Eine amerikanische Erzählung
von Florian Huber (huber_florian)

Kapitel
[ 1 ]  [ 2 ]  [ 3 ]  [ 4 ]  [ 5 ] 
 

Ein Sommertag im Central Park

Es war der erste warme Sommertag diesen Jahres und im Central Park in New York konnte man viele Menschen beobachten, die spazieren gingen, sich einen Frisbee zuwarfen, oder einfach nur auf einer ausgebreiteten Decke in der Sonne saßen. Kinderlachen, Hundegebell und Vogelgezwitscher war zu hören; der Park war voller Leben. Zwischen all diesem Treiben konnte man einen Herrn reiferen Alters beobachten, der gemächlich auf einem der Wege dahinschlenderte. Er war gut gekleidet und hielt in der rechten Hand einen geschnitzten Spazierstock, auf den er sich hin und wieder stützte. Sein Name war John Bowlen und seit drei Wochen war er nun pensioniert. Er war ein einfacher, aber gut bezahlter Angestellter in einer großen New Yorker Firma gewesen und konnte sich nun auf eine stattliche Rente freuen.

„Welch herrlicher Tag“ dachte er sich, wie er an grünen Flächen und hohen Bäumen vorüberging. Die Sonne strahlte auf ihn herab und er freute sich seines Lebens. Wie er nun so dahinging, kam er an einer Parkbank vorbei und wollte die Gelegenheit zu einer Pause nutzen. Es saß bereits ein Herr auf der Bank und zu diesem wollte er sich setzen. Er musterte ihn aus dem Augenwinkel und irgendwas an diesem Mann kam ihm bekannt vor. „Nein ich täusche mich doch“ dachte er, aber um seiner Vermutung nachzugehen, wagte er noch einen Blick. „Ist das nicht ... Monsieur Bachard!“ Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Juni 1944. Langsam kam die Erinnerung zurück.

John Bowlen war im Krieg Fallschirmspringer gewesen. Sie waren in Frankreich in der Normandie mit Fallschirmen abgesprungen, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Die Franzosen waren auf Seite der Amerikaner, doch manche wussten das nicht so genau. John Bowlen hatte mit Ablehnung der zum Teil ärmlichen Landbevölkerung zu kämpfen. Da er aber einen Unterschlupf für die Nacht suchte, würde er wohl oder übel den Kontakt mit einem Bauern suchen müssen. Es war gefährlich für ihn, da große Teile des Landes durch deutsche Wachposten kontrolliert wurden. Vorsichtig schritt er voran, neben ihm teils verfallene Häuser. Auf einmal wurde er angerufen und ein Gewehrlauf zielte auf ihn. „Monsieur, qu’est que vous voulait?“

„Sprechen Sie Englisch?“ fragte Bowlen, sein Auge auf das Gewehr fixiert. Keine Antwort. „Ich bin Amerikaner. AMERIKANER!“ und deutete auf seine Uniform. Der Mann schien unbeeindruckt. „Quittez mon terrain!“ Es begann zu regnen und man hörte es leicht plätschern. John Bowlen wusste: Sollte er die Nacht im Zelt verbringen, war das sowohl für seine Gesundheit, als auch für sein Leben mit vermeidbaren Risiken verbunden. Er nahm seinen Rucksack ab und bot dem Fremden eine goldene Uhr an, die er mit sich trug. Dieser nahm den Lauf herunter und kam näher. „Pour moi?“, fragte er und Bowlen nickte. Nachdem er sich versichert hatte, dass die Uhr in gutem Zustand und offensichtlich nicht kaputt war, nahm er sie Dank nickend an. „Entrez!“

Das Haus des Franzosen war von einer schlichten Eleganz und bot für den Amerikaner einen wohligen Eindruck. Aber er war nicht wählerisch. Draußen goss es inzwischen in Strömen und er hätte lieber in einem Erdloch übernachtet, als dort draußen schlafen zu müssen. Eine schlanke Frau mittleren Alters stand mitten im Raum, sie hatte scheinbar das Gespräch mitangehört und wirkte etwas beunruhigt. Sie fragte ihren Mann, was wohl los sei und dieser schilderte ihr die Lage; das heißt, er teilte ihr mit, dass der Fremde offensichtlich Amerikaner sei und einen Unterschlupf für die Nacht suche. Die Frau sah John Bowlen an und sagte dann in gebrochenem Englisch: “Seien Sie uns willkommen Mister äh, wie heißen Sie denn?" Ihr Blick verriet sowohl Neugier als auch ein bisschen Furcht.

Die Frau sprach etwas Englisch, sie hatte es früher gelernt, der Mann verstand kein Wort, aber das machte nichts, sie konnte übersetzen. Sie hieß Ivonne und ihr Mann Francois Bachard. „Vielen Dank, dass sie mich hereingebeten haben“, sie übersetzte. „Ohne sie wärs etwas ungemütlich für mich geworden.“ John Bowlen deutete auf sein Zelt, das neben dem Rucksack in der Ecke lag und nach draußen. „Oh, pas de probleme..“ „Es macht ihm nichts aus.“, sagte die Frau. Bowlen und der Mann saßen auf einer alten, aber hübschen Ledercouch, die Frau auf einem Sessel ihnen schräg gegenüber. Auf dem Tisch stand ein Strauß gelber Feldblumen in einer Vase und an den Wänden hingen ein paar Bilder, nicht zu groß, mit teils ländlichen, teils etwas moderneren Motiven.

Bowlen konnte die Nacht in einem Gästezimmer verbringen und verstand sich mit seinen Gastgebern so gut, dass er versprechen musste, ihnen eine Karte zu schreiben, falls er, hoffentlich wohlauf, in seine Heimat zurückgekehrt sei. Als der Krieg vorüber war, arbeitete John Bowlen mal hier, mal da, wo eben Arbeit zu finden war; der Krieg hatte auch im eigenen Land seine Spuren hinterlassen. Und wie das manchmal mit guten Vorsätzen ist, es kam nie dazu, dass er die Karte schrieb, obwohl er oft an die kurze und freundliche Bekanntschaft in Frankreich denken musste.

John Bowlen setzte sich auf die Parkbank, und sprach den Fremden an.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5378 Beiträge veröffentlicht!