Feuer. Gesamtausgabe
von Carsten Maday

Kapitel
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4. Teil

Dreckshöhe


Lieber Älter

Endlich nutze ich mal die Gelegenheit, um Dir zu schreiben. Herzlichen Dank für deinen Brief und die Fotos. Ach ja, alles Gute zur Hochzeit wünsche ich Dir und Irene. Ein schönes Paar. Die Kinder werden staunen, wenn ich ihnen die Bilder zeige. Leider sind nicht mehr viele von den alten Hasen übrig.
Ich wurde heute morgen aus dem Lazarett entlassen, sitze nun im Wartesaal der Thule-Basis auf Zeta Zwo rum und warte zwischen all den anderen Soldaten auf meine Passage durchs Portal. Zwei Wochen Genesungsurlaub.
>Warum schreiben sie Älter nicht einfach<, hatte mich Oberstabsarzt Bernd, mein Psychotherapeut im Lazarett, gefragt. Die Behandlungen von Kampfstress sind einfach unsäglich. Seine Versuche sind bei mir nicht gerade auf fruchtbaren Boden gestoßen. Was soll das auch für eine Behandlung sein, die lediglich die Symptome behandelt, sich aber nicht traut, das Übel bei der Wurzel zu packen? Würde man denn ein Gewaltopfer täglich aufs Neue an den Ort seiner Schändung schicken, den dunklen Park, wo Kriminelle und Perverse zu Hauf auf ihre Chance lauern?
Der Krieg ist unsere Erbkrankheit. Können oder wollen wir nicht nach einem Heilmittel suchen? Schafft endlich Frieden! Na, wenn es sich so einfach machen ließe, wäre bestimmt schon einer der Herren und Damen Generäle drauf gekommen, was?
Nun ja, die Frage des Oberstabsarztes war eine der wenigen, die Sinn machte. Warum ich Dir bis lang noch nicht geschrieben habe? Wollte es oft, aber...na ja, der Krieg ist nun aus für Dich, du bist verheiratet und...vielleicht schaffst du es ja, wieder ein normales Leben zu leben. Mit einer Frau, die Dich liebt. Schaffst es, das alles zu vergessen.
Wer kann das schon vergessen?
Ich will dich nicht dran erinnern, ans Sterben. Und doch ist es das einzige, worüber ich berichten kann. Wir haben hier ja nichts anderes. Vielleicht solltest du uns alle vergessen...und, ich will doch nicht, dass du dich schuldig fühlst, dass du raus bist und die anderen nicht, dass du lebst. So fühle ich es oft. Eine Schuld. Als wäre es ein Unrecht bei all dem Sterben zu leben.
Sag doch deiner Irene ein lieben Gruß und dank ihr für die netten Zeilen.

Tja, sieht so aus, als ob du uns noch vor dem Hauptfilm verlassen hast. Der Angriff der Peregrin war der Auftakt zu einer Großoffensive, die zur dritten Romschlacht führen sollte. Ein Fleischwolf der Hunderttausende verschlang.
War auch der Auftakt der drei monatelangen Regenzeit. Die ersten Tropfen hast du ja noch abbekommen. Die Graben sanken zusammen, Verwundete ertranken im Schlamm, jeder Schritt ein Kampf mit dem kotigen Morast, der die Stiefel nur widerwillig preisgab. Wir aßen, schliefen, starben darin. Nirgends ein trockener Fleck. Alles versank im roten Schlamm.

Es freut mich dir mitteilen zu können, dass du und ich zu Trendsettern geworden sind. Nach den ersten Regenwochen, als sich zeigte, wie ungeeignet die schwere MKR II Kampfrüstung bei derartigen Verhältnissen war, wurden wir nur mit dem guten alten Stahlhelm und einer Splitterweste ins schlammige Feld der Ehre gejagt.
So die offizielle Verlautbarung. Unser Wundenkönig meinte allerdings, dass es wohl eher eine Kostenfrage war. Einen unerfahrenen Rekruten in eine teure Rüstung zu stecken, war bei den Verlusten ruinös, zumal die Herren und Damen im der OHL eine seltsame Strategie verfolgten. Sie macht allerdings auf ihre Art einen gewissen Sinn: Keine Ablösung mehr. Die Lücken wurden im Feld durch neue Rekruten ergänzt. Sinn machte es deshalb, weil man eine abgelöste Mannschaft nach einer Ruhepause nie wieder in Rom hätte einsetzten können. Wer den Schrecken erst kannte, war dazu nicht mehr zu gebrauchen.
Weißt ja selbst, wie verletzlich man ohne seine Rüstung ist. Aber so konnte man sich wenigstens durch den Schlamm quälen, ohne gleich darin zu ertrinken. Der weiche Boden hatte auch seine Vorteile. Die Geschosse tauchten tiefer ein. Es gab weniger Splitterwunden. Dafür setzten einem aber die Schrapnelle zu. Alles hat wohl seine guten und schlechten Seiten.
Ach, das dollste weißt du vielleicht noch gar nicht. Es gibt außer uns und den Peregrin noch anderes Leben auf diesem Planeten. Mücken, Mosquitos, Fliegen. Die sind den weiten Weg in den Bäuchen der Containerschiffe mit uns gekommen. Sind wie unsere Instant-Kaffee-Tabletten: Etwas Wasser und Hitze, schon entwickelt das Zeug seine ganze ekelerregende Widerwärtigkeit. Die Viecher sind schlimmer als die Peregrin. Die haben übrigens auch einige besonders bösartige Exemplare zu dieser Plage beigesteuert. Sie sind überall. Legen ihre madige Brut in die Toten. Das all unser Morden nun so viel Leben hervorbringt...
In den ersten Tagen kam uns der Regen wie gerufen. Er bremste den ersten Ansturm der Peregrin ab. Wir konnten größere Einbrüche verhindern, uns in den festen Auffangstellungen festbeißen. Unsere MG-Stellungen mähten die Bananenköppe reihenweise um.
Warum sie gerade den Abschnitt um Rom angriffen, ist mir ein Rätsel. Ist ja einer der bestausgebautesten. Jedenfalls warfen sie sich wieder und wieder gegen unsere Stellungen und zwangen uns immer mehr Mannschaften einzusetzen. Bis die eintrafen, konnte der Feind seine zahlenmäßige Überlegenheit ausspielen.
In den ersten drei Wochen der Schlacht nahmen die Peregrin eine Höhe nach der anderen ein. Kein Blutzoll war zu hoch. Der Krieg ernährt sich selbst, verlangt täglich mehr und mehr Opfer, bekam sie auch. Märsche durch die Ödnis der kotigen Trichterwüste. Hier und da ein markanter Leichnam, der einem die Position verriet. Ein Sprung auf ein Rückgrad rettete vorm Versinken. Es regnete und regnete, aber wir litten Durst. Kaum, dass der Nachschub vor kam, kaum Wasser. Nichts, womit man den Regen hätte auffangen können. Nur die Hände, oder die ewig feuchte Uniform, die man auswringen konnte. Den Helm nahm man lieber nicht. Die Luft war schwer eisenhaltig. Wenn es all zu schlimm wurde, glitt man in einen Trichter, trank die faulige Brühe, die nach Sprengstoff und Verwesung roch. Die fahlen, aufgedunsenen Leiber der Kameraden schwammen darin. Ihre Gesichter aufgequollen und grünlich, endlich der letzten Würde beraubt.
Vielen Verwundeten wurden die Trichter zum Verderben. Sterbend verbargen sie sich vor den Granaten, den zermalmenden Panzern. Das Wasser sammelte sich, stieg. Sie krabbelten den glitschigen Hang hinauf, bis die Kraft sie verließ und das Wasser sie holte. Viele sah ich, die ihre Stümpfe in den Schlamm gruben, deren Innerstes neben ihnen auf dem Wasser schwamm. Sie blickten fort, beschämt, weil sie besudelt waren, stanken und vor Schmerzen schrieen, weil sie sich etwas mehr Würde im Tode ersehnten. Ihr seid nicht würdelos! Nein, Kameraden. In eurem Tode liegt großartiges! Nur Sinn, Sinn liegt nicht darin.
Man half ihnen nicht. Zu viele. Sie krallten sich an den Beinen der Vorbeiwankenden fest. Sie jammerten. Man versprach zurückzukehren, riss sich frei mit Gewalt und stürmte vor, zurück und wieder vor. Manch Grabenstück wechselte gleich mehrmals am Tage seinen Besitzer.
Drei Wochen ging das so. Dann traten die Peregrin an unsere letzte Höhe zu nehmen, die „Dreckshöhe“.

Der Feind beherrschte die Höhen bis auf diese eine, das „Kapitol“, wie es einst die hohen Tiere in der OHL genannt hatten. Das sollte sich nun bitter rächen. Wegen dieses Namens mussten wir ´s büßen. Du hast mir die Geschichte mal er erzählt. Mal sehn, ob ich ´s noch zusammenbringe: die Kelten haben einst Rom belagert und alle Hügel eingenommen. Bis aufs Kapitol. Da haben sich die Römer verschanzt und irgendwelche Gänse haben ihnen beigestanden. Oder so ähnlich. Weiß gar nicht mehr, wie diese Geschichte ausgegangen ist. Wie sollte man denn den Medien in der Heimat den Fall einer Höhe mit einem derart prestigeträchtigen Namen erklären? Das Kapitol gefallen! Welch Debakel. Zu dumm, dass man diesen Namen wählte. Sonst hätte man sich zurückziehen können, bis die Höhenstellungen der Peregrin das Gelände nicht mehr dominierten. Ein paar Kilometer nur. Was war das schon auf einem ganzen, öden Planeten? Aber so musste die Dreckshöhe um jeden Preis gehalten werden. Zu dumm.
Die Bananenköppe hatten Vorstöße links und rechts der Dreckshöhe unternommen. Verlustreich, denn noch sahen unsere Männer auf der Höhe die feindlichen Linien ein. Sie hatten zwei Einbuchtungen in unsere Front getrieben und versuchten nun, die Dreckhöhe völlig abzuschneiden, indem sie sich mit aller Macht auf den schmalen Korridor warfen, der die Höhe noch mit unseren Stellungen verband. Die Mannschaften nannten den Korridor schlicht den „Schlauch“. Durch ihn musste sämtlich Verstärkung, alles Material. Die Peregrin belegten die lebenswichtige Arterie mit Flankenfeuer und konnten von der nächstgelegenen Höhe „Quirinal“ ein gutes Stück des Schlauches einsehen. Wir gaben es ihnen von drei Seiten und versuchten verzweifelt die Umklammerung der Dreckshöhe zu verhindern. Der Schlauch musste halten.
Angriff und Gegenangriff, das ewige Gurgeln der Geschosse, die uns zerrissen. Zerrissen sind wir, wir Soldaten: Schlächter und Schlachtvieh in einem. Was weiß das Vieh schon, warum ´s geschlachtet wird? Es erkennt nur, wann ´s ans Sterben geht. Den Schlächter kümmert ´s nicht. Er tut seine Arbeit. Routiniert, mechanisch. Zu viele.
Dann wurde unser Bataillon zurückgenommen. Zwei Tage. Zu kurz um den Schrecken zu realisieren. Backen und Banken, Zeug fassen, die Frischlinge willkommen heißen. Wir wuschen uns den Schlamm von den Gesichtern. Ich trug wieder einen Bart. Als ich ihn rasiert hatte, sah ich mein Gesicht, das Gesicht einer alten Frau. Ich nahm meine Stimpacks aus der Verbandstasche und warf sie in ein Schlammloch. Ich hatte genug davon. Statt dessen packte ich mir Zigaretten, einen kleinen Gaskocher und jede Menge Kaffeetabletten ein. Ich war wild entschlossen mir ein klein wenig Menschlichkeit zurückzuerobern, von der bei mir ohne einen Kaffee am Morgen ohnehin nie viel zu finden war.
Unter den Neuen, die bei uns eintrudelten, war übrigens ein alter Freund von uns.

>He, Soldat. Sag mal, was wiegt deine Splitterweste eigentlich?<
>Vierzehn Komma drei Kilo, Herr Unteroffizier.<
>Ach, ja? Und was trägst du dat schwere Dings mit dir rum, wenn du´ s nicht zuknöpfst, hä?<
Isaak tippt dem Soldaten auf die Brust. >Wenn dich hier ein Schrapnell erwischt, dann war die ganze Schlepperei umsonst, klar?<
>Jawohl, Herr Unteroffizier.<
>Also, dann zu mit dem Ding. Ach ja, dein Kamerad braucht gar nicht so zu grinsen. Mach besser mal deinen Helmriemen zu, Jungelchen. Sind hier ja nicht bei der Marine-Infanterie. Wenn dir der Topp in die Scheiße fällt und du ´n Schrapnellzünder gegen den Dötz kriegst, da fallen aber Tränen. Von deiner Mami, wohlgemerkt. Du kannst dann nicht mal mehr furzen. Die Dinger sausen noch durch die Gegend, wenn ´s schon längst geknallt hat. Klar?<
>Jawohl, Herr Unteroffizier.<
Isaak war groß in Fahrt und die Frischlinge konnten nur staunen ob solcher Großspurigkeit. Kann mich noch dran erinnern, da hab ich ihm die gleichen Sprüche an den Kopf geworfen.
Wir waren im Schlauch. Die Annäherung hatte uns bereits fertiggemacht. Nachts durch schlammiges Gelände, schwer beladen: Helm, Weste, 47 ´er, zwohundert Schuss, einen Gurt fürs MG, fünf Handgranaten, eine PAR, Proviant für vier Tage und je zwei Mann abwechselnd einen zwanzig Liter Wasserkanister, sowie Munition für die Siebensechszwoer auf der Dreckshöhe. Mörser und Munition auf einen Zug verteilt. Grantatwerfer und Munition. Von Klappspaten, zwei gefüllten Feldflaschen und dem übrigen Kleinkram ganz zu schweigen.
Eine elende Schinderei. Selbst für mich. Von den Neuen waren die meisten bereits am Ende. Ich sah einen Soldaten, ein Junge noch, vor Verzweiflung weinen. Man hatte das Gefühl als sammle sich das Blut in den Unterarmen bis sie platzten. Die Finger waren taub, die Riemen schnitten durch den nassen Stoff.
Aber sie stolperten weiter, müde, erschöpft. Wir hatten erst ein drittel des Weges hinter uns gebracht. Und das war noch der bessere Teil gewesen.
Der Schlauch. Das Nachbarbataillon war in der Nacht zuvor zum Schanzen vorgeschickt worden. Sie hatten schwere Bohlen über den Schlamm gelegt. Die federten unter unseren Schritten. Schlamm und Leichen waren drunter. Hundert Meter hatten sie geschafft. Dann kam Feuer auf, wütete schwer unter ihnen, nagelte sie fest.
An den Überlebenden waren wir vor zwei Stunden vorbeigezogen. Leere, ausgebrannte Augen in kotigen Gesichtern. Nun kletterten wir über die Toten. Dahinter war der Laufgraben, der zur Höhe führte, kaum mehr als ein ausgetretener Hohlweg, eingeebnet durchs Trommelfeuer.
Ich winkte Isaak heran.
>He, Isaak. Hab dir noch gar nicht zur Beförderung gratuliert. Unteroffizier. Trittst wohl in meine Fußstapfen, was? Das rührt mich alte Frau doch sehr.<
>Schönen Dank. Nehme mir ja auch nur die Besten zum Vorbild, Frau Feldwebel.<
>Nenn mich, Fred. In Ordnung?<
>Geht klar, Fred.<
Wir gaben uns die schlammigen Hände.
>Und, wie ist es so als Uffz?<
>Tolle Sache, Fred. Hätte ich vorher geahnt, was für ´n Spaß das ist, hätt´ ich ´s schon längst gemacht. Die Privilegien sind ja enorm.<
Isaak tippt sich gegen die Nachtsichtbrille. Die bekamen von den Mannschaften nur Melder und Pfadfinder. Zu teuer für jeden Mann. Wir Unteroffiziere hatten allerdings nur die älteren Modelle. Die hatten keine so schönen Filter, wie die der Offiziere. Sobald es irgendwo krachte, sah man nur noch einen Lichtblitz, der die Augen blendete. Dann sah man auch ohne Brille für ein paar Minuten nichts mehr. Um seine Schäflein zusammenzuhalten, taugten sie aber.
>Macht übrigens einen Höllenspaß die armen Rekruten beim Drill zu schleifen.<
Dann leise:
>Wie wir Menschen in den Tod schicken, hat man uns nicht beigebracht auf dem Lehrgang. Jedenfalls nicht richtig. Wenn ich mir die jungen Gesichter angucke und dran denke, dass ich sie... na, wie der Major, damals, weißt ´e noch? Damals bei der Landung?<
>Klar. Den Hund vergess´ ich nicht. Keine Sorge, Isaak. So einer wie der Major bist du nicht. Denk nicht drüber nach, wie du sie in den Tod schickst, sondern wie du sie am Leben erhältst. Ist schwer genug. Und wenn es passiert, passiert ´s. Das lernt man leider auch irgendwann. Besser?<
>Ja. Ein wenig.<
Wir trieben die Soldaten weiter. Regen fiel wieder. Dann ging es irgendwann nicht weiter. Vorne stoppte es. Die Hinteren liefen auf. Meine Truppe bildete den Schluss.
>Okay. Runter mit den Sachen. Aber ich sag ´s euch. Wehe, einer kommt gleich nicht wieder hoch, wenn ´s weitergeht.<
Die Männer und Frauen ließen seufzend ihrer Gewicht ab und sanken müde in den Schlamm. Einige schliefen sofort ein, andere unterhielten sich leise.
>He, du, Kippe weg. Willst du, dass der Bananenkopp uns sieht? Nix in der hohlen Hand. Aus damit, aber dalli.<
>Siefken. Geh mal vor und guck, warum ´s nicht weiter geht. Nur 47 ´er mit.<
>Jawoll, Frau Feldwebel.<
Ich sackte neben Isaak nieder. Ich klappte die Brille hoch und nahm einen Schluck aus der Feldflasche, die Isaak mir anbot.
Ich lauschte, aber die Nacht war ruhig. Der Schlauch schlief. Grollen nur in weiter Ferne. Ich nahm den Helm ab und ließ den Regen auf mein Kopftuch prasseln.
>Mensch, Fred.<
>Hmm?<
>Auf dem Unteroffizierslehrgang, also auf Zeta 2, glaubst mir gar nicht wie ´s da hinten zu geht...<
>Die sind ja auch nicht von Pappe, diese Lehrgänge. Weiß noch meiner damals...<
>Ne, das mein ich nicht. War schon in Ordnung. Auch die Ausbilder. Ne, ich meine die ganzen Drückeberger. So was hab ich noch nicht gesehen. Man sagt ja, auf einen kämpfenden Mann kommen fünf im Hinterland. Nachschub, Stab und Trallala. Also, da auf Zeta 2 waren ´s wohl eher zehn. So ein paar Säcke. Die kriegen das beste Essen in die Bäuche und wir nur Kugeln. Die haben alles da. Da siehst ´e keine Frau mit Bärtchen, keine Zitterer. Ein feines Leben führen die.<
>Das ist leider so, Isaak.<
>Ja, klar. Aber weißt ´e was. Die meisten kommen aus dem Heimatsystem. Die haben alle Beziehungen. Da kennt Papi einen. Der sorgt schon dafür, dass Sohnemann einen schönen, sicheren Platz bekommt. Schweinerei, so was. Uns Kolonisten kann man ja verheizen, was? Kennst ´e etwa einen, der von der Erde kommt?<
>Klar. Oberleutnant Schnitzler. Und ich ja auch.<
>Ihr seid ja auch Lebenslange. Ne, ich meine von den ganz normalen Muschkoten.<
>Hm, glaub bei den 241 ´ern gibt ´s einen. Aber viele sind ´s nicht.<
>Ne, viele sind ´s nicht. Schweinerei.<
Wir schwiegen.
Siefken kam zurück.
>Truppführer vor.<
Ich nahm meinen Kram auf und quetschte mich an den Soldaten vorbei, die erschöpft im Schlamm lagen.

Der Graben war an dieser Stelle völlig zusammen geschossen. Als ich dazu kam, unterhielten sich Oberleutnant Schnitzler und Leutnant Henkes mit dem Pfadfinder. Soldaten hockten müde im Schlamm, froh, dass sie einen Moment zum verschnaufen bekamen.
>Ah<, begrüßte mich der Oberleutnant. >Feldwebel Grabowski.<
>Frau Oberleutnant. Herr Leutnant.<
Oberleutnant Schnitzler schilderte mir die Lage:
>Der Graben ist verschüttet. Auf gute fünfzig Meter bietet er so gut wie keine Deckung mehr.<
>Zu dumm, dass der Schanztrupp nicht weiter vor gekommen ist.<
>Hmhm. Wir könnten versuchen in aller Stille übers offene Feld zu schleichen<, meinte der Oberleutnant.
>Das gefällt mir gar nicht. Die Bananenköppe wissen doch, dass wir hier durch müssen. Und mit dem ganzen Material ist ´s nicht viel mit schleichen, Frau Oberleutnant.<
>Ganz ihrer Meinung, Feldwebel. Gefreiter Maier meint, er könnte uns noch auf einem anderen Weg ran bringen. Ein alter Schützengraben. Ist zwar auch nicht vielversprechend, aber schlimmer als übers offene Feld kann ´s nicht sein.<
>Das stimmt<, sagte der Pfadfinder. >Bin erst vor drei Tagen durch. War nicht leicht, aber es ging. Wir müssten dann nur ein Stück umkehren. Bis zum nächsten Stichgraben...<
>Hm. Also, dass hört sich auch nicht besser an. Die Männer sind fast am Ende. Jetzt noch zu versuchen umzukehren...Ne, da würde ich ´s doch lieber über ´s Feld versuchen. Vielleicht haben wir Glück.<
Der Oberleutnant nickte.
>Ich sehe das genau so. Leutnant Henkes. Sie übernehmen mit Gefreitem Maier die Spitze. Ich bleibe mit dem Feldwebel hier und schleuse die Männer durch.<
Als Frontsoldat hatte man sein Glück schnell überstrapaziert. Und dennoch hofft und betet man stets darum, dass es noch etwas länger reichen möge. Langsam schleppte sich ein Soldat nach dem anderen den eingestürzten Graben rauf. Oben stand Oberleutnant Schnitzler, half den Männern und Frauen den Hang hinauf und ermahnte sie zur Stille. Vergebens. Es war unmöglich mit all dem Zeug still durch die pechschwarze Nacht zu stolpern. Ablenkungsfeuer konnten wir wegen der Funkstille nicht anfordern.
Die Reihe der Soldaten quälte sich mühsam an mir vorbei. Alles war still. Keine Grantaten kamen, kein Leuchtfeuer. Die erste Hälfte musste bereits das eingeschossenen Grabenstück hinter sich gebracht haben, als ich schon Isaak mit meinen Trupp sah. Er lächelte breit.
>Als klar hier hinten, Fred. Alle hoch gekommen. Sind ordentliche Jungs und Mädchen.<
Wir halfen ihnen hoch. Der Oberleutnant nahm sie in Empfang.
>Schön ruhig. Einer nach dem anderen. Den Anschluss nicht verlieren.<
>Granate!<
>Volle Deckung!<
>Augen zu!<
Wir warfen uns in den Schlamm. Ich konnte gerade noch meine Augen schließen. Ich wurde gepackt und einen Meter durch den Matsch geschleudert. Ich kam hoch. Ein fingerlanger Splitter steckte in meiner Weste. Blut sickerte durch einen Schnitt an meinem rechten Unterarm. Fleischwunde.
>Isaak?<
>Hier. Ich kann nichts sehen.<
Ich half ihm aus dem Schlamm auf. >Das gibt sich gleich wieder<, sagte ich.
Leuchtkugeln stiegen auf. Einschläge wummerten.
>Auf! Raus hier!<, schrie ich. Mein Trupp erhob sich schwerfällig aus dem Dreck. Die Granate hatte am Hang eingeschlagen und zwei Soldaten erwischt, die gerade hinauf klettern wollten.
Oberleutnant Schnitzler fanden wir, als wir das freie Feld überquerten. Der Explosionsdruck hatte ihr die Uniform vom Leib gerissen. Sie lag mit nacktem Oberkörper im Schlamm. Die Beine waren nach hinten geknickt und der Schaft eines 47 ´ers hatte sich in ihren Leib gebohrt.
>Nicht rausziehen!. Sonst reißt ´s die Bauchdecke auf<, warnte ich.
Wir legten einen Poncho über sie. Blut quoll darunter hervor, wand sich durch den Schlamm Richtung Dreckshöhe, als wollte uns der Oberleutnant im Tode noch den Weg weisen.
Ich konnte keine Männer zum Bergen der Leiche abstellen. Wir anderen hätten dann ihren Teil tragen müssen. Außerdem steigerte sich das Feuer immer mehr. Der Weg zurück war nun gefährlicher als nach vorn.

Wir verloren viel Material, an Menschen und Munition. Ein Drittel kam nicht. Tot, verwundet oder verloren. Die nachfolgenden Kompanien erwischte es noch härter. Vierzig kamen von der zwoten und neunundzwanzig von der dritten. Dann schaffte es niemand mehr durch den Schlauch. Die Truppen hier oben waren in keinem besseren Zustand. Die Bananenköppe hatten zu Beginn der Offensive versucht, die Dreckshöhe durch Luftlandeeinheiten im Handstreich zu nehmen. Sie waren mitten in der Ablösung runtergekommen, als sich statt eines gleich zwei Bataillone auf der Höhe befanden. Die richteten das reinste Massaker unter den Peregrin an. Die Offensive verlagerte sich dann erst einmal auf die anderen Hügel. Nur der ewige Beschuss dezimierte die Besatzung der Höhenstellung. Der Kern der Stellung war die Bunkeranlage. Drei schwere Bauten aus Stahlbeton mit Zwillingsgeschützen. Geschützt wurde die Anlage durch ein gut ausgebautes Grabensystem mit MG-Nestern alle fünfzig Meter. Davor lag das sogenannte Vorwerk. Ein Graben mit Unterständen und in Beton eingelassenen MG-Stellungen. Das Vorwerk sicherte den zum Feind gewandten Hang. Das Gelände war zu schroff für Panzerfahrzeuge. Von dort würde ein Infanterieangriff erfolgen müssen. Die Flanken waren zu steil.
Die Gräben und das Vorwerk waren schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Einer der Bunker war von einem Marschflugkörper getroffen worden. Der Bunker war aus seinem Fundament gerissen und regelrecht in die Luft geschleudert worden Er war schief auf seinem ehemaligem Fundament gelandet und hob nun seine Front schräg in den Himmel. Soldaten hatten sich darunter eingegraben wie unter einem Felsvorhang. Von der Besatzung waren die meisten durch die Wucht des Aufpralls umgekommen. Viele der Offiziere, weil der Bataillonsstab sich dort befunden hatte. Der Bunker diente nun als Lazarett.
Hauptmann Lorenz war der ranghöchste Offizier. Er war heilfroh, als wir ankamen. So schlecht unser Zustand auch sein mochte, der seiner Männer war noch schlechter. Fast drei Wochen unter Beschuss. Frischwasser war aus, Munition und Medikamente waren knapp.
Er schmiss unsere Kompanie zusammen und schickte uns ans Vorwerk. Die Männer, die wir dort ablösten, trugen noch die schweren Kampfrüstungen, oder was davon noch übrig war. Sie waren froh, eine Weile aus der vordersten Linie zu kommen. Unsere Stellung und der Hang waren mit Leichen übersät. Unsere und die der Peregrin. Am Morgen kam der erste Angriff.

Ich betete.
>Heilige Maria, Mutter Gottes, erbarme dich unser. Lass es nicht zu Ende sein. Noch ein einziges mal.<
Das Wasser kochte. Die Flamme des Gaskocher loderte noch einmal auf und erlosch dann für immer. Das Ding hatte ohnehin länger gereicht als ich erwarten durfte. Ab morgen würde ich die Brühe kalt trinken müssen. So viel zur Menschlichkeit.
>Danke<, murmelte ich. Ich nahm die Konservendose vom Kocher. Meine Feldflasche war durchlöchert und von meinem Essbesteck hatte ich das meiste auf dem Marsch fortgeschmissen. Nur meine Tasse hatte ich behalten. Die hatte ich Leutnant Henkes geliehen. Der gab sie nun nicht wieder her. Nachdem wir den ersten Angriff überstanden hatten, ließ ich meinen Kaffee kreisen. Es erwischte den Leutnant, als er grad die Tasse an die Lippen hob. Er wurde gepackt und über den Rand des Vorwerks geschleudert. Er landete mit dem Arsch in einem Schützenloch. Er streckte alle seine Viere von sich, als läge er in einer Badewanne. Wir sahen noch das kochende Blut, dass ihm aus der Brust strömte, langsam seine Badewanne füllte. An seiner linken Hand baumelte meine Blechtasse. Wegen des Feuers konnte ich die Tasse nicht bergen. Das war vor einer Woche geschehen. Das Feuer hatte von dem Leutnant nicht viel gelassen, nur den verkohlten Oberkörper und den Arm mit der Tasse. Die Finger waren aufgedunsen, schlossen sich noch fester um den Henkel.
Schade war ´s nicht um den Leutnant. Drei mal hatte er uns zu unnötigen und verlustreichen Gegenangriffen vorstürmen lassen. Er litt eindeutig an Halsschmerzen, die nur ein Orden um den Kragen oder der Tod lindern konnte. Ich war nun Kompanieführer.
Ich warf eine Kaffeetablette in das brackige Wasser in der Dose. Ich leckte mir die Reste der Tablette von den Fingern. Sie rochen nach Scheiße. Meine Notdurft musste ich auf dem Klappspaten verrichten, die Scheiße nach draußen schippen und mir mit den Fingern den Arsch abwischen.
Ich hockte in meinen Schützenloch, dass ich mir in die zum Feind gewandte Seite des Vorwerks gegraben hatte. Viel war von dem Schützengraben nicht mehr übrig, viele von uns auch nicht. Feuer hämmerte auf unsere Stellung ein. Die Bananenköppe bereiteten einen weiteren Sturmangriff vor. Ich hatte den Poncho vor das Loch gespannt, damit keine Erdklumpen in mein Kaffeewasser fielen. Es war eng. Vielleicht rettete mich mein Kaffee vor dem Wahnsinn.
Ich riss den Vorhang beiseite und schrie. Beinahe fünf Minuten. Meine Sorge wuchs. Dann sprang eine Gestalt zu mir ins Loch. Siefken hatte meine Rufe endlich vernommen. Ich konnte gerade noch die Dose vorm umkippen retten. Siefken hockte im Loch neben an. Wir waren schon für sinnloseres als einen Schluck heißen Kaffees durchs Feuer gesprungen. Wir quetschten uns zusammen und tranken. Ich behielt Siefken in meiner Nähe. Vor zwei Tagen hatten wir Korin gefunden, Siefkens Freundin. Sie hockte in ihrem Loch. Spritzen mit Tranquilizern lagen umher. Überdosis. Auf ihrem schlammigen Gesicht lag ein Lächeln. Sie starb einen seltsam friedlich anmutenden Tod zwischen all dem Schrecken hier im Vorwerk. Ich verbat es Siefken und Isaak darüber zu reden. Sonst machte das Beispiel noch schlechte Schule und ein paar Tranquilizer brauchten wir ja auch für die Verwundeten.
Das Feuer steigerte sich. Siefken und ich umschlangen uns wie Liebende. Als es nicht schlimmer kommen konnte, griff ich mein 47 ´er und sprang auf. Ich blies in die Trillerpfeife. Etwas anderes hätte man nicht gehört. Der Rest der Kompanie kroch aus den Löchern und feuerte auf die Peregrin, die verzweifelt den schlammigen Hang empor wankten.

>He, seht mal<, schrie der Wundenkönig.
Isaak und ich wandten müde unsere Köpfe in die Richtung, in die Elms zeigte. Ein einsamer Jäger der Peregrin hielt auf die Dreckshöhe zu. Wahnsinn bei der Luftabwehr.
>Siefken. Spritz mal zum Kommandobunker und mach Meldung für den Fall, dass die Flugabwehr pennt. Sicher ist sicher.<
>Jawoll, Frau Feldwelbel.<
Wie saßen seit zwei Wochen auf der Dreckshöhe. Das Vorwerk war gestern gefallen. Wir schafften es gerade noch, und abzusetzen, ehe wir überrannt wurden. Wir waren im Grabensystem der Bunker in Stellung gegangen. Die Siebensechszwoer hatten einen ersten Angriff der Peregrin zerschossen.
Der Verlust des Vorwerks war bitter. Wir konnten nun nicht mehr den Hang einsehen und die Artillerie dirigieren.
>So ein Selbstmörder<, wunderte sich Elm weiterhin. >He, wisst ihr eigentlich, wie groß für einen Piloten die Wahrscheinlichkeit ist, das erste Jahr zu überleben?<
>Halt bloß dein Maul, Elms, sonst reiß ich dir noch den Kopf ab.< Ich zeigte auf seinen künstlichen Arm.
>Und neue Köpfe gibt ´s noch nicht.<
>Ja, ja. Schon gut<, sagte Elms enttäuscht. Er schwieg. Eine Zeit lang.
>Hab schon lange keine mehr verpasst bekommen<, meinte er endlich.
>Stimmt<, sagte Isaak. >Sei doch froh, Mann.<
>Ja. Schon. Versteh das nicht falsch. Ich sehne mich ja nicht gerade nach einer Verwundung. Aber bis jetzt wurde ich immer nach spätestens zwei Wochen an der Front irgendwo getroffen. Jetzt ist ´s schon über einen Monat her. Vielleicht erwischt ´s mich diesmal richtig.<
>Haste mal ne Statistik aufgestellt?<, uzte Isaak.
>Ja, hab ich und...he, Feldwebel. Haste Läuse oder was kratz du dich die ganze Zeit am Arm?<
>Weiß auch nicht. Ist der Kratzer, den ich mir im Schlauch fing. Juckt wie blöde. Heilt wahrscheinlich nur.<
>Ja, ja. Und der Mond ist aus grünem Käse<, meinte Isaak. >Zeig mal her.<
Der Verband war kaum als solcher zu erkennen. Voller Schlamm.
>Wann hast du den denn das letzte mal gewechselt?<
>Na ja, so vor zwei Wochen. Als ich ihn angelegt habe. Mach mal runter.<
Isaak schnitt den nassen Stoff mit dem Bajonett auf. Ein übler Gestank verbreitete sich.
>Wäh<, würgte der Wundenkönig. >Da kriechen ja Maden drin.<
Ich griff mir das Messer von Isaak und pulte in den faulen Fleisch rum. Weh tat es nicht.
>Ekelhaft. Nur so ein kleiner Schnitt und dann so was...<
>Volle Deckung.<
Isaaks Warnruf kam zu spät. Ich schaffte es gerade noch mich lang zu machen.
Der Jäger war ungehindert näher gekommen und feuerte mit seinen Bordkanonen. Elms wurde getroffen. Kopf und Schulter zerplatzten. Ein blutiger Strahl schoss aus dem Rumpf, der noch einen Moment lang stand und dann in sich zusammen sackte.
Der Jäger zog feuernd über die Dreckshöhe und wendete im weiten Bogen und kam feuernd zurück.
>Die verfluchten Schweine<, schrie Isaak. >Diese Dreckskerle. Die verdammten Pisser von der Abwehr.<
Er hob drohend die Faust gegen den Jäger, der Richtung der eigenen Reihen flog.
>Den müssen sie doch gesehen haben. Am helllichtem Tag. Ja schlafen die denn?<
Wie zum Hohn erhob sich eine Rakete aus der Ebene. Sie raste hinter dem Jäger her, der bald verzweifelt versuchte seinen Verfolger abzuschütteln. Alle Manöver und Täuschkörper halfen nicht. Er wurde getroffen und stürzte brennend ab.
Isaak kniete neben Elms Körper. Eine riesige Blutlache dehnte sich im Graben aus.
>Verfluchte Schweine<, sagte Isaak immer wieder. Ich sah auf das leblose Stück Fleisch, das noch warm war, das mein Kamerad gewesen war, der vor nur wenigen Augenblicken mit mir geredet hatte.
Der Wundenkönig hatte recht behalten. Und neue Köpfe gab es nicht.

>Sie kommen!<
Mörsergeschosse schlugen auf dem Feld zwischen unserem Graben und dem Vorwerk ein. Die Bunker kreischten auf, als ihre Kanonen über das Gelände mähten, durch das die Peregrin mussten. Die Todeszone. Der Schritt nach vor war genauso gefährlich wie der nach hinten. Sie wurden zerrissen. Wir schossen Abwehrfeuer.
Es krachte. Einige waren auf Handgranatenreichweite heran. Vom Quirinal beharkte uns die Ratschbumm. Die Flachbahngeschosse wüteten unter uns. Dann fuhr die Feuerrate der Bunker nach unten. Munitionsmangel.
Es war die dritte Woche. Die Peregrin gingen dran ihre Arbeit zu Ende zu bringen.
Eine Granate krachte.
>Munition sparen!<
Sie rückten näher. Eine PAR flog und zeriss einige Peregrin. Die MG-Nester schossen Kreuzfeuer. Und dennoch kamen sie heran.
>Bajonette!<, schrie ich gegen das Tosen.
>Was?<, brüllte Isaak.
>Bajonette!<
>Das kann nicht dein Ernst sein.<
>Na los. Bajonett aufpflanzen! Was glaubt ihr denn, wozu wir die Dinger haben? Zum Dosen öffnen?<
>Na los, ihr habt den Feldwebel gehört<, bellte Isaak.
Zögernd kam mein Haufen dem Befehl nach. Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Ein Zurückweichen gab es nicht. Wohin auch.
Ich traf einen Bananenkopp im Gesicht. Er fiel in den Drahtverhau. Seine Kameraden sprangen über ihn.
Sie waren im Graben. Ich stach mit dem Bajonett in einen Hals, riss mein Gewehr los, drosch den Kolben einem Peregrin gegen den Kopf, als er gerade zu mir hinabsprang. Er fiel hin. Ich rammte ihm die Klinge in den Bauch. Sie steckte fest. Ich drückte ab. Fleischfetzen spritzen mir in Gesicht. Ich bekam das Bajonett frei und rammte es einem Peregrin ins Rückgrad. Er fiel kreischend in den Schlamm. Die Klinge brach dabei ab. Den Rest stieß ich einem Soldaten ins Bein. Ein widerliches Schlachten. Meine letztes Magazin war leer. Ich warf eine Handgranate und machte meine Pistole frei. Ein Treffer in meine Weste schleuderte mich herum. Ich schoss, traf einen Bananenkopp in den Unterleib. Dann hatte ich keinen Gegner mehr. Für einen kurzen, wundersamen Augenblick versuchte niemand mich zu töten.
>Sie ziehen sich zurück<, schrie ich. >Sie ziehen sich zurück.<
Wir waren wieder einmal mit dem Leben davon gekommen.

In den drei darauffolgenden Tagen unternahmen die Peregrin erneute Angriffe. Zum Nahkampf kam es dabei gottlob nicht mehr. Der letzte Angriff hatte heute Morgen stattgefunden. Die Nacht nahte. Es regnete wieder. Ich war auf dem Weg zurück vom Kommandobunker zu meiner Kompanie. Im Schutz der Betonmauer wagte ich einen Blick hinab in die Tiefe, hin zum Schlauch. Die Schlacht tobte dort. Ich sah die Schlammfontänen aufspritzen, die weißen Wölkchen der zerplatzenden Schrapnells. Eine endlose Ödnis, in der der Tod herrschte. Wir aber hatten uns einen Moment der Ruhe erkämpft. Ich ging zurück zu meinen Kindern.
Wir waren der Ruhe bald überdrüssig, hätten uns geradezu über etwas Feuer gefreut. Irgendwo in dem Niemandsland zwischen Graben und Vorwerk, zwischen uns und den Peregrin, lag in der heraufziehenden Nacht im Schlamm ein Verwundeter und schrie. Ein einsames Schreien. Ein Peregrin. Er schrie und schrie. Seit Stunden. Das Mitleid bei den Männern wandelte sich langsam in Wut und Angst. Wann stirbt er nur? Wann? Und wenn ich nun an seiner Stelle wäre? Und an meinen Nerven kratzte er auch. Er erinnerte mich an Fleuders Klagen, als er verschüttet war und ich den Ton im Helmlautsprecher leiser stellte und mein Gewissen mit Tranquilizern betäubte.
Ich schnappte mir ein Richtmikrophon und ein Scherenfernrohr. Isaak und Siefken bekamen sofort spitz, was ich vorhatte. Sie folgten mir. Nach einer viertel Stunde hatte ich ihn ausfindig gemacht. Er lag hinter einem Betonhinderns in der Mitte des Niemandslandes.
>Wo ´s den armen Teufel wohl erwischt hat, dass er so schreit<, wunderte sich Isaak.
>Muss ja gar nicht so schlimm sein. Aber mit Angst und Einsamkeit zusammen...<, meinte Siefken.
Ich ließ die beiden am Fernrohr zurück und ging in den Unterstand. Dort nahm ich einem Soldaten den Granatwerfer ab und ging zurück.
Isaak und Siefken unterhielten sich.
>Versteh ich nicht, dass sie den nicht rausholen<, meinte Siefken. >Die hören den doch auch.<
>Klar hören die den. Die trauen sich nur nicht. Haste denn bei der Grundausbildung geschlafen? Ist doch die Gelegenheit für einen Scharfschützen. Mein Gott, wie der schreit. Die haben Angst, dass wir sie abknallen, wenn sie ´s versuchen.<
>Solche Schweine sind wir nicht<, empörte sich Siefken. >Ich schieß doch auf keine Sanis. Ne, Mann, ich nicht.<
>Ach ne? Führst wohl zivilisiert Krieg, wie? Glaub ich Dir ja auch. Jetzt. Aber wenn du voller Stimpacks bist?<
Siefken schwieg.
>Dachte ich ´s mir doch. Und selbst wenn nicht. Kannste für alle die Verantwortung übernehmen? Dass keiner schießt? Aha. Auch nicht, was? Ich würde es auch nicht tun. Und ich würde auch keinen rausschicken, wenn dort einer von unsern Leuten liegt. Bei den Bananenköppen gibt es auch keine anderen als bei uns.<
Isaak sah mich an.
>Was meinst du, Fred...Was machst ´e denn mit dem Granat...<
Ehe er seine Frage beendet hatte, warf ich ihm die Waffe an die Brust. Mein 47 ´er stellte ich ab.
>Was hast du vor<, fragte Siefken.
>Maul halten und zuhören. Ihr gebt mir jetzt euere Tranquilizer und all euer Verbandszeug! Sofort!<
>Was zum Henker... Bist du total übergeschnappt? Haste Halsschmerzen?<
>Klappe halten! Ihr macht jetzt, was ich euch gesagt habe. Das ist ein Befehl!<
Meine Stimme lud nicht zu weiteren Widerworten ein. Ich packte mir die Spritzen und das Verbandszeug in die Hosentaschen.
>Ihr geht jetzt rum und sagte den anderen, dass sie auf keinen Fall schießen sollen. Jedenfalls nicht vor den Bananenköppen. Und sagt ihnen auch, dass ich dem ersten, der rumballert, den Kopf abreiße, wenn ich lebend zurückkomme.<
Ich krabbelte den Graben hinauf.
>He, Frau Feldwebel<, flüsterte Isaak von unten.
Ich drehte mich um.
>Ja?<
>Viel Glück!<
>Ja, ja. Schönen Dank auch.<
Ich glitt auf den anderen Seite des Grabens in die Nacht hinab. Ich setzte meine Nachtsichtbrille auf. Die anderen würden leider auch welche haben. Ich robbte in Richtung der Schreie, die noch immer die Stille der Nacht zerrissen. Die Hälfte des Wege hatte ich bald hinter mich gebracht. Über Leichen hinweg. Dann stieg eine Leuchtrakete auf, vertrieb die Nacht, rief Feuer herbei. Leuchtspur kam. Ich sprang auf, hastete, verlor den Boden. Eine MG-Garbe schoss über mir vorbei. Ich kam hoch, rannte und warf mich in einen Trichter. Ich rutschte den glitschigen Hang hinab. Meine Hände gruben sich in etwas Weiches. Der Unterleib eines toten Sturmtrupplers. Aufgedunsen. Grünlich.
Der Gestank raubte mir den Atem. Ich robbte panisch fort, wischte mir die Hände im Schlamm ab und übergab mich. Mittlerweile kam auch Feuer von meiner Seite. Meine Leute bearbeiten die Peregrin mit Mörserfeuer.
Ich krabbelte an den Rand des Trichter, horchte. Kugel pfiffen an mir vorbei. Ich duckte mich in den Schlamm. Ich roch meine Finger. Sie stanken nach Scheiße und Tod. Ich sprang auf. Einzelnes Feuer spritzte auf. Das MG schwieg. Dann war ich heran. Auf der anderen Seite des Betonhindernis.
Nun wurde es kompliziert. Der Peregrin mochte ja halbtot auf der anderen Seite liegen, aber wenn ich einfach um die Ecke kam, konnte der seinem Rettungsteam glatt noch eine verplätten.
>He, Kamerad<, flüsterte ich. Das Schreinen hielt inne, wich einem ängstlichem Wimmern. Hörte ich eine Waffe?
>He, Kamerad. Gut Freund.< Dann fiel mir das Wort ein, dass der Peregrin zu mir gesagt hatte, als er Älter rettete.
>Soker. Soker. Keine Angst. Soker. Ja? Alles klar? Ich komme einfach rüber. Soker.<
Vorsichtig glitt ich um die Ecke und sah in die Mündung eines Sturmgewehres. Eine Peregrin hielte es in den zitternden Händen. Er lag in einer Mulde hinter dem Betonhindernis.
>Soker, Soker<, sagte ich immer wieder, wobei ich möglichst gewinnend zu lächeln versuchte. Er ließ die Waffe los. Sie fiel in den Schlamm.
>Soker, ja? Mann, hoffentlich war das auch das richtige Wort.<
Die Augen blickten mich ängstlich an. Er hatte die Lefzen vor Schmerz verzerrt und stieß schwer den Atem durch seine Zähne aus. Der Oberschenkel war zur Seite abgeknickt. Der Knochen stak weit aus Fleisch und Hose hervor. Wahrscheinlich hatte ihn der Druck einer Explosion gegen den Beton geschleudert.
Langsam griff ich nach den Spritzen, hielt ihm eine hin. Er schreckte zurück und zuckte vor Schmerz. Er schrie.
>Psss. Das sind Tranquilizer.<
Ich packte ihn bei dem Schultern, schaffte es ihn zu beruhigen.
>Gegen den Schmerz. Betäubungsmittel.< Ich tat so, als würde ich mir eine Spritze setzen, legte die Hände an die Wange und schnarchte. Er schien zu verstehen. Ich nahm die Kappe von der Nadel.
>Du bist nicht zufällig allergisch dagegen, oder?<
Schüsse klatschten oben gegen den Beton. Ich setzte dem Peregrin noch drei weitere Spritzen. Sie schienen zu wirken. Er schrie nicht mehr, sprach nun lallend auf mich ein.
>Soker? Soker?<
>Ja, Kamerad<, sagte ich. Ich nahm ihm den Helm ab. Man konnte an der Muster der Kopfhaut das Alter eines Peregrins ablesen. Wenn mich nicht alles täuschte, dann war dieser hier nicht älter als eines meiner Kinder.
Ich griff seinen starken Kiefer und drehte sein Gesicht zu mir.
>Ich muss dein Bein richten, verstehst du?<
Ich hob einen Finger und krümmte ihn. Ich deutete auf sein Bein. Mit meiner anderen Hand zog ich den Finger wieder gerade. Das Gelenk knackte. Er schien begriffen zu haben. Er schluckte schwer und sagte etwas.
Ich nickte, griff sein Bein und zog. Er schrie auf, trotz der Tranquilizer. Ich zog zweimal, ehe das Bein in einer halbwegs geraden Position war. Dann verband ich es. Mit dem Gewehr und restlichen Verbandszeug fixierte ich das Bein.
>Soker? Alles klar? Nein?<
Ich verpasste ihm noch zwei Tranquilizer. Ich legte meine Weste ab und hob ihn auf. Kugeln pfiffen um mich herum, als ich los rannte. Ich warf mich hin. Der Peregrin war zu. Der merkte kaum etwas. Ich griff ihn beim Kragen und schleifte ihn hinter mir her. Als ich die Hälfe des Weges zurückgelegt hatte, ebbte das Feuer ab. Die Peregrin schienen begriffen zu haben, dass ich ihrem Mann nicht Böses wollte. Ich schaffte es zurück ohne von meinen Leuten erschossen zu werden. Der Peregrin kam in den Lazarettbunker. Er wurde nicht schlechter behandelt als einer von uns. Ich besuchte ihn drei Tage später. Es ging ihm besser. Sein Bein würde er behalten. Er dankte mir. Warum habe ich ihn gerettet? War es wegen Fleuder? Eine alte Sünde abwaschen? Wegen des Peregrin, der Älter geholfen hatte? Weil ich mir endlich etwas Menschlichkeit zurückerobern wollte? Vielleicht waren es nur die ersten Symptome einer Kriegsneurose. Gesteigerte Risikobereitschaft war ein erstes Anzeichen. Ich weiß es nicht.
In den nächsten Tagen schafften es unsere Truppen, den linken Vorstoß der Peregrin zurückzudrängen. Nachschub und Entsatz kamen auf die Höhe. Wir hatten die Dreckshöhe gehalten. Auf dem Weg zurück erwischte es mich. Ausgerechnet im Schlauch. Ein Splitter durch die Wade. Meine Kameraden trugen mich zurück.
Ich kam in ein Auffanglazarett, dann in das Hauptlazarett am Portal. Von meinem Zimmer aus konnte ich die Verladestation der TEAG sehen. Ein gutes Dutzend Gleise führte durchs Portal, sicherte die Rohstoffversorgung mit Celerium. Ein Zug fuhr durchs Portal. Endlose Erzwagons. Am Schluss Kühlwagen. Dort waren unsere Toten drin. Die, die wir fanden. Celerium fördern wir hier, Celerium und Leichen.

Meine Verwundung war nicht sonderlich schwer, wollte aber nicht so recht heilen. Der Körper als ganze war zu sehr erschöpft. Ich wurde verlegt. Durchs Portal nach Zeta 2. Das Lazarett war Spitzenklasse. Die Schwestern und Pfleger waren großartig. Wir wurden richtig verwöhnt. Die Ärzte waren jung und engagiert. Viele von ihnen dümpelten zu Friedenszeiten als Assistenzärzte vor sich hin. Hier war ihre Chance. Nirgendwo anders warteten so viele Verletzungen auf sie, nirgendwo anders konnten sie in so kurzer Zeit so viele Erfahrungen sammeln. Ich wurde langsam hochgepäppelt. Nur mit meinen Gemüt ging es nicht so recht voran. Ich war schwermütig. In meinen Träumen schrie ich. Das fiel nicht weiter auf. Alle schrieen, gestandene Männer nässten nachts die Betten. Morgens, kurz bevor der Geist wach wird und doch nicht mehr ganz schläft, besuchte mich Fleuder. Er tat nichts, saß nur auf meinem Bett. Die Beine zerschmettert. Sein Blick vorwurfsvoll. Ich schwieg. Ich wollte auf keinen Fall zu so einem Seelenklempner geschickt werden. Ich versuchte, nicht mehr einzuschlafen.
Ich feierte meinen dreiundvierzigsten Geburtstag. Ich erhielt Post an diesem Tag. Ein Orden. Für beispiellose Tapferkeit bei der Verteidigung der Dreckshöhe. Nicht für Älter, den ich geborgen hatte, nicht für den Peregrin, nicht für meine Verletzung. Nein, für die Dreckshöhe. Nach drei Tagen erhielt ich eine weitere Auszeichnung. Eine Anstecknadel. Von meiner Versicherung. Für fünfundzwanzig Jahre unfallfreies Fahren. Schwer zu sagen, welche mir mehr bedeutete. Die zweite schien jedenfalls die lustigere zu sein. Ich steckte sie mir an und lachte. Ich lachte und lachte, konnte gar nicht mehr aufhören. Den Rest weiß ich kaum. Die Schwestern wurden wohl besorgt, holten zwei Pfleger. Ich reagierte etwas ungehalten darauf berührt zu werden. Zwei gebrochene Finger und eine Nase waren die Folge. Ich rastete aus, zerlegte zur Freude meiner Bettnachbarn das halbe Zimmere, ehe man mich stoppte. Das war ´s. Man verdonnerte mich zur Psychotherapie bei Oberstabsarzt Bernd. Was ich davon halte, hab ich Dir ja schon zu Beginn geschrieben. Ich hab ´s überlebt, bin raus und freue mich auf meinen Genesungsurlaub. Na ja, eigentlich hab ich auch ein bisschen Angst davor...

Der Aufruf für meine Passage durchs Portal kam aus den Hallenlautsprechern. Ich stand auf, zerknüllte den Brief und warf ihn in den Papierkorb. Durch die Zensur wäre der ohnehin nicht gekommen. Ich packte meine Sachen, nahm mir fest vor, Älter eine Postkarte zu schreiben und machte mich auf den Weg durchs Portal.

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