TV-Leap: Mad Neks
von Carsten Maday

Kapitel
 

Ich erwachte. Für den Hauch eines Augenblicks fühlte ich mich glücklich. Das kam nicht häufig vor in meinem seltsamen Leben, das mich immerfort in neue Rollen schlechter B-Movies springen ließ. Es war stets eine Mischung aus Freude und Angst, wenn ich in eine neue Rolle sprang. Freude, dass ich die letzte Rolle überlebt hatte, und Angst vor dem, was mir in der nächsten bevor stand.
Diesmal war es anders. Ich hatte meine Liebe wiedergetroffen. Ja, und ich hatte Sex gehabt. Jede Menge sogar, was um so erstaunlicher war, da ich in dem an Sex und Gewalt so reichen B-Movies zumeist nur das weniger erfreuliche davon abbekam. Seltsamerweise gelangt mir körperliche Nähe nur mit Mechthild, einer hünenhaften, muskelstrotzenden Germanin in einem abenteuerlichen Science-Fiction Spektakel. Nun hatte sie zum zweiten Mal eine Rolle in meinem Leben gespielt. Ich hoffte wehmütig, dass es eine Trilogie werden würde. Meine Rolle als aus der Vergangenheit entführter römischer Zenturio, der gegen einen fiesen, die Galaxie unterjochenden Kaiser kämpfen musste, war zwar gefährlich für Leib und Leben gewesen –und damit meine ich nicht den Sex mit der Germanin-, aber ich fürchtete sehr, dass nach dem amourösen Zuckerbrot nun die Peitsche kam.
Ich öffnete misstrauisch die Augen und sah überrascht in das wunderschöne, asiatische Gesicht einer jungen Frau. Die Frau nickte mir verschwörerisch zu. Dann nahm ich den Rest der Szene auf. Ich hockte in einem geräumigen halbrunden Fellzelt, das an eine Felswand gebaut war, die weitgehend von bunten und künstlerisch wertvollen Wandteppichen bedeckt war. In der Mitte des Zeltes saß ein alter Mann an einem Feuer und brummte auf gutturale Weise. Er war hager und seine Haut war wie altes Leder. Er war ein Schamane, geschmückt mit unzähligen Federn, Knochen und sonstigem Zeug. Im Halbkreis um ihn herum hockten neben der jungen Frau und mir noch ein halbes Dutzend asiatischer Jünglinge. Sie schienen aus mindestens genauso vielen verschiedenen Ländern zu kommen, vereint allein durch die Bekleidung aus Fell und Leder. Aha, dachte ich. Vielleicht ein amerikanischer Film über die Mongolen. Die wurden auch mal gerne mit Japanern, Chinesen und Koreanern besetzt. Was mir seltsam vorkam, war, dass sich nur eine junge Frau unter der Gruppe befand. Ich sah an mir herab und hob schnell wieder den Kopf. Der flüchtige Blick ließ keinen Zweifel zu. Ich seufzte. Gut, warum saßen also zwei Frauen unter einer Gruppe von jungen Männern? Ich verdrängte die Frage erschrocken, als Begriffe wie Experimentelle Ethnopornographie durch meinen Kopf schossen.
Das tiefe Brummen des Alten schien alle in eine Art Trance versetzt zu haben. Bis auf mich und die junge Frau, die zwar die Augen schloss, aber belustigt grinste.
Ich nutzte die unbeobachtete Gelegenheit, um mich genauer anzusehen. Vielleicht war ich ja eine Art sexy Gong Li, die- Ich sah an mir herab. Also keine Gong Li. Meine kurzen Beine steckten in Wildlederhosen mit Stiefeln. Ich trug eine ärmellose Fellweste, hatte ordentliche Brüste und ziemlich muskulöse Arme. Ich zog das Messer, das an meiner Seite hing, und spiegelte mich auf der blanken Schneide. Ich seufzte erneut. Anscheinend war ich die einzige Originalbesetzung in dem Film über die Mongolen. Leider keine liebreizende Bogenschützin oder charismatische Viehwirtin, sondern der weibliche Odd Job unter den Mongolen.
>Damit ist wenigstens der Porno von Tisch<, murmelte ich leise. Das Brummen riss abrupt ab, als der Alte den Kopf hob und mich mit einem scharfen Blick bedachte. Langsam erwachten die anderen aus ihrer Trance. Der Schamane erhob seine heisere Stimme:
>Heute ist die Nacht der Prüfungen. Ihr werdet aus Kindern zu Kriegern werden. So wie eure Väter vor euch. Und vor ihnen deren Väter. So geschieht es seit Urzeiten. Doch heute ist etwas anders. Zwei Mädchen begehren Einlass in den Kreis der Krieger.<
Aha, dachte ich. Daher wehte der Wind also. Wahrscheinlich mussten wir eine physisch herausfordernde, aber nicht wirklich gefährliche Prüfung ablegen, durch die wir große Weisheit-
>Die Mädchen wollen sich den übergroßen Gefahren der Prüfung stellen<, fuhr der Alte fort. >Viele Leute meinen, dass dies ein Frevel gegen unsere geheiligten Traditionen sei.< Damit meinte der Schamane augenscheinlich sich selbst.
>Andere meinen, dass sich die Zeiten ändern müssen. So wie dein Vater, Nu Jong, der unser verehrungswürdiger Häuptling ist.< Er bedachte Nu Jong mit einem ätzenden Blick, den sie trotzig erwiderte.
>So fragte ich dich, Nu Jong, und deine Dienerin Neksai-< Mein Aufstöhnen unterbrach den Alten. Das war es also! Ich war die unansehnliche Kammerzofe mit dem Herz aus Gold und Nu Jong die burschikose Prinzessin. Hoffentlich musste ich meine Herrin nicht durch die heroische Opferung meines Lebens retten. Der Blick des Schamanen bohrte sich vorwurfsvoll in mich.
>So frage ich euch<, fuhr der Alte ungehalten fort. >Warum wollt ihr in den Kreis der Krieger aufgenommen werden?<
Nu Jong blickte dem Schamanen ins Auge und antwortete mit fester Stimme:
>Weil ich glaube, dass es nichts auf dieser Welt gibt, das eine Frau nicht ebenso gut kann wie ein Mann.< Der Alte zuckte sichtlich unwohl, antwortete aber nichtsdestotrotz:
>So sei es.< Dann sah er mich an. So unterstützenswert ich Nu Jongs emanzipatorischen Ansatz auch fand, so fürchtete ich doch, dass sie als Leitbild der mongolischen Frauenbewegung aus dieser Sache hervorging und ich tot.
>Also ich weiß nicht<, flüsterte ich Nu Jong zu. >Ob wir Frauen wirklich alles können, was die Männer-<
Die junge Frau funkelte mich wütend an.
>Was soll das jetzt, Neks<, zischte Nu Jong, die mich anscheinend lieber bei einer Kurzform meines Namens nannte. >Wir waren uns doch einig. Möchtest du wirklich zu den anderen Frauen ins Zelt der Empfängnis?<
>Weil ich glaube, dass es nichts auf dieser Welt gibt, das eine Frau nicht ebenso gut kann, wie ein Mann<, schoss es aus mir im Brustton der Überzeugung hervor.
>So sei es<, sagte der Schamane. >So vernehmet eure Aufgabe. Gehet hin, und suchet eine Feder vom Gell-Adler.<
Nach und nach bekamen auch die anderen Jünglinge ihre Prüfungsaufgaben. Dann wurden wir entlassen, um noch in dieser Nacht zu unseren Prüfungen aufzubrechen. Als Nu Jong die Jurte verlassen wollte, hielt der Schamane sie zurück.
>Einen Augenblick, Nu Jong. Ich habe da noch etwas für dich. Es wird nicht lange dauern.<
Nu Jong sah ihn überrascht an und nickte.
>Warte so lange in unser Jurte, Nesksai<, sagte sie.
>Okay, ich habe ohnehin noch etwas zu erledigen<, antwortete ich. >Wo genau war noch einmal unsere Jurte? Ich bin von der Trance noch so verwirrt.<
Mit Nu Jongs Beschreibung fiel es mir nicht schwer, die Jurte in der verschneiten Siedlung zu finden. Da niemand anderes in der Jurte war, zog ich mir eilends meine Sachen aus und stand bald nackt im Zelt. Ich sah an mir herab. Ohne auf einige erschütternde Details eingehen zu wollen, hatte ich den kurzen, gedrungenen Körper einer Gewichtheberin im Fliegengewicht nebst großem Busen. Ich wusste, ich hatte wenig Zeit. Also verlor ich keine. Ich hielt meine Brüste fest im Blick und begann auf und ab zu hüpfen.

>Hast du alles erledigt<, fragte Nu Jong, als sie in die Jurte trat. Ich hatte mir gerade den Gürtel um die warme Felljacke gewickelt und war bereit zum Aufbruch.
>Ja<, antworte ich. >Habe ich. Hat aber irgendwie weniger Spaß gemacht, als ich erwartet habe. War sogar richtig unangenehm dieses unkontrollierte Schwingen. Na ja, was wollte der Schamane von dir?<
>Es war seltsam.< Sie schien einen Augenblick zu überlegen, ob sie mir davon erzählen sollte. Dann winkte sie ab.
>Packen wir unsere Sachen und machen wir uns auf den Weg.<
>Ja<, sagte ich. >Holen wir uns diese Feder.< Ich lächelte Nu Jong aufmunternd zu. Wie schwierig konnte es schon sein, eine Adlerfeder aufzutreiben?

>Also eines verwundert mich doch an unserem Schamanen. Gut, mein Vater hat sich für uns bei ihm stark gemacht. Aber wenn der Schamane es wirklich gewollt hätte, hätte er uns nicht zur Kriegerprüfung zulassen müssen. Der Alte lässt sich doch sonst von niemandem etwas sagen. Auch von meinem Vater nicht.<
>Aha<, sagte ich mit unterdrückter Panik in der Stimme. >Sehr interessant.< Mehr Interesse konnte ich nicht heucheln. Ich war zu sehr damit beschäftigt, nicht nach unten zu sehen, während ich langsam mit zwei Eispickeln eine überhängende Schneewand hinauf kraxelte. Da wir in der schwärzesten Nacht aufgebrochen waren, hatte ich nicht viel von der Mongolensiedlung und der Gegend gesehen. Aber als die Sonne ihre ersten Strahlen auf die winterliche Schneelandschaft sandte, wurde mir klar, dass ich mich nicht in der mongolischen Steppe befand. Eher im Altai-Gebirge. Wenn überhaupt. Etwas kam mir seltsam vor. Niemand sprach davon Europa und Bagdad auf kleinen, zähen Pferden zu verwüsten. Anscheinend hatte der Stamm überhaupt keine Pferde. Er züchtete sogenannte Vierhornrinder, vermutlich eine Art Rentier. Und in der Moderne schien meine Rolle auch nicht zu spielen. Es gab weder Feuerwaffen noch Konsumartikel, Fahrzeuge schon gar nicht. Hoffentlich war das hier kein Fantasy-Film, und Nu Jong musste irgendein magisches Artefakt suchen, die Welt retten und den Traumprinzen finden.
>Wenn ich Elfen sehe, schreie ich aber<, brummte ich missmutig vor mich hin.
>Was hast du gesagt<, hörte ich Nu Jong fragen. Sie saß bereits oberhalb der Schneewand und sicherte mich mit einem Seil. Das war zwar beruhigend, aber angesichts der schwindelnden Höhe, in der wir uns befanden, nicht beruhigend genug. Und wir mussten noch höher auf den schneebedeckten Berg hinauf. Es hatte sich heraus gestellte, dass der Gell-Adler dicht unterhalb des Gipfels dieses gottverlassenen Monsterberges lebte. Die anderen Prüflinge durften irgendwelche wilden Vierhornrinder zähmen oder ähnliches. Aber mich musste es natürlich in ein Bergsteiger Drama verschlagen.
>Ach nichts<, sagte ich furchtsam. Ich war nicht gerade schwindelfrei und die Schneewand machte den Eindruck, als wolle sie jede Sekunde mit mir in die Tiefe stürzen.
>Seltsam ist es schon<, fuhr Nu Jong fort. >Wenn der Alte uns wirklich nicht hätte dabei haben wollen, hätte er es nicht tun müssen. Und wenn doch, warum tut er dann so, als sei er dagegen?<
>Zu viele Pilze vielleicht?<, spekulierte ich. >Ist immerhin ein Schamane. Habe mich immer gefragt, warum Leute, die was weiß ich alles schlucken und mit Wesen einer anderen Welt kommunizieren, als besonders weise gelten.<
Nu Jong überging diesen Einwand geflissentlich.
>Und dann hat er mir noch sein geheiligtes Amulett gegeben und gemeint, ich werde wissen, wann ich es einzusetzen habe.<
Ich schlug keuchend meinen Eispickel in den Schnee und zog mich über die Kante. Wir krabbelten etwas von dem Abgrund fort. Erschöpft legten wir uns in den Schnee. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne spielte auf meinem Gesicht und verursachte ein angenehmes Prickeln auf der tauben Haut. Wir aßen und tranken etwas. Dann machten wir uns wieder auf den Weg. Wir sahen den Gipfel bereits. Nur noch über ein langes, steiles Schneefeld und wir waren da. Unsere Füße brachen bei jedem Schritt durch die harschige Schneedecke. Wir waren schwer bepackt. Neben der warmen Kleidung trugen wir Proviant, Decken, ein Zelt und Waffen bei uns. Nu Jong hatte ein kurzes Schwert, ich ein Jagdmesser und einen Bogen samt Pfeilen. Wir trugen beide Helme mit warmem Felleinsatz und Rundschilde, die wir auf dem Rücken transportierten. Alles sehr unpraktisch aber anscheinend traditioneller Bestandteil der Prüfung. Bei diesem Gewicht war jeder Schritt im Schnee eine Qual. >Vielleicht ist es ja so eine Lehrer-Schüler Sache<, sagte ich zu Nu Jong. Wir hatten bereits ein gutes Stück über das Schneefeld zurückgelegt. Ich ging voran. Nu Jong folgte ein paar Meter hinter mir am Seil.
>Wie meinst du das<, fragte sie.
>Vielleicht wollte der Schamane durch seinen Widerstand deinen Ehrgeiz zusätzlich anregen. Deshalb hat er dich immer... Argh!< Die Schneedecke gab unter mir nach und ich stürzte schreiend in eine Gletscherspalte. Schnee fiel mir in die Augen, als ich in die Tiefe raste. Ich sah nichts mehr. Dann spannte sich das Seil mit einem Ruck.
>Kannst du mich halten?<, schrie ich panisch, während ich hilflos über dem Abgrund strampelte. >Lass mich nicht los!<
>Beruhig dich, Neks<, hörte ich Nu Jongs Stimme über mir. >Ich halte dich. So tief ist es übrigens auch nicht.< Ich blinzelte den Schnee aus meinen Augen und sah hinab. Die Gletscherspalte war keine drei Meter tief. Sie verlief zu beiden Seiten wie ein Tunnel unter der Schneedecke. Zur rechten Seite führte der Tunnel weiter in die Tiefe hinein.
>Puh<, machte ich erleichtert, als Nu Jong mich aus der Gletscherspalte gezogen hatte. >Ich dachte im ersten Moment wirklich, es wäre diesmal um mich geschehen.<
>Das muss dir nicht peinlich sein<, sagte Nu Jong, als sie mir den Schnee aus der Kleidung klopfte.
>Todesangst ist mir nie peinlich<, antwortete ich.
Nach dieser Schreckminute setzen wir unseren mühsamen Weg fort. Wir näherten uns dem Gipfel.
>Wir sind bald da<, keuchte Nu Jong. >Da oben muss das Nest sein.<
>Vermutete ich auch<, sagte ich, als ich in den strahlenden Himmel blickte. >Ich glaube, ich kann sogar den Gell-Adler sehen. Da vorn. Er kommt gerade aus der Sonne. Ziemlich verschwommen. Jetzt verstehe ich auch, warum er Gell-Adler heißt. Weil er dieses lautgellende Knattern beim Flug macht. Na nu, es sind sogar vier!<
>Was!<, rief Nu Jong erschrocken. >Es gibt nur einen.<
Dann rasten vier riesige Schemen aus dem Sonnenlicht über unsere Köpfe hinweg. Die Rotoren der vier Hubschrauber wirbelten feinen Schnee auf. Es waren drei schwere Transport- und ein schneidiger Kampfhubschrauber. Sie waren weiß und hatten ein unheimliches, futuristisches Äußeres. Erschrocken sahen wir, dass die Maschinen Richtung Siedlung flogen. Mein Entsetzen vergrößerte sich noch mehr, als der kleinere Helikopter kehrtmachte und auf uns zuhielt.

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