Naturgewalt
von Rossi van Steen

 

Naturgewalt


Hab‘ ich mir ein Haus gebaut
Dach mit Ziegeln schwer.
Hab‘ dann nach ‘nem Platz geschaut –
Fand: Ich stell’s an’s Meer.

Hab‘ ich drum ‘nen Deich gezogen –
Grub‘ mit Spaten schwer
Und des Meeres hohe Wogen
störten mich nicht mehr.

Legt‘ ich mir ein Gärtlein an –
Beet mit roten Rosen;
Und ich pflanzte Majoran
vor des Meeres Tosen.

Hab‘ mir dann ein Schaf gekauft –
Den Rosen zum Gesellen.
Habe es Karl-Heinz getauft:
Es mocht‘ des Meeres Wellen.

Fand: Nun fehlt mir noch ‘ne Frau –
Weib für’s Luderbette
Mit Meereswassers tiefem Blau
tauft' ich es Anette.

Hab‘ mich auf den Deich gestellt,
alles zu besehen;
Schaf und Weib mir zugesellt-
Wie weich die Wellen gehen...

Schlief ich nachts dann friedlich ein,
sanft und wohlbehütet;
träumte schwer, schlief wie ein Stein,
Das Meer: es tobt‘ und wütet.

Wie ich morgens aufgewacht –
Gärtlein war voll Wasser.
Dach und Deich waren gekracht –
Ich wurde immer blasser.

Blickt‘ ich drauf zum Horizont,
wie die Lage wäre;
Wellen, turmhoch, ungewohnt,
gaben sich die Ehre.

Spülten mit ‘nem Lachen fort,
was zäh ich hatt‘ erschaffen.
Natur versteigt sich gern zu Mord –
sie hat gar schrecklich Waffen!

Bald darauf das Meer sich glättet –
Mein Werk sah wahrhaft übel aus.
Nur meine Haut, die ward gerettet –
Versunken blieb: Weib, Schaf und Haus.

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