Der größte Hexer aller Zeiten
von Carsten Maday

Kapitel
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>Hmmm! Hmmmmmmmm!<
>Nanana, meine Dame! Wer wird sich denn gleich aufregen?<
Georg Herder zieht den Knebel ein wenig fester, überprüft noch einmal die Fesseln.
>Meine Dame!<, er verbeugt sich höhnisch höflich vor seiner Gefangenen. >Ihr solltet nicht ängstlich sein, eher stolz, dass ihr (zumindest ein Teil von Euch) zu diesem glorreichen Werk betragen könnt!<
Er legt seine zartgliedrige Hand auf ihre Wange. Die junge Frau wendet sich ab. Panik liegt in ihren Augen. Tränen tränken den Knebel.
>Gut, gut!< Georg zieht seine Hand fort und geht zu dem Schreibtisch. Schwere Folianten liegen darauf, einige offen, andere geschlossen, manche gar verriegelt. Er klappt den schweren ledernen Deckel eines Buches zu. Fremde Schriftzeichen sind darauf. Eine dämonische Fratze soll allzu neugierige Leser abschrecken. Unter dem Deckel ein Etui. Er öffnet es, entnimmt eine Zigarette. Er sieht sein Gesicht in dem Spiegel an der Innenseite des Etuis. Er lächelt sich zu.
>Georg Herder!<, sagt er. >Der größte Hexer aller Zeiten!< Das Etui schnappt zu.
>Nun, zumindest bald<, sagt er zu der Frau gewandt. Er sucht in den Taschen seiner Weste nach einem Streichholz und schlendert dann langsam zu dem Kaminfeuer, als er keines findet.
Er zieht den Schürhaken aus der Glut und entzündet seine Zigarette. Mit dem rotglühenden Schürhaken in der Hand schreitet er auf die junge Frau zu, deren Augen gebannt das Eisen fixieren, das unheilvoll in dem Halbdunkel des Laboratoriums glüht.
>Ich verstehe durchaus...<, sagt der Hexer mit einem bösem Lächeln und saugt dramatisch an seiner Zigarette und verschluckt sich. Er hustet, immer stärker, sieht ungläubig auf die Zigarette, lässt den Schürhaken fallen und stützt sich würgend an dem Pfeiler ab, an den er sein Opfer gefesselt hat. Endlich fängt er sich wieder. >Verzeiht meine Dame<, sagt er mit heftig errötetem Gesicht. Schweiß liegt darauf. >Nur einen Moment...HANS! HAAAAANS!<
Georg Herder wischt sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
Oben wird eine Tür aufgestoßen. Schritte schlurfen die Wendeltreppe hinab.
„Was ist das?< fragt der Hexer anklagend, als Hans endlich vor ihm steht.
>Meister?<
Der Meister hält Hans die Zigarette hin.
>Das, Hans. Was ist das?<
>Eine Zigarette, Meister?<
Georg Herder ist trotz seines jungendlichen Alters bereits ein erfahrener Hexer. Er hat die schwarze Kunst buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen. Seine Mutter starb bei seiner Geburt, ließ Gatten und Säugling allein zurück. So sagt man zumindest. Elfriede Herder, geborenen Müller, so heißt es in seiner Geburtsurkunde. Aber Georg hat seinen Alten Herren in Verdacht, ihn mit einer kleinen, heißen Dämonin gezeugt zu haben. Bei Vaters Ansehen war es keine Schwierigkeit, eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Und dieser Name: Elfriede Müller! Das sah dem grenzenlosen Einfallsreichtum seines Vaters ähnlich. Der alte Albrecht Herder war erst vor einigen Monaten unter seltsamen Umständen verschieden, und hatte seinem Sohn den Familienbetrieb überlassen: In- und Export sowie Beschwörungen aller Art.
Hans war schon der Diener seines Vaters gewesen. Eine treue Seele, die niemandem ein Leid zufügte, wenn man es ihr nicht befahl. Ein wenig verkümmert am Geiste, dafür enorm entwickelt am Rest.
Der treue Riese sieht ihn mit seinen stumpfen Augen an:
>Meister?<
>Die Zigarette, Hans! Sie ist von minderer Qualität!<
>Ähm?<
>Sie schmeckt wie schon mal geraucht, Hans!<
>Oh, es tut mit so leid, Meister, aber es ist einfach nix besseres zu kriegen. Kriech...<
>Jetzt heul nun nicht gleich los, Hans. Sei mal erwachsen, ja. Was soll den unser Opf, ähm Gast, von uns denken. Egal. Hans!<
>Ja, Meister!<
>Bringe mir das Operationsbesteck!<
>Ja, Meister!<
Georg Herder wirft sein langes und erstaunlich seidiges Haar zurück.
Hans schiebt ein Wägelchen herbei. Es quietscht. Der Hexer zwinkert der jungen Frau neckisch zu. Ihre Augen starren auf den Wagen, auf das Tuch, welches noch so gnädig ihren schlimmsten Alptraum verbirgt.
>Nun<, sagt Georg und zieht das Tuch fort. >Ich bin kein Unmensch, müsst ihr wissen.<
Er lässt seine Hand fast zart über die im Kerzenlicht funkelnden Messer, Bohrer, Sägen, Zangen und Spritzen gleiten.
>Ich bin Wissenschaftler, gut, Hexer, aber die Magie ist ja auch so eine Wissenschaft. Ungeheuer langes Studium, zu wenige offene Stellen, hahaha. Spaß beiseite. Ich brauche Eure Leber, hahaha. Die Leber einer Jungfrau...<
>Meister?<
>Hans?<
>Die Frau ist bewusstlos, Meister!<
>Wa...? Verdammt. Hans?<
>Meister?<
>Weißt Du eigentlich, was ich hier mache?<
>Nein, Meister!<
>Aber Du fragst Dich doch bestimmt manchmal, was ich hier mache, wozu all die Jungfrauen und in Alkohol eingelegten Gehirne gut sind, oder? Und die seltsamen Bücher, die zu flüstern scheinen, wenn man ihnen den Rücken zu wendet, hehehe?<
>Also, mit Lesen hab ich es ja nicht so, Meist...<
>Genug! Willst Du es also wissen?<
>Ähm, wie Du meinst, Meister.<
>Sehr kluge Antwort, mein lieber Hans! Ich habe alles zusammen! Fast alles. Nur noch die Leber einer Jungfrau und das Herz eines guten Priesters von adligem Geblüt. Leber hängt schon schlaff am Pfeiler...nun das Herz, das bringen mir Klaus und Enio nächste Woche Dienstag. Dann hab ich wirklich alles. Auch das Große Geheimbuch der Untoten. Dann kann ich Baal Arimann beschwören, den Größten aller Dämonen. An seiner Seite werde ich über die Welt regieren, hahahahaha, und alle werden...<
>Meister?<
>Ja, Hans?<
>Es hatte an der Tür geklopft, Meister!<
>Was? Um diese Uhrzeit? Wer kann das sein?<
>Der Briefträger, Meister. Der kommt immer um diese Zeit. Ist ja schon Vormittag, Meister. Du hast wieder viel zu lange gearbeitet.<
>Der Briefträger?<
>Ja, der alte Reinbach. Mit dem is immer gut ein Schwätzchen halten...<
>Geh nur, Hans, geh! Halt Du nur dein Schwätzchen, ich arbeite noch etwas weiter.<
>Übertreib es aber nicht, Meister!<
>Nein, nur noch einen kleinen Schnitt.<

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