Q-Tipp
von Rutz Rische

Kapitel
 

Was die Bäuerin dachte

Ab sechs Uhr Melken. Kühle, feuchte Luft eingeatmet. Versucht zu verdrängen, dass die Regel wieder ausgeblieben ist. Kälbchen gestreichelt. Kuhstall geöffnet. Alle rausgelassen. Über die Strasse. Berufspendler hupen und bringen die Tiere zum Wahnsinn. Beruhigend auf sie eingesprochen, damit sie nicht unkontrolliert loslaufen. Kontrolle. Geburtenkontrolle. Mit dem Stöckchen in frischem Kuhfladen gestochert.

Das Gras ist über Nacht nachgewachsen.
Jeden Tag das gleiche.
Den ganzen Tag haben die Tiere damit zugebracht, es abzufressen. Über Nacht ist es nachgewachsen. Wieder liegt das jungfräuliche Grün im sanften Rot der
aufgehenden Sonne. Bitteren Geschmack runtergeschluckt.

Gatter geschlossen. Heimgegangen. Gefrühstückt. Dem Vater Stullen geschmiert.
Nickerchen gemacht.
Von der Mutter geweckt. "Das gnädige Frollein ruht", hat die geschimpft.
Gras geschnitten.
Plausch mit den anderen gehalten.
In der Vormittagssonne geblinzelt.
Frühstück verdaut.
Zwei Wanderinnen bemerkt. Sicherlich aus der Stadt. Sicherlich legen die sich wieder halbnackt auf die Kuhweide.
Eigentlich sollte der Vater mal ein paar Takte mit ihnen reden.
Obwohl, die räumen ihren Müll immer weg und lassen die Tiere in Frieden.
Die haben ein Leben da in der Stadt.
Studentinnen wahrscheinlich. Obwohl- dafür sind die eigentlich schon zu alt.
Oder arbeitslos?
Typisch, und dann den ganzen Tag abhängen.
Und Drogen nehmen die sicherlich auch.
Auf den Landjugendfeten läuft nichts mit Drogen.
Aber gesoffen wird da.
Und nachts um zwei gerne mal eine Schlägerei.
An Matthias gedacht.
Lästige Fliegen abgewehrt.
Nachmittagssonne auf den Rücken scheinen lassen.
Kaffee getrunken.
Matthias zugesehen, wie er mit seinem Haflinger vorbeigetrottet kommt.
Gewunken. Aber der hat gar nicht rübergeschaut.
An die letzte Party gedacht.
Mich selbst verflucht.
Der Matthias ist nichts für Dich! Hatte die Mutter gewarnt.
Der lässt seinen Hof vergammeln, hatte der Vater gepoltert. "Eine Schande, der Alte würde sich im Grabe umdrehen."
Daran gedacht, dass der Matthias wirklich was besseres ist. Hat ja sogar studiert. Kein Wunder, dass der sich mehr für die Mädchen aus der Stadt interessiert.
Und richtig reiten kann er auch.
Aber finanziell scheints nicht zu stimmen, sagen die anderen.
Kein Wunder, wenn er in der Gegend herumreitet, statt sich um sein Heu zu kümmern.
Bäuchlein gestreichelt, das sich in ein paar Monaten bereits wölben wird.
Ne andere scheint er ja auch nicht zu kriegen.
Zarten Schimmer Hoffnung gespürt.
Nicht jeder hat einen so gepflegten Hof wie ihr, hatte Matthias ja selbst gesagt. Aufgestanden und eine Runde mit den anderen gegangen.
Wiese bewundert.
Durst bekommen. Rückenschmerzen.
Schluck Wasser getrunken.
Auf den Bach zugesteuert, wie jeden Tag um fünf. Frauen gemustert, die auf Wiese geraucht.
Durchs Gebüsch gedrückt. Frauen beobachtet, die Picknick-Korb nehmen und gehen.
Kühe zusammengetrieben.
Straße entlang. Berufspendler hupen schon wieder. Geflucht.

Unterwegs beunruhigende Schlagzeile überflogen.
Stehengeblieben. Nachgedacht. Weitergegangen.
Eine Kuh ist in Trab gefallen. Geflucht, weil sie Bahnübergang angesteuert. Geschrien. Ohnmächtig geworden. Ankunft des Tierkadavertransporters zum Glück nicht wahrgenommen. Im Krankenhaus zu mir gekommen. Verächtliche Worte der Eltern vernommen. Geseufzt. An Matthias gedacht. Geweint. Hauptsache, dem Kleinen geht es gut.

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