dich doch mal um. Die Männer haben nur Augen für diese dünnen Albenmädchen.<
>Also wir Zwerge bevorzugen ja eher etwas mehr Bauholz vor der Mine.<
>So sollte es auch sein<, sagte ich. >Und...< Die Tür flog auf. Ein junger Zwergenleutnant stürzte herein und machte aufgeregt Meldung.
>Hauptmann Steinthor, Nachricht vom Hauptquartier. Es geht los.<
>Den Göttern sei Dank<, stöhnte Ulf.
Wir sprangen auf. Ulf und ich sahen uns an. Dann fassten wir uns bei den Unterarmen.
>Na, endlich<, sagte Ulf. >Sagen wir es den Männern!<
Wir verließen die Halle.
Ach, und nur für den Fall der Fälle, mein Name ist Sargena. Ich bin Bardin und kommandiere zwanzig Mann. Merkt euch den Namen. Er ist wichtig. Schließlich hängt mein Leben dran.


>Was mache ich hier nur?< Die Frage beschäftigte mich noch immer. Statt einer Antwort schoss mir eine Erinnerung durch den Kopf:
Ich habe einmal einen weisen Mann getroffen. Nun, zumindest nannten ihn die Leute weise, denn er lebte in den Ruinen eines alten Tempels. Dort hockte er den ganzen Tag auf einer Säule, aß, was die Leute der Gegend ihm gaben, und hatte jeglicher Körperhygiene entsagt, was gemeinhin als Zeichen großer Weisheit galt, und zwar als jene Art von Weisheit, die man lieber auf einer Säule antraf als, sagen wir mal, im Generalstab.
Ich warf dem Alten meinen letzten Apfel zu und dafür prophezeite er. Er sagte, die Welt sei im ewigen Kampf von Gut und Böse gefangen. Und in dem ewigen Kreislauf großer Schlachten und Kriege keimte im Sieg des einen der zukünftige Triumph des anderen. Denn, so sagte der Weise, das Feuer lodert auf, verglüht zur Asche, um erneut aufzuflammen. Immer fort bis in alle Ewigkeit, denn der Krieg ist der Vater aller Dinge.
Und in dem großen Ringen der Kräfte gab es den ewigen Helden, den Streiter des Guten, und den ewigen Schurken, den Kämpfer des Bösen. Und wie dem ewigen Schurken zahlreiche, verruchte Handlanger dienten, so scharrten sich auch um den Helden Gefährten.
>Und ein jeder muss seine Rolle spielen in diesem Stück<, sagte der Alte und sah mich prüfend an. >Geh und spiele deine<, rief er mir zu.
Vielleicht hatte ich meine Rolle gefunden. Vielleicht erklärte das, warum eine genusssüchtige und streitbare Bardin wie ich sich einem jungen König angeschlossen hatte, um für Freiheit und gegen das Böse zu kämpfen.
>Blöder Zausel<, seufzte ich und sah mich um. Ich hockte in einem schiffsartigen Rumpf, der als Gondel unter einem zwergischen Luftschiff hing, das von einem schweren Eisdrachen gezogen wurde. Das waren gewaltige Geschöpfe, die wegen ihrer gutmütigen Art auch Ochsen der Lüfte genannt wurden.
Der Start der Luftflotte war atemberaubend gewesen. Äxte durchschlugen Haltetrossen. Nach und nach wurden die Luftschiffe in die Lüfte entlassen. Dann kamen die Eisdrachen. Jedes dieser majestätischen Wesen packte im Fluge eines der langen Schleppseile. Ein Ruck ging durch unser Luftschiff, als das Seil sich spannte und wir Richtung unseres Schicksals gezerrt wurden. Unten am Boden entrollten sich lange Taurollen, als Drachen mit behäbigen Schritt über das Startfeld liefen, Geschwindigkeit aufnahmen und sich endlich mit machtvollen Schwingenschlägen in die Lüfte erhoben. Am anderen Ende der Taue befanden sich Lastensegler, die Männer und leichte Aufklärungsstreitwagen in ihrem Bauch trugen. An einem dünnen Stück Stoff in die Tiefe zu springen war schon wahnsinnig. Aber in einem Fluggerät zu hocken, dessen bevorzugte Landeart ein halbkontrollierter Absturz war? Nein, danke.
Wir hatten Elbland hinter uns gelassen. Vor uns der Kontinent. Wir kehrten zurück.
Ich blickte über den Rand der Gondel und sah Hunderte weiterer Luftschiffe, die von schlanken, schnellen Pegasi-Abfangreitern eskortiert wurden. Unter mir, auf der dunklen See, sah ich die Schiffe. Es war die größte Armada, die man je gesehen hatte. Alben, Zwerge und Menschen hockten zusammengepfercht auf den Schiffen, um den Krieg zurückzutragen in die Länder des Dunklen Meisters. Der Tag der Entscheidung war da. Die Invasion hatte begonnen. Ihren ersten Schlag aber sollten wir führen.
>Ist ja großartig<, murmelte ich. Einige Männer sahen auf, widmeten sich aber schnell wieder ihren Gedanken, die sich um das Bevorstehende sorgten. Es war voll in der Gondel. Überall Männer, Frauen und Ausrüstung. Die meisten waren Menschen. Einige Zwerg-Pioniere waren dabei, aber wenige Alben. Die hockten auf den Schiffen, flogen die Abfangreiter oder steuerten die Lastensegler. Aber für das, was uns bevorstand, waren sie sich wohl zu schade.
>Alben<, murmelte ich. >Verschissene Schönwetterkrieger.<

Wir flogen weiter. Dann wurde es unruhig. Als wir uns der feindlichen Küste näherten, gerieten wir in Abwehrfeuer.
>Orkische Sechs-Sechser<, rief mir Ulf Steinthor zu.
>Haben noch genug übrig gelassen, was?<, schrie Ulf gegen den Lärm an. Ich nickte beklommen. Eigentlich hätten die Sechs-Sechser von schweren Feuerdrachen Angriffen ausgeschaltet worden sein sollen, aber der Angriff war nicht sehr erfolgreich verlaufen. Viele Drachenreiter waren abgeschossen worden. Die Sechs-Sechser waren ein Doppelabwehrgeschütz, das von jeweils sechs Orks bemannt wurde. Betrieben wurde es mit Wasserdampf. Es verschoss mannslange Harpunen oder Geschosse mit Feuerballköpfen. Bei einem Volltreffer hatte selbst ein riesiger Feuerdrache keine Chance.
Feuerbälle explodierten in der Luft, als die Abwehrbatterien ihr Werk aufnahmen. Noch lagen sie zu tief, aber die erfahrenen Waffenmannschaften der Orks würden nicht lange brauchen, bis sie sich auf uns eingeschossen hatten.
>Nachtjäger!<, schrie jemand erschrocken. Alle drehten die Köpfe in die Richtung, in die der Mann zeigte. Erst sah ich nichts als die finstere Nacht. Dann erhielt ein Luftschiff einen Treffer und verging in einer gewaltigen Stichflamme. Brennende Körper stürzten zuckend in die Tiefe. Es verschlug mir vor Entsetzen den Atem. Ich sah sie im Schein des grausigen Lichtes. Nachtjäger. Ein gutes Dutzend Riesenfledermausjäger hatte sich in der Dunkelheit an unsere Luftflotte herangearbeitet. Dazwischen sahen wir drei riesige Schemen.
>Lichdrachen<, hörte ich jemanden entsetzt schreien. Eines der untoten Ungeheuer hielt auf ein Luftschiff zu. Der Bordschütze nahm den Lichdrachen mit seiner dampfbetriebenen Armbrust unter Feuer. Trotz des Pfeilhagels und dutzender Treffer kam der Drache immer näher. Dann stieß er seinen giftigen Pestodem aus. Die grüne Pestwolke hüllte den Zeppelin ein. Zuerst starben die Insassen an den giftigen Dämpfen, dann erwischte es auch den Eisdrachen. Der Flügelschlag der ruhigen Giganten geriet ins Stocken. Er würgte, spie Eiswolken und starb. Er fiel und riss das Luftschiff mit sich in die Tiefe. Die toten Insassen traten ihre letzte Reise an.
Der Lichdrachen drehte ab und hielt auf uns zu. Feuerbälle zerrissen den Himmel. Ich dachte beklommen daran, wie zerbrechlich unser Luftschiff doch war. Menschen sollten einfach nicht fliegen. Mit jedem Schlag seiner löchrigen Schwingen kam der Lichdrache näher. Ich sah ihn sein fauliges Maul aufreißen. Jetzt ist es aus! Dann stürzten sich zwei Pegasi-Abfangjäger auf den Drachen. Die Albenreiter sprangen von ihren Flugrössern auf den Lichdrachen und zerschlugen mit ihren schlanken Klingen seine Flügel. Der Drache stürzte ab und nahm die Albenkrieger mit sich. Ich schwor, dass mir nie wieder ein böses Wort gegen die Alben über meine Lippen kommen sollte und wurde sogleich auf die Probe gestellt. Die Albe Roxanne kam aus dem Steuerhaus und bahnte sich den Weg über die Männer und Ausrüstungsgegenstände zur Ausstiegsluke. Dort befand sich ein Licht. Wenn es rot leuchtete, bedeutete es, dass wir uns der Absprungzone näherten. Bei grün mussten wir springen.
Es schlug dicht ein. Der grelle Blitz des Feuerballes blendete mich. Männer schrieen vor Angst.
>Verflucht<, brüllte ich Ulf zu. Selbst dem Zwerg war das Lachen vergangen. >Eigentlich sollte ich ein Lied über die Sache hier dichten. Aber mir will nicht so recht ein Text einfallen bei dieser Ballerei.<
>Eh, Roxanne<, brüllte irgendeiner gegen den ohrenbetäubenden Lärm und drückte damit die Hoffnung aller Anwesenden aus. >Du musst das rote Licht nicht einschalten!<
Roxanne lächelte kühl und schaltete das Licht auf rot.
>Es geht los, Leute<, brüllten wir Truppführer. Wir nahmen die Ausrüstung auf und kontrollieren uns gegenseitig. Das Luftschiff wurde mächtig durchgeschaukelt.
>Hoffentlich geht es bald los<, meinte einer. >Ich muss nämlich mal.<
>Eh<, antwortete ein anderer. >Hier hat sich einer noch nicht in die Hosen gemacht!< Ein weiterer heftiger Rumms erstickte das bisschen Galgenhumor.
Ich konnte es dem Mann gut nachvollziehen. Der Flug dauerte eine Ewigkeit. Mir selbst stand das Wasser bis zum Unterkiefer. Aber anders als die Männer konnte eine Frau und Vorgesetzte leider nicht so zwanglos aus der offenen Kabinentür schiffen. Am Boden würde ich mir erst einmal einen ruhigen, lauschigen Busch suchen.
Ich überprüfte alles noch einmal. Saß der Helm, mein Kurzschwert, meine Repetierarmbrust, das Olifantengewehr, der Klappspaten?
Ich stand an der Gondeltür und hatte die zweifelhafte Ehre, als erste ins schwarze Nichts springen zu dürfen. Das Licht wechselte auf grün. In der endlosen Dunkelheit unter uns lag die Landezone.
>Heute schreiben wir Geschichte<, meinte Roxanne zu mir.
>Kann nicht schreiben<, grinste ich und stürzte mich aus der Ausstiegsluke in die Nacht.

Mit einem Ruck öffnete sich der Fallschirm. An sich begrüßenswert bot ich nun allerdings auch ein wunderbares Ziel. Unter mir sah ich die weißen Wolken der Dampfkanonen. Abschüsse blitzten stakkatoartig auf, als eine Batterie Kampfmagier Dutzende von Feuerbällen in die Luft schleuderte. Der Krieg war eine seltsame Sache. Früher mussten Magier eine jahrzehntelange Ausbildung machen, ehe sie auch nur eine winzige Beschwörung durchführen durften. Heute brachte man ihnen in drei Monaten bei, Feuerbälle zu schleudern, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen. Viel mehr konnten sie dann aber auch nicht. Früher war eine ordentliche Rüstung und ein Schwert unbezahlbar gewesen, heute drückte man sie jedem Rekruten in die Hand. Massenware. Das war der Krieg. Alles Massenware. Wir auch.
Eine Salve Armbrustbolzen jagte dicht an mir vorbei. Jeder fünfte war ein Brandpfeil. Der Feind hatte ebenfalls aufgerüstet und irgendwie schien er uns immer eine Nasenspitze voraus zu sein.
Ich sah den Boden. Ich glitt dicht über eine Gruppe Bäume hinweg und sah voller Freude eine weite Lichtung unter mir. Ich bereitete mich auf eine harte Landung vor. Stattdessen landete ich platschend im Sumpf. Panisch versuchte ich mich von dem Fallschirm über mir zu befreien, ehe ich in dem hüfthohem Wasser ertrank. Endlich gelang es mir, mich mit meinem Hirschfänger zu befreien. Ich tauchte aus dem Wasser auf und sog gierig die kühle Nachtluft ein. Der Himmel stand in Flammen. Brandpfeile. Explosionen. Luftschiffe stürzten brennend ab. Überall Fallschirme, die winzig wirkten in der Nacht, wie ein Regen kleiner Pilze. Nicht an allen hing ein lebender Mann.
Ich packte panisch meine Brusttasche. Ich fingerte meine Landungszigarre hervor. Feucht aber noch brauchbar. Anstecken konnte ich sie nicht. Der Gestank und die Glut waren zu verräterisch. Ich steckte sie mir in den Mundwinkel und biss drauf. Es beruhigte. Ich sah mich um. Niemand zu sehen.
>Wir hätten doch die fliegenden Teppiche nehmen sollen<, murrte ich. >Na, jetzt ist´s auch egal.< Der stinkende Morast ließ ohnehin nicht viel von meiner femininen Anmut übrig. Ich pisste, wo ich war, und suchte meine Jungs.
Das gestaltete sich schwierig genug. Überall hörte ich Rufe und Schreie. Aber man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Mit der Armbrust über dem Kopf watete ich durch den Sumpf. Ich sah Brandpfeile in den Himmel aufsteigen. Ich schlug diese Richtung ein. Dort musste Sainte-Mère-Hoblise liegen. Einst eine malerische Hobbitstadt, heute bewachte dort eine Orkgarnision die einzige Brücke über den Fluss im Umkreis von fünf Meilen.
Ich musste die Landezone verpasst haben und in einem der gefluteten Felder gelandet sein.
Ich war weiter von Sainte-Mère-Hoblise entfernt, als geplant. Ich musste mich beeilen.
>Gruppe Lima! Lima hier her<, brüllte ich. Einige ähnliche Rufe gellten entfernt durch die Nacht. Die Mannschaften hatten sich weit verteilt.
>Du holst dir noch die Orks auf den Hals, wenn du weiter so schreist<, sagte ich zu mir selbst.
Ich brüllte noch einmal. Niemand antwortete. Dann spürte ich festen Boden unter den Füßen. Erleichtert stieg ich aus dem Morast und stapfte in ein lichtes Gehölz. Nebel kam mir entgegen. Auch das noch. Ich wollte noch einmal brüllen, als ich entsetzt innehielt. Der Nebel war heiß. Wasserdampf. Ich hörte kehliges Brüllen. Orks! Hier musste eine Sechs Sechser Stellung sein. Unmöglich auszumachen wo. Die Sechs Sechser wurden durch einen Hochdruckdampfkessel angetrieben. Zu Beginn des Krieges waren diese Stellungen aus der Luft leicht auszumachen gewesen. Die hohe Rauchsäule verriet sie von weitem und lud zu Luftschlägen förmlich ein. Doch der Feind lernte schnell. Er verwendete rauchärmere Holzkohle zur Befeuerung und entließ durch ein System von Röhren Wasserdampf aus dem Kessel, der die Stellung hinter einem weißen Schirm verbarg. Manchmal legten die Orks die Röhren so weit, dass der Rauch Hunderte von Metern neben der eigentlichen Stellung erschien. Eine tödliche Falle für so manchen albischen Drachenreiter.
Angespannt bis zum letzten schlich ich weiter. Meine Hände umkrampften die Armbrust. Endlich lichtete sich der Nebel. Kühle Nachtluft wehte über mein nassheißes Gesicht.
Zu brüllen wagte ich nicht mehr. Auf trockenem Grund war die Gefahr zu groß auf Orks zu stoßen. Ich hörte ein Geräusch. Ich schmiss mich zu Boden. Der Laut war von vorn gekommen. Aus einem Gebüsch.
>Verdammt<, keuchte ich. Ich fingerte nach meiner Klapper.
>Nun verarsch mich bloß nicht, du Scheißding<, betete ich flüsternd. Ich zielte mit einer Hand aufs Gebüsch und klapperte. Einmal. Ein ewiger Moment verging. Das klapperte es zweimal zur Antwort.
>War das eine Armbrust<, rief ich zur Sicherheit rüber.
>Nein!<
>Okay. Wer da?<
>Soldat Jon Jonssohn und...< Der Soldat brach ab. Ich hörte kurzes Flüstern. >...und Kleriker zweiter Klasse Kalf Ketilssohn.<
Ich erhob mich. Ich kannte Jonssohn. Er war aus meinem Trupp. Ein junger Mann, frisch vom Hof. Ketilssohn kannte ich nicht. Er war ein junger Zwerg. Wie alle Kleriker war er nur mit seiner Verbandstasche bewaffnet.
Die beiden waren erleichtert ein vorgesetztes Gesicht zu sehen.
>Du gehörst bis auf weiteres zu meiner Gruppe<, sagte ich zu Ketilssohn.
>Wo sind nur die anderen, Fräulein Sargena<, fragte Jon Jonssohn besorgt.
>Überall um uns herum, Jonssohn. Die finden uns schon<, grinste ich. >Und bis dahin: Wir haben einen Auftrag und den ziehen wir durch. Also los, Richtung Sainte-Mère-Hoblise, Männer!< Ich wechselte die Zigarre von dem einen in den anderen Mundwinkel.
>Und ich hab´s dir hundertmal gesagt, Jonssohn. Nenn´ mich nicht Fräulein Sargena. Nenn´ mich einfach Sarge.<

Ein trauriger Haufen waren wir. Nass und modrig. Wenig Ausrüstung und wenig Mann. Doch wir wuchsen. Mehr und mehr Versprengte lasen wir auf, bis wir schließlich ein aus verschiedenen Einheiten bunt zusammen gewürfeltes und ziemlich dreckiges Dutzend waren.
Endlich stießen wir auf eine heckengesäumte Straße. Wir hörten Hufe klappern und Räder rollen. Wir schmissen uns in die Hecke, bereit jeden Orktrupp auszuschalten, der uns entgegen kam. Stattdessen kam ein zweispänniger Aufklärungsstreitwagen auf uns zu. Ein hochgewachsener Albenleutnant stand darauf. Ich trat auf den Weg und hielt den Wagen mit erhobenem Arm an. Der Alb strahlte glücklich.
>Gut, dass ich sie treffe, Truppführer<, sagte er.
>Nennen Sie mich Sarge, Herr Leutnant.<
>Also gut, Fräulein Sarge. Sie und ihre Männer können mir helfen eine Sechs Sechser Stellung auszuheben. Folgen Sie mir!<
Das hatte mir noch gefehlt. Ich hatte wenig Lust, mich von diesem Schönling auf einer Selbstmordmission verheizen zu lassen. Zum Glück hatte ich anders lautende Befehle.
>Ich habe den strikten Befehl, mich mit meinen Männer auf direktem Wege nach Sainte-Mère-Hoblise zu begeben, Herr Leutnant<, sagte mit gespieltem Bedauern. Und daran halte ich mich, selbst wenn du dich auf den Kopf stellst, fügte ich in Gedanken hinzu.
Zu meiner Überraschung strahlte mich der Alb erfreut an.
>Prächtig<, lächelte er. >Die Sechs Sechser Stellung liegt genau auf dem Weg. So komme ich in den Genuss, von einem reizenden und jungen Fräulein begleitet zu werden.<
>He, Moment mal<, fuhr ich auf. Dann verlor sich mein Blick in dem unendlichen Strahlen seiner blauen Augen.
>Reizend<, kicherte ich >Und jung?< Ich errötete, als ein heißer Schauer durch meinen Körper fuhr, wie ich ihn seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.
Ich scharrte verlegen mit dem Fuß und nahm peinlich berührt die Zigarre aus dem Mundwinkel. Ich lächelte dem Alben schüchtern zu.
>Na los, Männer<, brüllte ich meiner Truppe zu. >Helfen wir dem netten Herrn Leutnant hier.< Wir marschierten ab. Zwölf Mann folgten dem Alben.

Zehn Mann folgten dem Albenleutnant, als wir abgekämpft in dem provisorischen Kommandostützpunkt eintrafen. Die Männer schöpften neuen Mut und auch ich verspürte eine gewisse Erleichterung, als ich sah, dass wir nicht völlig allein waren. Hundert Mann hatten sich in einem Wäldchen verschanzt. Versprengte aus allen möglichen Einheiten sammelten sich für den Angriff auf Sainte-Mère-Hoblise.
>Hervorragende Arbeit<, sagte der Albenleutnant und reichte mir die Hand. >Eine Sechs Sechser weniger, die unseren Jungs in der Luft zu schaffen macht.< Ich schüttelte seine Hand und errötete züchtig. Der Albenleutnant reichte Jon Jonssohn die Hand. Ein langer gefiederter Pfeil stak aus dem Hintern des jungen Kriegers.
>Nichts für ungut, alter Knabe<, sagte der Leutnant. >Hitze des Gefechts, was?<
>Keine Sorge, Herr Leutnant.< Jon griff die ausgestreckte Hand des Alben. >Kalf zieht mir den Pfeil raus. Pflaster drauf und fertig.<
>Wundervoll<, lächelte der Alb. >Das ist Kampfgeist. Wir wollen doch nicht den Krieg im Lazarett aussitzen, oder wollen wir?<
Der Leutnant verabschiedete sich, um nach Führungsoffizieren zu suchen.
>Damit sitzt du erst mal gar nichts aus<, sagte Kalf zu Jon. >Los, Hose runter!<
Diesen Anblick ersparte ich mir lieber. Ich gönnte den Männern eine kleine Rast, ehe es weiter ging. Ich schaute mich derweil im Kommandostützpunkt um, ob es nicht weitere meiner Männer hierher verschlagen hatte.
Zu meiner großen Freude stieß ich auf Ulf Steinthor. Ich wollte ihn vor Freude umarmen, aber der Zwerg wich eilends zurück. Ich war noch immer völlig durchnässt und stankt nach fauligem Wasser. Ulf hatte mehr Glück gehabt. Er war in einem Baum gelandet und hatte sich zahllose Kratzer und einen gebrochenen Knöchel zugezogen. Der Rest seiner Zwergenpioniere hatte es schlechter erwischt. Sie waren im Sumpf gelandet und in dem hüfthohem Wasser ertrunken. Ich rief Kalf herbei, damit er einen Blick auf Ulfs Knöchel warf. Der zwergische Kleriker machte sich sogleich an Ulfs Stiefel zu schaffen. Ulf tat so, als würde er die Schmerzen nicht bemerken. Kalf zog sein Messer.
>Was willst du denn damit<, fragte Ulf besorgt.
>Die Riemen durchschneiden, Herr Hauptmann. Der Stiefel muss runter.<
>Ach, und wie soll ich mit durchschnittenen Riemen weiter marschieren, mein Junge? Schnür den Stiefel auf und zieh ihn runter. Wir haben schließlich nicht die ganze Nacht Zeit.<
Kalf sah mich mit runtergeklapptem Kiefer staunend an. Ich seufzte.
>Du bist doch ein sturer Bock, Ulf<, sagte ich. >Du hast den Hauptmann gehört, Kalf. Und keine Sorge, mein Sohn, der Hauptmann kann Schmerz vertragen.<
Zögerlich machte sich Kalf ans Werk. Eine Träne stahl sich aus Ulfs Auge. Seine Wangenknochen staken aus dem bärtigen Gesicht, als er mit zusammengebissenen Zähnen keuchte:
>Dein Sohn?<, knirschte Ulf. >Wir Zwerge altern langsamer als ihr Menschen. Der junge Kalf ist vermutlich so alt wie du.<
>Stimmt<, sagte ich. >Wie alt bist du, Kalf?<
>Sechsundvierzig.<
Ich warf Ulf einen vernichtenden Blick zu. Er verzerrte sein Gesicht zu einer Grimasse, als Kalf den Stiefel mit einem Ruck auszog. Wahrscheinlich unterdrückte der kleine Mistkerl sein hämisches Lachen.
>Gebrochen<, sagte Kalf, als er den geschwollenen Knöchel sah.
>Das war es dann wohl<, sagte ich mitfühlend.
>Ach was<, winkte Ulf ab. >Kalf flickt das hier provisorisch zusammen und dann schnüren wir den Stiefel ganz straff.<
>Du bist doch nicht ganz dicht, oder<, fuhr ich Ulf an und sah auf den Knöchel. >Der junge Kalf hier kann ja auch nicht zaubern.<
Der junge Kleriker räusperte sich vernehmlich.
>Nun ja, ein Heilspruch der Stufe drei sollte den Schmerz betäuben und den Knöchel fixieren<, sagte Kalf.
Ich sah zu, wie Kalf seinen Zauber anwendete. Schon erstaunlich wie sehr der Krieg die Wunder der Medizin vorantrieb. Um Ulf vom Schmerz abzulenken, erzählte ich ihm mein Erlebnis mit dem Albenleutnant.
>Selbst Schuld<, grinste Ulf. >Warum bist du auch kein Offizier geworden. Dann bräuchtest du nicht von jedem dahergelaufenen Streber Befehle entgegen zu nehmen.<
>Nun, wenn ich einmal die Verlobte unseres Herrn König zitieren darf: In mir paart sich das Fehlen jeglichen Ehrgeizes mit einem fatalen Hang zur Insubordination.< Unnötig zu erwähnen, dass die Verlobte des Königs eine Albe war. Jetzt stahlen sie schon unsere Männer! Aber das hohe Alben Fräulein war so unglaublich schön und klug, dass selbst mir jede ätzende Erwiderung über ihre arroganten Bemerkungen im Hals stecken blieb. Manchmal erwischte ich mich sogar dabei, wie ich sie schmachtend ansah, wenn sie neben unserem König stand. Nein, der junge Trottel hatte nie eine Chance gehabt, als die Albe erst einmal beschlossen hatte, dass er ihr Gemahl werden sollte.
>Ja, ja, dass weiß ja jeder, dass du dir gerne einbildest noch immer die freie Bardin von einst zu sein. Ich mein ja nur, wenn du Hauptmann wärest, hättest du dem Alben-Leutnant nicht gehorchen müssen. Vielleicht hättest du dann keine zwei Männer bei dem Angriff auf die Sechs-Sechser verloren.<
Ich sah Kalf an, der meinen Blick traurig erwiderte.
>Ich fürchte, dafür kann ich den Leutnant nicht verantwortlich machen.<
Dass die beiden Männer gestorben waren, lag wohl schlussendlich daran, dass irgendwer irgendwann beschlossen hatte, Krieg zu führen. Und dafür brauchte man eben junge Männer.
Wir hatten die Sechs-Sechser satt erledigt, ohne einen Mann zu verlieren. Die Orks waren zu sehr mit der Bedienung der Geschütze beschäftigt gewesen. Wir hatte die schwache Verteidigung überrannt und die Geschützte gesprengt. Es war leichtes Spiel gewesen. Was mich aber ursprünglich gegen dieses Unternehmen aufgebracht hatte, war, dass es nicht das Hauptziel war. Wir hatten eine Brücke zu sichern. Um eine Sechs-Sechser hätten sich nachrückende Truppen kümmern können, sobald die Landung in der Schwertbucht gelungen war. Wenn wir die Brücke nicht einnahmen und hielten, würde sich der Vorstoß verzögern und der Feind konnte Truppen heranführen, wenn nicht gar Olifantenreserven an die Front werfen.
Nach getaner Arbeit marschierte unser kleiner Trupp Richtung Sainte-Mère-Hoblise. Vorweg der Alben-Leutnant zu Fuß. Sein Zweispänner war in eine Tretfalle gefahren. Die Pferde hatten sich die Beine gebrochen und mussten getötet werden.
Wir marschierten im Dunkeln eine schmale Straße entlang, immer zwei Mann am Rand nebeneinander. Dann kurz vor einer sanften Hügelkuppe tauchte ein Orkmelder auf einem Tretroller auf. Er fuhr mit Schwung den Hügel hinab. Ich sah sein Gesicht deutlich, als er mitten durch unsere Reihen rollte. Ich sah Verwunderung, die mit jedem Meter durch unsere Reihe langsam in Erkenntnis und endlich in Panik umschlug. Auf unseren Gesichtern hätte man das gleiche lesen können. Er rauschte an mir vorbei, hatte schon die Mitte unser Kolonne erreicht, ohne dass ein Mann reagiert hatte. Die beiden letzten Männer hatten am meisten Zeit zu handeln. Sie griffen ihre Armbrüste. Der Ork beschleunigte mit panischen Tritten. Als er zwischen den beiden Schlussmännern war, lösten sie ihre Armbrüste aus. Der Ork machte einen verzweifelten Tritt. Die Männer verfehlten den Ork um Haaresbreite. Die Armbrustbolzen bohrten sich in die jeweils andere Brust der Soldaten. Die Männer fielen tot um.
>Das ist mal eine beschissene Art ins Gras zu beißen<, meinte Ulf, nachdem ich die Geschichte erzählt hatte.
>Und der Ork ist entkommen?<
Ich schüttelte den Kopf.
>Der Leutnant hat ihn mit dem Bogen erwischt, ehe er hinter einer Kurve verschwinden konnte.<
>So´n Scheiß<, sagte Ulf.
Kalf legte noch einen Stützverband um Ulfs Knöchel, zog ihm den Stiefel vorsichtig über und schnürte ihn fest zu.
>Der Moment der Wahrheit also<, sagte Ulf und erhob sich. Langsam belastete er den Fuß.
>Tut gar nicht weh<, meinte er.
>Aha, und warum kommen dir dann die Tränen.<
>Musste an etwas trauriges denken.<
>Und an was?<
>An eine Frau in den besten Jahren, die ihre Jugend und ihr Talent an die Armee vergeudet hat.<
>Hör bloß auf<, fuhr ich in an. >Sonst muss ich auch noch heulen.<
Ich lieh Ulf meinen Arm. Humpelnd machten wir uns auf die Suche nach einem höheren Offizier.

Die Hände des Orks legten sich um meinen Hals, pressten ihn mit aller Kraft zusammen. Ich konnte nicht atmen. Stark war er, der Ork. Ich spürte seinen fauligen Atem. Seine gelben Hauer waren keine Handbreit von meinem Gesicht entfernt. Sein Atem stieß mir heiß ins Gesicht. Ich versuchte ihn abzuschütteln, aber der Ork lag mit seinem gesamten Gewicht auf mir, drückte mich in den weichen Uferschlamm. Seine kräftigen Finger verstärkten ihren Griff. Er würde mir das Genick brechen. Sein Blick bohrte sich in meine Augen. Lüsterne Wut und Genugtuung waren darin. Meine Hände krampften sich noch immer um den Hirschfänger. Dann drehte ich die Klinge in seinem Bauch um. Dem Ork entfuhr ein stinkendes Keuchen, sein Blick schmerzerfüllt und entrückt. Ich drehte noch einmal. Der Griff um meinen Hals lockerte sich. Der Körper über mir wurde schlaff. Mit letzter Kraft schaffte ich es, den Ork zur Seite zu stemmen. Panisch robbte ich eine Mannslänge von dem Ork weg. Dann blieb ich erschöpft liegen. Gierig sog ich die kühle Nachtluft ein. Mein Brustkorb raste auf und ab vor Angst und Atemnot. Mein Herz überschlug sich. Es war kühl, meine Kleidung und Haar waren nass, aber mein Körper glühte förmlich unter dem modrigen Uferschlamm. Ein, zwei ewige Augenblicke blieb ich in der Nacht liegen. Dann hörte ich ein leises Röcheln. Schwankend erhob ich mich. Der Ork lag auf dem Rücken. Noch steckten Messer und ein Rest Leben in ihm. Ich beugte mich zu ihm herab. Durch den finstren Todesschleier sah er meine Bewegung. Seine Augen weiteten sich. Ich drückte ihm die Hand auf den Mund.
>Scht<, flüsterte ich durch die Nacht wie der leise Wind. Meine andere Hand legte sich um den Horngriff, der aus dem Bauch ragte. Ich zog. Es brauchte viel Kraft, denn das Fleisch ließ nur widerwillig von der Klinge. Der Ork stöhnte auf. Ich drückte meine Hand stärker auf seinen Mund. Es schmatzte. Die Klinge kam frei, setzte ihr Werk fort und fuhr mit einer schnellen Bewegung durch die Kehle. Dunkles Blut strömte. Die Augen wurden leer. Ich nahm die Hand von dem Gesicht, das still und regungslos wurde.
Ich wischte die Klinge an der Uniform des Orks ab. Ich trat ans Ufer, wusch das Blut von mir. Dann griff ich das Seilende, das ich im Uferschlamm abgelegt hatte, als ich aus dem Fluss gekrochen war. Ich zog. Das Seil straffte sich und erhob sich aus dem Fluss. Fest stemmte ich die Füße in den Morast. Drüben, verborgen in der Nacht, stiegen die Männer ins Wasser und machten sich an die Überquerung des Flusses. Die Ausrüstung hatten sie an aufgeblasene Wasserschläuche gebunden. Kein Mann konnte mit dem Gewicht schwimmen. Ein kleines, erleichtertes Lächeln regte sich in meinem schlammbesudelten Gesicht, als ich Ulf Steinthors Kopf aus der Dunkelheit auftauchen sah. Es sah nicht begeistert aus, wie er sich mit den beladenen Wasserschläuchen an dem Seil voranzog. Wasser war nicht das Element der Zwerge. Ulf stapfte aus dem Wasser, zog seine und meine Ausrüstung hinter sich her. Zwerge sahen besser in der Dunkelheit. Sein Blick fiel auf den toten Ork, dann auf mich.
>Geht es dir gut, Sarge?< Ich nickte.
>Du zitterst wie Espenlaub<, flüsterte er. Er legte die Ausrüstung ab. Ulf löste mich am Seil ab. Ich kramte im meinem Zeug und brachte meine Zigarre zum Vorschein. Ich steckte mir das zerbissene Ding zwischen die klappernden Zähne. Ich schlang die Arme um mich, hoffte, das Zittern ließ nach, bis der nächste Mann in der Dunkelheit erschien. Ein Platschen, ein Gesicht tauchte im Dunklen auf. Ich trat ins kühle Wasser, reichte dem Soldaten die Hand.
>Leise<, mahnte ich flüsternd. >Sammeln diese Richtung zwanzig Schritt.< Der Soldat verschwand in die angezeigte Richtung. Nach und nach kam meine Gruppe herüber. Als letztes kam der Albenleutnant.
>Gute Arbeit<, lobte er, als er aus dem Fluss trat. Ich nickte. Ich legte meine Ausrüstung an. Wir ließen den Ork hinter uns, als wir in die Dunkelheit zu den Männern schlichen.

In dem Kommandostützpunk hatten wir einen Oberst gefunden, der den Befehl übernommen hatte. Die Frau Oberst hatte folgenden Plan: Während die Hauptstreitmacht –wenn davon überhaupt noch die Rede sein konnte- sich wie geplant durch Sainte-Mère-Hoblise zur Brücke vorkämpfte, sollte ein kleiner Trupp den Ort umgehen, über den Fluss setzen und die Brücke von der anderen Seite angreifen.
Ein brauchbarer Plan mit nur einem Problem. Meine Truppe sollte durch den Fluss. Mein Trupp wurde auf zwanzig Mann aufgestockt. Ulf übernahm das Kommando. Der charmante Albenleutnant gesellte sich ebenfalls zu uns.
Wir machten uns auf den Weg, umgingen im Eilmarsch Sainte-Mère-Hoblise, wichen hier und dort orkischen Patrouillen aus. Einmal mussten wir uns in einem Stall verstecken. Dort hockte eine völlig verängstigte Hobbitfamilie, die sich dort vor den Luftangriffen versteckt hatte.
Die niedlichen Kinder machten große Augen, als einige der Männer ihnen Packungen mit Zwergenkeksen hinhielten. Die Kekse waren der traditionelle Notproviant der Zwerge: kompakt, Hunderte von Jahren haltbar und wurden wahlweise dazu verwendet, den Hungertod abzuwenden oder den Feind mit Wurfgeschossen einzudecken.
Die Kleinen verputzen die steinharten Kekse in Windeseile.
>Völlig ausgehungert<, meinte Kalf Ketilssohn. >Ihr habt wohl schon seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen, was?<
>Nicht seit dem zweiten Frühstück<, sagte ein Mädchen mit Krümeln im Mund.
Die Patrouille war fort. Wir mussten weiter. Der Familienvater kam zu mir:
>Wir haben Angst vor den Orks. Bitte nehmt uns mit<, flehte er. Ich schüttelte den Kopf:
>Wo wir hingehen, wird´s nicht gemütlicher. Und Kekse haben wir auch keine mehr.<
Der Vater sah zu seiner Familie und nickte:
>Wir bleiben hier.<
Endlich erreichten wir den Fluss. Ich meldete mich freiwillig, mit dem Seil auf die andere Seite zu schwimmen. Gern tat ich es nicht, aber ich hatte einige der Männer bei der Ausbildung schwimmen sehen. Nachher brüllte noch einer lauthals um Hilfe.
Der Fluss war breit, aber die Strömung mild. Die Männer hielten sich in der Dunkelheit verborgen. Ulf trat mit mir ans Wasser.
>Pass auf dich auf, Sarge.<
Ich zog mich bis auf Hose und Unterhemd aus und stieg ins Wasser. Es war eiskalt.
>Bis gleich, Ulf<, flüsterte ich. Der Zwerg drehte sich erschrocken weg.
>Was ist<, fragte ich. Ulf räusperte sich peinlich berührt:
>Ähm, man kann deine, öhm, Nippel sehen.<
Ich zog ein Gesicht.
>Ist halt scheißkalt! So, Schluss mit der sexuellen Belästigung am Kriegsschauplatz.< Ich tauchte ins Wasser ein. Die Kälte biss sich in meine Haut. Aber nach ein paar kräftigen Zügen wurde mir wärmer. Ich erreichte die andere Seite. Frierend schlich ich aus dem Wasser. Keine fünft Schritte von mir sah ich ihn. Ein orkischer Wachtposten, der genüsslich in einen Busch schiffte. Ich beschloss die günstige Gelegenheit zu nutzen und ihm auszuschalten. Die Nacht dröhnte noch immer von den Luftangriffen und dem Abwehrfeuer. Von Sainte-Mère-Hoblise her war Kampflärm zu vernehmen. Ich zog meinen Hirschfänger, schlich leise hinter den Ork. Der schüttelte sein bestes Stück verdächtig lange ab und verstaute es wieder. Bei dem Lärm hatte er mich nicht kommen hören können. Vielleicht spürte er den Tod, der auf ihn zu schlich. Der Ork wirbelte herum, stürzte sich ohne zu zögern auf mich und lieferte den letzten Kampf seines Lebens.
Sainte-Mère-Hoblise war keine reine Hobbitsiedlung. Angelockt von der frischen Seeluft und dem guten Essen hatten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Menschen hier angesiedelt. Und so fanden sich neben den traditionellen Wohnhügeln viele hohe Gebäude der Menschen, aus Stein gebaut, mit hölzernen Stückbalken und Dächern aus Reed, von denen viele nun brannten durch die heftigen Luftangriffe. Überall erklangen Alarmglocken, riefen Hobbits und Menschen zu den Löscheimern. Dazu mischte sich mehr und mehr Kampflärm, als unsere Luftlandetruppen in das Städtchen vorrückten.
Unser Trupp befand sich in unmittelbarer Nähe der Brücke. Die Männer hatten in einigen Häusern Stellung bezogen, während Ulf, der Herr Albenleutnant und ich die Brücke näher auskundschafteten. Der Fluss war an dieser Stelle breit und daher war die Brücke erstaunlich groß. Vor Generationen aus Stein erbaut führte sie in kühnen Schwüngen über eine kleine Insel im Fluss auf die andere Seite. Auf dem Wert verbreiterte sich die Brücke und trug ein massiges Zollhaus, das einst die Menschenkönige hatten errichten lassen, um den Händlern die Geldbörsen zu erleichtern.
Ulf und ich hatten hinter einer Mauer Deckung genommen und besahen uns die Brücke aus sicherer Entfernung. Der Albenleutnant war weiter vor geschlichen. Alben konnten gut schleichen, weil sie ja so grazil und anmutig und so waren.
>Hast du die Frau Oberst gesehen<, fragte Ulf mich, nachdem wir eine Zeit lang schweigend auf die Brücke gestarrt hatten.
>Hab ich<, flüsterte ich zur Antwort.
>Die sah doch ganz schick aus in ihrer Rüstung, nicht wahr, Sarge? Und so kompetent. Ich meine, das hättest du sein können. Bisschen Ehrgeiz hat noch niemandem geschadet.<
Ich wechselte grübelnd meine Zigarre in den anderen Winkel:
>Ach, das war doch ´ne Adlige. Das sieht man sofort. Die kriegen doch immer die höchsten Posten. Ohne blaues Blut muss man zu viele Ärsche küssen, sage ich dir.<
>Also, dein Hang zur Insubordination geht mir manchmal ganz schön auf die Nüsse, Sarge.<
>Was denn für eine Insubordination, Herr Hauptmann<, grinste ich Ulf an.
Der Albenleutnant tauchte lautlos aus der Dunkelheit auf. Ich winkte ihn zu uns:
>Hierher, Leutnant Estragon.<
>Ich heiße Estrágill, Fräulein Sargena<, sagte der Herr Albenleutnant leicht verschnupft, als er sich neben uns in Deckung kauerte. Ulf verzog keine Miene.
>Wie ist die Lage aus, Leutnant<, fragte er.
>Ruhig, Herr Hauptmann. Auf dieser Seite der Brücke stehen lediglich zwei Orks Posten. Am anderen Ufer ist eine dampfbetriebene Armbruststellung. Im Zollhaus ist alles still. Aber es scheint bewohnt zu sein. Rauch steigt aus dem Schornstein auf.<
>Vielleicht sind die Orks abgerückt, um gegen unsere Leute auf der anderen Seite vorzugehen<, sagte ich.
>Ja<, sagte Ulf. >Warum sollten wir nicht auch mal Glück haben? Was meinen Sie, Leutnant, wie sollen wir´s angehen?<
>Ich sage, wir stürmen vor und nehmen die Brücke im Handstreich und halten sie, bis Entsatz kommt.<
Ulf lachte auf:
>Gesprochen wie ein Zwerg, Leutnant. Sie werden es noch weit bringen. Also los, nehmen wir diese Brücke. Leutnant, holen Sie die Männer!<
Der Leutnant erhob sich und übermittelte die Befehle an unseren Trupp. Ulf sah mich kopfschüttelnd an. Dann lachte er:
>Leutnant Estragon? Also wirklich.< Dann wurde er wieder erst.
>Scheiße<, sagte er.
>Was ist?<
>Jetzt hab ich Hunger auf Hähnchenbrust in Senfsauce.<

Die Männer strömten aus den Häusern und rückten im Schutz der Gebäude vor. Hundert Schritt vor der Brücke befand sich ein Marktplatz. Offenes Gelände, wenig Deckung, nur ein alter Brunnen und einige Karren. Wir sahen die Posten. Der eine rauchte gelangweilt, der andere starrte aufs andere Ufer. Von unser Uferseite schien man keinen Angriff zu erwarten. Wir kauerten uns in den Schatten der Häuserfassade am Rande des Marktplatzes.
Ulf gab das Zeichen. Der Leutnant sprang auf, legte seinen Albenbogen an. Ein Meisterschuss. Über hundert Schritt. Bei Dunkelheit. Allerdings war die brennende Zigarre des Orks eine tödliche Zielhilfe gewesen. Der Mann fiel röchelnd mit einem Pfeil im Hals zu Boden. Wir sprangen auf und stürmten vor. Der zweite Posten wirbelte herum, sah seinen Kameraden, sah uns. Er riss seine Armbrust hoch, überlegte es sich anders, sprang über die Sandsackdeckung und rannte um sein Leben Richtung Zollhaus. Er schaffte es noch aus vollem Leibe einen Warnruf zu brüllen, als der Albenpfeil seinen Helm und Hinterkopf durchschlug. Der Ork flog einige Schritt nach vorn und krachte leblos auf die Brücke.
Wir rannten vor. Armbrust in Vorhalte. Meine Ausrüstung hing wie Blei an mir. Ich wechselte die Zigarre in den anderen Mundwinkel und brüllte:
>Vorwärts, Männer! Vorwärts!< Wir erreichten die Sandsäcke. Wir sprangen drüber, stürmten weiter vor. Auf der Brücke waren im Zickzack Grüppchen mit großen Wasserfässern aufgestellt, die den Verkehr verlangsamen sollten. Ich hatte den toten Ork fast erreicht, als vom Zollhaus her auf einmal ein lautes Fauchen erklang. Ich sah auf. Der Qualm, der sich lieblich aus dem Schornstein gekringelt hatte, hatte sich in eine tiefschwarze Rußwolke verwandelt. Hoch oben im Zollhaus flog eine Balkontür auf und das unheilvolle TAKTAKTAK einer dampfbetrieben Armbrust bellte auf. Männer schrieen, fielen zu Boden, tot, verwundet, Deckung suchend, als die DA ihr tödliches Werk aufnahm.
>Weiter! Weiter!<, schrie ich, aber es ging nicht. Ich schaffte es hinter einige Wasserfässer. Neben mir Jon Jonssohn. Vier Mann lagen bewegungslos auf der Brücke. Ein fünfter versuchte getroffen zu mir in Deckung zu kriechen. Es ratterte. Ein halbes Dutzend Bolzen durchbohrten ihn. Der Mann sah mich an. Blut schoss ihm aus dem Mund. Er sackte tot zusammen, die Hand nach mir ausgestreckt. Der Rest rannte zurück zu den Sandsäcken und warf sich in Deckung. Die DA nagelte uns fest. Ich hob den Kopf, sah kurz den Balkon. Bolzen schlugen in die Fässer ein. Rasch zog ich den Kopf ein. Wasser sickerte auf die Brücke. Wenn das Wasser aus den Fässer war, würden die Bolzen die Bretter wie Papyrus durchschlagen. Und Jonssohn und mich gleich dazu.
Das Fauchen eines Olifantengewehrs lenkte die Aufmerksamkeit der Armbrust zu den Sandsäcken.
Das Olifantengewehr. Eine dieser Neuerungen, die der Krieg hervorgebracht hatte. Es war eigentlich nicht mehr als ein armlanges Rohr, in dem eine Harpune steckte. Der Schaft der Harpune war hohl. Darin steckte ein kleiner Edelstein, der einen Feuerballzauber gespeichert hatte. Wurde der Zauber freigesetzt, schoss die Harpune mit einem fauchenden Feuerstrahl aus dem Rohr. Damit ließen sich gepanzerte Dickhäuter effektiv bekämpfen. Zur Schadensmaximierung hatte man an der Harpunenspitze einen weiteren Edelstein mit Feuerballzauber befestigt. Der entlud sich beim Aufschlag, riss faustgroße Löcher in dicke Panzerung. Bei den ersten Modellen des Olifantengewehres wurde der Feuerball in der Harpune noch klassisch durch einen mündlichen Zauberspruch losgelassen. Es hatte sich aber als problematisch erwiesen, dass ein einziger Zauberspruch die Olifantengewehre im Umkreis von mehreren Schritten unkontrolliert freisetzen konnte. Besonders peinlich wurde es, wenn der Feind den Zaubercode knackte und die Olifantengewehre ohne Vorwarnung explodierten. Das Nachfolgemodell verfügte nun über einen Bernsteinaktivator im Handgriff des Rohres. Von diesem führte ein Kabel zu der Harpune. Ein magischer Impuls löste das Geschoss aus. Die Durchschlagskraft war enorm. Zielgenauigkeit und Ladegeschwindigkeit waren jedoch gering.
Die Harpune schoss mit brennendem Schweif durch die Nacht. Die Armbrust verstummte kurz, als der Orkschütze den Finger vom Abzug nahm und den Kopf einzog. Die Harpune schlug im Schindeldach des Zollhauses ein, explodierte, riss ein mannsgroßes Loch, aus dem Flammen schlugen. Den Balkon hatte sie aber um zehn Schritt verfehlt. Ich machte mein Olifantengewehr frei. Die DA nahm ihr TAKTAKTAK auf. Bolzen pfiffen an mir vorbei. Dann hörte ich den Ruf hinter mir:
>Deckungsfeuer!<
Eine Gestalt im luftigen Gewand sprang über die Sandsackdeckung. Hinter ihr erhoben sich die Männer und feuerten mit ihren Armbrüsten, versuchten den Orkschützen niederzuhalten. Neben mir feuerte Jonssohn seine Repetierarmbrust über die Deckung ab. Im Zickzack jagte die Gestalt über die Brücke. Um sie herum hämmerten Armbrustbolzen splitternd auf die Pflastersteine. Es war eine junge Frau, die derart tollkühn und todesmutig auf meine Deckung zusprintete. Sie trug einen langen Stab und eine recht figurbetonte blaue Robe mit albernen goldenen Sternchen und Halbmonden darauf, den Insignien einer Kampfmagierin. Ihr Haar war golden wie ihre Sternchen, gebändigt zu einem Pferdeschwanz, der bei jedem Schritt wild hin und her wirbelte. Ein letzter Satz, dann sprang sie zu uns in Deckung. Eine Armbrustgarbe fraß sich wütend in die Wasserfässer.
Die junge Frau atmete völlig erschöpft neben mir. Jonssohn ballerte weiter. Von den Sandsäcken kam ein Schrei. Es hatte einen erwischt. Ein zweiter Schrei erklang: >Kleriker!<
Die junge Magierin, kaum dem Mädchenalter entwachsen, war ausgesprochen hübsch. Das waren Magierinnen fast immer. Daran hatte der Krieg nichts geändert. Da fragte man sich schon, nach welchen Kriterien ältliche, überwiegend männliche Magier neue Schüler denn wohl aussuchten.
Sie war die Kampfmagierin unseres Trupps, die einzig Magiebegabte, sah man von Kalf ab. Ich hatte sie vor dem Absprung nur einmal gesehen. Ihr Name war mir entfallen:
>Wie heißt du, Mädchen<, fragte ich.
>Gabi<, antwortete sie vor Erschöpfung keuchend. In dieser Beziehung hatte der Krieg die ältlichen Magier wohl zu einigen Abstrichen gezwungen. Magierinnen hatte nicht länger nur so exotische Namen wie Leliana oder Morgana. Jetzt schmissen auch Gabis, Utes und Herthas mit Feuerbällen um sich.
Ich nahm die Zigarre aus dem Mundwinkel und legte Gabi die andere Hand auf die Schulter:
>Okay, Gabi. Wie sieht es aus? Kannst du die DA ausschalten?<
>Es ist zu weit weg, Fräulein Sargena. Ich muss näher ran für einen sauberen Schuss.<
>Weiter vor geht es nicht<, antwortete ich. >Du hast es kaum bis hier geschafft. Du musst es von hier versuchen. Ich geb dir Deckung. Leg alles in diesen Schuss, hast du verstanden?<
>Jawohl, Fräulein Sargena.<
>Und noch eines, Gabi.< Ich steckte die Zigarre zurück in den Mundwinkel.
>Ja?<
>Nenn mich Sarge.<
Ich nahm das Olifantengewehr auf. Die von den Sandsäcken sahen uns und gaben Deckungsfeuer. Ich nickte Gabi zu. Jonssohn schoss weiter. Gabi sprang auf, richtete ihren Zauberstab auf das Zollhaus. Das war der schwerste Moment für einen Magier, seine Bewährungsprobe. Aufrecht im Feuer zu stehen, genug Konzentration für den Spruch aufzubringen, während die Bolzen um einen herumflogen und jede Faser im Körper danach schrie in Deckung zu springen. Gabis Lippen bewegten sich, als sie quälend langsam ihren Spruch aufsagte. Ich zielte. Das Feuer der Dampfarmbrust schwang auf uns zu. Ich zog ab. Die Harpune löste sich, schob wie ein Komet durch die Nacht, als sie das Zollhaus sauber verfehlte und zur anderen Uferseite flog.
>Scheiße<, brüllte ich.
Aber wieder nahm der Orkschütze für einen kostbaren Moment den Finger vom Abzug. Schweiß lief Gabi von der Stirn. Sie legte alles in ihren Zauber. Aus dem Nichts manifestierte sich ein glühender Ball von Feuer. Die Hitze raubte mir den Atem. Das Glühen blendete mich, dass ich die Augen schließen musste.
Gabi schleuderte den Feuerball. Die Armbrust nahm ihr Werk wieder auf, nur kurz, dann verstummte sie für immer. Der gleißende Ball raste auf das Zollhaus zu, schlug ein wie die Faust eines Feuertitanen, riss in einer wütenden Explosion das oberste Stockwerk mitsamt dem Dach fort. Der Rest von Zollhaus fing rasch Feuer.
Jubel von den Sandsäcken. Die Männer sprangen über die Deckung, setzen zum Sturmangriff an. Ich sah, wie Gabi wankte. Dann fiel sie um. Ich fing sie auf, legte sie ab. Getroffen war sie nicht. Bewusstlos, völlig verausgabt.
Ich sah zu dem brennenden Haus.
>Ich hab gesagt, du sollst alles geben<, flüsterte ich zu Gabi. >Aber das? Heilige Scheiße!<
Die Männer stürmten an uns vorbei.
>Kleriker!<, schrie ich. Kalf hielt auf uns zu. Er kümmerte sich um Gabi. Gerade als ich mich mit Jon Jonssohn dem Sturmangriff anschließen wollte, zerbarst das massive Holztor des Zollgebäudes in einem Splitterregen. Ein riesiger Troll mit einer grausigen Streitkeule schob sich ins Freie, reckte sich und entließ einen markerschütternden Schrei. Hinter ihm strömten Orks aus dem brennenden Gebäude.

Er war dreifachmannshoch und schwarz wie die Nacht. Ruß und Kohlenstaub bedeckten ihn. Der Troll musste der Heizer gewesen sein. Kein Wunder, dass die Orks ihre Dampfarmbrust so schnell auf Einsatztemperatur gebracht hatten. Der Troll trug schwere Panzerplatten am Körper. Massive Schienen schützen seine Glieder, ein schwerer Helm seinen Kopf, ließ wenig frei von der wutverzerrten Fratze, in der seine Augen unheimlich wie rotglühende Kohlen brannten. Armbrustbolzen prallten wirkungslos an dem Troll ab. Trotz des Gewichts seiner Rüstung bewegte der Troll sich scheinbar mühelos.
Meine Männer hatten das Zollhaus fast erreicht. Mit seinen überlangen Armen und der schweren Streitkeule hatte der Troll eine unglaubliche Reichweite. Er holte aus und traf einen meiner Männer im Lauf. Sein Schädel zerbarst in einem roten Regen. Der kopflose Rumpf rutschte über das Pflaster der Brücke. Da hielt es die Männer nicht mehr. Sie wandten die Rücken und flohen vor dem Troll. Die Orks eröffneten das Feuer. Ein Mann fiel getroffen zu Boden. Der Rest rannte panisch zurück.
Der Troll stieß ein wütendes Brüllen aus und verfolgte meine Männer. Er hatte Blut geleckt und würde nicht ruhen, bis der letzte erschlagen war. Sonderliche Mühe würde es ihm nicht bereiten.
Die Brücke bebte bei jedem Schritt des Ungeheuers, als drohe sie unter Überlastung zusammenzubrechen. Meine Männer kamen näher, brachten den Troll und die Orks zu mir heran. Kalf kümmerte sich um Gabi, die noch immer bewusstlos war. Er packte sie unter den Achseln und sah zu uns auf:
>Nehmt ihre Beine<, sagte er zu Jonsohn und mir. Ich schüttelte den Kopf. Ich zog meine zweite und letzte Harpune aus dem Rucksack und hielt sie Jonssohn hin.
Ich nahm das Olifantengewehr auf. Der Troll kam immer näher.
>Ich hoffe, du weißt was du machst, Sarge<, sagte Kalf entsetzt. Er hatte Gabi abgelegt und zog seinen Dolch, bereit sich auf jeden Troll zu stürzen, der seiner Schutzbefohlenen ans Leben wollte.
>Hoffentlich triffst du diesmal besser, Sarge<, rief Jonssohn.
Ich seufzte und packte mit einer Hand unter die Rüstung und zog mein Paar Augengläser hervor. Ich setzte den Zwicker auf meine Nase. Ich hasste das Ding. Ich sah dämlich damit aus und es trübte die, wie ich fand, natürliche Schönheit meiner grünen Augen. Aber in den letzten Jahren hatten sich die Augengläser leider als zunehmend hilfreich herausgestellt, wenn´s ums Karten studieren oder Zielen ging.
>Das bleibt aber unter uns<, befahl ich.
Der Troll holte aus, traf einen Mann in der Seite, zerschmetterte Arm und Brustkorb, fegte ihn von der Brücke ins Wasser.
Jonssohn schob die Harpune von hinten ins Olifantengewehr. Die ersten Männer hatten uns fast erreicht.
>Du bringst uns noch um, Sarge<, rief Jonssohn, als er damit begann, das Kabel vom Auslöser des Olifantengewehres mit der Harpune zu verbinden.
Die Männer liefen an uns vor bei. Der Triumph in ihren Gesichtern war blankes Entsetzen gewichen.
>Nun mach schon, Jonssohn.< Der Troll war kaum zehn Schritt von uns entfernt, als Jonssohn mir auf den Helm klopfte. Ich stand auf und trat neben die Wasserfässer. Der mordlüsterne Unhold sah mich, holte weit mit der Keule aus, rannte brüllend auf mich zu. Armbrustbolzen pfiffen an mir vorbei, etwas zog an meinem Gesicht. Ich achtete nicht darauf. Das Troll war auf Reichweite heran. Die Streitkeule brauste im weiten Bogen herab. Ich zog ab. Die Harpune schoss los. Ich ließ mich fallen. Es krachte, die Keule sauste dicht an mir vorbei, schnitt Grußworte des Todes durch die Luft, als sie mich verfehlte.
Ich sah auf. Die Keule vollendete den Bogen. Der Troll setzte zu einem Rückhandschlag an. Er machte einen weiteren Schritt nach vorn. Dann stockte er. Die Keule fiel aus seiner schlaffen Hand. In seiner Brust klaffte ein faustgroßes Loch, aus dem das zerfetzte Herz mit letzter Kraft Ströme von grünem Blut ausspie. Ein letzter Schritt, dann krachte der Troll vornüber zu Boden. Es toste, als der gewaltige Leib aufschlug. Der Kopf lag kaum einen Fuß weit vor mir. Das wütende Glühen seiner Augen erlosch.
Ich blickte auf, sah teilnahmslos einen Ork, der auf mich anlegte. Er wollte abdrücken, aber ein Albenpfeil durchbohrte seine Rüstung und Brust. Unsere Männer stürmten wieder jubelnd vor und beseitigten den letzten Widerstand auf der Brücke. Ich aber stand noch immer starr vor Entsetzen auf der Brücke.
>Geht es Dir gut, Sarge<, hörte ich irgendwann Ulfs Stimme, die mich in die Wirklichkeit zurückrief.
>Es...es geht mir gut<, sagte ich. Dann bemerkte ich meine Zigarre. Ein Bolzen hatte sie getroffen. Zerfetzt und ausgefransert hing sie zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen.
>So´n Scheiß<, fluchte ich und spie das traurige Ding aus.
Ulf besah sich den Troll.
>Das ist also der verbesserte Troll IV. Was für ein Ungeheuer. Saubere Arbeit. Ach, Sarge?<
>Was?<
>Die Brille steht dir übrigens ganz entzückend.<
Ich zog ein Gesicht und ließ den Zwicker schnell wieder unter der Rüstung verschwinden. Wir halfen Gabi auf, die langsam und benebelt zu sich kam. Hinter uns tauchten die ersten Strahlen der Sonne auf. Der Nacht endete. Dann hörten wir es. Donnern wie von Dutzenden von Unwettern. Ein unheimliches Blitzen erhellte in der Ferne die Nacht. Es war der schönste Anblick, den ich je gesehen hatte. Kampfmagier beschossen von den Schiffen den Strand. Küstenbatterien antworteten. Die Landung hatte begonnen. Staunend lauschten wir dem Inferno, fragten uns, wer es besser erwischt hatte: wir oder die armen Schweine, die nun durchs Armbrustfeuer die Strände hinauf mussten.
>Packen wir´s<, sagte Ulf schließlich. >Wir haben noch einen langen Tag vor uns.<
>Den längsten Tag<, sagte Kalf und starrte nachdenklich auf die grellen Blitze an der Küste.
>Hatte schon längere<, meinte ich. Ich knuffte Ulf in die Seite. >Weißt du noch, wie wir damals gegen die viermal neunundneunzig Berserker gekämpft haben? Das hat ewig gedauert.<
>Ist das eine von diesen Bardengeschichten, Sarge<, fragte Kalf misstrauisch.
>Ist nichts als die reine Wahrheit, Kalf. Wir waren damals in dieser kleinen Stadt, nur Ulf, ich und mein Feuerhorn...<
Ich sponn die Geschichte weiter, als wir müde zu dem brennenden Zollhaus schlenderten.

Bis zum Mittag mussten wir in dem gesamten Städtchen gegen Widerstandsnester der Orks vorgehen. Besonders verbissen wurde das Handelskontor der Stadt verteidigt. In dem massiven Steingebäude hatten sich gut zwei Dutzend Schwarzorks verschanzt, Angehörige einer fanatischen Eliteeinheit des Meisters, gut ausgebildet, von schrecklicher Kraft und gnadenlos. Sie gaben nicht auf. Wir brachten sie um bis auf den letzten Mann, als wir das Gebäude stürmten. Dann gehörte Sainte-Mère-Hoblise uns. Die verbliebenen Truppen des Feindes setzten sich über den Fluss ab. Wir hatten uns eine Atempause verdient, aber mehr auch nicht. Wir mussten die Brücke gegen einen Gegenangriff sichern. Und der würde kommen, das war so sicher wie ein Albenpfeil. Der Feind brauchte diese Brücke, um auf schnellstem Wege frische Truppen gegen unsere Jungs an den Stränden heranzuführen.
Wir befestigten die Überreste des Zollhauses, errichteten eine Verteidigungslinie auf der jenseitigen Flussseite, stellten Olifantensperren auf der Brücke und der Zufahrtsstraße nach Sainte-Mère-Hoblise auf, hoben Schützenlöcher und Olifantenfallen aus und gruben uns ein. Als wir jede nur erdenkliche Verteidigungsmaßnahme getroffen hatten, die man mit begrenztem Material und Truppen treffen konnte, nahte bereits die Dämmerung und mit ihr das Warten.
Noch immer hörten wir in der Ferne das Echo der Kämpfe, die nicht schwächer werden wollten. Ich hockte vorm Kommandoposten am Zollhaus, blickte versonnen auf den Fluss und den Sonnenuntergang und summte ein paar Laute vor mich hin. Es war, als könnte ich die Muse nahen spüren. Mein Geist versuchte Worte zu einem Liede zu schmieden, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen. Überall liefen Männer auf und ab. Befehle wurden gegeben, Meldungen gemacht. Man tratschte. Und neben mir saßen Kalf und Gabi. Kalf untersuchte Gabi. Die Magierin hatte sich körperlich so weit erholt. Allerdings schien ihr Geist noch immer etwas unter der übergroßen Anstrengung zu leiden.
>Gut<, sagte Kalf. >Sag mir deinen Namen. Ganz ruhig, lass dir Zeit.<
>Gö...Gö...Gö...Gö...<, versuchte es Gabi. Je mehr sie versuchte, das Stottern unter Kontrolle zu bringen, desto schlimmer wurde es. Wütende Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie tat mir leid. Sie war Magierin und wusste es selbst am besten: Zaubersprüche mussten fehlerfrei aufgesagt werden.
>Na gut<, sagte Kalf. >Versuchen wir etwas anderes. Wie alt bist du, Gabi?<
Gabi holte tief Luft und konzentrierte sich.
>Na...Na...Na...Na...Naa...Na...Na...<
Ulf kam auf mich zu. Er humpelte bereits weniger. Entweder wirkte der Heilzauber oder es gelang dem Zwerg immer besser den Schmerz zu ignorieren.
>Stör ich<, fragte Ulf.
>Neu...Neu...Neu...Neu...Neunzehn<, brachte es Gabi schließlich freudestrahlend heraus.
Ich schüttelte den Kopf:
>Nein, mir fällt eh kein Text ein. Was gibt es?<
>Der Albenleutnant will uns am Handelskontor treffen.<
Ich erhob mich müde. Ulf schenkte mir ein schadenfrohes Grinsen. Dann zog er eine Zigarre hervor, steckte sie sich in den Mund, riss ein Zündholz an und fing vor meinen vor Staunen aufgerissenen Augen genüsslich an zu paffen.
>Hab ich einem gefallenen Orkoffizier abgenommen. Echte Hobbitsche aus dem Tobaksland<, sagte er zufrieden zwischen zwei Zügen.
>Das sind die besten<, sagte ich empört und funkelte ihn böse an. >Du mieser, kleiner...<
Ulf griff unter die Rüstung, zog zwei weitere Zigarren hervor und hielt sie mir hin.
>...wundervoller Zwerg.< Ich griff mir die Zigarren. Die eine steckte ich mir sofort an Ulfs Glut an. >Herrlich<, brummte ich zufrieden und ließ die Zigarre von dem einen Mundwinkel in den anderen wandern.
>Langsam gewinne ich eine positive Einstellung zu dieser ganzen HinterdenfeindlichenLinienabspringen-Sache. Du weißt echt, wie man eine Frau zufrieden stellt.<
>Ähm, indem man ihr etwas langes in den Mund...< Ich sah ihn kopfschüttelnd an. Ulf zog es vor den Satz und Gedanken nicht zu vollenden. Glücklich paffend gingen wir zum Handelskontor.

Der Anblick im Kellergewölbe des Handelskontors raubte uns den Atem. Bis unter die Decke waren hier Goldbarren und Säcke mit Münzen aus Kupfer, Silber und Gold gestapelt.
>Das musste die ganze verschissenen Kriegskasse der zwoten Armee sein<, keuchte Ulf, dessen Augen einen besorgniserregenden irren Schein angenommen hatten. Die qualmende Zigarre fiel ihm beinahe aus dem Mund. Der Albenleutnant sah mich an:
>Denken sie das gleiche wie ich, Fräulein Sargena?<
Ich musterte den Leutnant von oben bis unten. Vor meinem inneren Auge sah ich zwei nackte Leiber, die sich in Leidenschaft und wohlverdientem Reichtum an einem idyllischen Strand im Südland im roten Schein der untergehenden Sonne im Sand wälzen, während sein langes, pulsierendes... Ich grinste den Alben an.
>Ich glaube schon, Herr Leutnant.<
Eine Viertelstunde später begannen Männer unter meinem und Ulfs Kopfschütteln damit, das Gold zum Zollgebäude abzutransportieren, wo es zur Verstärkung der Sandsackbarrikade aufgeschichtet wurde. Außerdem stand es dort unter Aufsicht der Stabsoffiziere. Ulf stand fassungslos da. Eine Träne stahl sich in sein Auge. Ich nahm ihn in den Arm.
>Na, na<, sagte ich sanft. >Du musst jetzt ganz tapfer sein.<

Es war Nacht. Es war ruhig aber nicht still. Das Grollen der fernen Kämpfe drang zu uns. Ich war unterwegs auf einem Rundgang. Hier und da brach sich der Mond seine Bahn durch die Wolken, machte unseren Weg leichter. Neben mir ging Gabi. Sie sah verloren aus in dem leichten Kettenhemd und mit der großen Armbrust in ihren grazilen Händen. Da es mit ihrer Stotterei nicht so recht besser wurde, hatte sie darauf bestanden, eben mit der Waffe ihren Teil zu tun. Sie war ein braves Mädchen, aber eine lausige Schützin.
Wir kontrollierten einen Posten nach dem anderen. Die Männer waren angespannt und besorgt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Feind zum Gegenangriff ansetzte. Wir wussten nun, dass er nicht nur um die Brücke sondern auch um seinen Sold kämpfen würde.
Die Anwesenheit der Schwarzorkabteilungen beunruhigte alle. Ich ermahnte die Posten zur Wachsamkeit und setzte meinen Rundgang fort. Die letzte Station waren zwei vorgeschobene Posten am Rande von Sainte-Mère-Hoblise. Der eine, ein Spähposten befand sich in einem Viehstall. Bei Feindsichtung sollte der Posten Alarm schlagen und zu dem zweiten Vorposten zurückfallen, der sich zweihundert Schritt rückwärtig in einem Menschenhaus befand. Dort standen drei Mann mit einer leichten DA bereit, um den Feind festzunageln bis Entsatz kam.
Gabi deutete auf ihre Armbrust, als wir uns gerade dem zweiten Vorposten näherten.
>Wü...Wü...Wü...Wie...gü...gü..gü...genau fü..fü..<
>Du willst wissen, wie genau die Repetierarmbrust funktioniert?<, riet ich. >Und wo die enorme Kraft zur Spannung der Sehne herkommt?<
Gabi nickte eifrig.
>Ganz einfach<, sagte ich. >Jedesmal wenn du abdrückst-< Ich brach erschrocken ab und bedeutete Gabi still zu sein. Wir standen vor dem Haus. Ein seltsames Gefühl hatte mich verstummen lassen. Etwas stimmte nicht.
Alles war still. Rauch stieg aus dem Kamin auf. Hinter den zugezogenen Vorhängen sah ich ein leichtes Flackern. Es musste von dem Feuer stammen, das den Kessel der DA betrieb. Die Haustür stand einen Spalt offen. Dahinter herrschte Finsternis. Ich gab Gabi ein Zeichen mir zu folgen. Als ich schon einen Fuß auf die Schwelle gesetzt und den Türgriff gepackt hatte, durchfuhr mich ein Schauer.
Früher, als ich noch mehr Bardin als Soldatin war, da spürte ich oft ähnliches. Ein Gefühl ergriff mich wie aus dem Nichts, ein Gefühl, als ahnte ich das Nahen der Muse, als wüsste ich, dass gleich in meinem Geiste etwas reifen würde, die Idee zu einem munteren Liedchen vielleicht oder gar eine Ode. Vielleicht ahnte meine zarte Künstlerseele das Schöne voraus.
Und eben dieses Gefühl befiel mich jetzt, als ich den Fuß auf die Schwelle setzte. Doch ergriff mich nicht kreative Vorfreude, sondern blankes Entsetzen. Ein eisiger Schauer überkam mich. Entsetzt machte ich einen Schritt zurück. Gabi sah mich erschrocken an. Alle Farbe musste mein Gesicht geflohen haben. Dort drinnen, dort wartete das Böse.
>Wa...Wa...Wa...<, begann sie, aber ich schnitt ihr das Wort ab.
>Gabi, schlag Alarm und hole Hilfe! Wir brauchen einen Alben hier.<
Gabi nickte beklommen und rannte zurück zu unseren Reihen. Hoffentlich dachte Gabi daran, die Meldung aufzuschreiben, anstatt sie stotternd übermitteln zu wollen. Ich legte die Repetierarmbrust an, schob mit dem Fuß die Haustür einwenig auf. Angst schnürte mir die Brust zusammen, als ich in die Finsternis eintrat.

Mein Herz schien in meiner Kehle zu pochen. Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Ich schlich in die Dunkelheit. Setzte jeden Schritt meiner schweren Stiefel vorsichtig auf den knarrenden Bodendielen ab. Das Ergebnis war nicht immer zufriedenstellend. Jedes Geräusch spielte auf meinen blanken Nerven.
>Reiß dich zusammen, Sarge<, flüsterte ich leise. >Das ist nur ein leeres Haus!< Und das war das Problem. Das Haus sollte nicht leer sein. Drei Mann sollten hier Wache stehen. Aber niemand war zu sehen.
Ich schlich weiter. Aus einer offenen Tür drang flackernder Lichtschein. Die Küche. Ich schob mich neben die Tür, atmete durch. Dann sprang ich vor, bereit den ersten Unhold festzunageln, der mir ins Visier kam. Aber die Küche war leer. Der wuchtige Druckkessel der Dampfarmbrust stand auf dem Herd. Sein Boden war rotglühend. Die Drucknadel war am Anschlag und aus dem Überdruckventil entströmte zischend Dampf. Die Herdklappe stand offen. Das Feuer war wohlversorgt. Aber vom Heizer keine Spur. Durch einen kopfgroßen Durchbruch in der Decke führte ein Rohr vom Kessel zur Dampfarmbrust. Ich versuchte mich zu entspannen. Vielleicht war alles in Ordnung. Vielleicht war der Heizer nur austreten.
Und vielleicht bekam ich ja meine Tage. Das würde die Anspannung und die Magenkrämpfe erklären. Möglich, aber unwahrscheinlich. Meine Tage ließen irgendwie seit anderthalb Jahren auf sich warten, seit ich damals diesen Armbrustbolzen im Unterleib- Ein Zischen riss mich aus dem Gedanken. Etwas war auf das glühend heiße Rohr getropft und verdampft. Ich sah zum Durchbruch, sah den dunklen Fleck an der Decke, der sich rasch verbreiterte und von dem bald mehr und mehr Tropfen zischend auf das Rohr fielen. Blut. Kein Zweifel. Ich hatte es oft genug gesehen.

Die Treppe knarzte, als ich ins obere Stockwerk schlich. Ich hätte längst fliehen und auf Verstärkung warten sollen. Aber ich gefiel mir wohl zu sehr in meiner Rolle als kühne Bardin, die ihren Mann stand und keine Angst vor Tod und Teufeln kannte. Und vielleicht lebte noch einer von den Männern. Sollte ich mich einmal in einer ähnlichen Lage befinden, würde ich da nicht wünschen, dass mein Retter heldenhaft zu meiner Rettung heranstürmt, anstatt den Rückzug anzutreten, und die vielleicht letzten kostbaren Augenblicke meines Lebens damit zu verbringen, auf Verstärkung zu warten?
Ich kam oben an. Ich wusste, wo ich hin musste. Zur Dampfarmbrust. Ich passierte ein, zwei offene Zimmertüren, zielte flüchtig mit meiner Waffe hinein. Dann stand ich vor dem Zimmer. Die Tür war halb angelehnt. Ich hörte leises Zischen von Dampf. Ein Geruch wie von nassem, rostigen Eisen drang mir entgegen. Der Geruch von Blut, von einer Menge Blut. Kein Leben steckte mehr hinter dieser Tür. Ich wusste es. Ich stieß sie dennoch auf. Die Neugierde einer Bardin.
Fahler Mondschein fiel durch das Fenster, tauchte die Gestalt, die gebückt über einem schlaffen Körper hockte, in ein unheimliches Licht. Zwei Schritte daneben lag ein weiterer Körper in einer riesigen Lache. Die Kehle des Soldaten war herausgerissen. Ich hätte längst schießen müssen, aber ich war wie gelähmt vor Entsetzen. Dann hörte ich ein letztes gieriges Schlürfen. Die Gestalt erhob sich und wischte sich genüsslich mit dem Ärmel über den blutverschmierten Mund.
Die Zeiten änderten sich und mit ihnen auch unsere Alpträume. Vorbei waren wohl die Zeiten, als sich Vampirinnen in dünnsten Nachthemdchen lüstern auf ihre Opfer warfen. Der Dunkle Meister hatte die Vampire an sich gebunden. Die waren eigentlich ein wenig wie Katzen, unabhängig und keinem Herren verpflichtet. Wenn man ihnen aber regelmäßig ihr Fresschen hinstellte, kuschten sie wie alle anderen. Der Meister räumte ihnen einen großzügigen Raum in seiner neuen Weltordnung des Bösen ein. Dafür taten die Vampire Dienst. Nicht zusammen mit dem gemeinen Orklandser, denn den packte wie jeden anderen das nackte Entsetzen beim Anblick eines Vampires. Für Kommandounternehmen und Aufklärungsmissionen eigneten sie sich allerdings aus naheliegenden Gründen hervorragend.
Das Exemplar vor mir trug einen nachtschwarzen und ungemein enganliegenden Tarnanzug. Das Haar war unter einer Sturmhaube verborgen. Nur eine malerische Strähne, schwarz wie Ebenholz, stahl sich daraus hervor. Das blasse Gesicht war mit Tarnfarbe unkenntlich gemacht und ließ wenig mehr sehen als anmutige Züge, rotglühende Augen und die weißen Fangzähne, die mich höhnisch angrinsten. Natürlich war sie schön. Das waren Vampire wohl immer. Vermutlich die ausgleichende Gerechtigkeit dafür, dass sie ziemliche Ärsche waren. Das erschreckendste an der Vampirin allerdings war das stählerne Halsband und die massive Stahlplatte, die auf Brusthöhe in den Tarnanzug eingearbeitete war. Anscheinend hatte man auf der Vampirseite aus schlechten Erfahrungen gelernt.
Lasziv verlagerte die Vampirin ihr Gewicht von dem einen aufs andere Bein. Sie sah mich spöttisch an.
>Wen haben wir denn hier<, fragte sie mit dunkler, wohltönender Stimme, für die eine Bardin alles gegeben hätte.
>Einen älteren Jahrgang<, sagte sie abschätzend. >Reif, vollmundig und-< Sie sah mir auf den Oberkörper, >üppig im Geschmack.<
>Schlampe<, entfuhr es mir hilflos.
>Oh, und mit feurigem Temperament<, sagte die Vampirin mit Kennerblick.
Sie machte einen Schritt auf mich zu. Sie bleckte ihre Zähne. Ihre schwarzlackierten Finger, mehr Klauen als Hände, streckten sich mir entgegen. Die Bestie streifte ihr schönes Gewand ab.
Gedanken rasten durch meinen Kopf. Ich sollte schießen, ihren Fuß mit einem Bolzen festnageln. Aber ich war erstarrt, konnte keinen Finger rühren, schon gar nicht den am Abzug. Ihr bohrender Blick hielt mich gefangen.
Nicht, dass ein Schuss viel geholfen hätte. Sie wäre ihm vermutlich behände ausgewichen. Vampire waren unglaublich schnell. So viel wusste ich noch aus dem Basiskurs Freund-Feind-Erkennung. Was weiß ich noch, fuhr es mir panisch durch den Kopf.
>Ich hab den Alben bei mir<, stieß ich hervor.
Die Vampirin hielt erschrocken inne. Es gab wenig, was Vampire fürchteten. Alben gehörten dazu. Vielleicht weil sie Alben nicht wittern konnten, weil sie ihnen an Schnelligkeit und Geschick mehr als ebenbürtig waren und weil das Blut der Alben ihre Kehlen verbrannte. Vielleicht war es auch, dass Alben ihnen den Spiegel vorhielten, sie sehen ließen, was sie wirklich waren: die groteske Karikatur eines Ideals an Schönheit und Verkehrung von Moral.
>Du lügst<, fuhr sie mich an. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, noch einen Schritt zu machen und mir mit einer Hand die Kehle zu zerfetzen. Aber der Gedanke, dass in genau diesem Augenblick ein Albe aus der Tür hinter mir treten könnte, ließ sie zögern.
Endlich zahlten sich die unzähligen Nächte, die ich in Feldlagern mit Kartenspiel verbracht hatte, aus.
>Glaubst du wirklich<, sagte ich mit versteinerter Miene. Der Blick der Vampirin frass sich durch meinen Willen, hätte ihn bald gebrochen, wenn nicht in diesem Augenblick der Himmel von einem donnernden Schlag erhellt worden wäre. Gleißendes Licht fiel durch das Fenster. Alarmhörner erklangen.
Die Vampirin sah mich zischend an. Dann wandte sie den Rücken und sprang durchs Fenster davon. Sie hätte mich ohne großes Risiko noch töten können. Aber wenn man so lange lebte wie Vampire, ging man vermutlich lieber auf Nummer Sicher, als ein Jahrhunderte altes Leben für einen impulsiven Augenblick zu opfern.
Der Bann fiel von mir ab. Ich stürzte ans Fenster. Das Gleißen des Feuerballs, der hoch in die Luft geschleudert worden war, verging bereits. In seinem Schein sah ich noch die Vampirin übers Feld hetzen. Ich setzte meine Armbrust ab, legte den Dampfhebel um. Es fauchte laut auf. Ich packte die DA, zielte auf den Rücken der Vampirin und drückte ab. Das schrecklich TakTakTak erscholl, als der dampfbetriebene Schlitten vor und zurück hämmerte. Aber kein Bolzen löste sich. Die Vampirin entkam in die Dunkelheit. Zuvor hatte sie die Sehne der DA durchtrennt.
Ein weiterer Feuerball stieg in den Himmel, zerplatzte, tauchte die Nacht in taghelles Licht. Da sah ich sie. Orks im Kompaniestärke, die im Schutz der Dunkelheit über das Feld vorgingen. Fast hatten sie den vorgelagerten Posten an der Scheune erreicht. Das Licht ließ sie einen Moment ertappt innehalten. Dann stürmten sie ihm Laufschritt voran. Ein zurück gab es nicht.
Ich ließ von der DA und hastete zum Ladeschützen, der mit zerfetzter Kehle vor der Tür lag. Er trug noch immer das Lederfutteral mit den Ersatzsehnen am Gürtel. Ich kniete mich nieder, öffnete das Futteral und fingerte eine Sehne hervor. Weich und geschmeidig war sie. Hergestellt aus Albenhaar. Unzerreißbar. Ich wollte mich erheben, als ich ein Röcheln hörte. Verwundert sah ich zu dem Ladeschützen, als plötzlich Leben in ihn kam. Er riss seine rotglühenden Augen auf, bleckte seine Fangzähne, packte meinen linken Schwertarm und biss hinein. Es splitterte grässlich, als er sich die Zähle am Kettenhemd ausbiss. Aber er ließ nicht locker und wurde mit jedem Augenblick stärker.
Ich hatte von dieser Taktik gehört. Ursprünglich hatten es Vampire immer vermieden, ihre Opfer in ihresgleichen zu verwandeln. Keine weiteren Nahrungskonkurrenten. Vampirische Kommandos nutzten allerdings diese Möglichkeit um Chaos und Verwirrung hinter den feindlichen Linien zu verbreiten. Vampire entwickelten sich schnell zur Seuche, wenn man nicht schnell genug Alben oder Kampfkleriker zur Hand hatte.
Meine freie Hand fingerte nach meinem Dolch. Da kam auch Leben in den toten DA-Schützen. Diese neu erwachten Vampire waren noch schwach und verwirrt. Aber das würde sich bald legen. Ich zog den Dolch, packte ihn bei der Klinge und warf. Ich traf den DA-Schützen in die Stirn. Das tötete den Vampir zwar nicht, schränkte aber seine Funktionsfähigkeit ziemlich ein. Er fauchte wild und rollte in Zuckungen über den Boden. Der andere ließ von meinem Arm ab und versuchte mir seine Finger in die Kehle zu bohren. Er fletschte die zerbrochenen Zähne vor Gier. Ich versuchte ihn mir mit einem Arm vom Leib zu halten. Mit der anderen Hand machte ich den Klappspaten frei. Ich schlug, brach seine Arme, seinen Widerstand. Ich schlug und schlug, schrie und heulte in Strömen dabei bis sein Kopf fast ab und er endlich still war. Ich warf den Spaten fort, packte die Sehne, zog mein Kurzschwert, gab dem zweiten, vergewaltigten Wesen den Rest und legte die Sehne ein. Ich wischte die Tränen aus meinen Augen. Die Orks waren bis auf fünfzig Schritt heran. Eine ideale Schussweite für die DA. Ich drückte ab. Die DA bellte ratternd auf, spie Tod und Verderben aus.

Es regnete. Aber der Regen konnte die Feuer nicht löschen. Sainte-Mère-Hoblise stand in Flammen.
Wir hatten den nächtlichen Angriff zurückgeschlagen. Das war vor zwei Tagen gewesen.
Noch dreimal hatte es der Feind versucht. Dreimal schlugen wir ihn zurück. Letzte Nacht hatte er Verstärkung erhalten. Aus ihren Stellungen im Wald schleuderten mächtige Kampfmagier in Steilbahnen gewaltige Feuerbälle auf Sainte-Mère-Hoblise. Was die Fliegerangriffe zuvor noch nicht erwischt hatten, ging in Flammen auf. Die halb unterirdischen Hobittbauten boten der Zivilbevölkerung guten Schutz. Die hohen Menschenbauten brannten lichterloh. Unsere Versuche, die Magier auszuschalten, wurden vom Feind unterbunden. Und die niedrig hängenden Wolken hielten unsere Flieger am Boden zurück. Wir hatten die DA aus dem Haus abgezogen. Der Feind kannte ihre Position. Wir konnten es uns nicht leisten, sie zu verlieren. Wir bauten sie hinter dem Erdwall unser Schützenlöcher auf. Wir hockten in unseren Löchern und wetterten den Feuersturm ab, warteten auf den nächsten Angriff.
Ich starrte in die Dunkelheit, die langsam einem grauen Morgen wich. Ich vertrieb mir die Langweile, indem ich versuchte ein Liedchen zu dichten, während mir die Regentropfen auf den Helm fielen. Dabei schnitzte ich mit meinem Hirschfänger Stöcke zu spitzen Pfählen zurecht, ein Zeitvertreib, der seit meiner Begegnung mit der Vampirin eine gewisse beruhigende Wirkung auf mich ausübte. Mit der Dichterei kam ich allerdings nicht recht voran, da Jon Jonssohn und Kalf Ketilssohn ununterbrochen sabbelten. Ich hätte alles für ein kleines Liedchen gegeben, selbst wenn´s ein übler Gassenhauer gewesen wäre. Die liefen in den Tavernen ohnehin am besten.
>Jetzt ein Krug mit frischem Bier<, sagte Jonssohn.
>Als ich noch klein war, stiegen meine Brüder und ich im Sommer auf den Gletscher<, meinte Kalf Ketilssohn. >Dann brachten wir immer Eis mit nach Hause. Und Mutter goss uns Holundersaft mit Eis ein.<
>Eisgekühlter Holunder<, seufzte Jonssohn. >Kling köstlich.<
>Und dazu gab´s belegte Brote.<
>Mann, weiß gar nicht, wann ich da letzte Mal ein ordentliches Brot hatte. Womit waren die denn belegt.<
>Mit Schinken oder Ei.<
>Zwei belegte Brote?<
>Ja, eins mit Schinken, eins mit Ei.<
>Und dazu eisgekühlter Holunder?<
>Wenn ich´s doch sage.<
Jonssohn blickte für einen Augenblick versonnen in die kulinarische Ferne, dann sprach er mich an:
>He, Sarge, was meinst Du, wie lange wir hier aushalten müssen, bevor endlich Entsatz kommt und wir wieder mal was ordentliches trinken können?<
Ich sah ihn ungnädig an. Bei ihrem dämlichen Gelaber wollte mir einfach kein Liedtext einfallen.
>Eine Woche vielleicht<, brummte ich missmutig.
>Eine Woche<, staunte Jonssohn. >Eine Woche? Sieben Tage? Aber was sollen wir trinken sieben Tage lang?<
Ehe ich etwas erwidern konnte, erklang ein grausigen Dröhnen, als stieße ein schrecklicher Kriegsgott ins Horn. Es fuhr uns in Mark und Bein.
>Götter<, entfuhr es Kalf Ketillssohn. >Was ist das für ein unheiliger Klang?<
>Ist es einer der Gestaltlosen<, fragte Jonssohn zu Tode erschrocken.
Ich schüttelte beklommen das Haupt. Nein, es war keiner der gestaltlosen Handlanger des Dunklen Meisters. Was dort aus dem Wald zu uns herüber scholl, war der ersten von drei grauenerregenden Lauten, die ich an diesem Tage hören sollte. Und einer war schlimmer als der vorherige.
Erst flüsterte ich das Wort zu mir selbst, dann schrie ich es hinaus, allen zur Warnung:
>Olifanten!<

>Weiter!<, schrie ich und trieb mehr mich als Gabi an. >Nicht loslassen!< Sein Gewicht zerrte an unseren Armen. Unsere Beine stemmten sich ins regennasse Pflaster, zogen ihn Schritt um Schritt nach vorn. Unsere Last hatte uns bereits erschöpft. Die wenigen Schritt auf die andere Seite der Straße waren eine Qual. Jede Faser meines Körpers schrie danach: Lass ihn zurück! Lass einfach los! Rette Dich!
Bolzen peitschten um uns herum. Feuerbälle explodierten. Rauch, Schreie, Armbrustfeuer. Vor uns in dem kleine Cafe hatten sich Soldaten hinter den zerschossenen Fenstern verschanzt. Sie nahmen den Feind unter Feuer. Ein Soldat winkte uns heran, brüllte wozu unsere rasenden Herzen uns ohnehin ermahnten: Hierher! In Deckung!
Ich sah Gabi an. Verbissenheit hatte die Jugend aus ihrem Gesicht vertrieben. Ich packte ihn fester. Wir schaffen es!

Früher, als ich noch eine umherschweifende Bardin gewesen war, da führten mich meine Reisen an Wälder, von denen man spürte, dass das Böse tief in ihnen hauste. Das war erfreulich, denn meist verließ das Böse den Wald nicht, und ein kleiner, sicherer Umweg von ein paar Tagen tat mir nie weh.
Nun aber spie der Wald von Sainte-Mère-Hoblise seine Schrecken aus. Riesige Bäume knickten um wie Zündhölzer. Die Erde bebte. Wir sahen ihre Rauchsäulen, noch bevor wir sie selbst sahen.
>Königs-Olifanten!<, gellte der Ruf durch unsere Stellung.
>Feuer<, brüllte ich. Jonssohn zog ab. Die DA ratterte los. Bolzen flogen, prallten an den Dickhäutern ab.
Zwei turmhohe Königs-Olifanten brachen sich den Weg auf das freie Feld. Mit fast gemächlichem Schritte stampften sie voran, als wären die Schwärme von Pfeilen und Bolzen nicht mehr als lästige Fliegen. Ein Überwurf von Panzerplatten schützte die ohnehin dicke Haut der Ungetüme. Die massigen Beine waren durch Schienen geschützt. Vorbei die Zeit, als man die Dickhäuter bekämpfen konnte, indem man ihre Sehnen durchschnitt. Verwundbar war nur noch ihre schwach gepanzerte Rückseite.
Auf ihrem Rücken trugen sie Plattformen, befestigt wie eine Burg. Bogenschützen und Kampfmagier erwiderten von dort unser Feuer. Die Hauptwaffe aber war eine dampfbetriebene Sechser. Ich sah den Fahrer, der hinter den Ohren des einen Olifanten hockte. Er stieß dem Olifanten seine spitze Treiberstange in die Haut. Der Olifant erstarrte. Die Sechser schwenkte herum und feuerte. Der Fahrer gab bereits das Zeichen weiterzugehen, als das Geschoss in unser Nähe einschlug und ein Schützenloch ausradierte. Erdbrocken regneten auf uns. Der Luftdruck raubte mir den Atem.
Der Feind kam heran. Trauben von Schwarzorks gingen im Schutz der Olifanten vor. Zwischen den Olifanten gepanzerte Trolle. Der Feind tischte ordentlich auf. Mehr als wir vertragen konnten. Ein Olifantengewehr schaltete einen Troll aus. An den Dickhäutern prallte die Waffe ab. Die Königs-Olifanten waren zu schwer gepanzert.
Eine andere Kreatur trat aus dem Schatten der Olifanten, preschte mit watschelndem Schritt vor. Ich fasste Jonsohn bei der Schulter, wies mit dem anderen Arm in die Richtung:
>Flammenwerfer auf Selbstfahrlafette! Diese Richtung achtzig Schritt!< Jonssohn riss die DA herum und schoss. Die Bolzen prallten an dem Plattenpanzer des Riesensalamanders ab. Der Salamander riss sein Maul auf und spie seine Feuerlohe aus, die im Bogen über die Schützenlöcher strich. Männer schrieen. Brennende Leiber stürzten hervor. Andere sprangen aus den Löchern, flohen um ihr Leben. Vielen fingen sich Orkbolzen ein. Dann erwischte Jonssohn den Fahrer des Salamanders. Er sank zur Seite, riss am Zügel. Der Salamander fuhr herum. Jonssohn zielte auf die schlecht gepanzerte Rückseite. Der Salamander schrie getroffen auf, rannte panisch auf die eigenen Reihen zu, spie, setzte Orks in Flammen, als er einem der Olifanten näher kam. Die Dickhäuter aber brachte das nicht aus der Fassung. Das hatten ihnen Qual und Drogen ausgetrieben. Der eine hob den Fuß, zerquetschte den Salamander und ging unbekümmert weiter.
Dann erklang das Horn. Endlich, bevor wir überrannt wurden. Ich gab Jonssohn ein Zeichen.
>Zurückfallen in zweite Verteidigungslinie<, brüllte ich. In Windeseile zerlegten wir die DA. Jonssohn schnappte sich die Armbrust, Ketilssohn die Schläuche. Gabi und ich versiegelten den Hochdruckofen. Dann packten wir ihn bei den Griffen. Die waren dick mit Tuch umwickelt. Die Hitze war dennoch kaum erträglich. Wir hasteten zurück. Nicht panisch, aber so schnell es ging. Immer wieder hielten Männer an, nahmen den Feind unter Beschuss, als wir in den Ort zurückfielen.
Wir zerrten den Ofen über die Straße. Der Soldat in dem Cafe winkte uns heran. Ich hörte wütendes Stampfen hinter mir, blickte über die Schulter. Ein Olifant bog auf die Straße hinter uns ein. Als er sein Hinterteil um die Kurve hievte, erwischte er ein Haus. Die Fassadenfront brach ein, das Dach stürzte zusammen. Der Olifant geriet ins Taumeln. Der Fahrer fing ihn ab. Der Olifant machte einen Ausfallschritt, prallte in das Haus auf der gegenüberliegenden Seite. Das Gebäude stürzte noch in sich zusammen, als der Olifant schon still stand. Die Sechser feuerte. Der Schuss fegte über unsere Köpfe, schlug in dem Cafe ein, zerriss das Gebäude und die Männer darin. Der Luftdruck fegte uns von den Beinen. Ich verlor den Griff. Der Ofen fiel, rollte über meine Hand. Ich schrie, als das glühende Metal mich verbrannte. Überall Staub. Der rettete uns vermutlich vor den Bogenschützen des Olifanten. Ein Gesicht erschien. Es war Jonssohn. Er packte mich, half mir auf. Neben mir kam Gabi auf die Beine. Wir packten den Ofen. Verbrannte Haut hing in Fetzen von meiner Hand. Die Tränen liefen mir, zogen Spuren durch den Dreck. Wir hasteten weiter, vorbei an dem Cafe, weiter ins nächste Haus. Männer waren darin, feuerten. Ein Kampfmagier schleuderte vom ersten Stock einen Feuerball, zwang die Orks, die mit dem Olifanten vorrückten, in Deckung.
Wir bauten die DA auf, sammelten Holz. Ich holte meinen Feuerstein hervor, schlug ihn an. Er entglitt meiner verbrannten Hand. Gabi legte mir die Hand auf die Schulter, nickte mir zu. Dann sagte sie ihren Spruch. Ihr Stottern war fast weg, als habe sie im Kampf ihre Ruhe gefunden. Bei drittem Versuch klappte es. Feuer flammte auf, gleißend und heiß, wie nur Magie es vollbrachte.
Die DA brüllte auf. Orks fielen, wurden festgenagelt, suchten Deckung. Ich warf mich neben Jonssohn, ließ den Bolzengurt durch meine Hände laufen, damit er sich nicht verhedderte. Der Schmerz war unerträglich. Ich biss die Zähne zusammen, kniff die Augen zu. Als ich sie öffnete, war es zu spät. Ich sah noch, wie der Bolzen durch meine Hände lief und im Verschluss der DA verschwand. Er war falsch herum einsortiert. Die Spitze zeigte nach hinten. Das kam schon vor, wenn man müde und unkonzentriert beim Aufmunitionieren war, oder von Angriffen des Feindes unterbrochen wurde. Die DA gab einen hässlichen Laut von sich, als der Verschluss blockierte. Die Sehne glitt über die scharfe Bolzenspitze, wurde durchtrennt. Jonssohn versuchte die Ladehemmung zu beheben. Die Orks bemerkten, dass die DA schwieg und gingen weiter vor. Ich griff meine Repetierarmbrust, feuerte sechs Bolzen, wechselte das Magazin, feuerte weiter.
Die Sechser schoss, schlug über uns ein, schaltete den Kampfmagier aus. Die Zwischendecke kam herunter, begrub uns unter Schutt, Balken, Möbeln. Man sah nichts mehr vor Staub. Wer überlebt hatte, rappelte sich auf. Die Orks waren fast heran, der Olifant kam immer näher. Ein sanfter Schubs von ihm und der Rest des Haus kam auf uns herab.
>Raus hier!<, brüllte ich. Männer stürzten aus dem Hauses. Ich sah, dass Jonssohn und Ketilssohn versuchten, die DA abzubauen.
>Lasst<, schrie ich. >Die ist hin!< Sie sprangen aus dem Haus. Ich wollte folgen. Da sah ich Gabi. Halbbegraben unter Trümmern. Fieberhaft grub ich sie frei. Die rot wunden Augen in dem staubigen Gesicht sahen mich mit entsetzlicher Einsicht an. Ein riesiger Holzsplitter hatte ihren Oberschenkel durchbohrt. Sie presste die Hand darauf. Blut quoll unaufhaltsam hervor. Die Arterie war durch, der Damm ihres Lebens gebrochen. Ich nahm meinen Schwertgurt ab, schlang ihn um den Schenkel, band ihn ab. Ich half ihr auf. Wir schafften es gerade bis zur Tür. Gabi schüttelte den Kopf, sah mir in die Augen.
>Geh<, sagte sie schwach. Ich nickte nur, gab ihr einen Abschiedskuss auf die Stirn und sprang aus der Tür, schoss, die Armbrust in der einen, das Schwert in der anderen Hand.
Die Orks feuerten. Der Olifant war fast heran, hätte mich erwischt, wäre nicht Gabi aus dem zerschossenen Gebäude auf die Straße gewankt. Ich rannte, blickte dabei über die Schulter. Bolzen trafen Gabi, sie fiel, der Olifant war über ihr, hob seinen gewaltigen Fuß, um Gabi zu zerquetschen. Mit der letzten Bewegung ihrer Lippen entstand ein Gleißen vor ihrer Brust. Sie schlang die Arme darum wie um den Liebsten, den man nicht gehen lassen wollte. Gabi legte alles hinein, den Rest ihres Leben. Hinter mir zerriss ein gewaltiger Feuerball den Unterleib des Olifanten, als ich um mein Leben Richtung Marktplatz rannte.

Der Regen hatte aufgehört. Der Marktplatz. Unser Brückenkopf. Hier stellten wir uns zum letzten Gefecht. Wir hatten keine Möglichkeiten, die Brücke zu zerstören. Nur wir hinderten den Feind am Gegenstoß auf unsere Landezonen am Strand. Orks, Schwarzorks, Trolle stürmten heran. Neben mir stand Ulf, die Axt in der Hand. Er lachte:
>Endlich! Viel zu lange her. Heute hat´s ja nur noch Fernkampf!<
Ein Haus zerbarst, als der verbliebene Olifant sich seinen Weg mitten durch das Gemäuer bahnte, unsere Olifantengräben und Tretfallen einfach umging. Der Fahrer gab das Zeichen, der Olifant erstarrte. Die Geschützmannschaft richtete die Sechser aus. Das war der Moment des Albenleutnants Estrágill. Er sprang auf, schoss in atemberaubender Geschwindigkeit, die kaum hinter der einer DA lag, zwei gefiederte Pfeile mit seinem Albenbogen ab. Der Olifant brüllte gequält auf. Er war blind, die Augen ausgeschossen. Schmerz, Angst, Blindheit versetzen ihn in Panik. Er drehte und schüttelte sich. Orks und Magier fielen von der Plattform, stürzten zu Tode oder brachen sich die Knochen auf dem gepflasterten Platz. Der Fahrer stieß den Olifant immer wieder mit der Stange, versuchte ihn unter Kontrolle zu bringen. Vergebens. Der Rüssel packte den Peiniger, drückte ihn zusammen und hämmerte den halbtoten Mann mit Schwung auf das Pflaster.
>Geben wir ihnen den Rest<, schrie die Frau Oberst. Wir taten es ihr nach, sprangen aus der Deckung hervor, griffen an. Feuerbälle flogen, Olifantengewehre schossen. Der Olifant wurde ins Hinterteil getroffen. Die Wunde war riesig. Das Ungetüm hielt es nicht mehr. Es preschte davon, zog eine Schneise der Zerstörung durch Sainte-Mère-Hoblise und die Reihen des Feindes. Erst Tage später fand man den Olifanten, Meilen entfernt, verendet.
Wir stürzten uns auf die Orks. Ich verschoss meine letzten Bolzen, zog einem Ork die Armbrust über, packte meine Schwert, gab ihm den Rest. Bei jedem Schlag biss der Schmerz unerträglich in meiner Hand, ließ meinen Körper wissen: Du lebst noch!
Hauen und Stechen überall. Da floh der Feind, beraubt des fast errungenen Sieges.
>Weiter<, brüllte Ulf Steinthor.
>Nachsetzen<, befahl der Oberst. Wir waren wie im Rausch, fielen Orks über die her, trieben sie durch die Ruinen von Sainte-Mère-Hoblise zurück. Da traf ich erneut auf die Vampirin. Vampire fürchteten das Sonnenlicht und mieden den Tag. Aber die Wolkendecke war dicht, überall Rauch und Staub, mehr Nacht als Tag. Ein feindlicher Magier schleuderte einen Feuerball, deckte den Rückzug seiner Kameraden. Es schlug dicht bei mir ein. Der Luftdruck riss mir den Helm vom Kopf, warf mich um in die qualmenden Trümmer, die einst ein Haus gewesen. Ich rappelte mich auf, vergewisserte mich, dass noch alle Glieder dran waren. Ich hob mein Schwert auf. Ich sah die Hand, die aus den Trümmern ragte. Ich erkannte sie sofort. Die Nägel waren schwarz lackiert. Die Finger zuckten, als ich mit dem Stiefel dagegen tippte. Ich erschrak, machte einen Satz zurück. Dann besann ich mich, trat dreimal zu und stürmte wieder voran. Ich versuchte mir den Ort einzuprägen und versprach mir zurückzukommen. Mit einer Schaufel und ein paar Pfählen.

Das Kriegsglück ist launisch. Unseres war launischer als eine verzogene Prinzessin. Nur ein einziger Schrei genügte, unseren Gegenangriff in eine kopflose Flucht zu verwandeln. Aber es war ein Schrei, der uns das Blut in den Ader gefrieren ließ. Es war der zweit schlimmste Klang, den ich an diesem Tage hören sollte. Ich erkannte ihn wieder. Ich war seiner Urheberin schon einmal begegnet, vor Jahren, als ich dem jungen König bei seiner Flucht vor den Häschern des Dunklen Meisters geholfen habe. Es war Mord. Ihr Schrei trieb die Hoffnung aus dem tapfersten Herzen, ließ den stärksten Mann seinen Rücken zur Flucht wenden. So sehr ihr Ruf uns entsetzte, so sehr spornte er die Orks an. Sie drehten, warfen sich uns entgegen, trieben uns schließlich vor sich her.
Auf einer mit Trümmern übersäten Straße fand sie uns. Unsere Männer war schon voraus. Wir folgten langsam, denn Ulf Steinthor war getroffen, und seinem gebeutelten Körper schwand die Kraft. Ein Orkbolzen hatte sich in seine starke Schulter gebohrt. Ich zog Ulf mehr, als dass ich ihn stützte. Die Orks wären längst über uns hergefallen, wenn nicht der Albenleutnant an unser Seite geblieben wäre. Seine Pfeile sorgten für den Augenblick dafür, dass die Orks einen weiten Bogen um uns herum machten.
Dann erschien sie, ein wirklich gewordener Nachtmahr. Durch den Schleier von Staub und Rauch preschte das gewaltige schwarze Pferd heran. Darauf Mord, die schreckliche Ruferin, gekleidet in einer schwarzen Rüstung, unheilvoll, unheilig, von den verruchten Schmieden des Dunklen Meisters gefertigt. Mord sah uns, riss das Pferd am Zügel und sprang auf die Erde wie ein strafender Gott. In der Hand ein Schwert, schlicht und ohne Namen hatte es doch viele zu Witwen gemacht.
Ulf sank erschöpft zu Boden. In seinem Gesicht ein Ausdruck, den ich nur zu gut kannte, aber noch nie bei dem Zwerg gesehen hatte: Todesangst.
Der Albenleutnant schoss, traf, ließ in einer Bewegung seinen Bogen fallen und zog sein Schwert. Da war Mord bereits heran. Sie achtete des Pfeiles in ihrer Brust nicht. Ihre Klinge traf die des Alben, schlug ihm die Waffe aus der Hand. Ihre andere Hand holte aus, wischte den Alben fort wie eine lästige Fliege. Der Leutnant stürzte zu Boden, blieb regungslos liegen.
Ich war Mord schon einmal begegnet. Damals, in dieser sturmgepeitschten Nacht, als ich mit dem jungen Königssohn versuchte den Häschern des Dunklen Meisters zu entkommen, aber endlich gestellt wurde. Wäre damals nicht die Albe, unsere zukünftige Frau Königin, an unser Seite gewesen, wir wären alle Opfer von Mord geworden. So machtvoll der Schrecken dieser Nacht mich nun auch wieder einholte, so fehlte im doch die Ungewissheit von dem, was auf einen zukam. Außerdem konnten man sich nur so oft an einem Tag in die Hosen pissen.
Ich sammelte, was noch an Mut in meinem Herzen war. Ich packte mein Schwert, stellte mich schützend über Ulf. Ich strich mir meine rote Mähne aus der angstnassen Stirn und brüllte Mord entgegen:
>Den hier kannst du nicht haben!<
Ein unheilvolles Lachen erklang.
>Wurm<, zischte es unter dem dunklen Helm hervor. >Du wagst dich mir entgegenzustellen? Weißt du denn nicht, dass mir prophezeit ist, dass ich nimmer durch die Hand eines Mannes fallen kann?<
>Willst du mich verarschen?<, sagte ich empört. >Ich bin eine Frau.<
>Ähm..?<, machte Mord.
>Langes, rotes Haar?<
>Hm?<
>Liebliches Gesicht.<
Mord beugte sich näher heran. Ich konnte förmlich spüren, wie sie unter dem Helm die Augen zusammenkniff.
>Lieblich<, meinte sie zweifelnd.
>Und die hier<, brummte ich verdrossen und zeigte auf meinen Ausschnitt, der mich beim Rüstungsmacher einiges an Überzeugungsarbeit gekostet hatte. >Die beiden Schätzchen hier sind doch kaum zu übersehen.<
>Eine Frau, wie?<
Ich nickte.
Mord seufzte:
>Drecksprophezeihung! Kann mich nicht entsinnen, um eine gebeten zu haben. Nun je<, sagte sie und machte einen Schritt auf uns zu. >Ich werde es wohl drauf ankommen lassen.< Sie hob ihr Schwert.
>Warte<, rief ich hastig. >Bist du dir ganz sicher. Was, wenn ich einen Glückstreffer lande? Die schreckliche Mord von einem schwachen Weib-<
>He, ich bin auch einmal eine Frau gewesen!<
>-von einer gleichwohl viel schwächeren Geschlechtsgenossin erschlagen. Damit erwirbst du dir unsterblichen Ruhm, aber nicht den von der wünschenswerten Sorte.<
Mord hielt inne. Nach einer endlosen Ewigkeit seufzte sie erneut:
>Von solchen Glückstreffern hört man ja immer wieder. Also gut.< Sie steckte ihr Schwert zurück und schwang sich zu unser großen Erleichterung auf ihr Pferd.
>Ich habe eine Schlacht zu gewinnen<, rief sie böse lachend. >Sollen sich die Orks um euch kümmern.< Sie brüllte einen Befehl und verschwand mit ihrem Pferd zwischen den Ruinen. Dann kamen die Orks hervor. Dutzende schritten vorsichtig auf uns zu. Aber in ihren Augen lag Zuversicht. Nur eine einzige Frau stand zwischen ihnen und der Genugtuung, einen Zwerg erschlagen zu dürfen.
Und in diesem Moment trug der Wind den dritten Klang herbei, der seine beiden Vorgänger an Grauen noch übertraf. Ein Laut wie von Hunderten von gequälten Seelen. Ein dunkles Dröhnen in das sich schrille Töne wie Todesschreie mischten. Der infernalische Lärm schwoll mehr und mehr an, kam näher und näher wie das unausweichliche Verhängnis.
Dann hörten es auch die Orks. Alle Farbe floh ihre Antlitze. Selbst die abgebrühtesten Schwarzorks hielt es nicht mehr. Sie flohen um ihr Leben. Ich half Ulf auf. Die Todesangst war aus seinem Gesicht gewichen. Nun lagen Ergriffenheit und Stolz darin. Mir liefen vor Erleichterung die Tränen. Wir gingen zu dem Leutnant. Es steckte noch Leben in ihm. Er kam benommen zu sich. Drei müde Krieger schleppten sich zurück zu der Brücke, dem grauenhaften Lärm entgegen.

Wer noch genug Kraft hatte, jubelte, als die ersten Truppen von den Stränden Sainte-Mère-Hoblise erreichten. Allen voran zwergische Abteilungen, an deren Spitze ihre berühmt berüchtigten Quetschsackspieler marschierten. Zwerge hatten eine eher gewöhnungsbedürftige Vorstellung von Musik. Aber an diesem Tage hätte ich mir keine andere lieber gewünscht. Die Zwerge hatten harten Kampf an den Stränden gesehen. Die Rüstungen waren zerschlissen. Viele waren verwundet. Aber dennoch trugen sie ihren Piken mit Stolz voran. Wir lachten und weinten vor Freude.
>Seiner Majestät 23. Hochgebirgsregiment aus zwergisch Gladbach<, sagte Ulf zwischen zwei paffenden Zügen an seiner Zigarre. Neben uns jubelten Kalf Ketilssohn, Jon Jonssohns und der Albenleutnant. Ich drängte den Gedanken an Gabi und all die anderen, die in unseren Reihen fehlten, zur Seite. Ich war zu erleichtert um zu trauern.
>Feine Jungs<, musterte Ulf anerkennend die vorbeiziehenden Truppen und wippte dabei im kaum vorhandenen Takt der Quetschsäcke mit. Kalf hatte ihm den Pfeil aus der Schulter gezogen. Ulf würde es überleben. Er war hart im Nehmen. Und Zwerge litten nicht unter Infektionen wie wir arme Menschen.
>Was meinen Sie, Fräulein Sargena<, fragte der Albenleutnant ausgelassen. Zwischen seinen makellosen Zähnen steckte eine von unseren Zigarren. Der Alb rauchte sie mit wenig Genuss aber viel Stolz. >Wer soll uns jetzt noch aufhalten?<
Ich wusste, was er meinte. Euphorie loderte auch in mir. Ich ließ meinen Blick über Sainte-Mère-Hoblise fliegen, das zerstört aber frei war. Wir hatten den ersten Schritt gemacht. Wir waren aufs Festland zurückgekehrt. Der Dunkle Meister würde uns nicht mehr vertreiben.
>Verflucht, Herr Leutnant<, lachte ich. >Wenn es so weiter geht, sind wir bis zum nächsten Julfest wieder alle zu Hause.<

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5364 Beiträge veröffentlicht!