Schall und Rauch 6
von Sabine Herzke (melody)

 

4. Woche

21. Dezember, Samstag
Sie sprachen beim Frühstück nicht. Martin hatte sich demonstrativ hinter der Tageszeitung versteckt, hielt sie wie einen Abwehrschirm vor sich. Kevin spielte mit seinem Smartphone herum. Carina riss sich zusammen, um nicht jetzt schon loszubrüllen. Lucy war die einzige, die mit ihr überhaupt sprach. Lucy beeilte sich mit dem Frühstück und wollte das Haus verlassen.
„Wo willst du hin?“
„Hab mich mit 'n paar Freunden verabredet.“
Carina gab ihr Geld und einen Einkaufszettel. „Sei zum Essen wieder da und bring mir das hier mit.“
„Ja Mama.“
Carina sah sie misstrauisch an.
„Boah, jetzt hab dich nicht so. Ich kauf dir dein Kram ja ein!“
Lucy war sauer. Sie war fast achtzehn und kein kleines Kind mehr! Erst war sie immer die Kleine gewesen, als Chantal noch zu Hause wohnte, und als die weg war, dachte sie, jetzt würde es mehr Spaß geben, aber Carina wurde eher noch strenger.
Als sie ihr Stammcafé erreichte, kochte sie noch immer vor Wut.
„Hey Lucy.“
Sie wechselte Küsschen mit ihren vier Mädels.
„Was ist denn mit dir los?“
„Ach, meine Alte. Bei uns zu Haus ist echt was los im Moment.“
„Wegen dem Geld?“
„Ja, das auch. Jetzt kommt Chantal auch noch nach Haus bis nach Weihnachten. Mein Dad ist voll am Durchdrehen. Und ich soll auf einmal wieder die Nette, Brave sein, die für ihre Mama das Haus putzt und Einkäufe macht. Die hat sie nicht alle!“
„Ach komm, Süße, trink erstmal was.“
Der Kellner brachte Lucy schon ihre Lieblings-Latte. Lucy holte ihr Smartphone heraus und lächelte, als sie die neueste Nachricht von Tim las.
„Erzähl schon! Hast du ne SMS von Tim bekommen? Seid ihr jetzt richtig zusammen? Wann treffen wir ihn?“
Lucy steckte ihr Handy wieder ein. „Ja, das war Tim. Er ist einfach nur süß und genau der richtige.“ Sie grinste breit. „Und ich hab ihn zur Party eingeladen. Da trefft ihr ihn auf jeden Fall.“

Gegen zwölf Uhr bog ein Wagen auf ihre Einfahrt ein und parkte sauber hinter dem Miet-wagen. Zwei Leute stiegen aus und gingen zur Haustür.
Vincent nahm Chantals Hand. „Hast du Angst?“
„Bisschen schon“, gab sie zu. „Mama ist ja ganz locker geworden, aber Papa? Ich werd bestimmt erstmal angeschrien.“
„Wenn er das macht, schreie ich zurück“, erwiderte er.
Chantal holte tief Luft und klingelte.
Dann öffnete aber keiner von ihren Eltern sondern Kevin.
Er war gewachsen. Sie hatten sich neun Monate nicht gesehen und ihr kleiner Bruder war auf einmal größer als sie und war kaum wiederzuerkennen.
„Hi“, sagte er. Dann standen sie voreinander und wussten nicht weiter. Chantal trat vor und umarmte ihn unbeholfen.
„Selber hi.“ Sie trat zurück und schob eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Mein kleiner Bruder Kevin – und mein Freund Vincent.“
„Hallo.“
Die beiden musterten einander, nahmen Maß. Dann öffnete Kevin die Tür ganz und machte Platz.
„Mama ist in der Küche und Papa im Keller.“
Er wartete nicht auf sie, sondern ging zurück ins Obergeschoss.
„Dicke Luft hier, was?“ murmelte Vincent.
„Wir haben uns echt heftig gestritten, bevor ich abgehauen bin“, flüsterte Chantal. Dann öffnete sie die Küchentür.

Carina drehte sich um, ein Messer in der Hand. Sie bereitete das Mittagessen vor.
„Mama!“
Carina legte das Messer weg, wischte sich die Hände ab und nahm Chantal in den Arm. Für ein paar Sekunden war alles vergessen, was zwischen ihnen gewesen war. Dann schob Carina ihre Tochter ein Stück von sich weg.
„Du siehst gut aus.“ Sehr gut sogar. Chantal sah gesund und fit aus, sie schien abgenommen zu haben, war nicht mehr so rundlich, wie sie es bei ihrem Verschwinden gewesen war.
Chantal lachte. „Es geht mir gut.“ Sie winkte ihren Freund heran, der abwartend in der Küchentür stand.
„Mama, das ist mein Freund Vincent. – Vincent, meine Mutter, Carina Wolter.“
Er trat vor und gab ihr die Hand. Carina musterte ihn, aber sie konnte nichts an ihm entdecken, was ihr auf den ersten Blick missfiel.
„Freut mich.“
Chantal entspannte sich. Sie hatte die ganze Zeit die Luft angehalten. Aber Vincent war durch die erste Prüfung gekommen.
„Wo ist Lucy?“
„Die trifft sich noch mit ihren Freundinnen. Sie sollte etwas für mich einkaufen, hoffentlich ist sie bald zurück.“
„Ich schreib ihr eben.“
Chantal tippte schnell eine SMS an ihre Schwester. Dann nahm sie Vincent bei der Hand.
„Wir gehen lieber gleich zu Papa.“ Sie war blass.
„Ich komme mit, wenn du das willst“, bot Carina an. Sie sah besorgt aus.
„Wie ist er denn drauf?“
„Er möchte mit dir am liebsten immer noch nichts zu tun haben. Er bekam einen Wutanfall, als ich erzählte, dass ihr über Weihnachten hier seid.“
Chantal schluckte. Vincent legte ihr schützend einen Arm um die Schultern.
„Wir schaffen das schon“, sagte er. „Ich bin ja auch noch da, Frau Wolter.“
Carina zögerte. „Ich warte oben an der Treppe“, sagte sie.

Martin arbeitete an der Schreinerbank. Tagsüber schrieb er Rechnungen und verhandelte mit Verkäufern, abends baute er Dinge aus Holz. Manchmal ließ er auch einfach seinen Frust daran aus, hobelte einen Balken, bis außer Spänen nicht mehr viel übrig war. Er war wütend. Wütend auf Chantal, aber auch auf sich selber. Die Wahrheit war, dass Chantal immer das Kind gewesen war, das er am liebsten mochte, in das er große Erwartungen gesetzt hatte. Er hatte gehofft, dass sie als erste in der Familie Abitur machen würde und dann vielleicht sogar studieren. Stattdessen hatte sie zwar das Abi geschafft, aber dann war sie von einem Tag auf den anderen knapp ein Jahr später einfach verschwunden, nach einem Krach, an dem sie komplett selber schuld gewesen war. Hatte er bisher gedacht. Er hatte der ganzen Familie verboten, weiter Kontakt mit ihr zu halten. Und dann hatten sie das Verbot alle ignoriert. Sogar Kevin! Martin spannte ein neues Holzstück ein und setzte die Fräse an.
„Papa?“
Er arbeitete an dem Holz, als sei das eine dringende Aufgabe, die nicht liegenbleiben konnte. Dann verdunkelte sich das Licht. Chantal und ein Fremder hatten sich zwischen die Werkbank und das Fenster geschoben.
„Sprichst du nicht mehr mit mir?“
Das klang so leise und kläglich, dass er es nicht länger ignorieren konnte. Er nahm die Schutzbrille ab und hob den Kopf. Sie stand vor ihm, hübsch gekleidet, schlanker als im Frühling und trotz ihrer ängstlichen Miene glücklich.
Er sah sie abwartend an. Zog sich umständlich die Arbeitshandschuhe aus.
„Papa. Ich bin wieder da.“
Er nickte, zwang sich dazu, wenigstens nicht auszusehen, als würde er sie gleich anbrüllen. Auch wenn er das am liebsten getan hätte.
„Darf ich… Papa, das ist Vincent. Mein Freund.“
Vincent straffte sich und trat vor. „Guten Tag, Herr Wolter.“
„Guten Tag – Vincent.“ Martin drückte ihm die Hand.
Chantal lächelte erleichtert. Der nächste Schritt war geschafft.
„Naja dann…“ Martin wusste nicht weiter. „Ich arbeite hier noch ein bisschen. Ruft mich, wenn es Essen gibt, okay?“
„Machen wir.“ Chantal lächelte jetzt leichter. Sie umarmte ihn. Martin erwiderte die Umarmung, drückte sie kurz an sich.
Dann zog Chantal Vincent an der Hand wieder nach oben.
„Können wir dir helfen?“ fragte sie Carina.

Vincent passte sich an. Er ließ sich von Carina und Martin zu Arbeiten einspannen, zwischendrin schleppte er das ganze Gepäck in Chantals Zimmer, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Knapp eine Stunde, bevor das Essen auf dem Tisch stehen sollte, kam Lucy auch endlich zurück.
„Chantal!“
„Lucy!“
Die Mädchen fielen sich um den Hals und stellten sich ein Dutzend Fragen gleichzeitig. Dann drehte Chantal sich um und stellte ihr Vincent vor.
Er lächelte und gab der jüngeren Schwester seiner Freundin die Hand. „Wenigstens eine Entspannte in diesem Haushalt“, sagte er leise.
Die Mädchen lachten.
„Also… ich deck dann mal den Tisch.“ Lucy drehte sich um, zwinkerte Chantal von der Tür aus aber noch einmal zu und hielt den Daumen hoch.
Beim Mittagessen entspannte sich sogar Martin langsam.
„Und“, fragte er, „erzähl mal, Chantal, was machst du jetzt eigentlich?“
Sie schnitt langsam ihr Schnitzel in kleine Stücke.
„Ich arbeite“, sagte sie ohne aufzublicken.
Vincent strich ihr beruhigend über den Unterarm.
„Es ist keine Zeitarbeit. Ich bin fest angestellt und verdiene Geld.“
„Und was für eine Arbeit ist das?“
„Martin“, murmelte Carina. Sein Tonfall gefiel ihr nicht. Er klang zu sehr nach Verhör und Vorwurf.
„Wenn Mama dir noch nichts davon erzählt hat, kann ich dir auch nicht helfen“, schnappte Chantal.
Alle erstarrten.
„Chantal, bitte.“
„Ich arbeite in einem kleinen Café. Ich kellnere da. Und der Chef bringt mir gerade bei, wie man die Buchführung macht.“
„Siehste, war doch gar nicht so schwer“, sagte Martin. „Das ist doch eine gute Arbeit. Und davon kannst du leben?“
„Kann ich.“
„Und was arbeiten Sie, Vincent?“
Er lehnte sich entspannt zurück. „Ich studiere Maschinenbau.“
Kevin lachte. Martin warf Carina einen verzweifelten Blick zu.
Chantal lehnte sich über den Tisch. „Was hast du bitte gegen einen Mann, der Maschinenbau studiert?“
„Er hat gar nichts dagegen“, sagte Carina schnell. „Nicht wahr, Martin?“
Martin hatte den Mund voll. Er kaute betont langsam, griff nach der Kartoffelschüssel und legte sich nach.
„Martin?“
Er stellte die Schüssel ab und schaute in die Runde.
„Es ist okay. Chantal, du hast dir einen guten Mann ausgesucht.“
„Papa, was ist denn los?“
„Später, okay? Lass uns in Ruhe essen.“
Die anderen schauten sich an. Carina zuckte mit den Schultern und legte den Finger an die Lippen. Den Rest der Mahlzeit sprachen sie über andere Dinge.


22. Dezember, Sonntag
Kevin war noch vor seinen Eltern auf. Als sie aufstanden, roch es sogar schon nach Kaffee.
„Sag mal, was ist denn mit dir los?“
Kevin zuckte mit den Schultern und wurde rot. Er wandte sich schnell ab.
„Kevin?“
„Ist ne Entschuldigung“, sagte er.
„Wofür?“
„Für mein Scheiß, den ich gebaut hab.“
Jetzt sah er sie endlich an.
„Echt. Das war nur aus Spaß. Wir dachten, das ist alles nicht so schlimm. Konnte ja nicht wissen, dass sich da jemand so drüber aufregt.“
„Kevin“, sagte Carina sanft. „Papa ist mit dir sogar zu der Wand gefahren und hat ein Bild davon gemacht, weil er auf deine Art zu malen stolz ist. Und was das Gericht angeht: Du hast die Konsequenzen doch akzeptiert. Und Papa und ich werfen dich deswegen auch nicht raus.“
„Chantal habt ihr rausgeworfen“, sagte er mit Blick zur Wand.
„Das haben wir doch gar nicht getan!“ erwiderte Carina erschrocken.
„Klar habt ihr das! Papa auf jeden Fall. Denkst du, sie ist einfach so abgehauen? Er wollte sie nicht mehr haben.“
„Das bildest du dir ein.“
„Frag ihn doch selbst.“
„Das werde ich tun. Magst du deine Schwester denn noch? Freust du dich, dass sie wieder hier ist?“
„Ja. Und Vincent ist cool.“
„Gut. Wie ein großer Bruder?“
„Könnte man so sagen.“
„Hol sie mal“, sagte Carina.
In dem Moment ertönte von oben ein Schrei, ein zweiter, eine knallende Tür, dann kam jemand mit schweren Schritten die Treppe runter.
Martin trat ein, steuerte direkt auf die Kaffeekanne zu und goss sich eine Tasse ein, verdünnte sie mit kaltem Wasser und trank sie leer.
„Guten Morgen?“ Carina verschränkte die Arme und sah ihm Mann zu.
„Hast du erlaubt, dass die sich Chantals Zimmer teilen?“
„Sie sind erwachsen. Natürlich dürfen sie das.“
„Als ich gerade bei Chantal die Tür öffnete, um sie zu wecken, erwischte ich sie in flagranti. Voll dabei!“
Kevin lachte.
„Was gibt’s da zu lachen?“ fuhr Martin ihn an.
„Ich finde es witzig! Ey Papa, was denkst du denn, was die machen? In getrennten Zimmern schlafen? Wenn Lucys Freund hier wär, würden die sich auch ein Bett teilen!“
„Lucy hat einen Freund?“
„Martin, beruhig dich“, sagte Carina sanft.
„Ich denke gar nicht daran! Die können gleich wieder fahren!“
„Papa, was brüllst du hier so rum?“ Lucy kam, noch mit nassen Haaren, ungeschminkt, im Kapuzenpullover, in die Küche.
„Er hat Chantal und Vincent beim Poppen erwischt!“ Kevin grinste immer noch.
„Papa, was hast du für ein Problem? Du kannst es nicht ausstehen, dass Vincent studiert. Oder geht’s um den Maschinenbau? Und jetzt meckerst du hier rum, dass meine erwachsene Schwester mit ihrem Freund Sex hat? Ich hab‘s nicht mal gehört, so leise waren die!“
Martin lief rot an. „Es reicht.“
„Papa, du hast sie ja wohl nicht mehr alle.“ Das war Chantal. Sie betrat die Küche und ging direkt auf Martin zu. Vincent blieb neben Lucy stehen.
„Was hast du für ein Problem?“
„Okay.“ Martin beruhigte sich mühsam. „Wir klären das jetzt.“
Carina schenkte reihum ein, Lucy reichte den Brotkorb herum.
Als das Frühstück fast beendet war, schaute Martin auf.
„Entschuldigung“, sagte er zu Chantal und Vincent. „Ich wollte euch nichts Böses.“
„Okay“, murmelte Chantal.
„Ich bin dein Vater“, fuhr Martin fort. Seine Schultern waren verspannt, er bewegte sich unbehaglich. „Ich will doch nur dein bestes.“
„Und deswegen klopfst du nicht an und brüllst herum?“
„Das war wohl ein Fehler“, murmelte er.
„Ja, das war es!“
„Ich lass euch in Zukunft in Ruhe“, versprach er.
„Du lässt uns in Ruhe? Das ist ja nett! Das heißt also, wir reden in Zukunft gar nicht mehr miteinander?“
Carina spannte sich an, bereit dazwischen zu gehen.
„So habe ich das nicht gesagt!“
„Aber gemeint! Ich passe dir doch nicht mehr. Oder weißt du nicht mehr, was vor ein paar Monaten hier los war?“
„Ich rede doch wieder mit dir?“
„Das reicht“, sagte Carina. „Martin, hör endlich auf damit!“
„Wieso ich? Warum kann sie nicht endlich mal einsehen, dass sie einen Fehler gemacht hat…“
Da war er raus, der Satz. Einen Moment herrschte Stille in der Küche.
„Ich habe einen Fehler gemacht? Welchen? Meinen eigenen Kopf zu haben? Zu leben, wie es mir gefällt?“ In Chantals Stimme war ein Unterton, der Carina gar nicht gefiel. Vincent nahm Chantal schützend in den Arm. „Und was passt dir nicht daran, dass Vincent Maschinenbau studiert?“
„Ich wollte immer studieren“, sagte Martin und rang um Beherrschung seiner Wut. „Aber ich durfte nicht. Du weißt doch, wie Opa ist. Er verbot es mir. Er sagte, in dieser Familie gab es immer nur Handwerker und Angestellte und das soll ich bitteschön auch werden. Studieren, das ist was für die bessere Gesellschaft.“
„Wie asbach ist das denn?“ fragte Lucy entsetzt.
Martin zuckte mit den Schultern.
„Ich bin also noch willkommen, weil ich einen normalen Job habe, aber ich soll mir bitte einen anderen Mann suchen?“
„Chantal!“
„Na, ist doch wahr!“
Martin schwieg.
„Papa?“
„Nein. So habe ich das nicht gemeint. Es tut mir leid.“
„Wirklich?“
„Wirklich.“ Er war kein Mann von großen Gesten. Chantal reichte die Zusicherung. Sie wusste, dass von ihrem Vater nicht mehr kommen würde.
„Wir wollten euch was erzählen“, sagte sie.
Kevin legte sein Smartphone weg, Lucy schaute auf. Carina ahnte was.
Chantal holte tief Luft. Vincent lächelte ihr zu.
„Ich bin schwanger.“

Lucy erholte sich als erste von der Überraschung. Sie sprang auf und umarmte Chantal stürmisch.
„Das ist ja toll! Wann ist es denn soweit? Wisst ihr schon, was es wird?“
Chantal drückte sie an sich. „Nein, noch nicht. Vielleicht lassen wir uns ja auch überraschen. Das Kind kommt im Mai.“
Jetzt fiel es auch auf. Chantal trug heute wie gestern ein sehr weites Pulloverkleid. Und natürlich zeichnete sich der Bauch darunter schon ab.
Kevin gab Vincent verlegen die Hand. „Super, Mann.“
Ihre Eltern standen unter Schock. Lucy ließ Chantal um und drehte sich zu ihnen um.
„Könntet ihr euch bitte mal für sie freuen? Oder bekommt sie jetzt noch mehr Stress, weil sie ein Kind kriegt?“
„Wollt ihr wirklich, dass wir vor Weihnachten wieder fahren?“ In Chantals Augen standen Tränen.
„Nein!“ Carina umrundete den Tisch und legte ihrer Tochter liebevoll die Arme um die Schultern und drückte sie an sich. „Du bist doch unsere Tochter! Ich habe dich im Frühjahr nicht rausgeworfen und ich werde es auch jetzt nicht tun! Es kommt nur ein bisschen unerwartet, mein Schatz.“
„Mama, ich bin zweiundzwanzig! Du warst auch nur zwei Jahre älter, als du mich bekommen hast! Und haben deine Eltern damals was gesagt?“
„Ja, haben sie“, brummte Martin.
Chantal, Lucy, Kevin und Vincent drehten unisono die Köpfe und sahen ihn an. Carina hatte eine Hand über die Augen gelegt.
„Opa hat mich in sein Büro mitgenommen, von der Kaffeetafel weg, wo die halbe Verwandtschaft saß und ich stand da wie als kleiner Junge vor meinem eigenen Vater und konnte mir anhören, für was für einen miesen Kerl er mich hält, weil ich seiner Tochter ein Kind gemacht hab.“ Martin schwieg einen Moment. Nicht einmal Kevin bewegte sich. Diesen Teil der Familiengeschichte hatten sie nie erzählt. Der Opa und Martin waren heute die besten Freunde, die man sich vorstellen konnte.
„Er hat mich ausgehorcht. Wollte alles wissen. Und sagte, wenn ich dich sitzen lasse, findet er mich und ich würde mir wünschen, ich wäre geblieben.“
„Das denkst du dir aus, oder?“
Carina schüttelte den Kopf. Sie war blass geworden. „Das stimmt.“
„Wow, das ist abgefahren“, sagte Kevin.
„Dann verstehe ich dich nicht, Papa“, sagte Chantal. „Warum bist du dann so sauer, dass ich mir einen Job gesucht habe, der mir Spaß macht und einen Mann gefunden habe, der was Normales studiert und warum bist du dann so sauer, dass ich ein Kind bekomme, wann es mir passt?“
„Das verstehst du nicht…“
„Was verstehe ich daran nicht?“ fragte Chantal betont ruhig.
„Es gibt überhaupt keinen Grund, stimmt’s? Außer, dass es DIR nicht in den Plan passt!“
„Chantal!“
„Hast du Chantal schon von dem Lottogewinn erzählt?“ fragte Lucy.
„Was für ein Lottogewinn?“ fragte Chantal. „Hier erfährt man echt gar nichts!“
„Schatz, den gibt es nicht mehr“, sagte Carina.
„Wie, den gibt es nicht mehr?“
„Die Bank, der wir das Geld anvertraut haben, hat es verzockt.“
„Papa ist so ein Loser!“ rief Kevin.
„Kevin!“ Dieses Mal kam der Ausruf gleich von drei Frauen. Er wurde rot. Vincent lachte auf und hielt dann die Luft an, weil er sehr genau sah, dass sein Schwiegervater in spe gleich explodieren würde.
„Entschuldige dich bei ihm! Sofort!“
Kevin starrte aus dem Fenster.
„Wird’s bald?“
„Tschuldige, Papa. Echt. Kannst ja nichts dafür.“ Das fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein. Dass er da wirklich nichts für konnte, dass die Bank sein Geld durch den Kamin geschoben hatte.
„Und was jetzt? Habt ihr von dem Geld schon was ausgegeben?“
Carina nickte. „Wir alle. Lucy…“
„Mama?“
„Ich weiß, dass du die Kreditkarte zum Shoppen mitgenommen hast vor ein paar Tagen. Als du mit Kevin unterwegs warst. Und mit deinen Freundinnen.“
„Bist du sauer?“
„Lucy, natürlich bin ich sauer, wenn du mir eine Kreditkarte klaust und damit einkaufen gehst! Zumindest fragen hättest du können!“
Lucy machte den Mund auf und wieder zu.
„Ja okay“, murmelte sie. Ihr ging plötzlich auf, dass ihre Mutter Recht damit hatte.
„Tut mir leid. Also, soviel war’s ja nicht, was wir ausgegeben haben. Ich such mir nen Job und zahl’s dir zurück.“
Carina holte tief Luft. Ihr Blick traf sich mit dem von Martin. Der schüttelte den Kopf.
„Lucy, das brauchst du nicht. So viel war es ja nicht. Wir schaffen das schon.“
„Danke“, murmelte sie.
„Und was wird aus der Party?“ fragte Kevin.
„Was für eine Party?“ fragten Vincent und Chantal gleichzeitig.
„Ihr erzählt euch doch sonst immer alles“, sagte Martin.
„Eine Party für alle“, antwortete Carina. „Freunde, Familie, Nachbarn. Hier haben eine Menge Leute mitbekommen, dass wir einen großen Gewinn gemacht haben und sie wollen was abhaben vom Kuchen. Also machen wir eine Riesenparty.“
„Aber das Geld ist doch weg.“
„Für eine Party reicht es noch. Und danach reden sie über das Fest, danach kommt Weihnachten und Silvester und nächstes Jahr passieren schon wieder ganz andere Sachen.“
„Super.“ Chantal grinste. „Eine Party, das fetzt doch richtig.“
„Schatz, du bist schwanger“, begann Vincent.
„Aber nicht so sehr, dass ich nicht feiern kann! Ich muss ja nichts trinken, aber wehe, ihr sperrt mich in meinem Zimmer ein, während ihr Spaß habt…“
Lucy lachte. „Das wär doch ne Idee.“
„Du kannst mich mal.“ Aber Chantal grinste dabei.
„Okay, dann müssen wir jetzt mal überlegen, was wir noch brauchen.“
„Ihr habt noch nichts geplant?“ rief Chantal entsetzt. „So geht das nicht. Ich helfe euch.“
„Also, dann haben wir genug zu tun. Heute ist der letzte verkaufsoffene Sonntag. Wir müssen noch einkaufen. Das sollten wir am besten nicht alles morgen machen.“
Vincent holte sich was zu schreiben.
Sie diskutierten und feuerten Ideen ab. Die Liste füllte sich. Dann verteilten sie die Aufgaben.
„Perfekt!“ rief Martin und rieb sich die Hände. „Das wird die Party des Jahres. Danach haben sie genug, worüber sie reden können!“

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