Monsieur Jacques
von Daniela Schmidt (danielaschmidt)

 

Jacques lag an einem wunderschönen Sonntagnachmittag, wie an fast jeden Tag, auf dem Schreibtisch seines Besitzers Lukas Browslowski. Den ganzen Tag über, konnte Jacques nichts anderes tun, als an die Decke starren oder sich mit den anderen Gegenständen, wie Lineal, Schreibtischlampe, Locher, Bleistift usw. unterhalten, sofern er nicht auf den Bauch gedreht oder wieder einmal irgendwo vergessen wurde. Jacques erlebte im Laufe seines Lebens, die schönsten Abenteuer und ging auf unzählige Reisen, quer durch die Welt. Er wurde von Familie zu Familie weitergereicht. Jacques war sehr alt aber immer noch sehr funktionstüchtig. Wenn er einmal leer wurde, das heißt, wenn ihm die Tinte ausging, nahm man ihn in den Schreibwarenhandel mit und füllte ihn mit frischer Tinte auf. Eines schönen Tages, als Jacques sich wieder einmal durch den Tag träumte, legte Lukas ihm unerwartet einen Tintenkiller zur Seite und Jacques verliebte sich unsterblich in die Dame, die für einige Zeit bei den Browslowskis zu Besuch gewesen war. Alberta interessierte sich zunächst nicht für Jacques, sie wirkte eingebildet, eitel und selbstverliebt. Sie hatte eine manipulative Persönlichkeit, sofern man das von einer Tintenkiller Dame behaupten konnte. Alberta würdigte ihn keines Blickes, aber Jacques war unsterblich in sie verliebt und tat alles um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. An einem Montagmorgen, erfuhr Alberta, dass Jacques mal wieder in den Schreibwarenhandel gebracht werden sollte, um seine Tinte aufzufüllen und beschloss sich ihm anzuschließen. Sie wollte unbedingt raus in die weite Welt, das Leben sehen, die Welt und den Augenblick genießen, koste es, was es wolle. Denn ein Tintenkiller Dasein war alles andere als schön. Tintenkiller wurden benutzt um Fehler zu korrigieren und die meisten Kinder kauten auf ihren Köpfen herum oder verbrauchten sie schon nach kurzer Zeit, so dass die Lebensdauer eines Tintenkillers nicht sehr lange war. Alberta fing nun an, auf Jacques Annäherungsversuchen einzugehen um ihn geschickt so zu manipulieren, so dass er ihr alle Wünsche erfüllte. So verliebt wie er gewesen war, war das eine leichte Angelegenheit.

Er konnte ihr aber keine großen Versprechungen machen, denn wer war er schon? Nicht mehr als ein einfacher alter Füllfederhalter. Und wie sollte er auf sich aufmerksam machen? Jacques unterhielt sich nie mit den Menschen. Er konnte Gegenstände bitte, etwas für ihn zu tun, mehr aber auch nicht. Doch plötzlich hatte er eine Idee. Jacques beschloss seine restliche Tinte auf dem Schreibtisch auslaufen zu lassen und bat Alberta, sich direkt neben ihn zu legen. Er hoffte, dass wenn er auslaufen und Lukas Hände voller Tinte wären, er zur Sicherheit lieber den Tintenkiller mitnehmen würde, um ein weiteres Unglück zu verhindern. Sein Plan ging auf. Lukas nahm seinen Füllfederhalter in die Finger, die Tinte lief aus und färbte seine rechte Hand blau. Fluchend und genervt zugleich, griff Lukas nach Alberta und löschte die Tinte vom Finger und Schreibtisch. Er stöpselte die Tintenkiller Dame zu, wickelte Jacques in ein Papiertaschentuch und machte sich auf den Weg zum Schreibwarenhandel. Alberta war aufgeregt wie ein kleines Kind und quasselte Jacques die ganze Zeit über die Ohren voll. Sie lagen beide in Lukas Brusttasche und kamen sich näher. Jacques erhoffte sich nun mehr, aber Alberta hielt ihn immer wieder auf Distanz, weil sie ein anderes Ziel verfolgte.

Im Schreibwarenhandel angekommen, übergab Lukas seinen Füllfederhalter dem Verkäufer, legte Alberta daneben und kaufte noch ein paar Artikel für zu Hause ein. Das war Albertas Chance, geschickt rollte sie sich, als der Verkäufer nicht hinsah, vom Tisch, über den Fußboden und landete unter einem Regal. Sie hatte es endlich geschafft. Alberta war frei und Jacques tot unglücklich. Sie hatte ihn nur benutzt um ihr Ziel zu erreichen, die Freiheit. Jacques Tinte wurde ausgewechselt und Alberta von Lukas vergessen. Jacques verkraftete seinen Verlust nicht und wurde depressiv. Er sprach immer weniger, zog sich in sich selbst zurück, mied jeglichen Kontakt. Seine Tinte schien immer mehr zu verblassen, bis sie eines Tages restlos auslief und er mit dem Schreiben aufhörte. Jacques weigerte sich auch nur einen Buchstaben zu schreiben, keine Tinte mehr zu vergießen, weil er Alberta so schrecklich vermisste. Wenige Wochen später, kurz bevor er völlig auseinander brach, kam Elvira, eine süße junge Tintenkiller Dame. Lukas hatte sie im Schreibwarenhandel gekauft, weil er seinen letzten Tintenkiller offensichtlich verloren hatte. Sie wurde frisch geliefert und kam aus Kanada. Elvira schaffte es durch ihre wundervolle Ausstrahlung, Ehrlichkeit, Treue und Zuneigung zu Jacques, das gebrochene Herz des Füllfederhalters zu heilen. Jacques hatte sich schon längst aufgegeben aber durch Elvira´s Liebe, schrieb er schöner denn je.

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