Landung in der Schwertbucht
von Carsten Maday

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Von Helden und Schurken. Teil 2.

Ich blickte durch die Schießscharte in die Nacht hinaus. Meine Augen, die bei Nacht klarer sahen als am Tage, flogen über den friedlichen, dunklen Strand hinab bis zur Wasserlinie, wo mit dem nahenden Tag heraufziehender Nebel meinen Blick aufs Meer hinaus behinderte.
Ich starrte lange in den Nebel, lauschte der sanften Brandung und dem dumpfen Feuern der Dampfgeschosse im Hinterland.
Ein vor Furcht schlotternder Ork brachte mir eine Tasse heißen Kaffee. Nicht dass ich als gestaltloser Untoter den Geschmack von Kaffee wirklich hätte wahrnehmen können, aber er verlieh meinem leblosem Herzen doch ein Stück Gemütlichkeit, nach der es sich in nebligen Nächten der bangen Erwartung sehnte.
Ich schlürfte einen Schluck und wandte mich an den Bunkerkommandanten:
>Benachrichtigen Sie das Hauptquartier, dass ich heute Nacht hier bleiben werde.<
Der Ork grunzte bestätigend und gab dem Kommunikations-Magier einen entsprechenden Befehl. Der Magier, kurz KomMag, aktivierte den Kommunikationsstein und öffnete den entsprechenden Dimensionstunnel, der ihn mit dem Kommunikationsstein des Hauptquartiers hinter der Front verband.
Abwesend besah ich mir den Vorgang und schüttelte leicht mein von einer schwarzen Kapuze verhülltes Haupt. Der Kommunikationsstein! Eine von Jerichos zahllosen technischen Neuerungen. Ursprünglich gab es nur eine handvoll Steine, mit den man durch die Dimensionen Kontakt zu weit entfernten Orten aufnehmen konnte. Die Steine waren so uralt, dass selbst unser Meister, der Herr über das Imperium des Grauens, nicht mit Sicherheit sagen konnte, woher sie ursprünglich stammten. Jericho, Oberbefehlshaber der Streitkräfte West und rastloser Förderer alternativer Waffensysteme, hatte mit dem ihm eigenen Pragmatismus eine Kommission von Magiern damit beauftragt herauszufinden, was gegen eine Replizierung der Kommunikationssteine sprach. Da sie angesichts der modernen Magie und Technik keine Hindernisse fanden, gingen die Steine bald in Massenproduktion. Durch die erhöhte Koordination der Angriffskeile war die Eroberung der Freien Reiche im Westen überhaupt erst möglich geworden.
Das waren noch Zeiten, dachte ich versonnen und blickte wehmutig in den Nebel. Damals, ach damals, da ging es noch voran. Damals waren wir noch die Handlanger des Bösen gewesen.

Das Leben ist simpel und lässt sich in den meisten der unzähligen Multiversen schlicht und einfach in Gut und Böse unterscheiden. Wer nun meint, dass eine so komplexe Angelegenheit wie die Welt sich nicht in diese beiden Kategorien pressen lässt, der hat einfach nur Pech, dass er ein einer langweiligen Zeit lebt.
Gut und Böse, im immer währenden Kampf mit einander verschlungen, der Ewige Held auf der einen, der Ewige Bösewicht auf der anderen Seite. Und wie der Held den Ewigen Begleiter hat, so hat der Bösewicht den Ewigen Handlager an seiner Seite. Dies bin ich. In meiner derzeitigen Reinkarnation war meine Rolle ursprünglich auf gleich zwölf Handlanger verteilt worden, was das bisschen Individualität so sehr streckte, dass es nur für gestaltlose Schattenwesen reichte.
Zwanzig Jahre ist es nun her, da der Meister, der letzte Überlebende eines uralten Dämonengeschlechts, uns zwölf aussandte, den Ewigen Helden zu finden und zu töten. Wer sich auch nur etwas in den Multiversen auskennt, weiß, dass dies normaler Weise nie gut für den Handlanger ausgeht. Er wird meist vom Ewigen Helden erschlagen. Überraschender Weise hatten wir damals Glück gehabt. Zwar konnte der Ewige Held, ein Königssohn, der unverständlicher Weise auf einer Farm aufwuchs, ohne etwas von seinem Schicksal zu ahnen, damals entkommen, doch hatten wir alle seine Begleiter erschlagen können. Ich hatte zwar sechs meiner derzeitigen Persönlichkeiten im Kampf verloren, gleichzeitig aber auch Zeit gewonnen, um mich auf einen weiteren Waffengang vorzubereiten. Derweil der junge Königssohn allein umherschweifte und einsam in seine Rolle hineinwuchs, nutzte Jericho, ein Ork und das herausragendste militärische Genie unseres gräulichen Imperiums des Schreckens, die Zeit, um einige entscheidende Änderungen in der Wehrverfassung vorzunehmen.
Blut, Pest, Mord, Eis, Ernst und Klaus, die überlebenden Persönlichkeiten meiner Reinkarnation, unterstützten Jericho dabei in vollen Zügen, schien er uns doch geeigneter als unser Meister zu sein, unser unausweichliches Ende noch weiter hinauszuzögern.
Jericho nutzte die Zeit, ließ alle Clan-Oberhäupter der notorisch in Blutfehde lebenden Orkstämme kurzerhand exekutieren und schmiedete aus der formlosen Masse von Orks einen homogenen Truppenkörper von disziplinierten, gut ausgebildeten Soldaten. Einheitliche Uniformen, straffer Drill und eine neuersonnene Pensionskasse, die den aus dem Dienst geschiedenen Orks einen Neustart im Zivilleben ermöglichte, festigten die Moral.
Neue Waffengattungen wurden errichtet, allen voran die Luftwaffe und die gepanzerten Ollifanten-Einheiten. Hochmotiviert, koordiniert und mit überlegender Kampfkraft brachen wir über den uralten Grenzfluss Geleb in die Freien Reiche des Westens ein, trieben Alben, Zwerge und Menschen vor uns her, bis diesen schließlich nur noch die Flucht übers Meer blieb. Der Sieg war vollkommen, doch es zeigte sich bald, wie ungeeignet der Anspruch des Meisters, die Welt in eine Aschenwüste zu verwandeln, zur Erringung der Weltherrschaft war.
Da Kapitulation für den Gegner gleichbedeutend mit seiner Vernichtung war, leistete dieser erbitterten Widerstand. Die Bevölkerung wurde evakuiert, nur in den Gebirgsregion blieben einige Einheiten zurück, die sich selbst Widerständler nannten, bei uns aber nur „Blöde Ärsche“ hießen. Die blöden Ärsche waren ein immer wieder aufloderndes Ärgernis, und man war gut daran beraten, sich nie ohne bewaffnete Eskorte im besetzten Land zu bewegen.
Noch schlimmer aber war, dass der Meister tatsächlich die besetzten Gebieten in Aschenwüsten verwandelte. Dies war ästhetisch durchaus ansprechend, aber ungemein unpraktisch, da es verhängnisvolle Auswirkungen auf den Nachschub hatte. Im Gegensatz zur geläufigen Meinung, fraßen Orks keineswegs Asche, sondern Fleisch und Brot. Und die gepanzerten Ollifanten-Einheiten verschlangen Unmengen an Gras. Aber Betriebsstoff war in den Aschenwüsten natürlich nicht zu bekommen. Mehr als einmal mussten die gepanzerten Dickhäuter wegen Betriebsstoffmangels in den Depots bleiben, obwohl man ihrer dringend an der Front bedurft hätte.
Aber der Meister hatte kein Einsehen, zog sich immer mehr in absonderliche Opferrituale zurück, war auch Jerichos logischen Einwänden gegenüber zunehmend ablehnend.
Militärische Niederlagen waren die Folge. Wir verloren die Luftschlacht um Angerlund, die Trutzinsel im Weiten Meer, wo sich der Widerstand unter dem zum Manne gereiften Ewigen Helden formierte.
Jericho zog starke Streitkräfte am „Nadelöhr“, der engsten Stelle zwischen Angerlund und dem Festland, zusammen. Der geplanten Invasion der Insel, bekannt als „Operation Biberschwanz“, sollte ein massiver Luftschlag voraus gehen. Hauptwaffe waren die schweren Lich-Drachen, die mit ihrem Pestodem die Bevölkerung der Insel in die Knie zwingen sollten. Als untote Flugwesen verschlangen sie zwar keinen Betriebsstoff, doch war das bereits ihr einziger Vorteil. Ihre löchrigen Lederschwingen machten sie schwerfällig und leicht angreifbar und die eskortierenden Riesenfledermaus-Jäger zeigten sich leider den Pegasi-Abfangreitern der Alben deutlich unterlegen. Einer nach dem anderen wurde abgeschossen und die Operation „Biberschwanz“ scheiterte nicht zuletzt daran, dass der Meister Jerichos dringende Bitte, die Luftwaffe endlich auch auf Warmblüter umzustellen, ablehnte.
Die Wende kam im Osten, militärisch wie persönlich. Der Meister ertrug den Gedanken nicht, dass im Osten noch immer die wilden und freien Zwerge von Zwergisch-Glattbach seiner Herrschaft trotzten. Ohne den Westen völlig bezwungen zu haben, sandte der Meister seine Truppen nach Osten, mit mir als Ernst an der Spitze.

Die Zwerge ließen sich nicht auf eine Feldschlacht ein, verschanzten sich in ihrer Trutzfeste Stahlgardaheim. Ernst stieß vor, drang tief in die Minen der Zwerge ein, wo sich bald ein hässlicher Tunnelkampf auf niedrigstem Niveau entwickelte.
Die Nachschubswege waren lang, der Winter kam und mit ihm das Ende der 6. Ork-Armee und Ernst. Der Gegner war nicht untätig geblieben, und derweil Ernst sich in den verlustreichen Tunnelkämpfen ausblutete, rückte ein Entsatzheer aus Zwergen und wilden Steppenreitern heran. Ernst und seiner Sechser wurden eingeschlossen, aus den Belagerern wurden Belagerte.
Mord, die ein romantisches Verhältnis zu Ernst eingegangen war (verwirrend, da wir ja alle Teile nur einer Reinkarnation waren. Aber letztlich ist ein gewisses Maß an Selbstverliebtheit ja auch den Alben und Menschen nicht fremd) versuchte mit einer gepanzerten Ollifanten-Einheit die Eingeschlossen herauszuhauen, aber der Winter und der elende Betriebsstoff-Notstand ließen diesen verzweifelten Versuch scheitern.
Der Meister schrieb die Eingeschlossenen ab, befahl Widerstand bis zum letzten Armbrustbolzen und beförderte Ernst kurzerhand zum Generalfeldmarschall der Schreckensarmee. Dieser ignorierte die Aufforderung zum Selbstmord eigenmächtig, kapitulierte und ging in Gefangenschaft.
Der Meister tobte, und da Ernst nur ein Teil des Ewigen Handlangers war, gerieten wir übrigen natürlich auch bald in Verdacht. Wir wurden nicht direkt abgesetzt, sondern auf Frontposten „befördert“. Unsere alten Posten verteilte der Meister an ihm treu ergebene Subdämonen. Als ob diese willenlosere Vollstrecker des Bösen sein konnten, als wir! Das tat einem schon in der schwarzen Seele weh, wenn man als Handlanger so mir nichts dir nichts ersetzt wurde.

Das war die Lage: Im Osten wütete der Zwerg und im Westen würde der Mensch und der Alb auch nicht lange still halten. Alle Zeichen standen auf Invasion von Angerlund aus aufs Festland. Jerichos hatte das Nadelöhr mit Bunkeranlagen befestigen lassen. Dort würde nach untotem Ermessen die Invasion erfolgen, an der engsten Stelle. Dort würde der Feind seine Regenbogenbrücken beschwören und über das Nadelöhr gegen unsere Verteidigungslinie stürmen. Dort würde die Entscheidung fallen, dort wurde der Handlanger gebraucht und genau dort war es, wo ich nicht eingesetzt wurde.
Ich befand mich in Gestalt von Eis an der Schwertbucht, dort wo der Geleb ins Weite Meer strömte, weit südlich des Nadelöhres.
Jericho, der lieber klotzte als kleckerte, hatte auch meinen Abschnitt befestigen lassen, doch waren die Arbeiten erst im Anfangsstadium. Zu wenige Bunker waren mit den neuen Dampfkanonen ausgestattet worden. Dieses neuartige Waffensystem war eine große, stationäre Armbrust, die durch einen dampfbetriebenen Kolben nach jedem Schuss erneut gespannt wurde und bis zu hundert Schuss die Minute herausblies. Über Rohrleitungen waren die Armbrustnester mit einem zentraleren Kessel verbunden, der tag und nacht unter Dampf stand. Wenigsten hier machte sich das rüde Abholzen der Wälder bezahlt. Feuerholz gab es genug.
Jeder Bunkeranlage war eine Magiereinheit zugeteilt. Auch hier hatte Jericho drastische Änderungen vorgenommen. Statt Magier durch eine jahrzehntelange Ausbildung in den arkanen Künsten gehen zu lassen, hatte er in Schnellkursen Fachidioten hervorgebracht, die wenig mehr konnten, als Feuerbälle zu beschwören. Für Untote der alten Schule war das zwar irgendwie anstößig, aber wenn man eine Einheit von fünfzig Kampfmagiern bei Nacht in kurzer Frequenz ihre Steilbahngeschosse feuern sah, war man schon beeindruckt. Ich wünschte, man hätte meinem abgelegenen Außenposten etwas mehr als dem knappen Dutzend zugeteilt.

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