DESIGN ODER NICHTSEIN
von Jürgen Karl Otto Bartsch (bartsch)

Kapitel
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Die Griffe des Musikers

Josef Gabler war nicht nur ein genialer Orgelbauer, sondern auch wirtschaftlich abhängig von seinen Auftraggebern im Kloster Weingarten. Das machte es notwendig, dass er einerseits wirklich hervorragende, ja, einzigartige Arbeit leistete, und dass er andererseits auch darauf achtete, dass diese Arbeit angemessen bezahlt wurde. So sah er sich nach Abschluss der Arbeit gezwungen, die letzte noch ausstehende Zahlung mit roher Heimtücke einzutreiben. Er stieg – nach angemessener Wartefrist ohne Geld – in die Orgel und tat einen einzigen Griff, woraufhin das Instrument nur noch kläglich wimmerte. Erst als das Kloster bezahlt hatte, erscholl – nach einem zweiten Griff – die Musik wieder in voller Pracht.
Zum Glück für das Kloster und die Welt bekam Gabler auch eine andere Sache in den Griff. Trotz bester Vorsätze wollte und wollte es ihm nicht gelingen, seiner Orgel die Vox Humana (menschliche Stimme) einzubauen. Bis ihm eines Nachts der Teufel seine Hilfe anbot. Gabler traf den als Jäger verkleideten Teufel, setzte seine Unterschrift mit Blut unter den hingehaltenen Vertrag und bekam ein Stück Metall. Daraus solle er die Pfeifen gießen lassen.
Technisch funktionierte das Verfahren. Doch statt heiliger Melodien produzierte die Orgel mit ihrer Vox Humana nur Lieder von der Lust der Welt, welche die Mönche in Scharen aus ihren Zellen und in billige Freuden trieben. Seiner Strafe entging Gabler nur deshalb, weil er die Lust der Welt wieder aus der Orgel herausbekam.
Nur sein eigenes Leben bekam Gabler nicht in den Griff. Nachdem die Orgel in Weingarten fertig gebaut war, verarmte er zusehends. Er hatte es versäumt, sich beizeiten um Folgeaufträge zu kümmern.

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