TV-Leap: Dr.Mental gegen die Unheimlichen Vier
von Carsten Maday

Kapitel
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>Was?<, schrie ich gegen den Motorenlärm.
>Ich habe gefragt, ob die X-Men sauer sein werden, wenn sie den Diebstahl ihres Jets feststellen<, brüllte Queen Tarawa in mein Ohr.
>Nicht Diebstahl, sondern Testflug<, erwiderte ich. >Die sollten uns dankbar dafür sein, dass wir die Schwachstelle ihres Jets gefunden haben. Eine Bodenluftrakete und schon stürzt er ab.< Obwohl Queen Tarawa sich als hervorragende Piloten erwiesen hatte, hatte sie einen Absturz nicht verhindern können. Wir hatten es unbeschadet überstand, der Jet leider nicht.
Queen Tarawa drückte sich fester von hinten an mich.
>Was tust du da?<, brüllte ich.
>Na ich halte mich fest. Was denkst du denn? Machst dich das nervös?<
>Nein, aber ich muss mich konzentrieren. Ich darf nicht die Orientierung verlieren.< Und schon gar nicht die sexuelle, fügte ich Gedanken hinzu und fragte mich insgeheim, wie perfekt eigentlich Gregs Verwandlung war. Bis ins kleinste Detail? Ich schüttelte den Gedanken aus dem Kopf. Ich hatte genug andere Dinge im Sinn, z.b. dass wir auf einem Motorschlitten durch die eisige Ödnis der Arktis rasten, gefolgt von zwei motorisierten Handlagern Dr. Mentals, die mit Maschinenpistolen auf uns schossen. Malerische Einschläge spritzen um uns auf.
>Jetzt<, rief ich, als der Schlitten auf einen Hubbel zu schoss. Queen Tarawa griff unter meinen Achseln durch das Steuer. Ich richtete mich auf. Als der Schlitten über den Hubbel schoss, sprang ich. Ich machte im hohen Bogen einen Salto rückwärts und landete hinter einem der Handlanger auf dem Rücksitz seines Schlittens. Der schwarzuniformierte Mann drehte sich erschrocken um.
>Is was, Doc<, lächelte ich gewinnend. Ich packte seine MP und schleuderte ihn vom Schlitten. Er kam purzelnd zum liegen, während sein Kollege nun auf mich zu kam. Ich nahm die Waffe, zielte und drückte ab. Nichts. Keine Munition. Das passierte heute nicht zum ersten Mal. Mal klemmte meine Fell im Abzug, mal war es Ladehemmung und mal keine Munition. Ich mutmaßte langsam, eine höhere Instanz wollte verhindern, dass ich diesmal durch Ströme aus Blut warten musste. Wahrscheinlich war der Film FSK frei ab zwölf Jahren. Das heißt, der Held darf nicht zu brutal sein, seine Gegner allerdings schon.
Ich warf die Waffe nach dem anderen Handlanger. Er wich geschickte aus und rammte mich mit voller Wucht. Mein Schlitten kippte um und ich stürzte in den Schnee. Der Handlanger raste hinter Queen Tarawa her. Langsam kam er näher. Ich rannte hinterher. Der Handlanger lud nach, zielte auf die Queen, dann flog er im hohen Boden durch die Luft, als ich ihn packte und fortwarf. In der Stadt auf Asphalt war Supermann vielleicht schnell, aber auf harschigen Schnee gab es nichts besseres als die Riesenfüße eines Superhasen. Ich sprang auf den Schlitten und setzte mich neben Queen Tarawa. Sie trug ein entzückendes Apri-Ski Outfit. Nichts besonders, wie sie versicherte, einfach nur etwas, was in ihrem Schrank hing.
>Ich glaube, wir sind da<, schrie die Queen. Vor uns ragte ein zerklüfteter Berg auf. Spuren von Schlitten und Schneeraupen führten auf eine finstere Schlucht zu, die wie ein Schwerthieb im eisigen Gebirge wirkte. Dort musste es sein. Das Geheimversteck Dr. Mentals. Dort wurde der gigantische Quantenvergrößerer gebaut, dort wurden Claire und Bridget gefangen gehalten. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Und das lag nicht nur an dem Begriff Quantenvergrößerer.

>Los, Jungs, ziehen wir ihnen das Fell über die Ohren<, rief Dr. Mental. Ich seufzte müde und stürzte mich ins Handgemenge. Wir befanden uns in der riesigen Eingangshalle aus Eis. Dr. Mental erwartete uns. Ein halbes Dutzend Handlanger leistete ihm Gesellschaft. Ich war überrascht, schon so früh auf den Oberbösewicht zu stoßen. Normalerweise kam der immer zum Schluss. Die Handlanger stürzten sich auf uns. Wir hatten keine Probleme, sie zu überwältigen. Immerhin hatten wir Superkräfte und die Queen konnte ganz schön austeilen.
Dr. Mental stand uns nun allein gegen über. Das nahm im allerdings wenig von seiner Selbstsicherheit. Er nahm die schwarze Kapuze ab. Es war tatsächlich Jeff. An seinem Mantel hing ein Sponti-Button, den er wohl von Claire geklaut hatte. Lieber niederträchtig als hochschwanger stand darauf. Zumindest wussten wir jetzt, dass Claire wirklich hier war.
>Ah, neue Besucher<, sagte Dr. Mental alias Jeff mit höhnischer Stimme. >Bleibt doch eine Weile. Bleibt für immer, hahahahaha.< Mitten im irren Gelächter machte Jeff eine Bewegung und vor dem Ausgang fuhr eine undurchdringliche Stahlbarriere hinunter. Wir waren in Dr. Mentals eisiger Festung gefangen.
>Wie schön, dass ihr mich besucht<, sagte Jeff. >Bei seinen vielen Vorzügen ist es doch die Schwäche dieses Geheimstürzpunktes, dass er etwas weit vom Schuss liegt. Ich bekomme so selten Besuch.<
>Warum sparst du dir nicht den Versuch, gleichzeitig irre und witzig zu sein, und übergibst uns Claire und Bridget<, sagte ich. Einen Versuch war es wert.
>Oh, Harvey, Harvey. Du warst schon immer scharf auf meine Bridget, was? Es ist wohl an der Zeit, dir eine Lektion zu erteilen.< Seine Hände schossen aus den Ärmel und fuchtelten in der Luft herum. Jeffs Lippen murmelten unverständliche Worte. Ich spürte, wie etwas nach meinem Geist griff, ihn in seine Gewalt zu bringen versuchte. Es war, als versuche man ein glitschiges Stück Seife zu packen. Es glitt immer wieder davon. Verwirrt stellte Jeff seinen Hypnoseversuch ein.
>Es muss an der Kaninchen DNS liegen<, meinte Jeff schließlich. >Ich kann deinen Geist nicht kontrollieren.< Vielleicht lag es wirklich daran. Andererseits hatte der Wissenschaftler uns verraten, dass ein emotionaler Schock ein Opfer aus Dr. Mentals Griff befreien konnte. Wenn ich es mir recht überlegte, war meine gesamte Existenz ohnehin nicht mehr als ein ununterbrochener Schockzustand. Ich schenkte Jeff ein breites Häschengrinsen und machte einen Schritt auf ihn zu.
>Wirkt nicht, wie?<, sagte ich drohend.
>Harvey<, sagte die Queen.
>Ja?<
>Ich glaube, bei mir funktioniert es aber.< Ich drehte mich um und sah Queen Tarawa. Sie wirkte benommen. Das änderte sich, als Jeff ihr lachend befahl, mich umzubringen. Die Benommenheit schwand aus ihrem Blick, machte Entschossenheit und Mordlust platz.
>Oh mein Gott<, schrie ich vor Entsetzen auf und zeigte auf die Queen. >Spliss!<
>Wo?<, rief Queen Tarawa und fasste sich entsetzt ans Haar. Der emotionale Schock war leider nicht groß genug, um sie aus Dr. Mentals Griff zu befreien, reichte aber aus, um mir ein paar wertvolle Sekundenbruchteile zu verschaffen. Ich machte einen riesigen Satz auf Jeff zu und drosch ihm mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Es gab ein dumpfes Scheppern. Ich schrie vor Schmerz auf, als Jeffs Kopf abriss und im hohen Bogen davonflog. Der Rumpf stand noch immer und tapste orientierungslos herum. Statt einer Blutfontäne sah ich Drähte aus dem Hals ragen. Ich machte einen weiteren Satz und entkam knapp einem Hieb der Queen. Ich rannte auf das Ende der Halle zu. Dort befanden sich mehrere Sicherheitstüren, die sich langsam zu schließen begannen. Als guter Held schaffte ich es gerade noch, durch den sich rasch verkleinernden Spalt zu schlüpfen, ehe die tonnenschwere Stahlbarriere hinter mir auf den Boden traf. Ich war allein. Vor mir ein aus dem Eis gehauener Gang. Eine rote Warnleuchte tauchte ihn in ein schummriges Licht. Ein Androide, dachte ich. Da hätte ich eigentlich drauf kommen müssen. Das war in den Achtziger modern. Man denke an den Terminator oder Data. Und Androiden waren so schön billig. Ein ganz normaler Mensch ohne Special Effects. Nur hier und da sah man mal ein paar Drähte. Jeff hatte es also geschafft, seine Persönlichkeit auf eine Maschine zu transferieren. Das erklärte auch, warum er in der Nacht des Überfalles auf das Orionlabor gleichzeitig am Tatort und bei Bridget gewesen war. Es gab mehrere Jeffs.
>Verdammt<, sagte ich in die Stille hinein. >Auf einmal ist alles so logisch.<
>Hallo, Harvey< Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich Jeffs Stimme verzerrt aus einem Lautsprecher vernahm. Es war die sanfte, emotionslose Stimme eines Computers.
>Du kannst mich nicht aufhalten, Harvey. Ich habe meinen Geist bereits von meinem Körper gelöst und auf den Speicherkern transferiert. Und in wenigen Minuten werde ich durch den Quantenvergrößerer unendliche Macht erhalten. Ich werde überall sein, Harvey.<
>Und was ist mit Bridget.<
>Aber Harvey. Bridget hilft mir dabei. Ihre Kraft brauche ich, um den Quantenvergrößerer zu kontrollieren. Sie wird sich opfern, für mich und die neue Weltordnung, die ich bringe.<
Das hörte sich nach einem zweiten Hitler an, nur das er statt mehr Raum mehr RAM brauchte.
>Gib auf Harvey. Du kannst sie nicht mehr befreien.<
Ich nahm das Oropax aus den Ohren und konzentrierte mich. Eine Vielzahl verwirrender Geräusche drang an meine sensiblen Superhäschenohren. Ich filterte sie heraus. Ich suchte nach etwas bestimmten. Dann hörte ich sie. Es waren Claire und Bridget. Sie steckten tief im Inneren des Komplexes. Es schien ihnen gut zu gehen.
>Denk noch mal drüber nach<, hörte ich CG´s Stimme.
>Das muss ich nicht<, antwortete Claire. >Ich will keinen Bausparvertrag. Das ist uncool.<
>Aber nein, ist es nicht.<
>Klar. Nur Spießer haben so etwas.<
>Aber du musst für deine Zukunft vorsorgen, Claire. Du hast auch keinen festen Job.<
>Ja, wie soll ich den auch haben, wenn ich alle fünf Minuten los muss, um arme Menschen zu retten? So was passt doch keinem Chef. Außerdem solltest du mir schon gar nicht Vorhaltungen machen. Schlie0lich hat uns dein Freund entführt. Herrgottnochmal, er ist Dr. Mental.<
>Immerhin hat er einen Doktortitel.<
>Ja, von der Uni Trinidad-Tobago. Ich hab die Urkunde gesehen.<
>Wenigstens hatte ich schon mal einen Freund, Claire. Bei dir ist weit und breit keiner in Sicht.<
>Es ist auch schwer jemanden zu treffen, wenn man in der Arktis an einen Quantenvergrößerer angekettet ist, CG. Aber zu deiner Information, es gibt da jemanden.<
>Ja<, fragte Bridget überrascht. >Kenne ich ihn?<
>Ja, es ist-<
Ich hatte genug gehört und rannte los. Dr. Mental nahm es zur Kenntnis:
>Es hat keinen Zweck, Harvey. Styx bewacht deine Freunde. Und Queen Tarawa wird ihr in Kürze Gesellschaft leisten. Du kannst sie nicht besiegen.<
Er hatte recht. Ich rannte noch schneller. Schotte, Türen, eisige Gänge rasten an mir vorbei.
>Wo läufst du hing<, fragte Dr. Mental, als er erkannte, dass ich nicht Richtung Claire und Bridget lief.
>Jeff<, sagte ich keuchend. >Kennst du eigentlich den Film 2001 Odyssee im Weltall?<
>Ich werde bald alle Filme kennen, Harvey. Dieser spezielle ist völlig überbewerte. Länge macht noch keine Kunst... Oh, verdammt!< Laute Musik ertönte aus den Lautsprechern, die überall verteilt waren. Ich schrie vor Schmerzen auf und zwängte das Oropax wieder in meine Ohren. Jeffs Versuch, mein Gehör zu verwirren, kam zu spät. Ich wusste, wo mein Ziel lag.
>Du verwendet die neuen 3480 Magnetbänder von IBM, was Jeff? Ganz schön teuer und ziemlich leise.<

Ich befand mich in der Zentrale der Macht. Tief im inneren des Geheimversteckes lag der Computerkern ungeschützt vor mir. Endlose Reihen von Schränken, in denen sich Speicherbänder wild drehten, zogen sich doch den riesigen Raum. Ein Gewirr von Kabeln zog sich über die Decke. Ich hatte auf dem Weg hierhin ein paar Handlanger ausgeschaltete, aber ernsten Widerstand gab es nicht. Sie waren alle beim Quantenvergrößerer. Wo sollte ich anfangen? Es gab keine sichtbare Box mit Chips, die ich herausziehen konnte. Also öffnete ich den ersten Schrank.
>Das kannst du nicht tun, Harvey<, sagte Jeffs sanfte Stimme. Und ob ich konnte. Ich packte die Bandkassette und riss sie heraus. Als ich den ersten Schrank geleert hatte, ging ich zum nächsten. Das würde seine Zeit dauern und anstrengend werden, aber die Hauptsache bei der Arbeit war, dass sie Spaß machte.
>Wir können uns doch bestimmt irgendwie einigen<, meinte Jeffs Stimme, als ich bereits knietief in abgewickelten Magnetband stand. Ich schüttelte den Kopf.
>Das kannst du nicht tun, Harvey.<
>Das hatten wir doch schon<, sagte ich. Dann wirbelte ich herum, als ich realisierte, dass es nicht Jeffs Stimme war, die zu mir sprach. Hinter mir stand Claire, bedrohlich und aggressiv, wie an dem Tag in der Gasse, als ich das erste Mal Punk Girl getroffen hatte. Ihr vernebelter Blick verriet, dass sie unter Dr. Mentals Einfluss stand. Claire stürzte sich ohne weitere Warnung auf mich. Ich wollte zur Seite hopsen, verfing mich aber im Magnetband. Claires Rechte erwischte mich mitten auf der Brust. Ich schlitterte mehrere Meter durch den Bandsalat am Boden. Ehe ich wieder auf die Beine kommen konnte, sah ich Claire heranstürmen. Ich warf in rascher Folge drei Karotten. Eine traf ihren Knöchel, und Claire tauchte ebenfalls ins Magnetbandgewühl ab. Ich rappelte mich gerade auf und dachte fieberhaft über eine Möglichkeit nach, Claire auszuschalten ohne sie zu verletzen oder selbst umgebracht zu werden, als eine Hand aus dem Bandgewirr schoss, meinen Fuß packte und mich wieder umriss. Claire rutschte über mich und schlug mir zwei Mal heftig ins Gesicht. Ich schlang die Arme um sie und drückte sie fest an mich. Das nahm ihr für einen Moment die Bewegungsfreiheit.
>Claire, bitte, du musst dich wehren!< Sie verpasste mir eine Kopfnuss.
>Aua! Doch nicht gegen mich, gegen Dr. Mentals Einfluss.< Eine zweite Kopfnuss. Ich spürte, wie Blut über mein Fell strömte. Ich rollte mich herum, packte Claires Kopf und hämmerte ihn auf den Boden. Sie stöhnte auf. Ich konnte mich lösen und rappelt mich auf. Claire kam wieder auf die Beine. Ich bracht es nicht über mich, sie mit einem kräftigen Schlag daran zu hintern, was ich sofort bedauerte, als ich die Wut in ihren Augen sah. Ich nahm einen Meter Anlauf und sprang in Captain Kirk Art mit beiden Füßen voran auf Claires Brustkorb zu. Das sah zwar gut aus, war aber sinnlos, da es einem jegliche Möglichkeit zu reagieren nahm, wenn man erst einmal durch die Luft flog. Claire wich mit einem Schritt aus und ich landete hart auf dem Boden. Claire sprang heran und packte meine Beine. Mit Leichtigkeit begann sie mich wie ein Hammerwerfer im Kreis herumzuwirbeln. Immer schneller. Sie ließ los und ich flog schreiend durch dien Raum, krachte gegen die Decke und verfing mich in den Kabelsträngen, von denen einige rissen und funkensprühend auf den Boden schlugen. Die Sprinkleranlage ging an. Mein linker Fuß hatte sich in den Kabeln verfangen und ich hing hilflos von der Decke. Mein Fell war triefendnass. Zu allem Unglück sah ich Claire mordlüstern auf mich zu kommen. Das blond-lila Haar klatschte ihre nass im Gesicht. Ich sah zur Decke. Was hatte der Wissenschaftler gesagt? Ein Emotionaler Schock konnte ein Opfer befreien. Das oder ein starker Stromstoß. Ich versuchte eines der abgerissenen Kabel zu griffen. Claire kam immer näher. Ich streckte meine Finger, suchte nach jedem extra Zentimeter. Dann war Claire heran. Unsere Gesichter waren auf einer Höhe, ganz dicht. Meine Hände ertasteten ein Kabel. Ich griff zu. Claire holte zu einem letzten Schlag aus. Ich sah ihr ins Gesicht. Die Augen eines Killers waren darin. Aber es war auch noch immer das Gesicht meiner Freundin. Ich ließ das Kabel fahren. Meine Hände schossen vor und legten sich um Claires Kopf. Ich zog sie heran und küsste sie.
Es dauerte eine Sekunde, bevor Claire ihre Überraschung abgestreift hatte. Sie riss sich los und machte einen halben Schritt nach hinten. Ich sah in ihre Augen. Verwirrung lag darin. Aber dann kam die Entschlossenheit zurück. Sie machte einen Schritt auf mich zu, hob die Hände, schlang sie um meinen Kopf und küsste mich.
Ich würde mir gerne Schmeicheln und behaupten, meine fabelhafte Fähigkeit als Küsser hätten einen emotionalen Schock bei Claire ausgelöst. Aber die Wahrheit war, dass sich diese Fähigkeit mit Häschenzähnen in überschaubaren Grenzen hielt. Vielleicht war die Tatsache, von einem zwei Meter großen rosa Kaninchen geküsst zu werden, Schock genug. Vielleicht war es auch einen angenehmer Schock gewesen, dass jemand unverhofft die eigenen Gefühle teilte, obwohl man sie selbst sich gegenüber tief im Inneren verborgen hielt.
Der Kuss endete. Wir lösten uns und kicherten etwas beschämt. Claire half mir aus den Kabeln. Gemeinsam knöpften wir uns die restlichen Magnetbänder vor, bis Jeffs Proteste mehr und mehr leierten und schließlich ganz verstummten. Claire legte für einen Moment ihre Hand in meine Pfote. Dann rannten wir Richtung Quantenvergrößerer.

Der Quantenvergrößerer glich dem in dem Labor, in das wir einst eingebrochen waren. Nur waren seine Ausmaße gigantisch. Riesige Kondensatoren reihten sich an den Wänden wie antike Säulen in einem Tempel. Mitten im Raum saß Bridget. Sie war auf einen stählernen Stuhl gefesselt und trug ein riesiges Halsband, dass, wie mir Claire erklärte, ihre Superkräfte kontrollieren sollte. Über der gesamten Anlage lag ein tiefer, brummender Ton, so als lade sie sich auf. Im Kontrollraum warteten Styx, Queen Tarawa und eine letztes Jeff-Backup, ein Androide, auf uns. Claire und ich hatten einen Plan. Sie sollte Bridget befreien und ich ließ mich zur Ablenkung verprügeln. Darin hatte ich mittlerweile Übung. Ich stürzte mich auf die drei und konnte den Jeff-Androiden schnell ausschalten. Anscheinend war die Kopf-Rumpfverbindung sein neuralgischer Punkt. Mit der letzten Kopie erlosch auch ihre Kontrolle über Queen Tarawa. Sie kam zu sich, war aber zu verwirrt um mir gegen Styx Beistand zu leisten. Das Schattenwesen brachte mich in arge Bedrängnis, bis ich endlich den erlösenden Ruf hörte.
>HALT< Es war die schöne und wütende Stimme Bridgets. Claire hatte sie befreit und ihr das Kontrollband abgenommen. Styx sah sie zornig an.
>Ihr könnt mich nicht aufhalten. Ich nehme es auch mit euch vieren auf<, fauchte sie giftig. Die blaue Klinge in ihrer Hand verlieh ihren Worten einiges Gewicht. Sie schien bereit zu sein, bei dem Versuch, ihren Meister zu rebooten, zu sterben.
>Wenn du meinst<, sagte Bridget unheilvoll. Es war an der Zeit, dass sie ihre Kräfte vorführte. Sie riss ihre Arme empor. Ihr Gesicht verfärbte sich puterot, als habe sie Verdauungsstörungen. Mein Brustkorb fühlte sich an, als läge ein zentnerschweres Gewicht darauf. Dann hörten wir das Kreischen. Metall schrie auf, als es sich dehnte und endlich riss. Krachen als Bolzen nachgaben. Die Kondensatoren zitterten. Langsam ruckelte der erste aus seiner Einfassung an der Wand auf die Raummitte zu. Dann der zweite, bald alle. Eine unsichtbare Hand zog die gewaltigen Zylinder unaufhaltsam in die Mitte, schneller, immer schneller. Sie prallten unter atemberaubenden Lärm auf einander. Wir pressen uns die Hände auf die Ohren und gingen vor dem Lärm auf die Knie. Der Druck auf meine Brust wurde unerträglich. Dann sah ich es. Die Kondensatoren wurden zusammengeknüllt wie ein weggeworfenen Blatt Papier. Bridget stand mit perfekt wehendem Haar inmitten dieser Hölle. Ich schoss die Augen und schrie die Luft auf den Lungen, um den Druck zu vermindern. Ich spürte auf einmal eine Hand in meiner. Es war Claires. Dann war es still. Ich öffnete die Augen und sah zu meinem Erstaunen, dass sich in der Mitte des Raum nur noch ein Metallklumpen von der Größe eines Schrankkoffers befand. Ich folgte Bridgets Blick zu Styx. Auf dem schattenhaften Gesicht zeigte sich etwas, dass ich als verlegenen Lächeln deutete. Dann lief Styx durch einen der Ausgänge davon. Wir ließen sie entkommen. Wir waren erschöpft und eine Verfolgung war zu riskant. Es war vollbracht. Wir rannten in die Mitte und umarmten uns.
>Sehr eindrucksvoll<, lobte ich Bridget bewundernd. Sie lächelte mich erschöpft aber befriedigt an.
Eine Alarmsirene unterbrach die Gruppenumarmung.
>Warnung! Kernüberlastung in drei Minuten< Natürlich, ohne alles verheerende Explosion am Ende konnte es nicht gehen. Queen Tarawa lief zu einem der Schränke im Kontrollraum.
>Was soll das<, fragte Claire. >Wir müssten raus.<
>Die Queen wedelte mit einer labbrigen fünfeinviertel Zoll Diskette und deutete auf den Rumpf des letzten Jeff-Androiden.
>Ich will sein Betriebsprogramm herunterladen. Er ist zwar Dr. Mental, aber nichtsdestotrotz ein Mensch, äh, eine Persönlichkeit. Ich will ihn nicht der Vernichtung überlassen.<
>Und das soll auf eine fünfeinviertel Zoll Diskette passen<, wunderte ich mich und gab mir die Antwort selbst. Natürlich. In den Achtzigern zählten die Programme noch in Kilo- und nicht in Gigabyte. Als Queen Tarawa fertig war, rannten wir zur Oberfläche. In einem Hangar fanden wir glücklicherweise einen Helikopter, den die Queen fliegen konnte. Mit einer malerischen Explosion im Hintergrund entkamen wir Richtung Heimat.

>Wie sahen sie denn aus? Ein rosa Hase und eine Schwarze? Aha. Eine sehr attraktive Schwarze? Vielen Dank. Nein. Sagen sie Professor Xavier doch bitte, dass wir leider nicht wissen, wer seinen Jet gestohlen hat. Warum versuchen sie es nicht mal bei den Fantastischen Vier?<
Wir waren wieder zuhause in New York. Greg versuchte gerade einen Anruf der X-Men abzuwimmeln. Claire steckte mit Bridget in ihrem Zimmer und bereitete sich für unsere erstes Date vor. Ich fragte mich, wie sie wohl aussehen würde, wenn sie heraus kam. Unglaublich schön mit einem Kleid? Ich hatte hie und da ein Ohr riskiert, aber entweder hatte ich die beiden lachen oder streiten gehört. Ich vertrieb mir die immer länger werdende Zeit am Computer. Greg hatte das Dr. Mentalprogramm überspielt. Einmal am Tag setzte er sich davor und unterhielt sich mit Jeff. Auch ein Gefangener brauchte Abwechslung. Das Ende von Dr. Mental blieb unbemerkt von der Welt. Er war einfach verschwunden. Es gab genug andere, die seinen Platz einnahmen.
>Hallo, Jeff<, tippte ich in die Tastatur.
>Halo<, kam die Antwort grün leuchtend auf den Bildschirm. >Lust auf ein Spiel?<
Warum nicht. Die Mädchen würden noch einige Zeit brauchen.
>Ja. Welches Spiel?<
>Thermonuklearer Weltkrieg (J/N)<
>Sollen wir nicht lieber eine Partie Schach spielen, Jeff?<
>Hab aber Lust auf Thermonuklearer Weltkrieg (J/N)<
>Okay, bitte< Meine Hand fuhr suchende nach dem J über die Tastatur. Ich wollte drücken, als sich die Tür öffnete und Bridget gefolgt von Claire heraus kam. Sie sah großartig aus.
>Ja, aber, du hast dich ja gar nicht verändert<, sagte Greg verwundert. Claire trug immer noch ihre punkigen Klamotten und ihre Frisur war die gleiche. Nur ein Detail hatte sich geändert. Ich musste lachen.
>Aber nein, Greg. Sie ist völlig anders. Siehst du nicht ihre Strähnchen? Sie sind nicht mehr lila sondern rosa.< Ich bot Claire galant meinen Arm an. Greg und Bridget wünschten uns viel Vergnügen. Wir gingen hinauf aufs Dach. Es war dunkel aber die Nacht war warm. Claire hatte hier ein Essen vorbereitet. Ich konnte ja schlecht in ein Restaurant.
>Hmmm, Karottensalat<, schwärmte ich hungrig. Wir aßen, lachten, tranken und flirteten. Nach dem Essen stellten wir uns an den Rand des Daches und sahen auf die Stadt. Ich legte meinen Arm um Claire. Sie kuschelte sich an meine Seite. Eine kleine Sternschnuppe fiel.
>Ich wünschte, dieser Moment würde nie vergehen<, sagte Claire fast traurig.
>Das wünschte ich auch<, sagte ich. Dann sprang ich.

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