TV-Leap: Black Emmanuelle
von Carsten Maday

Kapitel
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2332. Tag

>Du, Chantal. Was ist eigentlich aus deiner großen Liebe geworden?<, fragte Susi.
Ich überlegte kurz. Sie meinte wohl Mechthild.
>Sie ist in einer anderen Welt, glaube ich.<
>Das tut mir leid für sie<, sagte Susi traurig.
>Muss es nicht. Diese Welt hat es nicht besser verdient.< Ich sah wieder in die Dunkelheit. Es war kurz vor Morgengrauen. Wir hatten uns den Tag über verborgen gehalten und in der Nacht endlich das Laborgelände erreicht. Ich hielt das Nachsichtgerät vor meine Augen und warf erneut einen Blick auf das Gelände. Der Gebäudekomplex war hufeisenförmig angelegt. Der Innenhof war groß und hatte ehemals auch größeren Lkws genug Platz zum Wenden geboten. Der Hof war leer. Unkraut und Buschwerk hatten sich ihren Weg durch den Asphalt gebahnt. Der Zaun, der das Gelände umgab, war weitgehend zerstört. Einige Rehe standen auf dem freien Feld zwischen dem Gebäude und dem angrenzenden Wald. Das Firmenzeichen auf dem Gebäude war noch immer gut zu lesen: CATO Corporation. Ein weltweit operierender Pharmakonzern mit Hauptsitz USA, wie Susi herausgefunden hatte. Der Komplex war vier Kilometer von der nächsten, nun verwaisten Ortschaft entfernt. Hier war es schon vor dem großen Fest einsam gewesen. Nun aber war es gespenstisch. Um so obszöner nahm sich das Licht in einem der Fenster aus, das einsam in einer dunklen Nacht schien.
>Was hältst du davon<, fragte ich Susi, die neben mir am Waldrand auf dem Boden lag. Sie trug wieder ihren Latexanzug und den Helm. Die Sonne war nicht fern.
>Wenn es eine Falle wäre, hätte man sicherlich kein Licht angemacht. Vielleicht ein Überlebender, der sich dort versteckt. Kann auch sein, dass das Licht seit sechs Jahren an ist. Ich war mal in New York. Dort brannten noch immer Lichter an den ungewöhnlichsten Stellen. Keine Ahnung, wo der Strom dafür herkam, aber diese Energiesparlampen halten ziemlich lange.<
>Gut<, sagte ich. >Finden wir es heraus.< Ich schwang die AK auf meinen Rücken und packte das MG. Im Schutze der Dunkelheit huschte unser Grüppchen über das freie Feld zum Gebäude.
>Alles klar<, flüsterte Susi, als wir der Hof betreten hatten. >Wir nehmen das Tor dort drüben. Gehen wir rein.<
>Wartet<, sagte Matt hinter uns.
>Was ist...<, begann Susi und brach ab. Ich dreht mich um und sah Matt. Er hielt Doktor Heinz im Griff vor sich und drückte ihm den Lauf seiner Pistole auf die Schläfe.
>Keine Bewegung. Auch du nicht, Susi<, sagte Matt mit amüsiertem Lächeln, das ich ihm liebend gerne aus dem Gesicht gewischt hätte. >Du bist schnell, aber den Doktor erwischt es, bevor du mich erreichst. Und den braucht ihr doch, oder? Waffen fallen lassen.< Er drückte zur Drohung dem vor Angst schlotternden Doktor die Waffe noch fester in die Haut. Wir kamen seiner Forderung nach. Ich ließ das MG fallen, legte die AK, die Desert Eagle, das Bowiemesser und nach Matt´s Aufforderung die Pistole aus dem linken Stiefelschaft ab.
>Auch die Schwerter, meine Damen!< Missmutig legten Elaine und Susi ihre Klingen ab. Matt griff mit einer Hand sein Funkgerät und stellte eine neue Frequenz ein. >Holt uns ab<, gab er durch. Er wandte sich wieder uns zu.
>Es wir nicht lange dauern. Ich habe einen Sender bei mir. Sie folgen uns schon die ganze Zeit über auf dem Fuß.<
>Warum?<, fragte Elaine.
>Ich hatte es schon lange satt, immer nur gejagt zu werden. Jäger sein ist doch viel besser. Alles was mir fehlte, war etwas, das ich den Vampiren im Tausch dafür anbieten konnten, dass sie mich in einen von ihnen umwandeln. Als ich vom dem Labor gehört habe, war meine Chance da. Die Vampire sind die Herren in dieser Welt. Und wenn es erst einmal ein Gegenmittel gibt, und die Menschen sich wieder vermehren, sind die mageren Zeiten vorbei. Ich will dabei sein, wenn das Blut wieder in Strömen fließt.<
>Verdammt<, stieß Susi aus. >Es tut mir leid, Elaine. Irgendwie hatte ich dich in Verdacht gehabt.<
>Mich?<, sagte Elaine entsetzt. >Warum sollte ich ein Vampir werden wollen? Allein der Gedanke, die warme, dickflüssige Köperflüssigkeit eines anderen Menschen in den Mund zu nehmen und zu schlucken, bereitet mir Übelkeit.<
>Da hab ich aber schon andere Sachen von dir gehört<, wieherte Matt vor Lachen. Susi und ich konnten Elaine nur mit Mühe davon abhalten, sich trotz allem auf Matt zu stürzen. Sie hatte sich kaum beruhigt, als wir Motorenlärm hörten. Kurz darauf kam ein kleiner Fahrzeugkonvoi auf den Hof gefahren. Es waren zwei Jeeps mit montierten MGs, eine verdunkelte Limousine und ein Mannschaftstransporter, von dem schwerbewaffnete, völlig vermummte Vampire absaßen. Sie umzingelten uns.
>Keine Sorge<, konnte ich Susi noch ins Ohr flüstern. >Kevin steckt hier irgendwo.< Das war meine Rückversicherung. Kevin sollte sich absetzten und vor uns beim Labor Stellung beziehen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass uns hier zwei Dutzend Schwerbewaffnete gegenüberstehen würden. Dagegen konnte auch Kevins Scharfschützengewehr wenig ausrichten.
Die Fahrertür der Limousine ging auf. Der Fahrer stieg aus und öffnete die hintere Tür. Ich hielt gebahnt den Atem an. Erleichtert stieß ich ihn aus, als ich sah, wer ausstieg. Es war Stingy, der Vampir, der Susi und mich vor mehr als sechs Jahren angegriffen hatte. Ich stieß Susi an, die starr war vor Entsetzen.
>Puh, Glück gehabt<, sagte ich. >Für einen Moment habe ich glaubt, es könnte diese Black Emmanuelle sein!<
Nach Stingy stiegen auch noch seine beiden Kumpanen aus. Der Mann grinste lüstern, als er mich sah. Die Frau fasste sich instinktiv an die Kehle und schenkte mir einen wütenden Blick. Alle drei trugen schwarze Schutzanzüge und setzen sich nun Helme auf. In wenigen Augenblicken würde die Sonne aufgehen. Mit langsamen Schritten kam Stingy auf uns zu.
>Wer ist das<, fragte Elaine.
>Das ist Gregor<, sagte Susi. Der Helm verzerrte die Stimme, die Angst darin war dennoch zu hören. >Er ist der Anführer meines Clans.<
>Das ist dein Anführer?<, sagte ich entrüstet. >Das kleine Detail hast du aber verschwiegen.<
>Ich wollte dich nicht beunruhigen<, erwiderte Susi.
>>Ja, Danke. Hat auch wunderbar funktioniert. Fühle mich völlig ruhig und entspannt.<
Stingy oder Gregor, wie er sich nannte, hatte uns erreicht. Er legte Matt lobend die Hand auf die Schultern. Dann wandte er sich uns zu. >Susi<, sagte er. Es war das einzige Wort, das er sprach. Es klang endgültig, wie ein Todesurteil. Zur Vollstreckung kam es nicht. Zu Überraschung aller detonierten zwei Claymore-Minen im vorderen Bereich des Hofes.
Die Sonne. In modernen Filmen reduzierte man die Anti-Vampirleistung des Himmelskörpers gerne auf seine UV-Strahlung. Helden machten sich das zunutze und erledigten die Blutsauger mit UV-Lampen. Wenn es so einfach wäre, würde ich mit einen Scheinwerfer und einer zwanzig Kilo schweren Batterie auf dem Rücken umher laufen. Es war nicht so einfach. In diesem Film wirkte nur das reine Sonnenlicht. Es sprach die Urangst des Menschen an, die sich in Vampiren manifestierte: ich bin sündig und mein Handeln falsch. Tief im Inneren wussten Vampire, dass es irgendwie moralische bedenklich war, ein paar Liter Blut aus den Hälsen fremder Menschen zu saugen. Das Sonnenlicht brachte diese Erkenntnis ans Licht, und Erkenntnis tat bekanntlich weh. So herrschte schiere Panik, als die Sonne ihre ersten Strahlen auf den Hof sandte und die Minen explodierten. Die Claymore-Minen spieen Hunderte von kleinen Stahlkugeln aus, die über den Hof fegten. Wir warfen uns zu Boden und hörten sie zischend über uns, als sie die Scheiben und Karosserien der Fahrzeuge zerschlugen. Die Minen waren für eine tödliche Wirkung zu weit aufgestellt gewesen, aber das Jammergeschrei der Vampire entstand nicht durch die Schmerzen, die die Stahlgeschosse verursachten, sondern durch die Löcher, die sie in ihre schwarzen Schutzanzüge rissen. Gnadenlos drangt die Sonne ein, und überall sah man Vampire, die verzweifelt versuchten, die Risse in ihren Anzügen mit ihren Händen zu verdecken, oder sich in den Schatten der Fahrzeuge zu flüchten.
Es gab nicht viel, was Vampiren außer der Sonne wirklich Angst machte. Aber ein über sechzig tonnenschwerer Challenger Zwo Panzer, der nun mit Vollgas aus dem Wald brach und auf den Hof zuraste, gehörte sicherlich dazu. Das stählerne Ungetüm verlor unentweckt Blattwerk und Äste, mit denen es getarnt war. Die Erde bebte unter dem Gewicht des Kolosses.
>Das ist Kevin<, rief ich triumphierend und griff mir meine AK, die noch immer vor mir auf dem Boden lag. Die unverletzten Vampire eröffneten das Feuer auf den Panzer. Elaine sprang Matt wie eine Raubkatze an und riss ihn zu Boden. Gregor und seine beiden Handlanger rannten über den Hof in die sonnengeschützte Sicherheit des Gebäude.
Susi nahm ihre Waffen auf und feuerte auf einen Vampir, der wie wild im Kugelhagel tanzte. Die Sonne drang durch die Einschusslöcher. Erst rauchte er, dann ging er völlig in Flammen auf.
>Los<, schrie Susi und riss Elaine von dem fast bewusstlosen Matt herunter, dessen Gesicht sie gerade mit dem Gewehrkolben bearbeiten wollte. >Wir müssen ins Gebäude.<
Das Kettenklirren des Panzer war ohrenbetäubend, als er den Asphalt des Hofes umgrub. In müheloser Leichtigkeit fuhr er über die Limousine, in deren Schatten sich einige Vampire versteckt hielten. Furchtbarer Schreien erklang. Einige Vampire, deren Anzüge noch intakt waren, flohen. Wir erreichten das Tor.
>Geht rein<, rief uns Elaine zu. Sie kniete sich in den Eingang und nahm den Hof unter Feuer. Susi und ich rannte ins Gebäude. Wir kamen zu einem Fahrstuhl. Er war noch in Betrieb.
>Nimm die Treppe, Susi<, sagte ich. >Du bist schneller.< Susi nickte und rannte los. Sorgen machte ich mir nicht um sie. Sie würde Gregor finden und zur Strecke bringen. Schließlich war sie wütend, gut ausgebildet und die weiblich Hauptrolle dieses Streifens. Da machte ich mir keine Illusionen. Der Film hieß wohl kaum Chantal, die Vampirjägerin. Der Aufzug kam. Ich drückte das Kellergeschoss. Es war immer im Keller. Der Aufzug rauschte weit nach unten. Der Komplex war in die Tiefe gebaut worden. Er sollte keinen Verdacht erregen. Ich überprüfte meine Waffen. Ich nahm meine Brille aus dem Etui und setzte sie auf. Sie war hinter dem Kopf mit einem Gummiband verbunden. Nicht schön, aber rutschsicher. Ich zielte mit der AK auf die Türen. Sie öffneten sich. Ich war angekommen. Susi sah ich nicht. Aber sie musste hier gewesen sein. Vor dem Treppenaufgang lag der kopflose Körper eines Mann. Es war der namenlose Handlanger.
Langsam schlich ich durch die weißen, neonerleuchteten Gänge. Büros, Labore, Vorratsräume. Alle verlassen und dunkel. Die Gänge waren weitläufig. In dem Komplex mussten einst mehrere hundert Menschen gearbeitet haben. Ich kam an eine riesige gepanzerte Tür. Sie stand weit offen. Dahinter lag ein System aus Luft- und Dekonterminationsschleusen. Sie waren inaktiv. Ich drang weiter in diesen ehemals hoch sensiblen Bereich vor.
Irgendwann hörte ich ein Geräusch. Es ließ mich schreckhaft zusammenfahren. Der Schweiß lief mir über mein getarntes Gesicht, als ich mich vorsichtig einer offenstehenden Labortür näherte. Es brannte Licht. Ich stand in der Tür. Ich sah am Ende des Labors einen mit Schriftstücken überfüllten Schreibtisch. Mitten dazwischen stand eine alte Kaffeemaschine. Die Kanne vor halb voll. Der Kaffee dampfte und roch frisch und verführerisch. Ich machte einen Schritt ins Labor. Hände schossen vor und entrissen mir mit stählernem Griff die AK. Die Waffe flog in den Raum und ich hinterher. Ich wurde über den Labortisch geschleudert, fegte Reagenzgläser und Monitore um und landete krachend in einem Regal. In einem Film wäre das jetzt der Auftakt zur großen Heldenverprügelungsszene. Der Held bezog ordentlich Dresche und steckte die unmenschlichsten Schläge ein, nur um dann in letzter Sekunde noch einmal zu kommen. Obwohl erschöpft und halbtot, bezog er von irgendwoher noch einmal neue Kraft und dreht den Kampf im letzten Moment. Angeschlagene Boxer waren ja die gefährlichsten. In meiner fiktionalen Realität lief die Sache allerdings anders. Jeder Schlag tat höllisch weh. Und wenn man mir nur oft genug auf den Kopf schlug, würde ich den Kampf nicht mehr drehen, sondern sterben.
Ich spürte einen brennenden Schmerz, als ich vom Regal auf den Boden schlug und mein rechter Arm brach. Ich schrie. Dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen, als ich mich verzweifelt aufrappelte. Die Vampirin stand noch immer an der Tür. Der Labortisch war zwischen uns. Ich fühlte den Klappspaten an meiner Koppel. Aber nur eine verdächtige Bewegung und die Vampirin würde über mir sein. Ich beschloss mein schauspielerisches Talent in die Waagschale zu werfen. Viel war es nicht, aber vielleicht reichte es für ein B-Movie. Die Vampirin sah mich mit rotglühenden Augen an. Sie fasste sich an die Kehle.
>Ich habe immer gehofft, dass du überlebt hast<, zischte sie. >Sei bereit für deinen schlimmsten Albtraum.<
>Nun<, sagte ich. Meine Augen flogen über den Labortisch. >Mein schlimmster Alptraum wäre wohl, wenn der Film hier Machiste gegen die Vampire hieße.<
>Was redest du da<, fragte die Vampirin verwirrt. Sie machte einen Schritt auf mich zu. Meine Hand schoss vor und griff einen Gegenstand auf dem Tisch.
>Zurück<, schrie ich hysterisch und riss meinen heilen Arm dramatisch in die Höhe. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt ich ein Reagenzglas. >Oder ist zerstöre das Gegenmittel.< Die Vampirin erstarrte. Sie sah mich an, unschlüssig, was sie tun sollte.
>Zurück<, schrie ich erneut und fuchtelte drohend mit den Glas. Sie machte tatsächlich einen Schritt zurück.
>Woher weiß ich, dass...He, das Glas ist ja leer<, erkannte die Vampirin. Bevor die Erkenntnis durchsickern konnte, warf ich das Glas über den Tisch. Die Vampirin machte wider besseren Wissens einen Ausfallschritt, um es zu fangen. Ich fuhr hinab und fingerte meine Reserve-Reservewaffe aus dem rechten Stiefel. Die Vampirin fing instinktiv das Reagenzglas, nur um es kurz darauf wutentbrannt zu Boden zu schleudern. Als sie sich umdrehte bellte die 38´er auf. Zwei in die Knie, eine in die Kehle. Das letzte, was die Vampirin sah, war eine müde Frau in den mittleren Jahren, mit einem gebrochenen Arm und einem Klappspaten in der anderen Hand, die langsam auf sie zu kam.



2334. Tag

Ich las ein letztes Mal den Tagebucheinträg. Ich hatte das Buch auf dem Laborschreibtisch neben einer noch warmen Kaffeetasse gefunden. Von dem ehemaligen Besitzer war keine Spur. Er hatte den Ort fluchtartig verlassen. Susi hatte mich irgendwann gefunden. Wie prophezeit hatte sie Gregor erledigt. Er hatte ihr ordentlich zugesetzt, aber am Ende konnte sie den Kampf noch einmal drehen. Wir fuhren nach oben. Wir fanden Kevin, Elaine und den Doktor wohlbehalten vor. Sie begrüßten uns freudig. Kevin umarmte mich vorsichtig. Dann versorgte Doktor Heinz meinen Arm. Von den Vampiren war auf kettenzerwühlten Hof nichts mehr zu sehen. Kevin und Elaine hatte ganze Arbeit geleistet. Der einzige Wehmutstropfen war, dass es Matt in dem Chaos irgendwie gelungen war zu fliehen.
Der Doktor machte sich gleich an die Arbeit und sichtete die Funde. Ein Gegenmittel war nicht darunter. Aber er fand detaillierte Aufzeichnungen und Studien über das Virus. Der Doktor war zuversichtlich, dass sich damit und mit etwas Zeit ein Gegenmittel entwickeln lassen würde. Wir schaffen alles in den Panzer. Das gute Stück hatte Kevin in einer verlassenen Kaserne gefunden. Kevin und der Doktor verstauten die letzten Gegenstände. Ich saß mit Susi im Labor. Wir warteten auf den Sonnenuntergang, um aufzubrechen.
Der Tagebucheintrag verschaffte mir eine Gänsehaut:
>Lieber Charles. Wie lange nun liegt die Nacht schon zurück, in der ich Dich und die Kinder verloren habe? Manchmal kann ich es noch immer nicht glauben und erwarte, dass du gleich du Tür herein spazierst. Hatte ich je Zweifel, an dem, was ich getan habe, so sind sie durch das, was ich in den letzten Jahren gesehen habe, endgültig beseitigt. Die Menschen sind Würmer, die allzu bereitwillig vor ihren Herren kriechen. Wir wollen nicht länger zögern. Die zweite Phase-<
Der Eintrag brach ab. Es war er erste Eintrag in einem völlig leeren Buch. Nur der Name des Besitzer war ein getragen. Dieses Tagebuch gehört: Moira Cato.
>Weißt du was das heißt<, fragte Susi, die gerade an ihrem Strohhalm saugte, der in einer Blutkonserve steckte. Es war experimentelles, synthetisches Blut, das der Doktor in einem der großen Kühlelager gefunden hatte.
Ich überlegte. Vermutlich hatten Vampire die Familie von Moira Cato getötet. Krank vor Rache hatte sie einen schrecklichen Plan entworfen. Um die Vampire zu töten, musste man sie erst einmal finden. Dazu musste man ihnen die Deckung nehmen, die Menschen. Wenn die Lebenden fielen, blieben die Toten stehen und boten eine gute Zielscheibe. Es erinnerte in seiner krankhaften Logik an den Einsatz von Agent Orange in Vietnam.
>Ich glaube das heißt, dass es jemanden gibt, der Vampire noch mehr hasst als ich<, antwortete ich Susi.
>Sehr witzig<, sagte Susi. >Ich meine die zweite Phase, von der Moira Cato schrieb. Sie plant irgendetwas und das macht mir Angst. Ich glaube, es ist noch lange nicht zu Ende. Es beginnt vielleicht gerade erst.<
>Nein<, sagte ich entschieden. >Es ist alles bestens. Der Doktor entwickelt ein Gegenmittel und der Menschheit wird´s wieder prima gehen.<
>Ja, aber-<
>Nein, es wird prima, hörst du? Überhaupt kein Grund, eine Fortsetzung zu drehen!<
>Fortsetzung?<
>Ach, schon gut. Komm, wir wollen gehen.<
Wir schlenderten durch den langen Gang zum Fahrstuhl. Susi lutschte bekümmert an ihrer Konserve.
>Ich fürchte, meine Vorstellung von einer Welt, in der Vampire und Menschen einen Modus vivendi finden, ist nur eine alberne Utopie. Gregor und Moira sind der beste Beweis.<
>Ja<, sagte ich und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. >Aber es gibt auch noch andere. Dich zum Beispiel.<
Susi lächelte mich erleichtert an. >Dann magst du mich, obwohl ich ein Vampir bin?<
Ich nickte. >Weil ich dich kenne.<
>Dann hast du ja etwas wichtiges gelernt, Chantal.<
>Ja< Ich nickte erneut. >Ihre habt genau so viel Angst vor einem Panzer, wie jeder andere auch.<
Der Fahrstuhl kam. Wir stiegen ein. Susi saugte den letzten Rest aus der Konserve und warf sie zurück in den Gang.
>Und<, fragte ich. >Wie schmeckt ´s?<
>Irgendwie wie ein alkoholfreies Bier.<
>Das tut mir leid. Dann müssen wir eben weiter nach anderen Alternativen suchen.<
>Nein, nein. Du verstehst mich falsch. Es schmeckt gut. Sehr erfrischend.<
Ich sah sie befremdet an.
>Ihr seit doch keine Menschen!<
>Was soll das heißen?<, sagte Susi beleidigt. >Als ich noch Mensch war, habe ich sehr gerne alkoholfreies Bier getrunken.<
>Du machst mir Angst<, sagte ich. Die Fahrstuhltür schloss sich und ich sprang.

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