Julia wartet
von caulfield

 

And Juliet she's smoking by the window
Saying stone cold
I believe in you Romeo
And the raindrops and the cars
Keep on falling off the bars
Blocking out a good song
Playing on the radio
[The Gaslight Anthem]

Romeo trifft Julia in einem verdunkelten Hotelzimmer am Rand
der Stadt. Julia steht rauchend am Fenster als Romeo eintritt.
Eine Weile ist es her, dass sie sich zuletzt gesehen haben,
drei Wochen fast. Drei Wochen fast, seit ihr Mann zuletzt
auswärts übernachten musste, wegen der Arbeit. Romeo sieht,
wie sehr sie abgenommen hat, ihre Haut ist blass und man sieht
durch die dünne Nachtwäsche ihre Rippen. Ihre Haare hängen lose
ins Gesicht, sie sieht auf und lächelt, nicht überzeugend.
Julia dreht sich wieder zum Fenster, sieht durch das Glas
hindurch, hinaus in den Regen, sieht durch den Regen hindurch.
Beide frösteln, obwohl es im Zimmer warm ist. Romeo zieht seine
Jacke aus und legt sie über einen Stuhl, tritt zu Julia, legt
ihr den Arm um die Schulter und zieht sie vom Fenster weg. Sie
legt den Kopf an seine Schulter, er küsst ihr Haar und spürt,
wie dünn es ist, es riecht nach billigem Shampoo. Draußen hört
man Autos vorbeifahren, sie achten nicht darauf. Das Zimmer ist
das beste, was sie bekommen konnten, Romeo ist knapp bei Kasse,
gerade eben und immer mal wieder.
Viel von dem, was da war, am Anfang, ist nicht mehr da. Vor z
wei Jahren haben sie sich kennengelernt, auf einer Party von
irgendjemandem, den irgendein gemeinsamer Freund irgendwie
kannte. Julia war ohne ihren Mann gekommen, der damals noch
gut verdiente, gut genug jedenfalls, dass sie es sich leisten
konnte, zuhause zu bleiben. Sie wurden einander nur kurz
vorgestellt. Er war von ihr fasziniert, geblendet, in ihrem
dunkelblauen Kleid, über das ihre langen Haare zufällig fielen
und dabei aussahen, als wären sie in stundenlanger Arbeit so
hergerichtet worden. Für ihn strahlte sie. Er folgte ihr zum
Buffet, wo sie ins Gespräch kamen. Er erzählte ihr von seiner
Scheidung, die gerade durch war, zu früh, zu schnell geheiratet
eben, von seinen Geldproblemen und den wechselnden Jobs. Wie
das eben so ist, sagte Romeo. Sie erzählte ihm von ihrem
unbefriedigendem Eheleben, dem Mann, der unter Ehe verstand,
dass abends ein warmes Essen auf dem Tisch stand, wenn er nach
Hause kam. Wie das eben so ist, sagte Julia. Sie lachten und
gingen nach draußen und teilten sich Zigaretten und Romeos
Jacke. Dann gingen sie in seine Wohnung und schliefen
miteinander.
"Wo wohnst du jetzt?" fragt Julia. Romeo winkt ab.
"Unwichtig", sagt er. "Frag nicht."
Also fragt Julia nicht. Wüsste sie, dass er im Moment nirgends
wohnte, die Nächte auf den Sofas von Freunden zubrachte, würde
sie sich nur sorgen. Er wollte nicht, dass sie sich noch mehr
sorgte. Sie war so mager.
Wenn er sie fragte, warum verlässt du ihn nicht, sagte sie
nur, er würde sie nie gehen lassen. Und sah ihn hilflos an.
Dann wurde Romeo wütend und laut. Dann ganz leise, beschämt.
"Es tut mir leid", sagte er dann.
Was Julia anging, so kam es ihr wirklich nicht in den Sinn,
einfach zu gehen. Aus der Ehe zu flüchten, in die ihre Eltern
sie genötigt hatten, erschien ihr ein Verrat. An ihren Eltern,
ihrem Mann, sich selbst und überhaupt allem. Gleichzeitig
wusste sie nur zu genau, dass Romeo doch Recht hatte. Komische
alte Welt, dachte sie.
Anfangs trafen sie sich oft, wann immer sie einen Moment
entbehren konnten.
Aber mit den Tagen, Monaten wurden die Momente weniger. Die
beiden wurden kalt. Zwar war von Anfang an klar, dass das
zwischen ihnen bedingungslos war, aber es war auch klar, dass
das nicht reichen würde.
Romeo küsst Julia und fühlt die Kälte in ihr, tief, trocken, rau.
Tief in sich spürt er auch etwas, er ist sich aber nicht mehr
sicher, was es ist. Es fühlt sich mal warm und mal kalt an.
Während er sie küsst, hofft sie, dass er weiß, dass sie mehr
raucht als früher und nachts nicht mehr schläft. Und sie wünscht
sich, dass er sieht, wie sehr sie ihn immer noch begehrt. Und
vor allem, dass alles gut ist so wie es ist, aber das kann es
kaum sein.
"Nicht loslassen", sagt sie. Und er legt seine Arme um sie
herum, und sie wollen sich sicher fühlen, obwohl sie wissen,
dass die Welt trotzdem durchkriecht, dass sie frieren, obwohl
es warm im Zimmer ist, dass es draußen regnet, dass sie nicht
wegkönnen und nicht bleiben, und dass, was sie haben, kaum das
ist, was sie wollten.

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