Die weiße Kommode.
von forget december (forgetdecember)

 

Sie Saß alleine in ihrem Zimmer und konnte nicht glauben was gerade passierte.
Ihre Gedanken schweiften ab, schweiften ab, zurück.
Sie hing verdammt nochmal immer noch an ihm. Er war immer noch ein großer Teil in ihrem kleinen Herzen. Sie wusste immer noch, dass dieser Mensch für sie wahnsinnig wichtig ist. Auch wenn sie ihn seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen geschweige denn gesprochen hatte wusste sie immer noch, dass sie ihn brauchte. Sie bildete sich sogar ein zu wissen, wie er sich gerade fühlte. Hatte das Gefühl, er stünde ganz nahe bei ihr und würde mit ihr über alles reden. Wenn es ihr schlecht ging, hörte sie immer noch seine tröstende Stimme in ihrem Kopf.
Dieser Junge war für sie mehr als eine Erinnerung, mehr als eine schöne Zeit, mehr als die Vergangenheit. Sie wusste nur nicht genau was er jetzt für sie war. Es gab Zeiten, in denen war er für sie gleichzeitig die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Hatte sich diese Einstellung geändert, bloß weil er nicht mehr da war? Nein, sie musste leider feststellen, dass sie immer noch genauso über ihn dachte.
Es spendete ihr Trost, er war die konstante Variable, die sich schnurgerade durch ihr Leben zog. Ihr Rückzugsort und ihre Zuflucht. Er war für sie der Fels in der Brandung, der Zwischenstopp und die Landebahn.
Doch jetzt ist es nicht mehr. Er ist nicht mehr. Die Zeiten haben sich geändert. Ihr Platz ist von einem neuen Mädchen eingenommen worden und in ihrem Leben klaffte immer noch eine riesige Wunde, ein überdimensionales Loch, das nicht zu stopfen ist.
Sie gab sich alle Mühe dieses Loch endlich zu schließen. Doch man kann sich das als ein großes Nichts vorstellen, ein schwarzes Loch, das alles in sich einsaugt und verschlingt, was diesem zu nahe kommt.
Jeder klägliche Versuch dieses Loch zu flicken wird sofort vernichtet, verschwindet im Jenseits und an seiner Stelle entsteht ein neuer Ableger dieses Lochs.
Sie wartete auf den Moment, in dem das alles endlich zur Vergangenheit wird, zu einem Teil von ihr, der ihr Leben zwar geprägt hat, es aber nicht mehr beherrscht.
Sie wollte das alles nicht mehr. Wollte endlich wieder ein normales Leben führen können. Sie fragte sich warum ausgerechnet sie? Ein Herz im Sand und eine Geschichte mit vielen Tränen. Teilweise blutige Tränen und verzweifelte Hilferufe, die niemand hörte, niemand außer ihm.
Er half ihr aus diesem Schwarz-Weiß- Denken heraus. Brachte ihr Farben bei, die sie noch nie in Betracht gezogen hatte. Eröffnete ihr Ansichten, über die sie noch nie einen Gedanken verschwendet hatte.
Jetzt, wo er weg war, fiel es ihr schwer diese Blickwinkel nicht zu vergessen. Aber immer wenn sie sich dabei ertappte, dass sie wieder einmal in ihr altes Muster zurückzufallen drohte, erinnerte sie sich an ihn.
Das war ein verdammter Teufelskreislauf. Sie konnte ihn einfach nicht vergessen. Ich weiß nicht ob es ihr helfen würde, wenn sie wieder Kontakt mir ihm aufnehmen würde. Vielleicht würde es alles verbessern und sie wäre endlich wieder in der Lage sich auf jemand neuen einzulassen. Aber auf der anderen Seite, welche viel wahrscheinlicher wirkte, könnte es alles noch verschlimmern. Sie könnte sich wieder wie ein armseliges ungeliebtes und nichtswürdiges NICHTS fühlen. Als jemand, der von allen Menschen nur verstoßen wird und auf nichts als Ablehnung stößt.
Sie hoffte, dass jemand sie verstehen würde, dass ihr jemand helfen könnte. Aber sie konnte sich nicht öffnen, sich selbst nicht eingestehen, dass sie ein Problem hat.
Vor was hatte sie Angst? Vor Unverständnis, vor der Reaktion der Anderen. Sie wünschte, sie würde auf jemanden treffen, bei dem sie das alles ablegen könnte. Jemand, bei dem sie nicht gezwungen ist, sich zu verstellen um nicht aufzufallen. Jemand bei dem diese Attacken endlich aufhören. Jemand, der ihr nur ein bisschen Sicherheit gibt.
Halt ist das, was sie brauchte. Kontinuität, ohne diese klaren Strukturen war sie aufgeschmissen, das wusste sie.
Doch wie sollte sie jemand mögen, wen sie es selbst nicht konnte, wenn sie immer noch ein Sklave ihrer Erinnerungen, ihrer Vergangenheit war?
Es wurde ihr alles zu viel.
Sie schloss das Fenster und stellte sich auf einen langen Abend alleine ein.
Sie wusste, wie sehr es ihr schaden würde, aber sie ging trotzdem zu der kleinen, weißen Kommode, öffnete die oberste Schublade und zog aus ihrem glitzernden Schmuckkästchen, einem Geschenk ihrer kleinen Schwester, diesen einen Anhänger hervor.
Dieses funkelnde und strahlende Herz verkörperte sinnbildlich gesehen ihre eigene geschundene Persönlichkeit. Von den vielen teuren Steinchen, die einst dieses Herz schmückten, waren nur noch wenige übrig geblieben. Wie viele wusste sie nicht genau, sie hatte es auch noch nie nachgezählt. Zusätzlich durchzogen diesen Anhänger einige Schnittwunden und tiefe Risse, für die eine Küchenschere, die sich leider zu nahe in ihrem Umfeld während einer ihrer Attacken befand, verantwortlich war.
Als sie dieses Herz in ihrer zu einer Faust geballten Hand hielt, wurde es lebendig. Es schien zu schlagen und ihr eigener Herzschlag begann sich diesem anzupassen. Ein Gefühl der Wärme und der Erleichterung durchlief sie. Das erste Mal an diesem ganzen Tag fühlte sie sich real, fühlte sie sich da. Sie umschloss es noch ein bisschen fester, besessen von dem Gefühl, das sie auf einmal hatte.
Sie presste ihre Faust an ihr eigenes Herz und lies sich einfach fallen.
Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie liebte diesen Teil des Rituals, wenn sie weinte, wusste sie dass sie wirklich ist, dass sie nicht träumt. Es befreite sie. Sie konnte nicht mehr viel zum weinen bringen, nur auf diesen Anhänger war immer Verlass.
Aus Furcht, dass sie seine Magie verbrauchen könnte, legte sie ihn vorsichtig wieder an seinen Platz zurück. Genug für heute, es hatte gereicht um ihr Verlangen nach Gefühlen zu befriedigen.
Bevor sie ihn schließlich wieder in sein Versteck gleiten lies, überkam es sie plötzlich noch einmal. Sie konnte sich nicht losreißen und sprach zu ihm „ich wünsche dir eine gute Nacht, mein Baby!“
Sie hatte auf einmal das Gefühl, IHM, so unglaublich nahe zu sein. Auch wenn sie viele Kilometer trennten, wusste sie in diesem Moment wieder, dass es keinen Grund zur Traurigkeit gab, weil sie eben zusammen gehörten. Und weil sie so zusammen gehörten, würden sie auch wieder zueinander finden. Auch wenn es noch Jahre dauern würde, ihr reichte der Gedanke daran, dass der Tag irgendwann kommen wird.
So lange reichte ihr auch die Vorstellung zu wissen, dass sie eine Verbindung zu ihm aufrecht erhielt, dass solange dieser kleine Anhänger da war, sie niemals aufhören würde, an ihn zu denken.
Was sie sich fragte war, ob er es auch spürte, wenn sie wieder einmal die oberste Schublade der kleinen, weißen Kommode öffnete um diesen magischen Moment der Verbindung zu erleben

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