Sehnsucht 2
von Arnold Hohmann (myradias)

Kapitel
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An einem Sonntag

Es war an einem Sonntag. Elf Uhr fünfundvierzig am Morgen. Ich wachte auf und war noch mehr als benebelt von dem vorigen Abend. Eine Studentenfeier auf der man wie üblich zu viel Alkohol zu sich nahm. Jetzt war ich wach und lag neben ihr.

Es war nicht mein Bett, und auch nicht ihres. Es gehörte dem Mitbewohner eines Kumpels von mir, der es mir für diese eine Übernachtung überlassen hat, da er selber dieses Wochenende nicht in der Stadt war. Mein Kumpel hatte nebenan ein Zimmer und schlief mit aller wahrscheinlichkeit noch. Er war wohl genau so besoffen wie ich gewesen und hatte nun genug daran zu tun, den Rausch völlig auszuschlafen.

Sie saß auf dem Bett mit einer E-Gitarre in der Hand. Die E-Gitarre war an einen klitztekleinen Verstärker angeschlossen und die Akkorde, die aus der Box schalten, klangen wie die Töne aus einem Radio. Das Zimmer selbst war klein. Es war das Zimmer, dass zu einer Zweizimmerwohnung in einem neu gebauten Studentenheim gehörte. Modisch und steril. Die Poster und Postkarten an der Wand nahmen der Kälte. Doch erzeugten sie in meinem Zustand lediglich ein Gefühl von Pseudoanarchie.

Sie hatte nur ihre weiße Unterhose an, die, obwohl es kein Stringatnga war, äußerst erotisch auf mich wirkte. Unter ihrem beige-rosa T-Schirt zeichnete sich alles darunterliegende ab und ich wäre benahe wieder über sie hergefallen. Doch das hätte die Stimmung zersört, das passte nicht. Denn was gestern war kann heute nicht mehr gelten und für heute gilt noch nicht genug um etwas derartiges tun zu können.

Sie saß auf dem Bett im Schneidersitz und ihre rot-braunen Harre waren zerzaust von einer Nacht, die ich nicht als leidenschaftlich bezeichnen würde, weil wohl keiner von uns beiden mehr genau wusste, was wir vollzogen haben.
Ihr Harre hatten nun eine andere Farbe, als ich gestern die ganze Zeit vermutet hatte.

Jetzt sang sie zu den Radio ähnlichen Gitarrenakkorden aus dem Verstärker. Eine Melodie von so unvergleichlichem Charme, dass ich nicht wusste, welche Art von Trauer mich in diesem Moment überkam. Eine neue Art von Schmerz.

Es war ein Sonntag und morgen würde ich in eine neue Stadt ziehen. Raus aus Leipzig und weit weg in den Süden des Landes. Ich fühlte mich, wie man sich an einem Sonntag fühlt. So einem Ende nah. Doch das war der Sonntag der Sonntage. Und ihr Lied würde dieses Gefühl für immer verkörpern.

Irgendwann roch es nach Kaffee. Mein Kumpel ist aufgestanden und hat Frühstück gemacht. Wir alle drei saßen noch ein bis zwei Stunden zusammen. Dann verließ ich die Runde. Ich zog am nächsten Tag um. Ich sah sie nie wieder.

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