Guldas Fall
von C.S. Strangelove (csstrangelove)

Kapitel
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3.

Und so war es weiter gegangen. Jahrelang. Gulda hatte zugesehen, wie das „Spesenkonto“ stetig anwuchs. Unbemerkt von allen, außer ihm. Er hatte nach den Anweisungen des Juniors manchmal Kanäle wieder verstopft und andere geöffnet. Er hatte weiterhin die Anerkennungen in Form kleiner, aber teurer Geschenke genossen, die ihm der Junior nie zu machen vergaß. Er hatte die jährliche Extravergütung zu Weihnachten mit einem leisen Gefühl der Dankbarkeit und des Stolzes akzeptiert, ganz so, wie man es tut, wenn man verdientermaßen für eine schwere Arbeit ausgezeichnet wird.

Dann, eines Tages, hatte ihn der Junior wieder zu sich nach Hause bestellt.
Mit dem kleinen Rinnsal, das auf sein Spesenkonto floss, wollte er sich jetzt nicht mehr zufrieden geben. Ein großer Coup, das war es, was Kronzucker jun. sich jetzt vorstellte; und dazu brauchte er seinen einzigen Vertrauten. Seinen Komplizen.
Gulda war davor zurückgeschreckt: Die ganze Situation machte ihm Angst. Aus den kalten, grauen Augen des Juniors blitzte die Gier. Er redete laut, sprach, als ob sie nichts zu verbergen hätten und richtete seinen massiven Zeigefinger auf Guldas Gesicht.
Und das alles, während dieses Mädchen anwesend war. Gulda hatte noch nie ein so schönes Mädchen gesehen. Sie war gut und gerne fünfundzwanzig Jahre jünger als Kronzucker, hatte dunkelbraunes Haar und eine milchweiße Haut. Gulda ertappte sich dabei, wie er sich vorstellte, wie der massige Junior und dieses zerbrechliche Wesen mit dem Kindergesicht im Bett waren – er tief braun gebrannt, sie mit ihrer reinen weißen Haut…
Guldas Oberlippe begann nervös zu zucken.
Kronzucker bemerkte Guldas Verlegenheit und Erregung, bemerkte, dass sie ihn anmachte und zog ihn auf. Er lachte schallend über Guldas linkisches Wesen. Gulda wurde trotzig; er weigerte sich, den Coup durchzuführen, den Kronzucker ihm aufzwingen wollte.
Der Schlag traf ihn völlig unvorbereitet in die Magengrube. Der Schmerz explodierte förmlich in ihm und er krümmte sich auf dem Teppich zusammen, die milchweißen Füße des Mädchens direkt vor seinem Gesicht. Und dann hörte er es. Es schnitt in sein Innerstes wie tausend Rasierklingen: sie lachte!
Gulda zerbrach. Es waren nicht so sehr die Drohungen seines Chefs, die seinen Widerstand brachen; nicht der körperliche Schmerz, vor dem er, wie viele dickliche Menschen, panische Angst hatte. Es war das glockenhelle Lachen des Mädchens, das Gulda in diesem Moment völlig zerstörte.


Alles lief wie geplant. Niemand bemerkte die Transaktionen. Kronzucker jun. verreiste, wie er es öfter tat; und zufällig nahm sich Gulda ein paar Tage später ebenfalls Urlaub. Sie trafen sich abends in Kronzuckers Finca auf den Azoren. Hier sollte Gulda seinen Anteil bekommen. Dann wollten sie getrennte Wege gehen.

„Auf diesem Konto“ – der Junior reichte Gulda einen Zettel und eine Codekarte – „liegt Ihr Anteil! Geben Sie nicht alles auf einmal aus!“

„Danke sehr!“

„Dann trennen sich jetzt unsere Wege, Gulda!“ sagte der Junior leutselig.

„Es war mir eine Ehre, mit Ihnen zu arbeiten!“ sprach Richard Gulda.

Kronzucker blickte ihn an. Einen Augenblick lang schien es Gulda, als blitzte so etwas wie Hochachtung in den kalten, grauen Augen seines Chefs auf. Doch dann legte der Junior den breiten Kopf in den Nacken und lachte. Er lachte dröhnend, lachte, dass es ihn schüttelte. Gulda erschrak und wurde rot. Was hatte er denn jetzt wieder gesagt, das so lustig war? Er mochte es nicht, wenn er anderen Leuten Anlass zur Heiterkeit gab. Kronzucker schnappte nach Luft. Die Tränen standen ihm in den Augen, so sehr amüsierte ihn dieser komische kleine Mann, der da im Trenchcoat vor ihm stand und von Ehre sprach.

„Sie sind eine ulkige Nummer, Gulda! Immer die Form wahren, wie? Hahaha… steif und trocken wie ein Hundeköttel in dieser verfluchten Hitze, bis zuletzt.“

Kronzucker wischte sich die Lachtränen aus den Augen.

„Wenn man Sie so reden hört, würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, was Sie so alles auf dem Kerbholz haben. Dass Sie treue alte Krämerseele gerade eben die Auslandskonten von InterSec leer geräumt haben. Dass Sie kein ehrlicher Buchhalter, sondern ein ganz gerissener Schieber auf der Flucht sind. Hihi… Unbezahlbar! Wenn Sie den Mund aufmachen, klingt das immer, als wären Sie ein richtiger Ehrenmann. Langweilig, dass einem die Füße einschlafen, aber ein Ehrenmann durch und durch!“

Gulda bemerkte, dass sein Mund offen stand.

„Erlauben Sie mal!“ protestierte er lahm. „Ich BIN ein Ehrenmann!“

Einen Moment lang sah es so aus, als würde Kronzucker sich wieder ausschütten wollen vor Lachen. Dann trat ein gemeiner Zug in sein Gesicht, das vom Lachen rot war. Er machte einen Schritt auf Gulda zu und hob einen riesigen Zeigefinger.

„Nein, sind Sie nicht! Sie sind ein ganz gewöhnlicher Gauner, Gulda! Sie sind ein Dieb, ein bezahlter Handlanger, nichts weiter. Sie sind käuflich, genau wie alle andern auch. Und selbst in ihrer Verbrecherkarriere sind sie genauso schäbig geblieben wie in Ihrem bürgerlichen Leben. Nicht einmal hier haben sie Größe gezeigt. Sie haben nie daran gedacht, mehr zu fordern. Sie haben die Brocken gierig und sabbernd aufgeschnappt, die ich Ihnen zugeworfen habe. Ihr Vorgänger ist immerhin vor mir gestanden und wollte mehr. Eines Tages wollte er zuviel, aber bis dahin hat er sich ganz schön bedient aus dem großen Topf! Sie dagegen sind kleinlich, Gulda, in allem was Sie tun! Kleinlich in Ihrer Ehrlichkeit, kleinlich in Ihrem Verbrechen. Kleinlich klammern sie sich selbst jetzt noch, wo Ihnen die Welt offen steht, an Ihre Kleinbürgerwürde! Sie sind ein Versager, Gulda, ein schäbiges Nichts, und das werden Sie immer bleiben! Und noch eins:“

Der Junior kam noch einen Schritt näher; und sein Zeigefinger zeigte auf Gulda wie eine Waffe.

„In ein paar Stunden bin ich hier weg, dann geht mein Flugzeug. Was Sie machen, ist mir scheißegal, solange Sie mir nie wieder unter die Augen treten. Aber in der Zeit, in der ich mit Ihnen hier herumsitze, ich warne Sie, vergessen Sie nie wieder Ihren Platz! Sie haben schon einmal versucht, bei mir aufzumucken; das nächste Mal bluten Sie dafür. Verstanden? Tun Sie nie wieder, als stünden Sie mit mir auf einer Stufe! Ein für alle Mal: Ihr Platz ist dort“

– er zeigte auf den Fußschemel vor dem Kamin –

„und meiner ist hier!“

Damit ließ er sich in den krachenden Ledersessel fallen und bedachte Gulda ein letztes Mal mit seinem Haifischgrinsen, bevor er sich wieder seiner Lektüre zuwandte.

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