Studiengang Hartz 4
von Daniela Schmidt (danielaschmidt)

 

Ein Tag beginnt in der Regel für jeden Menschen anders. Für die Meisten jedoch ziemlich gleich, zwischen 6 und 7 Uhr aufstehen, wenn man es denn geschafft hat, den ersten, den zweiten und evtl. noch den dritten Wecker mit der Hand oder herumliegenden Gegenständen auszuschalten. Müde und meist demotiviert startet man den Tag, auch als Hartz 4 Empfänger. Es gibt natürlich einige Kandidaten, die das umfangreiche Zeitangebot dementsprechend ausnutzen und etwas später aufstehen, ohne Wecker. Wie gestalten sie den Tag? Während der „normale, durchschnittliche Bürger“ längst am Arbeitsplatz sitzt, Maschinen zusammenschraubt, die Kaffeemaschine zum zweiten Mal auffüllt oder einfach nur seiner geregelten Arbeit nachgeht, beginnt der Hartzler den Tag mit einer Zigarette, einem Kaffee, der Bildzeitung und einem ausgiebigen Frühstück, bestehend aus fettiger Wurst, Weißbrot und Schokolade. Heruntergespült wird das ganz mit der Hartz 4 Cola. Die Kohlensäure räumt ja den Magen auf.

Der Hartzler, wie er liebevoll unter gleichgesinnten genannt wird besucht evtl. Freunde, die ebenfalls zu Hause anzutreffen sind oder zappt sich durch das umfangreiche Bildungsfernsehen der Privatsender. Man muss ja auf dem neuesten Stand bleiben. Außerdem ist es von psychologischer Bedeutung, sich an Menschen, denen es noch schlechter geht hochzuziehen, das motiviert den Kreislauf und die eigene Wertigkeit. Umrandet wird das Bildungsprogramm noch von einer Packung Chips, Zigaretten, einem Bier und Kaffee. Es gibt genug 16jährige, alleinerziehende Mütter ohne Hauptschulabschluss, die einem problemlos am Ende des Monats etwas Geld leihen, dass sie sich zuvor von jemand anderem geliehen haben. Eine Gemeinschaft, die sich versteht und zusammenhält. Gemeinsam Knastbesuche gehören zu den Ausflugszielen am Wochenende. Wo bleibt eigentlich der Sport? Der Gang vom Kühlschrank zur Couch und zurück.

Die arbeitende Gesellschaft freut sich währenddessen auf die wohlverdiente Mittagspause und fühlt sich rundum wohl, angekommen, integriert in die Gesellschaft. Ich bin ein vollwertiges Mitglied. Der Hartz 4 Empfänger legt sich wohl noch einmal kurz aufs Ohr.
Alles Klischee? Bei einigen mag das durchaus zutreffen, bei den Arbeitswilligen wohl eher kaum. Die Arbeitswilligen bemühen sich um Arbeit, stehen morgens pünktlich am Jobcenter und warten, bis sich die Türen öffnen, um als erster den besten Job zu bekommen. Die Willigen unter ihnen, schreiben eine Bewerbung nach der anderen, telefonieren, rennen von Vorstellungsgespräch zu Vorstellungsgespräch in der Hoffnung den Anschluss nicht zu verpassen. Sie fühlen sich alt, wertlos, am Rande der Gesellschaft. Die arbeitende Welt schaut auf sie herab, mit auferlegten Emotionen. Du bist nichts wert, schäme dich.

Aber was ist eigentlich mit den Künstlern, Schauspielern, Musikern, Geisteswissenschaftlern und jenen aus anderen akademischen Berufen, die keinen Anschluss mehr finden? Sie müssen auch Hartz 4 beziehen. Es sind jene Philosophen, die bereits einen Taxischein erworben haben, um halbwegs über die Runden zu kommen. Idealisten, die ewige Studenten waren, die Träumer. Menschen zweiter Klasse, die gefragt werden:
„Na, was machen Sie so?“
„Kunst.“
„Aha, haben sie auch was anderes gelernt, etwas Anständiges?“
„Nein.“
„Aber von der Kunst kann man doch nicht leben, das ist ein brotloser Erwerb.“
„Sicher, das ist er.“
„Oh je, sie sind ein hoffnungsloser Fall.“
Ein Dialog aus dem Leben. Dabei wird immer vergessen, dass der Künstler produziert, er geht in Vertrauensvorleistung. Er gibt und hofft, dafür belohnt zu werden. Kunst ist eine Dienstleistung. Schauspieler spielen während ihren Spielzeiten und danach beziehen sie wieder Hartz 4 oder halten sich mit schrecklichen Rollenangeboten in Dailysoaps über Wasser. Musiker warten auf Aufträge und Auftritte. Maler auf Ausstellungen und Bilderverkäufe. Schriftsteller schreiben, lesen und träumen für andere, meist unter ihrem Wert. Sieht das die Gesellschaft? Nein, die meisten nehmen Künstler nicht ernst, sehen ein Klischee und glauben, dass jeder Künstler lange schläft, die Nacht zum Tage macht, feiert, wenig arbeitet und dafür eine Menge Geld verdient. Längst überholt! Sie kämpfen vielleicht härter als andere, wofür? Für ihr Ideal, ihren Traum den sie leben.
Auf den Hauptschulen wird man erfolgreich in das Hartz 4 System eingeführt. Auf dem Gymnasium bereits unter Hochdruck mit dem NC bekannt gemacht und dass es sich wohl empfiehlt, einen lukrativen Studiengang wie BWL, Jura, Zahnmedizin zu wählen. Die Realschüler finden immer eine Ausbildung als Arzthelferin oder Kaufmann in verschiedenen Bereichen.

Aber wie lebt es sich eigentlich mit Hartz 4? Ein Hartz 4 Empfänger soll täglich mit ca. 4,30 Euro für Nahrung auskommen. Die Verpflegung eines Polizeihundes in Deutschland liegt bei über 5 Euro am Tag. Der Spielraum für gesunde Ernährung ist sehr begrenzt. Obst und Gemüse ist teuer, die Tafel / Arche hat auch nicht jeden Tag geöffnet. Kleidung wird von billigen Textildiscountern oder secondhand erworben. Urlaub ausgeschlossen. Leider leben viele Hartzler über ihre Verhältnisse, verschulden sich, kaufen teure Handys, Fernseher, Spielkonsolen etc. Die eidesstattliche Versicherung macht das schon. Kein Angriff auf Hartzler. „Wo nix ist, kann man auch nix holen.“
Das wenige Geld, das zur Verfügung steht, neben Miete, Krankenversicherung etc. die vom Amt übernommen wird, reicht dennoch von hinten bis vorne nicht. Also arbeiten gehen! Der Teufelskreis beginnt erneut. Ohne Qualifikation hat man keine Chance, über Generationen hinweg. Selbst mit Qualifikationen wird es schwer und als Künstler fast unmöglich! Nur was tun? Wie kann man den Kreis durchbrechen. Man könnte eine neue Bundesregierung wählen. Die unqualifizierten Arbeitnehmer könnten an Weiterbildungen teilnehmen, Bücher lesen, fehlende Schulabschlüsse nachholen. Die Hartz 4 Lebensbedingungen lassen sich durch eine Ernährungsumstellung, auf minimaler, möglicher Basis verbessern. Sport könnte dem Gemüt und Körper gut tun. Ausflüge in die Natur kosten kein Geld, Radfahren im Grünen tut der Seele gut. Qualifizierte Hartz 4 Akademiker könnten Umschulungen machen oder sich an diversen Volkshochschulen bewerben, um ihr gelerntes Wissen in Form von Kursen oder Seminaren weiter zu geben.





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