Feuer. Gesamtausgabe
von Carsten Maday

Kapitel
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Letzter Teil

Sturm

Ich fuhr mein Visier nach unten. Ziel- und Statusanzeigen erschienen auf meinem Helmdisplay. Ich rief die Luftaufnahmen von unserem Einsatzgebiet auf. Ich zoomte heran, bis ich auf der Karte einzelne Figuren erkennen konnte. Es waren Peregrin, die in den Gräben ihren Dienst versahen. Ich folgte mit dem Cursor dem Verlauf der Gräben, prägte mir jede Windung, jeden markanten Punkt und jeden Bunker unseres Abschnitts ein, so wie ich es schon hundert Mal zuvor getan hatte. Ich folgte den Stichgräben und zerschossenen Sappen zu den Auffangstellungen und ihren Bollwerken aus Beton. Ich rief die Nachbarabschnitte auf, studierte sie und verkleinerte endlich das Bild, bis ich den gesamten Abschnitt, an dem unsere Offensive erfolgen sollte, übersah. Es war ein wirres Labyrinth von Gräben, das sich zwischen der vordersten Linie der Peregrin und ihren festen Auffangstellungen erstreckte. Ich kannte unseren Abschnitt in und auswendig. Wir hatten Teile davon auf Zeta Zwo nachgebaut und daran trainiert: Durchbrechen, Umgehung und Isolation von stark befestigten Punkten. Damit sollte sich die Hauptstreitmacht rumschlagen. Wir sollten in kürzester Zeit so weit wie möglich vorstoßen, Panzerabwehreinheiten ausschalten und zusammen mit unser dritten Panzerarmee eine Bresche in die Stellung der Bananenköppe hauen.
Ich ließ die Karte auf mich wirken. Ich wusste nicht, was mir mehr Sorgen bereitete: dass der Abschnitt nach unserem Trommelfeuer kaum noch Ähnlichkeit mit dem auf der Karte haben würde, oder dass der rote Staub, den Abertausende von Einschlägen unweigerlich aufwühlen würden, jede Orientierung schwer bis unmöglich machen würde. GPS gab es nicht. Der Orbit war derartig verseucht, dass es internationale Minenfelder gab, in denen sowohl wir als auch die Peregrin Minen jeglicher Art ausgesetzt hatten. Ein Satellit hatte da die Lebenserwartung des berühmten Schneeballs in der Hölle.
Wir hatten einen Peilsender im Funkgerät. Die Bananenköppe würden allerdings versuchen unseren Funk zu stören. Ob der Sender dann noch funktionierte war fraglich.
Ich spürte ein Brummen. Die Karte auf dem Display fing an zu zittern, vibrierte schließlich so stark, dass mir die Augen schmerzten. Ich schaltete ab und fuhr mein Visier hoch. Ich erhob mich und stieg aus der Mulde unter dem Tarnnetz hervor. Ich sah im gleißenden Sonnenlicht eine Staubwolke heran kommen. Es waren Teile der Dreier, die auf uns zuhielten. Der Boden bebte unter der tonnenschweren Last der Panzer. Sie fuhren sorglos und gut sichtbar am helllichtem Tag. Noch mussten sie den Gegner nicht fürchten. Luftwaffe und Luftabwehr hatten unseren Abschnitt vor drei Tagen abgeriegelt. Hinter uns öffnete das Portal seine Schleusen und entließ eine Flut von Menschen und Material, die sich in der Tiefe des Hinterlandes zu drei Armeen formierte, die in drei Tagen antreten sollten, um endlich den Sieg zu verringen.

Das Coreolan-System. So oft ich den Namen hörte, fuhr mir ein Stich durchs Herz. Denn es war dort, wo Svetlana fiel. Dort war es auch, wo der Krieg eine entscheidende Wendung nahm.
Die Handelsallianz war bei Ausbruch des Krieges ein Bündnis mit den Peregrin eingegangen, und nutzte die Gelegenheit ein paar unser Kolonien in der Nähe der Grenze einzunehmen.
Die Allianz, ein Bündnis von unabhängigen Handelsnationen, hatte überraschend hartnäckig unser Gegenoffensive getrotzt. Fast auf allen Planeten und Monden des Coreolan-Systems wurden Stützpunkte oder Horchposten errichtet. Heftige Kämpfe entbrannten darum, und die Bodentruppen der Allianz erwiesen sich keineswegs als so zweitklassig, wie uns die Medien zu Beginn des Krieges weismachen wollten.
Kernstück der Allianz-Streitkräfte war die Flotte. Als Händler verstanden sie es wie kein zweiter in den Tiefen des Raumes zu navigieren. Unterstützt wurden sie von den Peregrin, mit einige Einheiten, vor allem aber mit Material, insbesondere Celerium.
Der Angriff, bei dem Svetlana fiel, hatte die Allianz da heraus gefordert, wo sie es sich am wenigsten erlauben konnte, kleinbeizugeben: im All. Die Allianz stellte sich der Schlacht. Die Flotten trafen aufeinander und rangen zwei Tage lang um eine Entscheidung. Wer nun letztendlich gewonnen hat, darum werden sich kluge Köpfe wohl noch jahrzehnte lang streiten, Tatsache ist aber, dass die Flotte der Allianz danach kaum noch aus den Raumdocks kam. Die Schäden waren zu groß. Ohne Unterstützung der Flotten ließen sich die Außenposten nicht halten. Sie wurden einer nach dem anderen eingenommen. Es bröckelte an allen Fronten, besonders an den Einnahmen. Als die Siegchancen und damit die Aussicht auf ein profitables Ende der Unternehmung immer unwahrscheinlicher wurden, fielen die ersten Pfeffersäcke von der Allianz ab und bemühten sich um einen Separatfrieden. Der wurde unter maßvollen Bedingungen gewährt und lockte somit weitere Abtrünnige an. Die Allianz zerbrach. Die Reste suchten um Frieden nach. Sie erhielten ihn. Bedingungslos und hart. Wer zu spät kommt, den bestraft das bLeben.
Mit dem Frieden wurden Menschen und Material frei. Nach der Ruhepause, die uns die Offensive im Coreolan-System gebracht hatte, kam der Krieg zurück auf unseren Planeten.
Die freigewordenen Mittel nutzte man, um zu einem Entscheidungsschlag gegen die Peregrin auszuholen. Zeta Zwo wurde zu einem riesigen Aufmarschgebiet umgebaut und hier bei uns wurden Aufmarschstrassen und unterirdische Schienenanlagen verlegt. In den Bunkern stapelte sich die Munition für die Artillerie. Das größte Trommelfeuer des Krieges sollte drei Tage über die Peregrin kommen, wie ´s Jüngste Gericht. Im Hinterland massierten sich die Truppen für einen Angriff aus der Tiefe. Der Aufmarsch durchs Portal betrug eine Woche. Zu wenig für die Peregrin, um noch rechtzeitig Mannschaften heran zu schaffen.
Wir von der Sturmtruppe bildeten die Speerspitze. Wieder einmal. So bös wie uns erwischte es niemanden. Abgesehen von den Pionieren vielleicht. Die waren wie unsere Brüder. Sie gingen mit uns vor, räumten Panzerspeeren und Bunker aus dem Weg.
Auf Zeta Zwo hatten wir an nachgebauten Stellungen der Peregrin geübt. Immer wieder, bis der kleinste Handgriff saß. Ich und die anderen Gruppenführer meines Zuges waren froh darum. Es gab uns die Gelegenheit, die Ersatzleute zu schleifen, ihnen wenigstens das Nötigste beizubringen, bevor es in den Kampf ging. Die Neuen waren in der Überzahl. Von den alten Hasen waren kaum noch welche da. Und von denen, die die Landung mit gemacht hatten, waren nur noch Isaak, Älter und ich übrig.
Wir lagen zehn Kilometer hinter der Front. Wir hatten vor zwei Tagen unsere Ausgangstellung bezogen. Die Pioniere hatten Mulden ins Celeriums gefräst. Für unsere Schützenpanzer, damit wir mit den Dreiern Schritt halten konnten. Ich hatte meine Kinder in weitem Abstand Fuchslöcher um den Schützenpanzer herum anlegen lassen, damit sie etwas zu tun hatten. Ewig beschäftigte sie das nicht. Ich verdatterte zumindest immer zwei meiner Gruppe am MG auf Posten zu liegen, falls sich mal Hauptmann Jonsson oder Leutnant Wolfram hierher verirren sollten. Der Rest lag im Schatten des Panzers unter dem Tarnnetz in der Mulde.

Ich wandte meinen Blick fort von der Panzerkolonne. Ich sah Isaak, der von dem Schützenpanzer nebenan auf mich zu kam.
>He, Fred.<
>Isaak. Fahnenflüchtig?<
>Ach, was. Meine Gruppe wird ´s wohl für ´ne Zeit ohne mich aushalten. Sind ja alle erwachsen. Na, die meisten jedenfalls. War grade bei Älter. Bock auf Skat?<
Noch drei Tage. Heute Nacht sollte das Trommelfeuer losbrechen. Es würde ein langes Warten werden.
>Warum nicht<, sagte ich.
>Gut. Älter kommt gleich.<
Wir gingen unters Tarnnetz und hockten uns hin.
Siefken saß an die Ketten des Mannschaftstransportes gelehnt und überprüfte die Ausrüstung, den Flammenwerfer. Die Waffe war nicht jedermanns Ding, aber weitaus nützlicher, als man gemeinhin dachte. Mit seinen zwanzig Metern Reichweite hatte es kaum Offensivwirkung, war mit seinen Tanks schwer und unhandlich, und zog so sicher das feindliche Feuer auf sich, wie ´s Amen in der Kirche. Die psychologische Wirkung war aber enorm. Es kaufte dem Tollkühnsten den Schneid ab, wen er ne zwanzig Meter lange Flamme auf sich zukommen sah. Rüstung schütze da kaum, wenn ´s einen voll erwischte. Außerdem gab der Flammenwerfer gut Deckung. Wen man das Gemisch etwas fetter stellte, wurde die Flamme schwer rußig und nahm dem Gegner die Sicht. Wärmesensoren brachte sie völlig durcheinander. Wie alles hatte das Ding also seine guten und schlechten Seiten.
Ich steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Ich nickte Siefken zu. Die aktivierte die Zündflamme des Flammenwerfers und gab mir Feuer.
>Spielst ´e mit<, fragte Isaak und winkte mit den Karte Siefken zu.
>Ich dadadachte, Älter wwwollte mmmit spielen.<
Siefkens Stotterei wurde von mal zu mal besser. Und wenn sie aus vollem Leib brüllte, stotterte sie gar nicht mehr.
>Dann setzt der Geber halt aus<, meinte Isaak.
>Gggut<
Isaak verteilte die Karten, als Älter zu uns hinab rutschte.
Er blickte auf uns herunter und musste grinsen.
>Is was<, meinte ich.
>Hab mir grade gedacht, Mensch, wenn uns jetzt ne Rakete erwischt, dann sind gleich alle Überlebenden der Landung in unserem Zug hin. Vielleicht sollten wir uns besser verteilen, was?<
>Gggut gelaunt wie immmer, deder Fafafanenjunker<, sagte Siefken.
>Zwingt dich keiner zu bleiben, Ernst<, uzte Isaak.
Wir spielten eine Runde. Das Dröhnen wurde immer lauter.
>Was ist denn da los<, rief Michels, unser Fahrer, aus dem Inneren des Schützenpanzers, wo er sich zum Schlafen langgemacht hatte.
>Hört sich an, als ob da gleich einer über uns rüberfährt<, brüllte Isaak.
Im Krieg konnten ja die tollsten Unfälle passieren. Erst vor einer Woche hatten wir drei Mann in einen Verkehrsunfall verloren. Darunter auch unseren Sani.
Sicherheitshalber krochen wir unter dem Tarnnetz hervor. Ein Saturnpanzer hielt auf unsere Stellung zu. Unser MG-Posten winkte wild mit dem Armen, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Der machte sich einen Spaß und drehte erst kurz vor dem MG-Nest ab.
>Scheiß Dreier<, maulte Älter. Der Fahrer kam ein paar Meter vor uns zum stehen. Vier Soldaten waren auf dem Panzer mit gefahren. Sie sprangen herab.
>Leutnant Wolfram, zwei Neue und nen alter Hase<, schrie ich meinen Kindern gegen das Dröhnen des Panzers zu, der Gas gab und in einer Staubwolke davon ratterte.
>Den Leutnant erkenn ich auch. Aber der Rest? Kannste doch gar nicht wissen, Feldwebel<, brüllte Michels.
>Klar kann ich das. Sieht doch jeder mit Verstand. Ach, ihr Kinder seid doch alle verwöhnt von unserem behaglichen Kriegsschauplatz. Frag mal den Herrn Fahnenjunker. Der weiß es bestimmt.<
>Klar<, strahlte Älter. >Der Leutnant und die beiden Neuen sind zur Seite vom Panzer gesprungen. Der Alte Hase nach hinten. In die Panzerspur. Da können ja keine Minen mehr liegen, auf die man springen kann.<
Landminen haben nie eine große Rolle auf unserem Planeten gespielt. Nur in den ersten Wochen, als wir gegen das Portal der Peregrin zog. Im Stellungskrieg nutzten die Dinger wenig. Das Feuer brachte die Minen zur Detonation oder, was noch schlimmer war, wirbelte sie durch die Gegend. Ist keine schöne Sache, wenn man die Minen, die man nachts im Niemandsland ausgelegt hat, am nächsten Morgen im eigenen Graben wieder findet.
Der Leutnant hielt auf uns zu. Ich ging ihm entgegen.
>Morgen, Herr Leutnant.<
>Morgen, Feldwebel. Ich hab ihnen ihren Sani mitgebracht und noch zwei Erstleute.<
>Den Sani können wir schon gebrauchen, Herr Leutnant. Aber die Neuen. Die haben doch das ganze Training nicht mitgemacht. Was soll ich denn mit denen?<
>Tja, Befehl vom Kompaniechef. Und sie haben doch Platz genug.<
Das stimmte. Aber dass der Herr Leutnant in seinem Zug genauso viel Platz hat, hat er wohl vergessen. Offiziere.
>Jetzt gucken sie nicht so mürrisch. Ich hab ihnen auch was mitgebracht. Aus der Offiziersmesse.<
Er griff in seinen Rucksack.
>Hier. Kaffee. Richtiges Pulver wohlgemerkt. Keine Tabletten.<
Der Leutnant hatte wohl doch ein Herz. Ich dankte ihm. Er schob ab Richtung dritten Zug.
Ich winkte die drei Soldaten heran.
>Nicht im Feld grüßen<, sagte ich, als einer schon die Hand zum Salutieren heben wollte. Das konnte ja was werden.
>Visiere auf. Will ja sehen, wen ich vor mir habe.<
Ich blickte auf das Papier, das der Leutnant mir gegeben hatte.
>Heffer?<
>Hier, Frau Feldwebel.<
Ein junges Mädchen, kaum größer als ich.
>Papa..than...a..siou?<
>Jawohl, Frau Feldwebel. Papathanasiou.<
Eine junge Frau Mitte zwanzig. Seit Änderung des Wehrgesetzes landeten immer mehr Frauen bei uns. Sie waren nicht unbedingt für den Krieg geschaffen, aber wer war das schon?
>Stabsfeldwebel N´Umbebbe?<
>Hier, Frau Feldwebel.<
>Verwand mit Generalmajor N`Umbebbe?<
>Mein Onkel. Ja.<
>Prima. Wir können nen Sani gut gebrauchen.<
Ich winkte Isaak und Älter heran, damit sie unseren Sani zu ihren Gruppen führen konnten.
Ich schnappte mir Heffer und Papathanasiou.
>Also. Es wird in drei Tagen ernst. Viel beibringen kann ich Euch da nicht mehr. Ihr werdet bestimmt Angst haben. Das ist völlig in Ordnung. Ihr bleibt immer bei mir und Siefken, ist das klar? Wenn wir laufen, lauft ihr auch. Wenn wir uns lang machen, dann macht ihr das auch. Klar?<
>Jawohl, Frau Feldwebel<, riefen die beiden wie aus einem Mund.
>Eines noch. Fasst mir auf keinen Fall irgendwas an, ja. Wir haben schon genug Leute durch Blindgänger verloren.<
Wir gingen zum Schützenpanzer.
>Was machst du eigentlich, Heffer.<
>Ich bin gerade mit der Schule fertig geworden, Frau Feldwebel.<
>Aha. Und du, Papathanasiou?<
>Mich haben sie von der Uni eingezogen. Habe leider die Regelstudienzeit überschritten, Frau Feldwebel.<
>Krieg ist die Hölle. Was hast du studiert?<
>Musikwissenschaft, Frau Feldwebel.<
>Toll. Vielleicht kannst du uns ja mal was vorspielen. Isaak leiht dir bestimmt seine Mundharmonika. Klingt ohnehin schrecklich.<
>Kann ich gerne versuchen, aber eigentlich habe ich mich ja auf klassische Musik spezialisiert...<
>Ah, verstehe. Goethe und so ´n Zeugs, was?<
>Ähm, na ja...<
>Das war ein Scherz, Papathanasiou, ein Scherz.<
>Oh.<
>Kaffee?<
>Gern<, sagte Heffer.
Ich warf ihr den Kaffee entgegen.
>Hier. Und mach ihn schön stark. Wir haben´s ja.<

Wir hatten einen Poncho vor die Ausstiegsrampe am Heck des Transporters gehängt. So konnten wir drinnen Licht machen, ohne das etwas nach draußen drang. Es war Nacht. Ich hatte den ganzen Tag mit den beiden Neuen geübt. Bis in die Nacht hinein. Deshalb hatte ich mich für die abendliche Einsatzbesprechung beim Kompaniechef entschuldigt und stattdessen Älter geschickt. Der Herr Offiziersanwärter sollte ruhig auch mal was tun.
Heffer lag mit Michels draußen am MG. Kramaz, unser Richtschütze, las in seinem Buch und Mankowski lauschte halbdösend Papathanisiou, die aus Isaaks Mundharmonika die schönsten Töne hervorbrachte. Und Isaak hatte uns immer erzählt, dass es nur am Instrument liegen würde. Siefken lauschte und rauchte eine dabei.
Draußen klopfte ein Gewehrkolben gegen die Armierung. Papathansiou unterbrach ihr Spiel und machte das Licht aus. Jemand zog den Vorhang bei Seite und kam herein. Das Licht ging wieder an. Es war Älter.
>Nix neues beim Hauptmann<, meinte er.
Er hielt ein paar Datensticks in der Hand.
>Dafür gibt´s aber Post.<
>Siefken. Hier. Von deinem Verehrer?<
>Bbbestimmt. Dededer hahahat mich schon vovor ein papapaar Wochen verlllassen.<
>Die Sau<, meinte Papathansiou.<
>Aaaaaber echt.<
>Michels?<
>Der ist draußen am MG.<
>Okay.< Älter machte Anstalten zu gehen.
>Ach<, sagte er. >Da ist ja noch mehr Post.< Er hielt mir grinsend den Datenstick hin.
>Hier, für Dich.<
Sein Grinsen verschwand, als er meinen Gesichtausdruck sah. Die Gedanken an Svetlana kamen mit einer derartigen Heftigkeit zurück, dass mir der Schweiß ausbrach. Meine Hand zitterte, als ich den Stick nahm.
Älter schenkte mir einen besorgten Blick.
Ich las die Beschriftung.
>Galina O´Reordan< stand drauf.
>Kenn ich nicht. Wer zur Hölle ist das?<, murmelte ich. Ich erhob mich.
>Ich vertrete mir Mal die Beine. Licht aus.<
Draußen in der kühlen Luft der Wüstennacht hockte ich mich an die Panzerketten. Ich schob den Datenstick in die Schnittstelle und fuhr mein Visier runter. Das Display erschien. Ich startete die Nachricht.

Zensurstelle CS 003651/13102276
Galina O´Reordan, York, Mars
An:
HFw. Grabowski F. A.

Mars? Ich kannte niemanden auf dem Mars.
Das Bild einer jungen Frau erschien. Sie saß auf einem Stuhl in einem Wohnzimmer. Bilder hingen an den Wänden im Hintergrund.
Die Frau erinnerte mich dunkel an jemanden. Aber ich wusste nicht, an wen.
Sie sprach:
>Liebe Frau Grabowski. Darf ich Sie vielleicht Frederika nennen? Das macht es mir etwas einfacher und ich habe nicht so das Gefühl zu einer völlig Fremden sprechen zu müssen.
Mein Name ist Galina O´Reordan. Mein Mädchenname ist Jakowlewa. Ich bin die Schwester von Svetlana.<
Natürlich. Die Familienähnlichkeit war recht groß. Zu meiner Entschuldigung sei gesagt, dass ich die unzerstörte Svetlana nur von dem Bild, das sie mir gegeben hatte, kannte. Und trotz gegenteiliger Bitten dachte ich an sie immer als die Frau, die ich am See liebengelernt hatte. Da war von der Familienähnlichkeit nichts mehr da gewesen.
Die Frau sprach weiter. Sie lächelte glücklich und war offensichtlich sehr aufgeregt.
>Ich weiß, dass meine Schwester und Du Euch sehr nahe steht. Daher versuche ich Dich auf diese Weise zu erreichen.
Vor zwei Tagen kam ein Brief bei uns an. Er kam von Svetlana. Sie ist nicht tot. Hörst Du? Sie lebt. Sie wurde abgeschossen und trieb im All, bis sie von einem Peregrinschiff geborgen wurde. Sie ist Kriegsgefangene, aber sie lebt. Ist das nicht großartig? Sie lebt. Da es ihr vorerst nur erlaubt war, ihre Angehörigen zu benachrichtigen, hat Svetlana in ihrem Brief einen Absatz an Dich eingefügt. Ich würde ihn Dir gerne vorlesen.<
Sie räusperte sich:
>Geliebte Anna. Ich hoffe, es geht Dir gut. Wie Du siehst, sind die Gerüchte über meinen Tod schwer übertrieben. Du Arme. Wenn ich daran denke, wie es mir gehen würde, wenn man mir sagt, dass Du tot bist... Ich kann es mir kaum vorstellen. Aber ich lebe. Es geht mir gut. Man behandelt uns korrekt. Ich hoffe, dass es uns bald erlaubt sein wird, regelmäßig Briefe zu schreiben. Es ist schrecklich gefangen zu sein, aber es gibt mir viel Hoffnung, dass Du da draußen bist und auf mich wartest. Du wartest doch auf mich, oder? Natürlich tust Du das. Ich weiß es ja. Bitte, bitte, gibt gut auf Dich acht. Ich brauch Dich. Ich kann und will mir ein Leben ohne Dich nicht vorstellen.
In Liebe,
Deine Svetlana.<
Galina sah verlegen auf.
>Ist es nicht ein Wunder, Frederika? Wenn du möchtest, dann schreib mir doch ein paar Zeilen für Svetlana. Ich füge sie dann in meinen Brief an sie an. Ich freue mich, dass Du für meine Schwester da bist. Du tust ihr gut. Pass auf Dich auf. Ach ja, ich brenne übrigens darauf, Dich einmal kennen zu lernen. Bis bald.<
Die Aufnahme war zu Ende. Ich sah sie mir noch drei Mal an. Dann fuhr ich das Visier hoch und steckte mir eine Zigarette an. Es war Still. Die Nacht war sternenklar. Die kalte Luft lag angenehm auf meinem Gesicht, das vor Aufregung glühte. Ich hörte, wie jemand auf mich zu kam. Es war Älter. Er hockte sich neben mich.
>Alles klar, Fred<, fragte er.
>Alles in bester Ordnung<, erwiderte ich. Ich erzählte es ihm. Die Tränen kamen mir.
>Au weia<, schniefte ich und wischte mir den Rotz ab. >Weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal geheult habe.<
>Na, na<, meinte Älter und legte seinen Arm um mich. >Ist doch in Ordnung. Wir haben hier doch weiß Gott genug Gründe zum heulen.<
>Stimmt schon<, meinte ich. Ich steckte mir noch eine an und grinste.
>Weißte, Älter, es tut gut in deinen Armen zu liegen. Da darf ich endlich mal ganz Frau sein.<
>Verarscht du mich etwa, Frau Feldwebel?<
>Nur ´n Stück, Herr Offiziersanwärter.<
Aus der Dunkelheit erklang eine Melodie. Papathansiou hatte wieder zu spielen begonnen.
Wir schwiegen. Meine Tränen versiegten langsam. Wir dachten wohl beide an unsere Liebsten. Wie es ihr wohl ging? In Gefangenschaft? Ich freute mich, dass Svetlana lebte. Ich war mir aber nicht sicher, ob ich deshalb weinen musste. Als Galina mir sagte, dass Svetlana noch lebte, da war es, als habe man mir mein eigenes Grab gezeigt. Die Angst war nicht zurückgekehrt. Dafür aber kam die Gewissheit, dass es mich diesmal erwischen würden. Die Hoffnung, Svetlana wiedersehen zu dürfen, schien mir mit einem Mal so unwahrscheinlich, dass es kaum noch Sinn machte, überhaupt zu hoffen. Na ja, vielleicht sollte ich der Hoffnung gegenüber nicht ganz so misstrauisch sein.
>Richtig romantisch, was?<, riss mich Älter aus meinen Gedanken. >Die Sterne, die Musik.<
>Ja, Ernst. Schön, so in Rüstung an den Panzer gelehnt. Weißte noch, damals? Die Nacht im Niemandsland?<
Er nickte. Wir saßen noch ein Zeit lang nebeneinander. Dann war es zwölf. Das Trommelfeuer begann.


>Aaaalso ich für mmmeinen Teil bbbaue ja ganz auf die Cybebebernetik. Wwwenn wir lange genug überleben, dddann werden wir bestimmt irgendwwwann alle durch Aaandroiden ersetzt.<
>Wieso irgendwann. Die sind doch schon längst im Einsatz.<
>Echt?<
>Klar! Sieht dir mal Hauptmann Burger von der zweiten an. Der ist so steif. So lange Besenstiefe gibt´s doch gar nicht. Ist bestimmt ein Roboter.<
>Ssssehr witzig.<
>Aber mal im Ernst. Da wäre doch was. Wenn nur noch Maschinen für uns kämpfen würden. Da wären wir aber fein raus, was?<
>Und der Bananenkopp?<
>Der würde wahrscheinlich auch welche bauen, ist ja klar.<
>Mann, stststell dir mal vor, der ganze Planet voller Maschinen, ddddie sich gegenseitig kkkillen.<
>Und wir sitzen du Hause vor der Glotze, was? Ist doch viel zu teuer.<
>Aber wenn man eh nur Maschinen nimmt, warum soll man dann überhaupt soviel ausgeben. Würde doch reichen, wenn jeder nur ein paar hat, die er einsetzen darf. Wie beim Sport. Nur eine Mannschaft pro Nation. Was das an Geld sparen würde.<
>Aber überleg doch mal. Würdest du denn alles in einem Spiel riskieren und dich dann auch an den Ausgang des Spieles halten, auch wenn es ne Niederlage ist. So wie ich die Leute kenne, denken die doch kaum: He, Mist. Wir haben in dem blöden Spiel doch glatt den Krieg verloren. Zu dumm, dass die uns geschlagen haben. War echt knapp. Mann, echt, von so´n paar Maschinen besiegt. Omega 1 mit dem ganzen Celerium verloren. Aber was soll´s. Verloren ist verloren. Wir halten uns dran. Meinst ´e wirklich, so läuft die Sache?<
>Naja. Wohl kaum.<
>Ne, glaub ich auch nicht. Die einen haben dann einfach noch ein paar Soldaten in der Hinterhand, die dem Spielverlauf noch einmal eine entscheidende Wendung geben können. Die anderen wissen das und haben selbst noch ein paar Soldaten behalten, um das zu verhindern. Das wissen die anderen natürlich auch und rekrutieren gleich noch mehr. Und die anderen auch, immer weiter, bis alle wieder in der Scheiße sitzen wie jetzt.<
>So´n Scheiß. Wenn du mich fragst, warum bombardieren wir den Planeten nicht mit Atomwaffen. Dann wäre endlich Schluss.<
>Na, na, uuund das ganze schschschöne Celerium, hm? Wwwwäre doch wwwirklich zu Schade drum, oooder?<
Ich hing am Funkgerät und lauschte meinen Kindern mit einen Ohr, als der Funkspruch Hauptmann Jonsson kam.
>Michels, Motor starten! Kramaz, auf deinen Posten! Platz nehmen und anschnallen! Es geht los.<
Die Rampe schloss sich. Wir wurden durchgeschüttelt, als der Schützenpanzer mit einem Ruck losfuhr und aus der Mulde ratterte. Es würde eine Zeit dauern, bis wir die zehn Kilometer bis zur Front hinter uns gebracht hatten. Wir fuhren an unserer Artillerie vorbei, die wie wahnsinnig auf die feindlichen Stellungen einhämmerte.
Wir schwiegen, klammerten uns an unsere Waffen.
>Das kann doch keiner Überleben, oder Feldwebel<, schrie Heffer endlich gegen das Brüllen des Motors und das Tosen der Abschüsse an.
Ich sah sie an. Sie war bleich und hatte Angst. Wie wir alle.
>Ihr bleibt bei mir<, schrie ich Heffer und Papathansiou zu.
Sie nickten. Ich griff unter meinen Sitz und zog meine Thermoskanne hervor.
>Kaffee? Wird ein langer Tag werden.<

>Kramaz, siehst du was<, kam Michels Stimme über den Helmfunk. Jede Gruppe hatte eine eigene Frequenz zu geteilt bekommen. Das sollte ein allzu großes Stimmenwirrwarr verhindern. Das Ändern der Frequenz war bei Strafe untersagt. Das konnte leider nicht die Verwundeten und Sterbenden in ihrer Angst und Verzweiflung davon abhalten, es dennoch zu tun.
>Kramaz, sag was! Ich habe Null Sicht.<
>Sehe die Zwote Gruppe auf Zwo Uhr. Von den Pios Nix zu sehen.<
>Schei...< Dann kam nur noch Rauschen. Ich versuchte übers tragbare Funkgerät Kontakt zur Kompanieführung aufzunehmen. Nichts. Der Funk war tot. Der Peilsender auch. Die Kommunikation wurde gestört. Durch die Peregrin? Durch uns? Wahrscheinlich durch beide.
>Links! Links, Michels<, schrie Kramaz wie wild. Er hatte das Visier hochgefahren, damit man ihn überhaupt hören konnte bei all dem Lärm.
Wir waren an der vordersten Front. Unser Trommelfeuer wütete am anderen Ende des Niemandslandes. Abwehrfeuer des Bananenköppe kam auf. Schwach noch, aber uns reichte es.
>Da, Links!<
Wir fuhren blind und ohne Funk durch den roten Staub. Bei Nacht. Wir suchten den Durchlass durch unsere Linien. Pioniere hatten Schneisen in die Gräben, Drahtverhaue und Betonhindernisse geschlagen, durch die der Vorstoß erfolgen sollte. Sie waren in regelmäßigen Abständen angelegt worden. Bei diesen Sichtverhältnissen war es aber nicht leicht, sie zu finden.
Michels drehte nach links ab.
>Stopp! Stopp<, schrie Kramaz.
Der Fahrer stieg in die Eisen. Der Schützenpanzer blockierte die Ketten, wippte mit dem Heck nach oben, um mit Schwung wieder runterzukrachen.
>Das gibt ´s nicht<, schrie Kramaz.
Ich machte mich los und zog Kramaz von Richtschützenstand runter und schob meinen Oberkörper nach draußen. Einschläge krachten, erhellten die Szene kurz. Wir standen in einer Schlange von Panzern und Mannschaftstransportern. Bestimmt ein halbes Dutzend. Ich sah einen Soldaten, der zwischen den Ungetümen umherlief und mit grünen Leuchtstäben den ankommenden Fahrzeugen Signale gab. Ich kletterte raus und sprang zu dem Mann hinab.
>Was ist denn hier los, Soldat?<
Wir duckten uns, als es in unser Nähe einschlug.
>Ne verdammte Rush-Hour, was? Der Durchlass rechts von uns ist versperrt. Da hat ´s einen Saturn erwischt. Völlig blockiert. Jetzt kommen sie natürlich alle zu uns.<
>Das ist doch ein Witz, oder?<
>Ne, leider nicht. Und die Bananenköppe schießen sich auch langsam ein, was?<
>Und was jetzt?<
>Ziehen sie sich ne Nummer und warten sie, bis sie dran sind, Schätzchen.<
>Blöder Arsch<, schrie ich noch und stieg wieder in den Panzer ein.
Kramaz nahm wieder seinen Platz ein.
Wir warteten. Vorn ging es weiter. Wir fuhren vor und hielten wieder. Ein Donnern rüttelte uns durch.
>Es hat den Panzer vor uns erwischt<, schrie Michels. >Wir müssen hier weg, Feldwebel. Wir sitzen hier wie auf dem Präsentierteller.<
>Wir bleiben hier, verstanden! Wer weiß, wie ´s bei den anderen Durchlässen aussieht. Fahr einfach drum herum.<
Irgendwann ging es weiter. Wir fuhren durch die Schneise. Anhand der Schneisennummer konnten wir uns orientieren. Wir waren ein paar hundert Meter vom Kurs abgekommen. Wir suchten das Aufmarschgebiet unseres Regimentes. Als wir es gefunden hatten, kam ein Pfadfinder an Bord und lotste uns zu den Ausgangsstellung unser Kompanie. Wir lagen hinter dem Zeitplan zurück. Wir warteten eine bange halbe Stunde unter feindlichem Feuer. Längst nicht alle Fahrzeuge kamen. Viele hatten sich verirrt oder waren getroffen worden. Ich fand den Kommandopanzer. Dort hatten sich auch Isaak, Älter und die anderen Gruppenführer unser Kompanie eingefunden, um letzte Instruktionen einzuholen. Hauptmann Jonnson wünschte uns alles Gute. Wir kehrten zu unseren Fahrzeugen zurück. Dann ging es los.

Neben mir übergab sich Heffer auf den Boden. Michels preschte mit Vollgas durch das trichterübersäte Niemandsland. Einschläge krachten. Das irre Trommeln unser Artillerie wurde lauter, je näher wir den feindlichen Stellungen kamen.
>Trichter! Rechts ausweichen!<, schrie Kramaz von seinem Posten nach unten. Der Panzer kippte zur Seite ab, schrammte mit der Unterseite über den Boden, ehe Michels das Steuer herumriss und den Trichterrand hinter sich ließ.
>Finger weg vom Booster<, schrie ich Mankowski an. >Stimpacks nur auf mein Befehl!<
Messinghülsen schlugen auf dem Boden auf. Kramaz schoss mit dem 20mm Zwillingsgeschütz.
>Dddder kkkkann ddddddo...<, fing Siefken an, kam aber vor Aufregung nicht weiter. Dann erwischte es uns. Das Geschütz wurde weggerissen. Kramazs Beine fielen herab zu uns. Der Oberkörper war bis zur Hüfte fort.
Papathanasiou schrie und wollte sich los zu machen. Heffer versuchte sie daran zu hindern.
>Was ist los<, schrie Michels. >Ich sehe hier gar nichts!<
Ich warf Mankowski mein 47´er zu und kletterte auf den Richtschützenstand. Von Geschütz war nur verbogenes Metall geblieben. Von Kramaz nichts. Schrapnelle, Einschläge, Leuchtspur zerrissen die Nacht. Leuchtfeuer schimmerte matt durch den staubverhangenen Himmel.
>Rechts!<
Die Sicht betrug keine Zwanzig Meter. Ein Schrapnell zerplatzte. Die Kugel schlugen prasselnd auf dem Panzer ein. Eine traf mich am Kopf, konnte den Helm nicht durchschlagen. Ein Querschläger. Die Wucht war nicht mehr stark gewesen.
Michels hielt scharf rechts, knapp an dem Panzerwrack vorbei. Ich sah, wie links neben uns ein Saturn in einem riesigen Trichter verschwand und auf der anderen Seite mit Vollgas heraussprang. Er machte einen Satz von gut fünf Metern, kam hart auf und feuerte.
Ich sah die Feuerwand. Eine brüllende Walze, die auf die Peregrin einhämmerte, alles umgrub und unaufhaltsam vorwärts rückte.
Aus dem Inferno kam Feuer auf. Die Peregrin krochen aus ihren Löchern, um uns zu empfangen. Leuchtspur fraß sich durch den Nebel. Das Granatfeuer nahm zu.
>Gib Gas, Michels<
Eine Lenkwaffe hielt auf den Saturnpanzer zu, schlug ein, verpuffte an seiner Reaktivpanzerung. Der Saturn feuerte. Ich sah den Drahtverhau, die Grabenlinie dahinter, die Gestalten, die schossen und starben.
>Links, Michels! Links! Klemm dich hinter den Saturn!<
Michels steuerte das Fahrwasser des Ungetüms an. Hinter mir sah ich dunkel die Schemen von anderen Fahrzeugen. Einer flammte auf, als eine Rakete einschlug.
Der Saturn gab Gas, feuerte auf die Grabenbrüstung, als er durch die Reste der Betonhindernisse raste. Der Drahtverhau verfing sich in seinen Ketten, konnte den schweren Panzern aber nicht stoppen, schleifte als lange Schleppe hinter ihm her, als der Panzer vor dem Graben rechts abdrehte. Er fuhr dem Graben entlang, riss eine große Schneise in den Drahtverhau. Dann erwischte es ihn. Er warf die Kette, drehte sich kurz, dann traf es ihn erneut. Eine Lenkwaffe flog heran, sprengte sich von oben durch den Turm.
Michels fuhr durch die Schneise in den Betonhindernissen. Der Motor heulte auf, als er Gas gab und über den Graben sprang. Durch die Wucht des Aufpralls verlor ich den Halt und fiel nach unten. Meine Rüstung verhinderte, dass ich mir alle Knochen brach.
>Wir sind durch! Wir sind durch!<, schrie Michels von vorne.
>Fahr zu!<, brüllte ich. Wir rasten durch die vorderste Linie der Bananenköppe. Ich wollte wieder auf den Richtschützenstand steigen, als ich Michels Warnruf hörte.<
>Bunker!<
Ich warf mich in meinen Sitz und schnallte mich an. Mein Mageninhalt drohte nach Oben zu kommen, als unser Fahrzeug auf einmal absackte, aufschlug und langsam wieder nach oben fuhr. Es schlug ein. Michels wurde zerrissen. Rüstungsfetzen schleuderten in den Mannschaftsraum. Rauch entstand.
>Raus hier!< Ich griff mir das Funkgerät. >Jeder eine PAR!<
>Die Rampe tut´s nicht!<
>Notsprengung!<
Die Rampe wurde weggesprengt.
>Stimpacks! Raus hier! Na los! Scheiße, wo ist meine Kaffee?<
Wir krabbelten in den roten Nebel hinaus. Das Heck unseres Fahrzeuges steckte noch in einem Trichter. Die Front schaute heraus. Das Metall schrie auf, als MG-Feuer auf dem Wrack einschlug. Wir sammelten uns am Trichterboden.
>Liegen bleiben!< Ich robbte zum Trichterrand und riskierte einen Blick. Feuer kam. Ein Bunker lag keine fünfzig Meter von uns entfernt. Das Mündungsfeuer seines Geschützes verriet ihn. Ein MG-Nest lag rechts davon. Vereinzeltes Feuer aus Trichterstellungen. Ich kroch zurück. Ein Mörsergeschoss schlug hinter uns am Trichterrand ein.
>Wir müssen hier weg Leute<, schrie ich.
>Zehn Meter nach Links liegt ein Erdewall. Sieht nach einem Graben aus. Siefken! Du gehst vor. Die anderen bleiben dicht hinter ihr!<
Ich machte die PAR fertig und kroch wieder zum Trichterrand. Als das Geschütz des Bunkers aufflammte, zog ich ab. Die PAR schob sich durch den roten Nebel, schlug krachend auf dem Beton ein. Ich schmiss das Rohr fort. Siefken war über den Trichterrand gesprungen. Eine rußige Flamme schoss durch die Nacht. Ich sah die anderen, die sich hinter Siefken geschart hatten. Ich rannte los. Geschosse pfiffen an mir vorbei. Vor mir schlug es ein. Eine Gestalt fiel zu Boden. Die anderen rannten weiter hinter der lodernden Flamme her. Ich erreichte den Soldaten. Es war Heffer. Sie schrie. Ein glühendheißer Splitter hatte ihren Panzer an ihrem rechten Bein durchgeschlagen. Ich warf mich hin.
>Zieh ihn raus<, brüllte Heffer.
Ich packte den Splitter. Heffer kreischte auf, als ich den Splitter herauszog. Das Blut verdampfte auf dem heißen Metal. Ich war es fort.
>Hör zu, Heffer<, schrie ich. >Die Rüstung ist zu schwer. Ich kann dich nicht tragen. Du musst aufstehen, kapiert.<
>Ich kann nicht.<
>Dann muss ich dich zurück lassen! Hast du verstanden, Soldat? Wenn du nicht hoch kommst, lass ich dich hier krepieren!<
>Ich...<
>Na los!< Ich zog Heffer hoch. >Zehn Meter, Heffer! Das schaffst du doch!<
Ich stützte Heffer ab. Quälend langsam stolperten wir weiter. Ich warf Heffer um, als MG-Feuer kam. Von dem Wall flog eine PAR, brachte das MG für einen Augenblick zum Schweigen. Meine Kinder hatten den Wall erreicht. Ich packte Heffer am heilen Arm und schleifte sie die letzten Meter hinter mir her. Mankowski und Papathanasiou lagen hinter dem Wall und schossen mit ihren 47´ern. Siefken hatte den Flammenwerfer abgelegt und sprang mir zu Hilfe. Gemeinsam zogen wir Heffer in den Graben hinter den Wall. Tief war der nicht mehr. Das Trommelfeuer hatte ihn an vielen Stellen eingedrückt. Zwei tote Peregrin lagen bei uns. Verbrannt vom Flammenwerfer.
Mankowski und Papathanasiou rutschten zu uns herab, als MG-Feuer gegen den Wall klatschte.
>WAS JETZT?<, schrie Siefken.
Was jetzt? Wir wussten nicht, wo wir waren. Vor uns lag die HKL der Peregrin mit ihren Bollwerken aus Beton. Von unseren Panzer keine Spur und die Feuerwalze war längst weiter gesprungen, wütete hinter der intakten Linie der Peregrin. Wir waren allein. Funkgerät und Peilsender waren tot.
Ich öffnete Heffers Visier. Tränen liefen über ihr staubiges Gesicht.
>Hör mir zu, Heffer. Wir können Dich hier nicht behandeln. Es ist zu gefährlich. Wir müssen hier weg! Verstanden!<
>Ja, Feldwebel.<
>Gutes Mädchen. Ich werde dich stützen. Ich kann dir keine Tranquilizer spritzen, weil du mir helfen musst, klar? Ich brauche dich.<
Heffer nickte ängstlich.
>Okay! Das wird schon werden. Wir bringen dich hier raus!<
Ich wandte mich an die anderen.
>Siefken! Du gehst mit Mankowski vor! Papathanasiou, du machst die Nachhut. Der Graben verläuft parallel zu den Stellungen der Bananenköppe. Wir folgen ihm nach Westen und versuchen zurück zu kommen!<
>Rückzug?<, schrie Mankowski. Die Mordlust der Stimpacks hatte ihn noch in Griff.
>Na gut, Mankoski. Wir machen ´s dann eben so. Wir folgen dem ersten Stichgraben nach hinten, aber wenn sich vorher ne gute Gelegenheit bietet, brechen wir durch und rollen zu fünft die Bananenköppe auf!<
>Sehr witzig, Feldwebel.<
>Wer hat gesagt, dass das ein Scherz war! Vorwärts! Und schießt mir ja auf alles was sich bewegt, klar!<
Gebückt folgten wir dem Graben, krochen über zerschmetterte Leiber der Peregrin. Das Granatfeuer nahm zu. Ich stützte Heffer, die tapfer mit jedem Schritt rang. Siefken hielt, wir warfen uns hin.
>Stollen!<, rief Mankowski.
>Weg von Eingang<, brüllte ich. >Handgranaten und weiter!<
Mankowski robbte zu Siefken vor. Er sicherte. Siefken zog zwei Handgranaten ab und warf sie in den Stollen hinein. Sie gingen in Deckung. Es krachte. Staub jagte aus dem Eingang. Wir krochen weiter.
Als ich mit Heffer den Stolleneingang passiert hatte, meldete sich der Peilsender.
>Deckung!<, schrie ich. >Sichern!<
Ich speicherte unsere Position und versuchte es mit dem Funk.
>Hier Foxtrott-Bravo. Hier Foxtrott-Bravo! Kann sie hören. Wie ist ihre Position, Foxtrott-Charlie?<
Ich gab unsere Position durch.
>Hier Foxtrott-Bravo. Befinden uns fünfhundert Meter nordwestlich hinter ihnen. Position halten...<
>Volle Deckung!<
Wir hörten das Gurgeln der Geschosse. Die Bananenköppe hatten den wiederhergestellten Funk genutzt, um ihre Artillerie zu dirigieren. Die Geschosse schlugen ein. Ich griff mir Heffer. Eine Explosion vor uns wirbelte uns herum. Celerium-Brocken regneten auf uns. Von Siefken und Manskowski war nichts zu sehen. Überall undurchdringlicher Staub.
>Papathanasiou!<, schrie ich. >In den Stollen!<
Ich schob Heffer in den Stollen.
>Du musst weiter runter kriechen, Heffer! Na los, mach schon!<
Wir hatten drei Meter in die Finsternis hinein hinter uns gebracht. Ich schaltete den Helmscheinwerfer an. Es krachte am Eingang. Ich drehte mich um. Endlich erschien Papathanasiou im staubigen Gang. Der Lichtkegel meines Scheinwerfers fiel auf sie. Das Visier war geborsten. Die Splitter hatten das Gesicht zerfetzt. Die linke Augenhöhle war leer.
>Feldwebel<, schrie sie. Sie versuchte auf ihren Stümpfen zu mir zu kriechen.
Ich krabbelte zu ihr, erwischte ihren Booster und spritzte ihr Tranquilizer. Sie fuchtelte wild mit ihren Stümpfen, schrie. Hinter mir hörte ich Heffer aufschreien. Ich hielt den Booster gedrückt, spritzte immer weiter, bis das Schreien nachließ.
>Mama<, sagte Papathanasiou noch. Dann war sie tot. Ich nahm ihr Munition und Handgranaten ab. Oben wurde es immer toller, als ich weiter hinab kroch.
Heffer hatte aufgehört zu schreien. Der Stollen mündete nach gut fünf Metern in einem kleinen Raum. Ein Gang führte von dort weiter in die Tiefe.
Heffer lehnte schwer atmend an einer Wand. Ihr gegenüber hockten vier tote Peregrin. Ich konnte noch gut die Verbände an ihren zerfetzten Leibern erkennen. Es mussten Verwundete sein, die sich hier rein geflüchtet hatten. Unsere Handgranaten hatten sie erwischt.
Ich hockte mich neben Heffer.
>Verwundete<, keuchte sie aus dem Helmlautsprecher.
>Pech<, meinte ich. >Vielleicht waren sie ja bereits tot.<
>Meinst du wirklich<, fragte Heffer wenig überzeugt.
>Gut möglich. Bestimmt sogar. Sonst hätte man sie doch längst weggeschafft.<
>Ja, vielleicht. Was ist mit den anderen?<
>Die haben wir verloren. Mach dir mal keine Sorgen. Wenn es sich oben etwas beruhigt hat, dann finden wir die schon. Wie geht es dem Bein?<
>Spüre ich kaum noch. Fühlt sich steif an und mir ist kalt.<
>Lass mal sehen.<
Ich nahm ihr die Beinpanzerung ab. Der Splitter hatte ein ordentliches Loch in die Rüstung und das Fleisch dahinter gerissen. Es blutet, aber nicht stark. Der Splitter hatte praktischer Weise viel von der Wunde ausgebrannt. Ich desinfizierte die Wunde legte einen Verband an und brachte den Panzer wieder an.
Oben krachte es heftig. Geröll kam herab. Ich kroch in den Stollen. Er war eingebrochen, hatte Papathanasiou geschluckt.
>Wir sind eingeschlossen<, sagte ich.
>Und jetzt<, fragte Heffer ängstlich.
Ich wünschte mir mit einem Mal, dass ein Offizier hier wäre. Und wäre es nur, um auch einmal „Und jetzt“ fragen zu dürfen, keine Antworten haben zu müssen.
>Wir versuchen es mit dem Gang, Heffer. Der wird schon irgendwo nach draußen führen. Ist vielleicht gar nicht schlecht. So können wir uns mal ohne Feuer fortbewegen, was?<
>Ich weiß nicht... Ich glaube nicht, dass ich noch weiter kann.<
>Dann machen wir´s so. Ich gehe vor und versuche Hilfe zu holen. Ich hole dich wieder hier ab, klar?<
>Du willst mich alleine lassen, Feldwebel?<
>Was sollen wir denn sonst machen<, brummte ich genervt. >Hör mal, ich bin bestimmt nicht lange weg. Du hast deine Rüstung. Du wirst nicht ersticken, hast Wasser und Nahrungsmittelinjektionen. Wenn du Schmerzen hast, dann spritz dir Tranquilizer. Aber nur eine Injektion die Stunde, klar?<
>Jede Stunde?< Sie weinte. >Aber du hat gesagt, du kommst schnell wieder...<
>Ja, tue ich auch. Ich meine ja nur im Notfall.<
>Notfall? Was für ein Notfall?<
>Heffer. Wir haben keine Wahl. Ich gehe und hole Hilfe.<
>Feldwebel...<
Ich nahm mein 47´er auf.
>Feldwebel<, hörte ich noch leise, als ich den Stollen hinabstieg.

Vor mir schimmerte ein Licht. Ich schaltete meinen Helmscheinwerfer aus. Ich war knapp zehn Meter hinabgestiegen. Der Stollen endete in einem mit Beton verkleideten Gang. Die Luft war muffig, aber man konnte sie ohne Filter atmen. Das matte Licht stammte von der Notbeleuchtung. Ich schlich mich an die Ecke und horchte. Nichts. Ich sprang vor, konnte meinen Finger gerade noch vom Abzug nehmen. Der Gang war leer. Ich machte ein paar Schritte hinein. Ich stoppte. Ich musste an all die Kameraden denken, an denen ich vorbei gelaufen bin, denen ich versprochen hatte zurückzukehren, die die Schlacht verschlugen hatte. Ich dachte an Svetlana. Stellte mir vor, wie sie einsam und verwundet da lag und auf mich wartete. Ich seufzte. Was würde denn aus Heffer werden, wenn es mich erwischte? Ich hatte noch immer das ungute Gefühl, dass ich mein Glück aufgebraucht hatte. Und wenn die Peregrin Heffer fanden? Allein unter ihren zerfetzten Verwundeten? Ich kehrte zurück.

Oben schoss Heffer erst einmal auf mich. Sie schrie. Ich schrie, wurde zu Boden gerissen, als es mich traf. Die Kugel war an meiner Rüstung abgeprallt.
>Heffer. Ich bin´s! Feldwebel Grabowski!<
>Feldwebel. Mein Gott. Es tut mir leid.<
>Ja, ja. Wäre mir lieber, wenn du nicht so schnell am Abzug wärst, Heffer.<
>Ich konnte doch nicht wissen, dass du das bist. Du hast doch gesagt, wir sollen auf alles schießen, was sich bewegt.<
>Da hat man endlich mal einen Soldaten, der auf einen hört und dann so was.<
Heffer lachte lahm.
>Weiter unten ist die Luft ganz in Ordnung. Du legst deine Rüstung ab, dann kann ich dich tragen. Alles klar?<
>Ja aber...<
>Alles klar?<
>Ja, Feldwebel.<
>Gut. Und wenn wir raus sind, sehen wir weiter, ja?<

>Soker! Soker!<, sagte ich immer wieder. Die scharfgemachte Handgranate, die ich gut sichtbar in der erhobenen Hand hielt, strafte die Worte lügen.
Ich hatte mir Heffer über die Schulter geworfen. Gemeinsam waren wir dem Gang gefolgt, der sich weiter und weiter durch die unterirdische Dunkelheit erstreckte. Endlich waren wir an eine Ecke gekommen. Die Luft war zum Scheiden dick. Stöhnen erklang von hinter der Ecke.
Ich ließ Heffer leise hinab, griff mein 47´er und lugte um die Ecke. Am Ende des Ganges führte ein Stollen hinauf. Dazwischen lag ein gutes Dutzend Bananenköpppe auf dem Boden. Ihr Zustand war jämmerlich. Allesamt Schwerverwundete, die es nicht zurückgeschafft hatten. Ein einsamer Sani versuchte es den Soldaten so leicht wie möglich zu machen. Als er mich sah, ließ er vor Schreck sein Besteck fallen. Es schepperte laut. Ins Stöhnen mischten sich Angstschreie. Ich fuhr mein Visier hoch, damit sie mein Gesicht sehen konnten.
>Soker!<, rief ich. >Soker, Soker!<
Ich senkte meine Waffe. Heffer schleppte sich um die Ecke.
>Mein Gott<, staunte sie. >Was jetzt?<
>Was jetzt, was jetzt. Was wohl? Wir gehen hier durch und dann raus. Ich nehm dich wieder auf die Schulter. Wenn du siehst, dass einer ne falsche Bewegung hinter mir macht, dann gib Hals, klar?<
>Klar!<
Ich gab Heffer mein 47´er. Dann nahm ich sie auf. Die Verwundeten und der Sani waren vor Schreck wie gelähmt.
Ich nahm eine Handgranate, zog den Sicherungsstift hinaus.
>Herhören<, rief ich. >Wir wollen keinen Streit, klar? Wir wollen nur hier durch, in Ordnung? Wir sind Kameraden. Soker, Soker, ja? Ihr habt euren Teil getan. Jetzt braucht ihr nicht mehr kämpfen. Aber wenn einer meint, er hätte noch nicht genug, dann... Na ja, so ´ne Handgranate in ´nem engen Betongang ist ja keine feine Sache, was?<
Kein Zeichen, ob mich jemand verstanden hatte. Langsam ging ich los. Es war schwer mit Handgranate und Heffer über die Verwundeten zu steigen, ohne denen auf die Glieder zu trampeln. Ich konzentrierte mich auf den Boden vor mir. Die Verwundeten blickten verschämt zur Seite. Wer wollte schon im Elend beobachtet werden, blut- und kotbeschmiert?
>Als in Ordnung, Heffer<, fragte ich.
>Ja, Feldwebel. Die rühren sich kaum vor Angst. Sollten wir sie nicht gefangen nehmen?<
>Klar, Heffer. Aber vielleicht sollte ich dich auch bei ihnen zurücklassen. Der Sani macht einen kompetenten Eindruck.<
>Ne, besten Dank, Feldwebel.<
Endlich waren wir durch.
>Soker<, rief auf einmal der Sani hinter mir. Ich drehte mich um. >Soker<, sagte er wieder und kam auf mich zu.
>Ja, Soker, schon klar. Das ist aber jetzt nah genug.< Ich winkte mit der Handgranate. Der Sani blieb stehen.
>Soker<, sagte er wieder und deutete auf meine Verbandstasche.
Ich verstand. Ich sah ihn einen momentlang an.
>Wir tauschen, ja?<, sagte ich schließlich.
Als ich mit Heffer endlich nach draußen gelangte, trug sie die Splitterweste des Sanis und der meine Verbandstasche. So bekam jeder, was er am nötigsten hatte.
Oben wurde ich die scharfe Granate an zwei Peregrins los, die neben dem Eingang Stellung bezogen hatten. Als der Weg frei war, machte ich mich mit Heffer auf die Suche nach den Unsrigen. Heffer bekam noch einen Armtreffer. Der war aber nicht schwer. Wir schafften es endlich, auf unsere Leuten zu stoßen. Das war eine bunte Truppe, die sich um Hauptmann Jonsson gescharrt hatte: Pioniere, Sturmtruppler, Versprengte von allen möglichen Einheiten, die sich gesucht und gefunden hatten.
Heffer kam einen Bunker, de wir zu einem Lazarett umgewandelt hatten. Von den vielen Verwundeten dort, ging es ihr noch recht gut.
Ich fand Siefken und Mankowski wieder. Sie hatten das Feuer unbeschadet überstanden. Mankowski fiel aber am nächsten Morgen.
Wir veruchten uns die Peregrin zu gut es ging vom Leibe zu halten. An Durchbruch war nicht zu denken. Die Peregrin hatten die Löcher in der vordersten Linie schließen können und schnitten uns von den rachrückenden Truppe ab. Wir versuchten uns die Peregrin so gut es ging vom Leibe zu halten und Entsatz der vorderen Linie zu verhindern.

>SANI!<
Es war ein Schreien, ein Kreischen beinahe, vor Schmerzen und Entsetzen. Es hat einen erwischt, dachte ich benommen. Mein Gott. Das Schreien zerrte an meinen Nerven. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Hör schon auf. Wie viele hatte ich so schreien sehen?
Es stank erbärmlich. Es hatte eingeschlagen und vermutlich die Rohstoffwiederaufbereitungsanlage der Rüstung getroffen. Pisse und Scheiße strömten aus.
>SANI!<
Ein verzweifelter Ruf. Ich wollte mich aufrappeln, zur Hilfe eilen. Es ging nicht. Es war, läge ein zentnerschweres Gewicht auf meinen Schulter. Ich konnte mich nicht bewegen.
>SANI! HIERHER!<

Endlich fiel die vorderste Linie der Peregrin. Unser Nachschub kam durch. Isaak und Älter fanden sie bei uns ein. Ihre Fahrzeuge waren noch im Niemandsland abgeschossen worden. Sie mussten sich zu Fuß an die Gräben der Peregrin vorkämpfen.
Bei Nacht gingen wir gegen die Auffangstellungen der Bananenköppe vor. Es waren harte Kämpfe, ehe der Durchbruch gelang. Wir sahen die anderen vorstoßen, während wir erschöpft im Staub hocken. Wir waren fertig. Die Verluste hoch. Die Liste der Namen, dich ich in meinem Buch durchstrich war lang. Aber wir anderen waren froh, dass wir noch lebten. Noch überwog die Freude die Trauer.
Ich zog mit Älter übers Niemandsland. Er hatte einen Treffer bekommen. Nur eine leichte Verletzung. Er war auf dem Weg zum Hauptverbandsplatz und ich nutzte die Gelegenheit ihn zu begleiten, um die Verlustmeldung persönlich im Bataillonsstab ab zu geben.
Das Niemandsland war furchtbar. Wir selten hatten wir in unseren Gräben die Gelegenheit, es in Ruhe zu betrachten. Der rote Nebel war vom Wind zerstreut worden, offenbarte Wracks, Trichter und Leichen. Alter, Neue, noch welche von den ersten Wochen, die die Sonne längst vertrocknet hatte. Älter und ich aber waren froh. Selbst die paar Granaten und Raketen, die der Bananenkopp hier und da ins Niemandsland schickte, konnte unsere Laune nicht trüben. Nach dem Sturm, aus dem wird hervorgegangen waren, nahm sich das bisschen Feuer wie eine angenehme Brise aus. Wir beglückwünschten uns gegenseitig, das wir unseren Holden das Witwendasein erspart hatten.
>Apropos<, meinte Älter. >Wie ist das eigentlich so mit einer Frau, hm?<
>Müsstest du doch wissen, Älter. Bist doch mit einer verheiratet.<
Wir lachten. Kolonnen von Fahrzeugen fuhren an uns vorbei. Pionier planierten bereits eine Piste durchs Niemandsland. Panzer ratterten dröhnend an uns vorbei. Wir hörten die Granate nicht. Der Druck fegte mich um.
>SANI!<
Mein Visier. Ich musste es öffnen. Ich geriet in Panik, bekam kein Luft mehr, wollte mich auf den Rücken drehen.
>Liegen bleiben!<, schrie Älter. >Dein Rücken!<
Da verstand ich. Ich war es, die schrie, die es erwischt hatte.
>ÄLTER! Mein Visier. LUFT!<
Älter riss mein Visier auf. Stand Luft bekam ich erst mal Staub zu schmecken. Ich bekam überhaupt keine Luft mehr, hustete. Die Schmerzen in meinen Rücken brachten mich beinahe um. Älter versuchte mich in eine Seitenlage zu drehen. Ich verlor das Bewusstsein sein.

Ich erwachte.
>Ruhig liegen blieben<, sagte eine mir fremde Stimme. Unwirklich sah ich Fahrzeuge an mir vorbei fahren. Keine zehn Meter neben mir. Soldaten hockten auf Panzern, sahen im Vorbeifahren herüber, sahen mich sterben.
Die Schmerzen waren fort.
>Rede mit ihr!<
Ich sah Älters Gesicht.
>Du siehst nicht gut aus, Älter<, meinte ich.
>Frau Feldwebel...<
>Ernst. Ich werde es nicht schaffen, was?<
Wasser sammelte sich in seinen Augen, ran das staubige Gesicht hinab.
>Ich will nicht sterben, Ernst. Ich will nicht... Ach herrje, ich wollte doch Svetlana schreiben, aber ich... Ich wollte nicht vor dem Angriff schreiben, weißt Du. Dumm, was?<
>Du kannst ihr noch schreiben, Fred. Später. Bestimmt!<
>Ich hab dir doch damals versprochen Irene zu schreiben.<
>Ja.<
>Nun musst du Svetlana schreiben. Versprochen?<
Älter nahm meine Hand.
>Versprochen.<
Ich musste an Svetlana denken. Ich liebte sie doch. Warum jetzt?
>Ich hab´ Angst.<
>Hierher!<, rief die Stimme hinter mir.
Ich erinnerte mich an die Landung. An Älter. Es schien mir auf einmal wichtig.
>Älter?<
>Ja?<
>Weißt du noch damals? Vor der Landung. Im Landungsschiff?<
>Ich...nein, ich weiß nicht...<
>Ihr ward alle so jung und ich hab dich damals gefragt, warum du hier bist, bei der Sturmtruppe.<
Er sah mich an.
>Ja. Stimmt.<
>Und du hast nicht geantwortet, weil Peterson was gesagt hat, weißt´ e noch?<
>Ja, Peterson. Er fiel.<
>Ja. Warum, also? Warum die Sturmtruppe?<
Er sah mich verwundert an. Dann musste er lachen:
>Ich weiß es nicht mehr, Fred. Ich hab´ s vergessen.<
>Vergessen?<
>Ja. Einfach vergessen.<
>Das ist gut. Vergessen.<
Ich nahm das Wort mit in die Finsternis, in die ich glitt.

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