TV-Leap: Im Tiefen Tal der Super Echsen
von Carsten Maday

Kapitel
[ 1 ]  [ 2 ]  [ 3 ]  [ 4 ]  
 

>Bipoden, Tetrapoden, Mitsaurier, leiht mir euer Ohr!<
Der Wind strich sanft über das hohe Punjigras, als ich die Reihen der Dinoarmee abschritt. Wir hatten uns zu dem finalen Sturmangriff auf die Basis der LIMA-AG versammelt, deren Geschütztürme drohend in unsere Richtung starrten.
>Ich bin gekommen, Euch zu sagen, es wird ein gnadenloser, ein aussichtloser Kampf! Die Menschen sind die intelligente Spezies, sagen sie. Unsere Hirne aber sind klein. So muß es sein, denn die Menschen können sogar durch die Zeit reisen. Aber ist es weise durch die Zeit zu gehen, weil man die Rohstoffe der eigenen Zeit längst verschwendet hat? Es muss so sein, denn die Menschen sind die intelligente Spezies.
Die Menschen haben sich sogar untereinander bekriegt, um einander von dem Rohstoffabbau abzuhalten. Nun haben sie ihren Fehler bemerkt und machen gemeinsame Sache, denn die Menschen sind die intelligente Spezies.
Wir alle kennen ihren Plan, denn Mary Ann hat ihn uns verraten. Mit einer Rakete wollen sie einen gewaltigen Meteor aus seiner Laufbahn schießen, damit er auf die Erde kracht. Dann reisen sie durch die Zeit ein paar tausend Jahre in die Zukunft und bauen dann, nachdem sich die globale Staubwolke gelegt hat, die wertvollen Rohstoffe des Meteors ab. Wahrlich, der Plan einer intelligenten Spezies. Dass wir Dinosaurier aber dabei sterben, nehmen sie gerne in Kauf. Wir sterben ja ohnehin aus, sagen sie. Ob morgen oder in ein, zwei Millionen Jahren, dass ist nur für uns ein Unterschied, nicht für sie, denn sie sind ja die intelligente Spezies.
Wir sind dumm, ja, müssen es sein. Wie sonst könnten wir es wagen gegen die Menschen aufzubegehren? Lass uns unsere Dummheit nutzen, denn noch halten uns die Menschen für eine geringe Bedrohung. Darum sage ich, zeigen wir den Menschen, dass wir uns nicht mit ihnen an Intelligenz messen können, sie sich aber mit uns an Dummheit!<
Leise führ der Wind über das Gras. Ein abgerissener Busch wehte an uns vorbei, als ich in die ausdruckslosen Gesichter meiner Mitsaurier starrte. Ich hatte mich augenscheinlich mit meiner anfeuernden Rede vergriffen.
>Was soll´s<, schrie ich mit gefletschten Zähnen. >Gehen wir runter und treten den Menschen kräftig in den Arsch! Für uns! Die Freiheit und Schottland!<
>Für uns, die Freiheit und, ähm, Schottland?<, brüllten fast hundert Dinosaurier als sie sich den Hang hinab in Bewegung setzten. In großen Schritten ging ich dem Heer voran. Ein Buggy schoss heran und setzte sich neben mich. Ein Umweltaktivist saß am Steuer. Am MG stand Mary Ann.
>Interessante Rede<, lobte sie. >Schottland, wie?<
>Ja, ist so gut wie jedes andere Land<, sagte ich über meinen tragbaren Translator in Form eines Halsbandes. Sie nickte.
>Ach, die blau-weiße Farbe im Gesicht steht dir übrigens gut.<
>Danke<, knurrte ich und zeigte die Zähne. >Du verstehst es, einem T-Rex Komplimente zu machen.<
>Denkt daran<, sagte sie. > Haltet euch immer an den Plan.<
>Alles klar, Mary Ann.<
Sie klopfte dem Fahrer auf dem Helm. Der Buggy heulte auf, als der Fahrer Gas gab und davon raste.
>Eins noch, Mrs. T<, rief Mary Ann mir noch zu.
>Ja?<
>Viel Glück<, lachte sie.
>Ach leck mich doch<, rief ich hinterher und stampfte missmutig den Hang hinab.
Der Plan! Oh ja, wir würden viel Glück brauchen. Vielleicht nicht dafür, dass er aufging, aber dafür, dass möglichst wenige von uns ins Punjigras beißen.
Eigentlich hatte ich aus nahe liegenden Gründen nicht vorgehabt, mich kopflos in eine Schlacht zu stürzen, aber als uns Mary Ann von dem Plan der Menschen berichtete, war klar, dass ich nicht einfach abwarten konnte, bis ich aus dieser Rolle in eine andere sprang. Wenn es den Menschen tatsächlich gelang, einen Meteor auf die Erde stürzen zu lassen –wenn der Oberschurke und der Drehbuchautor skrupellos genug waren, würde es mit Sicherheit machbar sein- würde ich mich kaum vor den Auswirkungen verstecken können und solidarisch mit den anderen aussterben. Ich musste also handeln, was ich nie sehr gerne tat, denn handeln hieß in solchen Filmen immer, die Deckung verlassen und auf sich schießen zu lassen.
Um den Plan der Mensch zu vereiteln, mussten wir nur die Rakete zerstören, die an einem exakt berechneten Zeitpunkt gestartet werden sollte, um den Meteor Richtung Erde abzulenken. Startete die Rakete nicht pünktlich, würde der Meteor sich später nicht mehr auf Kurs Richtung Erde lenken lassen. Unsere Vorbereitungen hatten einige Wochen in Anspruch genommen. Wir hatten weitere Dinosaurier befreit, bis wir stark genug für einen Angriff auf die Hauptbasis der LIMA-AG waren. Und wie es die Dramatik verlangte, waren wir erst am Tag des Abschusses bereits für den Angriff. Die Basis war nur von einer Seite einzunehmen. Ein Berg schützte ihren Rücken. In tiefen Gängen wanden sich Teile der Basis durch den Berg. Auf einem Bergplateau befand sich die Raketenabschussrampe und ein Sendemast, über den die Halsbänder der geknechteten Dinosaurier gesteuert wurden. Wir mussten also nur die Verteidigungsanlagen der Basis überwinden, uns den Weg durch die Gänge kämpfen und die Rakete und den Sendemast zerstören und wir Saurier wären gerettet. Kein Problem also.
Der Versuch, eine verbrecherisch herbeigeführte globale Katastrophe in bester Bond-Manier abzuwehren, gliederte sich in zwei Phase. 1. Phase: Ein massiver Frontalangriff mit verbissener Gegenwehr. 2. Phasen: Der oder die Helden lösen sich im allgemeinen Gemetzel vom Hauptkampfgeschehen und gelangen irgendwie zu solchen neuralgischen Punkten, wie Kontrollzentren, Reaktoren etc., um dort einen Countdown zu stoppen.
Erste Phase: Ich erhielt endlich meine explodierenden Benzinfässer, als links und rechts von uns Feuerbälle in die Höhe schossen. Bei unserem Sturmangriff kam es zu schrecklichen Szenen (OH GOTT, mein Bein, bzw. mein Schwanz), zu anfeuernden Reden (Noch einmal, liebe Saurier, stürmt voran, noch einmal!), zu Szenen irrsinniger Opferbereitschaft (Handgranate! Ich werfe meinen achtzigtonnenschweren Körper darauf, um meine Kameraden zu retten) und Szenen beispielloser Tapferkeit, ehe die wir Verteidigungsanlagen durchbrochen hatten und der Nahkampf mit den letzten faschistoiden Raptoren begann.
Zweite Phase: Im wirren Gemetzel gelangten Tack, Scarlett, Little John und ich zu einem Tunneleingang. Wir mussten einen zweiten suchen, denn in seinem Kampfeifer war Little John vorangestürmt und steckte nun im Tunnel fest wie ein Korken in der Flasche.
>He, ihr holt mich doch hier raus, oder?<, rief er panisch.
>Ja, ja<, versprachen wir. >Sobald wir hier fertig sind, ziehen wir dich raus.<
Beim zweiten Eingang hatten wir mehr Glück. Wir erledigten die Raptorenwachen und drangen in Innere der Basis vor. Leider verliefen wir uns. Dann explodierte der Tunnel, wahrscheinlich einer dieser Selbstzerstörungsmechanismen, bei denen das Bild wackelte und der Putz von der Decke kam. Schutt kam von der Decke und begrub Scarlett.
>Lasst mich zurück<, sagte sie mit schwacher Stimme, als der Staub sich langsam zu legen begann. >Ich werde es nicht schaffen.<
>Aber...Das können wir nicht<, schniefte Tack traurig. >Wenn wir dich hier zurücklassen, wirst du...< In Tacks Gesicht schlich sich der Ausdruck schieren Entsetzens. >...VERHUNGERN!<
>So schnell verhungert man doch nicht<, sagte der Triceratops verwundert.
>Oh, doch<, insistierte Tack. >Das geht schneller als man denkt.<
>Hört mal<, unterbrach ich die beiden. >Warum graben wir Scarlett nicht schnell aus und gehen weiter, ja? Ich meine, so viel Geröll ist es nun auch nicht. Grade mal drei, vier Steine. Und die liegen auch noch auf deinem Schwanz!<
Der Triceratops schüttelte hoffnungslos den Kopf.
>Es ist Zwecklos. Lasst mich zurück.<
>Ja, aber...<
>Es IST zwecklos, hört ihr<, sagte Scarlett nachdrücklich. >Ihr müsst weiter und die Rakete stoppen.<
Ich seufzte schwer. Es war die gute alte OH-MEIN-GOTT-MEIN-BEIN-IST-GEBROCHEN-ACH-WAR-DOCH-NUR-VERSTAUCHT-GERADE-MAL-EINE-ZERRUNG-Verletzung. So etwas gab es ja immer. Es erwischte einen liebgewonnenen Charakter ziemlich übel, aber beim Happy-End sprang er plötzlich quicklebendig durch die Gegend. Es sah halt schlimmer aus, als es letztlich war. Tack und ich ließen Scarlett schweren Herzens zurück und machten uns auf den Weg, die Welt zu retten.

Eine wilde Horde von Raptoren stürzte sich uns entgegen. Durch einen unvermeidlichen Zufall waren wir auf das Bergplateau gelangt. Die mobile Abschussrampe hatte die Rakete bereits in Startposition ausgefahren. Kühlmittel hüllte das riesige Geschoss in einen eisigen Nebel. Kaum waren wir aus dem Gang aufs Plateau geschritten, warfen sich die Raptoren auf uns. Es waren zwei Dutzend Velociraptoren und einige Utahs. Tack ließ sich zu Boden fallen und erschlug einen Utah, er sich vorgewagt hatte, mit seiner Keule.
>Es sind ganz schön viele<, brüllte Tack.
>HA, ha hib hich hir Hecht<, rief ich mit einem Velociraptoren zwischen den Zähnen. Wir hielten uns gegenseitig den Rücken frei und konnten uns fürs erste verteidigen, aber nicht weiter zur Rakete vordringen. Es erklang ein Schuss. Die Raptoren hielten in ihrem Angriff inne. Wir alle drehten uns zum dunklen Tunneleingang um, wo Professor Valentine stand. In seiner Hand hielt er eine Pistole, die er seiner Gefangenen an die Schläfe drückte.
>Mary Ann<, entfuhr es Tack.
>Es sieht so aus, als würden ihre Saurierfreunde Sie wiedererkennen, Mary Ann<, sagte Professor Valentine höhnisch. >Sie scheinen doch intelligenter zu sein, als es den Anschein hat. Ich fragte mich, ob sie begreifen, dass ich ihnen einen Kugel durch den Kopf jage, Mary Ann, wenn sie versuchen sollten, sich der Rakete zu nähern.<
Tack und ich erstarrten. Der Professor nickte zufrieden.
>Ich denke, wir werden jetzt ein, zwei Minuten auf den Start warten und dann...<, er drückte den Lauf fester an Mary Anns Kopf, >...werden wir weiter sehen.<
Mary Anns Augen flehten mich an, nicht auf sie zu achten. Sie war bereit in den Tod zu gehen, um uns zu retten. Aber ich war nicht bereit, sie gehen zu lassen. Sie war zweifelsohne der weibliche Heroe, die Hauptrolle. Und wenn die starb, hatte eine simple Nebenrolle wie Tack und ich auch keine Daseinsberechtigung mehr.
Ein ohrenbetäubendes Zischen verriet uns, dass der Start der Rakete unmittelbar bevor stand. Trotz des Lärmes bemerkte Professor Valentine das dumpfe Grollen, dass aus dem Hölleneingang hinter ihm erklang.
>Was zur Hölle...<, rief er. Als er sich umdrehte, rammte Mary Ann ihm den Ellenbogen in den Bauch und rannte los Richtung Leitzentrale der Abschussrampe. Professor Valentine schoss ihr in den Rücken.
>NEEEEEEEEEEIIIIIIIIIN<, schrie Tack langgezogen, als Mary Ann durch die Luft flog, im Staub aufschlug und mit einem roten Fleck auf dem Rücken regungslos liegen blieb.
Professor Valentine wirbelte herum zum Tunneleingang, gerade rechtzeitig, so dass sich Scarletts Horn durch seinen Bauch bohren und am Rücken heraustreten konnte. Professor Valentine zappelte vor Schmerzen, als der Triceratops ihn ungebremst mitriss und mitten unter die Raptoren preschte.
>Scarlett<, rief Tack ausgelassen, als er den Kopf eines Utahs dreißig Zentimeter in den harten Boden drosch. >Du bist nicht verhungert.<
>Es sah wohl schlimmer aus, als es war<, riefen Scarlett und ich unisono. Zu dritt erledigten wir die überraschten Raptoren. Ich trat auf Scarlett zu. Der Professor hing noch immer an ihrem Horn und lebte.
>Wie unterbreche ich den Countdown<, fragte ich.
>Es ist zu spät<, stöhnte er sterbend. >Ich habe euch nichts zu sagen.< Ich nickte Scarlett zu, die heftig mit dem Kopf zu schütteln begann. Der Professor schrie auf vor Schmerz.
>Okay<, heulte er. >Drück einfach den Abbruch...< Dann war er tot. Ich rannte zur Feuerleitstelle. Ein Abbruchschalter. Bestimmt leicht zu finden. Vor mir eine Batterie von Lichtern, die piepten und blinkten. Alle waren sie rot, aber beschriftet.
>Verflucht<, murrte ich. Man hatte sich augenscheinlich für ein kostengünstiges chinesisches Fabrikat entscheiden.
>Wer soll das denn lesen können?< Die einzig vertrauten Zeichen sah ich auf dem Digitaldisplay.
-0014-
-0013-
-0012-
-0011-
Es gab Augenblicke, da sich jede Sekunde wie eine Ewigkeit ausnahm. Leider war jetzt keiner davon. Die Zahlen tickten gnadenlos schnell nach unten.
-0010-
Was nun? Die Rakete umkippen und den Berg hinab schleudern?
-009-
Immerhin war sie mit einem atomaren Sprengkopf bestückt. Das könnte problematisch sein. Ich riss mein Maul auf und wollte die Konsole zermalmen, als sich eine winzige, menschliche Hand an mir vorbei schob und einen Schalter drückte.
-007- Das Display war stehen geblieben. Ich drehte mich um und sah in Mary Anns Gesicht, das schmerzverzerrt aber doch glücklich war.
>Gott sei Dank, Mary Ann<, sagte ich erleichtert. >Das war knapp. Dachte schon, es hätte dich erwischt.
>Ach<, sagte sie. >Es sah wohl schlimmer aus, als es in Wirklichkeit war.<
Scarlett und Tack kamen herbei und scharten sich um uns. Mary Ann gab jedem einen Kuss, auch mir, dem T-Rex.
>Wir haben gewonnen<, rief der Triceratops vor Freude.
>Ja<, sagte Mary Ann. >Aber das war nur der Anfang. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, bevor diese Erde sicher für euch ist.<
Tacks Panzerbrauen schoben sich zusammen, als er über etwas nachdachte.
>Können die Menschen denn nicht einfach durch die Zeit zurückreisen und es noch einmal versuchen? Oder sogar versuchen uns zu töten, wenn wir noch kleine Eier sind? Und wenn sie hier Rohstoffe abbauen, womit bauen sie dann die Maschinen, mit denen sie durch die Zeit reisen, um Rohstoffe abzubauen, damit sie neue Rohstoffe...<
>Ganz ruhig<, unterbrach ich Tacks kritische Gedankengänge, ehe es zu einer Überlastung kommen konnte.
>Die Menschen machen niemals den gleichen Fehler zweimal<, behauptete ich. >He, immerhin sind sie die intelligente Spezies.< Wir lachten.
>Und du<, fragte mich Mary Ann. >Was wirst du nun tun, Mrs. T.< Ich sah auf den aufgespießten Professor Valentine hinab.
>HUNGRIG<, übersetzte der Translator >SEHR HUNGRIG.<
>Oh, ist dein Translator defekt<, wunderte sich Mary Ann.
>Ähm, ja<, antwortete ich. Ehe es zu unschönen Szenen kommen konnte, sprang ich weiter.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5378 Beiträge veröffentlicht!