TV-Leap: Horror-High
von Carsten Maday

Kapitel
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Matt war fassungslos, als wir zurück zum Wagen rannten. Ich war es auch. Das war es also? Ein unsäglicher Zombie-Film? Und ich? Ich war die Nebenrolle, die irgendwann von den Zombies erwischt wurde und dann selbst als Untoter auf Chloë losging. Ich sah die Szene vor mir. Entsetzen in den Augen Chloës:
Jason: Schieß, schieß!
Chloë: Aber es ist Patt.
Jason: Du musst!
Kurz bevor ich Chloë erreiche, erschießt sie mich mit Tränen in den Augen.
Chloë: Mein Gott, was habe ich getan. Patt!
Jason: Du musstest es tun. Diese Kreatur war nicht Patt. Patt ist tot.
Chloë: Ja, stimmt. Okay, lass uns gehen. Sie gehen und denken niemals wieder eine Sekunde an mich. Das sollte meine Rolle sein? Aber nicht mit mir! Ich riss den Kofferraumdeckel meines Wagens auf und zerrte die Sporttasche auf.
>Meine Güte<, keuchte Matt. >Wo hast du das alles her?<
Ich zuckte schuldbewusst mit den Schultern.
>Hab Mamis Kreditkarte vielleicht ein bisschen überzogen.<
Ich machte eine einladende Geste.
>Also, was darf ´s sein? Pumpgun oder Uzi?<
>Weiß nicht. Was ist denn damit?<
Ich schüttelte den Kopf. >Nein Matt. Die AK nehme ich.<
Schreie kamen aus dem Schulgebäude. Es ging los!
>Komm!< Mit einem Kontrollschlag führte ich ein Magazin ein, lud durch und stakste los.
>Was hast du vor, Patt?<
>Wir müssen Chloë und Jason retten!< Regel Nummer zwei: lass niemals die Hauptrolle sterben. Ohne Hauptrolle hat eine Nebenrolle keine Daseinsberechtigung.
>Aber da drin sind diese, diese, diese Zombies!<, rief Matt ungläubig.
Ich sah ihm in die Augen:
>Ich weiß. Aber Charlie surft nicht!<

In dem dunklen Gang stand eine Gestalt. Ihre Arme baumelten schlaff nach unten. Ein grauenvolles Kreischen. Dann hob der Zombie seinen Kopf.
>Oh, hi, Miss Mankousow<, sagte Matt.
>Ähm, Matt, das ist ein Zombie. Ehemals bekannt als Miss Mankousow, aber jetzt ein Zombie.<
>Oh, ja, okay. Hi, Zombie. Und jetzt?<
>Am besten erschießen, bevor du gebissen wirst. In einem solchen Fall verwandelst du dich nämlich selbst in einen Zombie.<
>Oh, wirklich? Woher weißt du das?<
>Aus dem Fernsehen?<
>Ja, richtig.< Matt hob die Uzi. Er senkte die Waffe wieder.
>Patt, weißt du, ich habe ein leichtes ethisches Problem damit, Miss Man..., den Zombie zu erschießen. Wenn ich ihn erschieße, dann kann er ja nicht mehr geheilt werden.<
>Ah, es gibt keine Heilung, Matt.<
>Nein?<
>Nein! Na ja, genau genommen sind sie ja bereits tot. Wie soll man jemanden davon kurieren?< Das war ja gerade das tolle an den Zombie-Filmen. Da die eh alle tot waren, konnte man sie auch auf alle möglichen, menschenverachtenden Arten massakrieren, ohne dass die Zensur Sturm lief.
>Oh, gut.< Matt hob die Waffe erneut. >Das ist für „Brave New World“< rief er und schoss.
>Gut, gut<, lobte ich. >Beim nächsten Mal aber in den Kopf!<
Miss Mankousow sah auf das Loch in ihrer Brust. Sie grollte böse und sprintete auf uns los. Oh nein, dachte ich. Moderne Zombies. Die waren schnell und gefährlich. Matt gab drei Schüsse ab. Einer traf. Die ehemalige Lehrerin brach zusammen und bewegte sich nicht mehr.
>Mehr gibt es nicht zu wissen über Zombies, Matt. Kopfschuss und nie beißen lassen.<
Matt nickte grimmig.
Panik auf den Gängen. Blutüberströmte Menschen. Es war unmöglich zu sagen, wer bereits gebissen war und wer nicht. Sie rannten nach draußen, trugen den Tod unaufhaltsam auf ihrer Flucht mit sich.
In meinen Gedanken tat ich, was ich in NAM getan hatte: es ist nur ein Film, es ist nur ein Film, es ist nur ein Film. Es klappte nie. Die Fiktion war meine Realität. Ich litt mit den anderen. Ich hatte nur den Vorteil, etwas schneller reagieren zu können, da ich mich ein wenig in den Gesetzen der Genres auskannte. Ein Zombie biss einem Mädchen in den Hals. Ich erschoss ihn. Das Mädchen nicht. Ich brachte es nicht übers Herz. Und wenn sie sich verwandelte? Was machte es für einen Unterschied. Jede Minute als Mensch war kostbar, wenn die Zeit so knapp bemessen war. Endlich kamen uns weniger Menschen entgegen. Immer mehr Zombies. Überall Blut, Gliedmaßen. Wir schossen uns den Weg frei. Endlich hörten wir Chloës Stimme. Über Lautsprecher. Sie weinte.
>Hilfe! Hört uns jemand?<
Matt sah mich zwischen zwei Schüssen an. >Das Büro des Direktors<, rief er. Wir kämpften uns in den ersten Stock vor. Wir konnten eine Tür verbarrikadieren. Das Büro. Wir erschossen fünf Zombies, die wütend auf die Tür einschlugen Sie witterten das Leben dahinter. Chloë fiel mir um den Hals. Jason und Bianca waren hier. Und ein Junge und ein Mädchen. Der Junge hieß Steve und war offensichtlich der homosexuelle Vertraute von Chloë. Das Mädchen hörte auf den Namen Ruth Handersson und war augenscheinlich die vermeintliche Schulschlampe, die sich tief in ihrem Inneren aber nur nach Liebe und Geborgenheit sehnte. Aus der Art wie Chloë und Bianca sie ansahen, schloss ich, dass Ruth sowohl bei Matt als auch Jason bereits nach Liebe gesucht hatte.
>Gott sei Dank<, rief Jason. Ich zeigte auf seine Hand.
>Es ist nichts. Einer von diesen Kerlen hat mich gebissen.<
Ich sah Matts Blick.
>Wann?<
>Vor ein, zwei Minuten.<
Aha, der instabile Faktor in der kleinen Schar der Überlebenden. Eine schnelle Entscheidung musste her. Ich gab Matt, der hinter Jason stand, mit einem leichten Nicken ein Zeichen. Matt lächelte mir freundlich zu. Ich nickte noch einmal. Stärker als zuvor.
Matt lächelte. >Geht es dir nicht gut, Patt?<
Ich verdrehte die Augen. >Doch, Matt, alles prima. So, Jason, einer dieser Zombies hat dich also gebissen.< Ich gab Matt abermals ein Zeichen. Endlich verstand er. Leider falsch.
>Was<, fuhr er mich an. >Ich soll Jason erschießen. Einfach so? Von hinten?<
Jason sah mich entsetzt an. Ich grinste entschuldigend. >Nein, Jason. Das würden wir nie tun, oder Matt?< Jason drehte sich zu Matt um, der bekräftigend den Kopf schüttelte. Jasons erleichtertes Aufatmen ging in einen kurzen Schmerzensschrei über, als ich ihm von hinten den Gewehrkolben überzog. Jason kippte um. Die anderen sahen mich an.
>Schafft ihn in den Werkraum!< Als niemand sich rührte, erklärte ich kurz unsere Lage. Draußen würden sich die Zombies immer mehr verbreiten. Auf Hilfe konnten wir nicht zählen. Regierungstruppen waren vermutlich schon dabei, die Brücke, die unsere Insel mit dem Festland verband, zu sprengen, damit sich die Epidemie nicht ausbreiten konnte. Die Küstenwache würde gnadenlos alle versenken, die übers Meer zu fliehen versuchten. Die Insel selbst. Ein Atomschlag so nahe der Ostküste schied aus. Giftgas würde die Zombies kaum beeindrucken. Ein Flächenbombardement mit Napalm wäre vielversprechend, aber sehr aufwendig und würde nicht zuverlässig alle erwischen. Am wahrscheinlichsten war eine langandauernde Quarantäne, bis die Zombies alle Einwohner umgebracht hatten und dann wegen Nahrungsmangels zugrunde gingen.
>Wir sind also auf uns allein gestellt. Wir müssen aus der Schule raus, ehe wir hier eingeschlossen werden. Jason können wir so nicht mitnehmen...<
Chloë schrie verzweifelt auf.
>Keine Sorge, wir lassen keine Männer für Charlie zurück!<
>Für die Zombies<, verbesserte Chloë schniefend.
>Richtig, für die noch viel weniger. Aber wenn wir ihn mitnehmen, verbreitet sich das Zombie-Virus, oder was immer es ist, immer mehr in Jason. Der Unterarm muss ab!<

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