Guldas Fall
von C.S. Strangelove (csstrangelove)

Kapitel
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5.

Als er nach einer Schrecksekunde wieder zu sich kam, bemerkte er zuerst den pochenden Schmerz in seinem Knöchel. Der Junior lag noch halb auf ihm; und beim Versuch, seine Füße frei zu bekommen, wurde das Pochen zu einem jähen Stich, der durch sein Bein jagte. Er schrie auf. Der Schrei klang unnatürlich laut und wurde von den glatten Wänden wieder zurückgeworfen. Gulda erschrak. Schnell wurde ihm klar, wo er sich befand: Er war, gemeinsam mit der Leiche Kronzuckers und einigen Holzsplittern, in die neue Zisterne gestürzt. Das glatt geflieste Loch im Boden war nur mit ein paar Planken abgedeckt gewesen – wozu auch mehr: Das Grundstück war gut gesichert gegen unbefugte Eindringlinge und niemand wusste, dass der Hausherr hatte herkommen wollen. Eine Person alleine hätten die Planken vermutlich auch zu tragen vermocht – unter dem vereinten Gewicht von Gulda und seinem Opfer allerdings waren sie geborsten wie morsche Knochen. Gulda richtete sich an der Wand auf; und die Kacheln fühlten sich glatt und kühl an – wie Glas. Als er das erste Mal nach oben blickte, verblassten gerade die letzten Sterne in dem drei mal drei Meter großen Viereck.

Über seinen Grübeleien war es inzwischen Nachmittag geworden. Das Viereck aus Licht, das durch die Öffnung fiel, war einmal quer durch den Raum gewandert, um an der entgegengesetzten Wand wieder nach oben zu klettern. Inzwischen war das Viereck nicht mehr klar zu erkennen. Der Himmel hatte sich verfinstert und dunkle Wolken verdeckten die Sonne. Der Monsun war da. Endlich! Die Bauern würden sich freuen. In ein paar Minuten würden sintflutartige Regenfälle auf die Insel niedergehen und den festgebackenen, ausgedörrten Boden aufweichen. Gulda blickte wieder hinauf. Und mit einem Mal traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag! Seine Oberlippe begann wieder zu zittern. Zu- und Ablauf der Zisterne lagen etwa einen dreiviertel Meter unter dem Rand der gekachelten Wände. Das bedeutete, selbst wenn die Zisterne voll war, gab es für Gulda keine Möglichkeit, zu entkommen. An den türkisen Kacheln gab es keinen Halt, an dem er sich hätte hinaufziehen oder festhalten können und selbst schwimmend war der Rand nicht zu greifen. Wenn die Regenfälle einsetzten, saugte das Vulkangestein der Berghänge das Wasser gierig auf wie ein Schwamm, um es ein paar hundert Meter weiter unten, aus zahllosen sprudelnden Quellen, wieder ans Tageslicht zu speien. Die Quellen speisten Bäche, Kanäle, Wassergräben, sie bewässerten die Felder der Bauern und füllten die Zisternen, aus denen alle Höfe im Hinterland ihr Frischwasser bezogen. Gurgelnd und rauschend würde das frische, klare Wasser binnen kürzester Zeit die Rohrleitungen aus gebranntem Ton anfüllen und sich in zahllosen Sturzbächen in Brunnentröge und Regentonnen ergießen. Auch aus diesem schwarzen Rund, zwei Meter über Guldas Kopf, würde das Wasser in paradiesischem Überfluss herausschießen, die Zisterne bis zum Rand füllen und er, Richard Gulda, den niemals wieder jemand hätte Versager schimpfen können, würde wie eine Ratte ersaufen!

Vielleicht könnte er sich noch ein paar Stunden über Wasser halten, blind und taub von dem unbarmherzig und unablässig aus der Rohrleitung auf ihn niederprasselnden Strahl; hustend, nach Luft schnappend. Doch der auftreibende Leichnam des Mannes, den er getötet hatte, würde ihn beim Schwimmen behindern und irgendwann müsste er aufgeben. Dann würde das Wasser, das den Bauern die Ernte und dem Vieh das nackte Leben rettete, seine Lungen füllen und das Leben aus ihm herauspressen. Zuckend würde er auf den Grund der Zisterne sinken und einen letzten Blick nach oben schicken; wo, mit dem Gesicht nach unten, der Junior triebe, die Lungen noch voll Luft, und sein Haifischgrinsen auf Gulda niederbleckte …

Richard Guldas Oberlippe zuckte wie unter Strom; und ein irres Kichern schüttelte seinen Körper, als mit einem Donnerschlag der Himmel aufriss und die ersten Tropfen fielen.

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