Home Teil 3
von caulfield

 

Diesesmal dauerte es nicht so lang, bis ich sie wiedersah. Zwölf Tage später, damals hatte ich längst angefangen, nicht nur sämtliche Informationen über sie festzuhalten, sondern auch die Tage, an denen sie da war. Ein Samstag diesmal, an dem ich nicht hatte arbeiten müssen, aber nichtsdestotrotz zur gewohnten Zeit meinen Kaffee trank. Hatte eigentlich kaum erwartet, sie zu treffen, weil die Zeit zwischen unseren letzten beiden Begegnungen so lang gewesen war, aber sie tauchte trotzdem auf. Wie sie das fertigbrachte, immer dann aufzutauchen, wenn ich nicht glaubte, dass sie es tun würde, bleibt Rätsel, ihr Rätsel. Wusste sie vermutlich.
Jedenfalls kam sie mit ihrer alten Jacke und ihrem alten Rucksack und ihrem uralten Inneren unter der jungen Haut auf mich zu. Setzte sich, sah mich an, lächelnd, nervös.
"Haste Geld fürn Kaffee?" fragte sie mich. Ich schob ihr ein Geldstück hin, flach auf den Tisch gelegt mit zwei Fingern, wie im Film. Wortlos. Ebenso wortlos stand sie auf, kam mit Kaffee zurück.
"Danke. Hab nichts mit selber."
"Hast nichts mit oder hast nichts?"
"Hab nichts mit."
Ihre Haare waren jetzt nicht mehr grau, obwohl der Himmel es immer noch war, jetzt waren sie braun. Gefärbtes Mittelbraun. Schönheit kam mir nie in den Sinn, wenn ich sie sah, dafür hatte ich das Auge nicht, viele haben es nicht, sie schon. Zweifellos.
"Warum?" Ich, nach zweiminütigem Sich-ausschweigen und Warten, bis der Kaffee kalt genug ist, getrunken zu werden.
"Ich wollt mal weg, wieder, von allem. Mal sehen, wie weit ch komme. Geld nimmt nur Platz weg."
"Was auch immer das bedeuten soll."
Sie lächelte.
Mit einem Mal hoffte ich inständig, sie würde nicht fragen. Was ich hier ständig tat und wieso ich diesen Kaffee trank, Nichts mit Milch und Zucker und brauner Farbe. Aber sie war kein Mensch von der Sorte, die Fragen stellen, um andere in Verlegenheit zu bringen. Stattdessen einer von der ehrlichen, aber ziemlich kurz angebundenen Sorte.
"Wohin willste jetzt?"
"Südwärts. Wohin, wo's wärmer ist."
"Vermisst dich denn hier keiner?"
"Mich vermisst überall irgendwer. Bin halt unterwegs."
Ein Anflug von Scham auf einmal, Fragen zu stellen wie ein besorgtes Mütterchen. Sie überging ihn.
Diesmal saßen wir noch lange so da und schwiegen uns an, kein betretenes Schweigen, sondern ein Was-gibt-es-denn-schon-zu-sagen-Schweigen.
Nach etwas über einer Stunde schließlich, voller Geräusche anderer Leute und Schweigen unsererseits, sah sie auf meine Armbanduhr, trank aus und sagte:
"Bis es dunkel wird, muss ich noch 200 Kilometer, ich kenn da wen, zum Übernachten."
Stand auf.
"Danke fürn Kaffee."
Und war weg.
Es gibt zwei Sorten von Menschen. Es gibt die einen, die dorthin gehen, wohin sie wollen, und es gibt die anderen, die bleiben und auf sie warten.

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