Feuer. Gesamtausgabe
von Carsten Maday

Kapitel
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6. Teil

Feldpost

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Hpt. Jakowlewa S. RS02981818:2244/AC005269
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Liebe Anna,
Mein Erholungsurlaub neigt sich dem Ende entgegen und ich bin bereits in .... in der ...-Basis. Ich warte auf meine Passage durchs Portal nach ....
Ich vermisse die kurze, gemeinsame Zeit mit Ihnen sehr. Die herrlichen Sonnentage am See, die Spaziergänge und Waldläufe, all die schweißtreibenden Aktivitäten. Ihre Bekanntschaft ist ein wahrer Glücksfall für mich gewesen. Wer hätte gedacht, dass die Sturmtruppe und die Marine-Fliegerei so gut miteinander auskommen? Ich danke ihnen herzlich. Sie haben mir Hoffung und Lebensenergie zurückgegeben.
Da wir uns in den wenigen Tagen doch etwas näher gekommen sind, interessiert es Sie vielleicht, was mir in der restlichen Zeit meines Urlaubs geschehen ist.
Ich habe jemanden kennen gelernt.
Unglaublich, nicht wahr, wenn man bedenkt, wie niedergeschlagen ich war, als wir uns trafen.
Er ist in der Sturmtruppe wie Sie, Anna. Er heißt Fred. Ich kann es gar nicht richtig glauben. Fred ist einfach in mein Leben getreten, und ich glaube, ich will nicht, dass er wieder daraus verschwindet.
Ich kann Sie lachen sehen, Anna. Vielleicht schütteln Sie auch den Kopf. Ich weiß ja, dass wir nur kurze Zeit zusammen waren, aber es ging eine derartige Ruhe von ihm aus, die einfach auf mich überging und all jene zweiflerischen Stimmen zum verstummen brachte, die in mir riefen: Wie kann mich noch jemand lieben?
Aber wenn ich in seine Augen blickte, da konnte ich es spüren. Er mag mich. So wie ich bin. Jetzt, da ich Ihnen schreibe, glaube ich, dass ich noch gar nicht realisiert habe, welch großes Wunder mir da eigentlich widerfahren ist. In unser letzten Nacht habe ich es ihm gesagt: Ich liebe Dich. Anna, wissen sie, wie gut es tut, jemanden zu lieben? Ich denke, gibt keine bessere Therapie für mich.
Ich bin albern, ich weiß. Aber es ist so. Liebt er mich, wann sehe ich ihn wieder, bleibt er mir treu, gibt es eine Zukunft? Alle bohrenden Fragen sind fort, ja, es gab sie nie. Sie alle wurden verscheucht von der einen Frage, die nun drängender ist als je: wann gibt es Frieden?
Ich mag nun nicht daran denken, ans Sterben. Ich will lieber von Fred schwärmen.
Er sieht ungewöhnlich aus. Sie lachen wieder? Sie haben recht. Dass gerade ich mir ein Urteil über das Aussehen anderer anmaße. Aber sein Äußeres gefällt mir ja. Er ist klein, geht mir gerade mal bis zur Schulter. Er ist stark, hat ein breites Kreuz, eine mächtige Brust und sehr muskulöse Arme. Besonders aber mag ich sein Gesicht. Es ist braungebrannt von der Wüstensonne. Freundliche Augen sind darin und eine niedliche Stupsnase mit jeder Menge Sommersprossen drum herum. Ich mag dieses Gesicht, besonders, wenn es hier und da einmal lacht.
Genug. Ich langweile Sie bestimmt. Ich denke jeden Tag an Sie, Anna. Geben Sie auf sich Acht. Schreiben Sie mir doch bitte. Ihre Meinung über Fred und mich interessiert mich brennend.
Mit lieben Grüßen
Jakowlewa, Svetlana, Hauptmann.

P.S. Was macht Herr Fleuder? Belästigt er Sie noch?


Ich faltete den Brief zusammen und legte ihn zurück in mein Soldbuch. Ich betrachtete kurz das Bild, das Svetlana mir gegeben hatte. Es war das Bild, das sie vor ihrer Kanzlei zeigte, vor den Verbrennungen. Ich steckte das Soldbuch zurück unter meine Splitterweste. Ich kannte den Brief bereits auswendig, aber irgendwie war mir Svetlana näher, wenn ich ihn berührte. Auch wenn es nur der Ausdruck einer E-Mail war.
Es war kalt. Der Atem der Männer links und rechts von mir kondensierte. Die Regenzeit ging zu Ende. Die Nacht war bereits sternenklar gewesen, die Temperaturen waren stark gefallen. Die Sonne würde am Tage wieder brennen, den Schlamm und Kot der Schlacht langsam trocknen. Das war tückisch, denn unter der trockenen Kruste konnten tiefe Schlammlöcher lauern.
Wir hatten uns am Hang der Höhe Zwosiebenzwo, besser bekannt als Quirinal, eingegraben. Wir warteten aufs erste Tageslicht, auf den ersten Sturm gegen die Höhenstellung der Peregrin. Zweihundert Meter den Hang hinauf. Ein Feuerüberfall sollte uns Deckung geben. Sobald wir die ersten Raketen und Geschosse hörten, sollten wir vorgehen.
Ich hatte Angst. Wie seit der Landung nicht mehr. Svetlana hatte mir gegeben was ich hier draußen am wenigsten gebrauchen konnte: Hoffnung. Sie war unendlich. Ich kämpfte nicht mehr nur ums Überleben, sondern für ein Leben. Es war etwas so herrliches und schönes, dass der Gedanke, ich könnte es verlieren, mich vor Angst erstarren ließ.
Meine Hände klammerten sich um mein 47´er. Kalter Schweiß lief mir den Rücken runter. Ich zwang mich, nicht an das Feuer, den Sturm zu denken, meine Nerven zu beruhigen. Panik beschlich mich. Ich hatte Angst mich in einen wimmernden Feigling zu verwandeln. Ist das wirklich Feigheit, wenn man lieber leben und lieben will als töten und sterben?
Ich sah mir meine Kinder an. Als ich die Angst in ihren Augen sah, beruhigte ich mich etwas. Es ging ihnen nicht besser als mir. Meine Liebe war nichts besonders. Die meisten hatten so etwas, ein Stück Hoffnung, das sie jeden Tag aufs Neue riskieren mussten.
Du darfst Angst haben, Fred, beruhigte ich mich selbst. Alles in Ordnung. Sieh Dir Hauptmann Jonsson an. Der sieht aus, als ob er gleich umkippt.
Dann war es so weit. Wir hörten die Raketen heranfliegen.
>Sprung auf, Marsch, Marsch!<
>Vorwärts, Leute, raus aus dem Graben.<
Die Raketen schlugen zielgenau in den feindlichen Stellungen ein und brachten das Abwehrfeuer zum Schweigen, als wir die Deckung des Grabens verließen. Wir hörten das Gurgeln der Geschosse. Sie schlugen ein, mitten unter uns.
Wenn bei Nacht die Temperaturen stark abfielen, verzogen sich die Geschützläufe. Wenn die Artillerie sich am Tage eingeschossen hatte und nicht nachkorrigierte, konnte es passieren, dass die Geschosse zu kurz gingen. Das war leider Pech. Wir verloren die Hälfe des Bataillons.


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Liebe Svetlana,
Ich habe mich sehr über Ihren Brief gefreut. Auch ich vermisse unsere Aktivitäten am See und besonders die gemeinsam durchwachten Nächte.
Es freut mich, dass sie jemanden kennen gelernt haben. Die Sache mit diesem Fred hört sich ziemlich gut an. Ich beneide ihn sehr. Er muss ein glücklicher Mensch sein, wenn Sie ihn lieben.
Sie haben sicher recht, wenn Sie sagen, dass es eine viel zu kurze Zeit war. Aber ich bin überzeugt, dass Sie auch mit den anderen Dingen recht haben, dass er Sie auch liebt und so. Sie brauchen sich bestimmt keine Gedanken darüber zu machen, ob Freds Gefühle von Dauer sind. Er ist ja bei der Sturmtruppe. Wenn wir uns erst einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, bringt uns keiner mehr davon ab.
Passen Sie auf sich auf, liebe Svetlana.
Ich bete jeden Abend für Sie.
Grabowski, Frederika Anastasia, Feldwebel.

P.S. Fleuder hat sich nicht mehr gemeldet. Für die Zeit am See haben Sie ihn wohl vertrieben, liebe Svetlana. Hier vorne hat er sich nie gezeigt. Das liegt wohl am Dienstplan. Man schläft selten länger als ein, zwei Stunden am Stück.


Es gibt viele Arten zu zeigen, dass man jemanden liebt. Oft ist es schwer zu sagen, wem man es überhaupt zeigen will. Dem Geliebten oder sich selbst?
Nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf die Höhe Quirinal wurde unser Bataillon zurückgenommen. Wundenlecken.
Die Angst ließ mich nicht los. Die Versuchung, ihr zu entkommen war groß. Ich nahm dennoch keine Stimpacks mehr. Irgendwie hatte ich noch mehr Angst, es mir leichter zu machen. Vielleicht, weil ich glaubte, dass ich mir Svetlana verdienen musste.
Der Preis für das bisschen Hoffnung war hoch, aber ich wollte ihn zahlen. Ich wollte nicht versuchen den Tod zu betrügen, indem ich die Gefahr auf meine Kinder ablud. Ich war fest davon überzeugt, dass es mich erst recht erwischen würde, wenn ich anfing mich zu verpissen. Außerdem hätte ich mir dann ja gleich ein Offizierspatent bestellen können.
Ich war Feldwebel und musste meine Kinder mehr lieben als Svetlana. Wir Frontschweine haben wohl unsere eigenen Wege, mit der Liebe umzugehen.

>He, Fred. Wohin gehst du?<
>Zum Geschäftszimmer.<
>Aha? Was willst ´n da?<
>Svetlana auf die Benachrichtigungsliste setzen. Sonst erfährt die ´s ja gar nicht, wenn ´s mich erwischt.<
>Mann, Fred. Liebe muss ja sooooo schön sein.<
>Halt bloß dein Maul, Isaak. Ach, da ich dich gerade treffe. Die brauchen noch Leute bei der Leichenregistrierung. Schnappt dir mal drei Mann und geh rüber, klar?<
>Besten Dank, Feldwebel, besten Dank auch.<


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Liebe Anna,
Der Lehrgang auf ... ist endlich vorbei und ich bin wieder auf der guten, alten ... Gestern bin ich auf einen ersten Patrouille-Flug gestartet. Es ist komisch. Trotz meines Absturzes habe ich mich richtig gefreut. So ist das mit uns Fliegern eben. Wenn wir nicht im Cockpit sitzen, sind wir nicht richtig zufrieden. Ich träume davon, Sie eines Tages mal mitzunehmen, Anna. Auf eine kleine Spritztour durchs All.
Mein Pilot ist wieder so ein grüner Junge. Er erinnert mich doch stark an Olofsson. So ist das. Ich war bestimmt nicht anders, als ich frisch von der Flugschule gekommen bin. Da herrschte allerdings noch Friede. Der Krieg sieht einem keine Fehler nach.
Ich fühle mich allein. Manchmal ist es, als mieden mich die anderen. Vielleicht, weil ich sie ahnen lasse, wie der Krieg ist, dass es Schlimmeres als den Tod gibt. Ich denke dann immer an Sie und Fred. Die Liebe gibt mir Kraft, obwohl es auch schwer ist. Ich sehne mich so nach ihm.
Danke, dass Sie Verständnis haben, auch dafür, dass ich ihnen keine Video-Aufzeichnung schicken mag. Sie kennen mich zwar, aber... Es wäre mir lieber, wenn sie an mich als an die Frau auf dem Foto denken. Albern, was? Ach, als Frau in meinem Alter beginnt man doch, sich Sorgen um sein Aussehen zu machen.
Ich verweile in Gedanken bei Ihnen.
Jakowlewa, Svetlana, Hauptmann.


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Liebe Svetlana,
Es war eine schwere Woche für mich. Ich habe vom Tod eines Freundes erfahren. Raschid. Sie erinnern sich vielleicht. Eine Mine. Man hat nichts von ihm gefunden. Er ist einfach verschwunden. Wie so viele.
Zwei Tage später starb Barbara. Eine der alten Hasen, die schon bei der Landung dabei waren. Außer Isaak und mir sind nicht mehr viele davon übrig. Ein Jammer.
Am nächsten Tag belegten uns die Bananenköppe schwer mit Feuer. Ein Unterstand wurde eingedrückt. Fünf Tote. Drei konnten wir lebend bergen. Sie wurden mit Granatschock nach hinten gebracht. Darunter war auch Siefken.
Es war eine lausige Woche.
Dann hat man uns auch noch vom Quirinal abgezogen. Vielleicht haben Sie die Nachrichten bereits gehört. Kaum waren wir weg, da haben die Zwounddreißiger die Höhe im Sturm genommen. Wenn Sie mich fragen, war ´s wie beim Gurkenglas: Alle drehen und mühen sich ab ohne Erfolg, bis es endlich einer auf bekommt. Auf einmal geht’s ganz leicht. Die Zwounddreißiger brauchen sich also gar nicht so viel drauf einzubilden, schließlich waren wir es, die den Bananenköppen wochenlang zugesetzt haben.
Ich denke an Sie.
Grabowski, Frederika Anastasia, Feldwebel.


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Frohe Weihnachten, Liebste Anna.
Ich hoffe, mein Brief erreicht sie noch einigermaßen pünktlich.
Soldaten und Seeleute sind schon ein sentimentales Völkchen. Der Kapitän hat unsere alte .... von vorne bis hinten schrubben lassen. Die Messe ist mit Girlanden geschmückt. Richtige Zweige gibt es hier natürlich nicht. Heute Abend findet unsere traditionelle Weihnachtsfeier statt. Sie wissen schon, mit Champagner, Braten und all den schönen Dingen, von denen ihr Stoppelhopser glaubt, dass wir uns täglich damit mästen.
Ich freue mich darauf. Es ist, nun ja, komisch. Ich fühle so etwas wie Glück. Das gab es letztes Jahr nicht. Vor meinem Absturz, meine ich. Da war es wie immer. Nur ein Weihnachtsfest. Aber nun... Es wird das kleine Pflänzlein Liebe sein, dass Fred in mir gesät hat. Es wächst wider alle Hoffnung in einer Ödnis und fängt in der Leere den Blick des Betrachters, der sich verwundert fragt, was bestaunenswerter ist: die Schönheit der Pflanze oder die Tatsache, dass sie überhaupt überleben kann. Sie muss tiefe Wurzeln haben, denn sie verwelkt nicht, sondern wird kräftiger und schöner von Tag zu Tag. Das ist mein Weihnachtsgeschenk an mich: ein wenig von einer Zukunft träumen, die schön und nicht schrecklich ist.
Von anderem. Ich habe einen neuen Rufnamen. Den haben mir meine Kameraden nach einem Patrouilleflug verpasst. Ich schaffte es meinen Piloten im Schutz eines Mondes an vier feindliche Jäger heran zu navigieren. Ehe die merken, was überhaupt passierte, hatten wir schon zwei abgeschossen und uns wieder davon gemacht. Seit dem bin ich als das „Phantom“ bekannt. Das fanden meine Kameraden besonders passend, zumal ich ihnen von dem Film berichtet habe. Sie haben mir am See davon erzählt, von dem Kerl mit dem zerstörtem Gesicht, der irgendwo unter einer Oper haust. Wir Piloten sind schon ein raues Volk, was?
Alles Liebe zu Weihnachten.
Passen Sie auf sich auf, Anna.
Jakowlewa, Svetlana, Hauptmann.


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Ein Frohes Neues Jahr, Liebste Svetlana.
Leider komme ich erst jetzt dazu, Ihre Briefe zu beantworten. Wir waren lange vorne gewesen. Feldpost ist da eher Glücksache.
Wir sind gestern zurückgekommen, schwer mitgenommen wie immer. Wir durften mal wieder den Gurkenglasöffner spielen. Diesmal bei der Höhe Palatin. Die Bananenköppe haben sich gut verschanzt. Es sind teilweise noch unsere eigenen Stellungen, die sie eingenommen und ausgebaut haben.
Wir haben erst einmal zwei Wochen Ruhepause bekommen. Urlaub gibt es leider keinen. Ich wünschte, ich könnte Sie treffen, Svetlana, aber so geht es wohl den meisten meiner Kinder hier. Jeder hat jemanden, den er vermisst.
Wir haben vorne auch etwas Weihnachten gefeiert, die ganze Bande. Religion spielt dabei kaum eine Rolle mehr. Jeder nutzt die Gelegenheit, an seine Lieben zu denken, in alten Briefen zu lesen. Ich habe an Sie gedacht, Svetlana.
Zu Silvester gab ´s ein Feuerwerk. Unsere Artillerie gab pünktlich um Zwölf ein paar Salven Salut ab. Der Bananenkopp hat es wohl in der falschen Hals bekommen und sich mit Trommelfeuer bedankt. In unseren improvisieren Stellungen am Fuße des Palatin wollte da natürlich keine Partystimmung aufkommen.
Dass Ihre Kameraden Sie „Phantom“ getauft haben, ist wirklich reizend. Wir Sturmtruppler haben aber auch so unseren Sinn fürs Makabere.
Irgendwo am Felshang des Palatin hockte ein Scharfschütze der Peregrin. Der erwischte vier Mann. Wir konnten ihn endlich ausmachen und mit dem Minenwerfer ausschalten. Am nächsten Tag ging es wieder los. Der Ersatzmann des Scharfschützen erwischte drei Mann, ehe wir ihn getötet hatten. Unsere Gräben sind hier ja längst nicht so gut ausgebaut, wie weiter hinten. Wir sollen ja auch vorgehen und uns nicht verschanzen.
Sie können sich also vorstellen, wie unangenehm so ein Scharfschütze sich auf die Stimmung bei meinen Kindern auswirkt. Bei jedem Schritt muss man drauf achten, dass der Kopf nicht zu hoch kommt und man eine verpasst kriegt.
Wie dem auch sei. Das Spiel ging noch ein paar Tage so weiter. Auf jeden Scharfschützen, den wir erwischten, folgte am nächsten Tag ein anderer. Langsam machten sich die Verluste schmerzlich bemerkbar. Nach einer Woche löste sich die Sache zu beiderseitiger Zufriedenheit. Der neue Scharfschütze stellte sich als so lausiger Schütze heraus, dass wir beschlossen, ihn nicht zu bekämpfen. Wir hätten ja sonst riskiert, dass sein Nachfolger besser zielen konnte. Nun, da ich Ihnen schreibe, frage ich mich, ob es dem Peregrin da oben wie uns ging. Der wusste ja, dass seine Vorgänger erledigt worden waren. Vielleicht schoss er absichtlich so schlecht, um uns nicht zu provozieren. Wer weiß?
Wir kamen also gut miteinander aus. Allerdings war es nicht ratsam, sich allzu sorglos zu präsentieren. Ein blindes Huhn trifft ja bekanntlich auch mal ein Korn. Das bekam Isaak schmerzlich zu spüren, als er mal wieder einen Frischling abkanzelte. Der Scharfschütze erwischte ihn im Gesicht. Doppeltes Glück für Isaak. Es traf ihn von der Seite. Die Kugel schlug durch beide Backen. Doppeltes Glück, weil Isaak gerade lauthals den Soldaten anpfiff und dabei das Maul weit aufriss. Die Kugel ging durch die Backen ohne die Zähne zu treffen. Zähne und Knochen können böse Splitterwirkung haben. Wäre nicht der erste Soldat gewesen, der durch die eigenen Zähne im Gehirn gefallen wäre.
Isaak liegt im Lazarett. Wir gehen ihn morgen besuchen. Ich sage ihm einen lieben Gruß von Ihnen, Svetlana.
Grabowski, Frederika Anastasia, Feldwebel.


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An:
Hpt. Jakowlewa S. RS02981818:2244/AC005269

Liebe Svetlana.
Wir haben endlich wieder unsere Kampfrüstungen zurückerhalten. Der Boden ist seit Wochen wieder getrocknet, aber die Materialausgabe hinkt ja immer hinterher. Das bisschen Schutz vor dem Feuer ist auch dringend nötig. Es fehlt an Mannschaft. Viele werden abgezogen nach.... Unsere Offensive beschränkt sich auf das Gebiet von Rom. Wenn mich meine Ahnungen nicht täuschen, dann geht es bald an einem anderen Kriegsschauplatz hoch her...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................Ich bete für sie.
Unter den Ersatzleuten, die uns vor zwei Tagen zu geteilt wurden, war ein alter Kamerad. Älter. Sie erinnern sich vielleicht noch an das Foto von ihm und seiner Frau Irene.
Er tauchte unvermittelt bei uns auf, mit neuem, künstlichen Bein und frischem Dienstrang als Fahnenjunker. Da dauert ´s ja nicht mehr lange und ich werde noch vor ihm stramm stehen müssen. Leider habe ich noch keine Gelegenheit zum klönen mit ihm gehabt. Heute Nacht geht es wieder nach vorn.
Gott schütze Sie.
Grabowski, Frederika Anastasia, Feldwebel.


>Viel zu beachten gibt es eigentlich nicht<, sagte ich. >Das meiste kennst du schon. Hast es ja schon oft genug gemacht.<
Ich schlich mit Älter durch den nächtlichen Graben. Wir waren auf einem Kontrollgang unterwegs. Ich schleifte Älter weniger deshalb hinter mir her, um ihn in alles einzuweisen, sondern viel mehr um ihn im Auge zu behalten. Die ersten zwei Wochen im Graben waren kritisch. Wenn man die hinter sich hatte, steigerte sich die Überlebenswahrscheinlichkeit schlagartig.
Älter hatte zwar fast ein Jahr lang an der Front zu gebracht, aber er war auch lange Zeit weggewesen. Mit dem Kämpfen war es nicht wie mit dem Schlittschuhfahren. Man verlernte es schnell, all die kleinen, überlebenswichtigen Dinge, den Instinkt, den Kopf einzuziehen, sich lang zu machen. Auch ich hatte eine zeitlang gebraucht, um mich nach meiner Verwundung wieder einzugewöhnen. Und ich hatte schon mehr Dienstjahre auf dem Buckel als Älter Lebensjahre.
>Das einzige<, ließ ich Älter an meiner Weisheit teilhaben, >worauf man bei den Kontrollgängen achten muss, ist, dass man kurz vor einem Wachposten etwas Lärm macht. Das gibt den Jungs und Mädels die Gelegenheit aufzuwachen, wenn sie mal eingepennt sind. Ist ne unangenehme Sache, jemanden schlafend auf Posten anzutreffen. Nur Ärger. Kriegsgericht und jede Menge Papierkram. Wenn der Bananenkopp uns überrennen will, tut er ´s eh, ob nun Meier, Müller oder Schmidt pennt oder nicht. Klar?<
>Völlig, Frau Feldwebel<, drang Älters verzerrte Stimme aus dem Helmlautsprecher.
>Und wenn du doch mal einen auf beim Pennen auf Posten überraschst, dann regle das lieber unter der Hand. Grabendienst wenn ´s mal wieder so richtig gewittert. Wird ihm ne Lehre sein, wenn er ´s überlebt. Die anderen schreckt es auf alle Fälle ab.<
>Alles klar, Frau Feldwebel.<
>Feldwebel tut´s auch, Älter.<
>Ja, aber...<
>Ja, ja, ich weiß. Aberglaube. Glaubst, dass es dich erwischt, wenn du das „Frau“ weg lässt, hm?<
Ich deutete mit dem 47´er auf Älters künstliches Bein.
>Hat beim letzten Mal auch nicht viel geholfen, was?<
>Ne, aber...<
>Wie wäre es mit Fred, Ernst. Solange du noch Uffz bist wie ich. Wenn du erst mal Leutnant bist, muss ich ja in Ehrfurcht vor dir erstarren.<
>Fred ist gut, Frau Feldwebel.<
Wir gaben uns die Hände. Wir gingen noch ein Stück. Zwischen zwei hielten Posten wir an.
>Feuer frei.<
Wir fuhren die Helmvisiere hoch und steckten uns Zigaretten an.
Ich machte den Anfang, erzählte nur das Nötigste. Wir konnten nicht die ganze Nacht Pause machen.
>Das freut mich für Dich<, meinte Älter als ich fertig war. >Die Sache mit Svetlana, meine ich. Kenne keinen, der ´s mehr verdient hätte. Sie sieht übrigens toll aus.<
Er gab mir das Foto von Svetlana zurück.
>Ja, danke<, erwiderte ich. >Ist allerdings schon eine etwas ältere Aufnahme. Der Krieg kann einen schon verändern, weißt du?<
Er sah mich fragend an, aber ich winkte ab.
>Und jetzt zu dir. Was machst du hier? Mit dem Bein? Damit können die dich doch nicht zurückschicken.<
>Ne, dass nicht, aber...< Er nahm den Zigarettenstummel aus dem Mund und zündete sich eine Neue daran an.
>Na ja, es waren viele Dinge. Besonders, dass nach der Änderung des Wehrgesetzes auch Frauen eingezogen werden. Da wäre ja auch Irene dran gewesen. Ich sag ´s, ich wäre beinahå gestorben bei dem Gedanken, dass Irene hier her kommt. In all das Elend, weißt du?
Das dumme ist ja, dass von jedem Ehepaar einer einrücken muss. Ich war ja trotz meiner Verwundung noch weiterhin Soldat. Und denen werden Hochzeiten nur in Ausnahmefällen gewährt. Mit meiner schweren Verwundung hätte ich meine Entlassung beantragen und Irene heiraten können. Aber dann hätte es ja keinen Wehrdienstleistenden mehr in unserer Ehe gegeben...<
>Aber du hast doch....<
>Ja, klar. Die Betonung auf „hast“. Die meinen aber aktive Soldaten. Ergo hätte man Irene eingezogen.<
>Verrückt.<
>Allerdings. Und ohne Heirat wäre sie natürlich auch eingezogen worden.<
>Wer denkt sich denn so etwas aus?<
>Sicherlich keine Leute mit Fronterfahrung. Also bin ich hin und hab denen ein Angebot gemacht. Ich hab mich wieder freiwillig gemeldet, mit höherem Dienstrang natürlich. Man möchte ja voran kommen im Leben.<
>Klar.<
>Dafür haben die mir dann die Heirat erlaubt. Denen ist wohl mehr gelegen an Leuten mit Erfahrung, als an jungen Rekruten.<
>Und was hat Irene dazu gemeint?<
>Die hat natürlich geschrieen. Klar. Aber ich hab ihr gesagt, wie ´s aussieht. Wenn sie versuchen würde, statt meiner gehen, da hab ich ihr gesagt, dass ich mich gleich aufhängen würde.<
>Mensch, Erst.<
>Hab ich wirklich so gemeint. Sie muss es gespürt haben, weißt du? Sie hat dann nichts mehr gesagt, nur geweint.<
Er zuckte mit den Schultern.
>Ich habe versucht, es ihr zu erzählen Von hier vorne. Aber immer wenn ich anfing, dann...dann konnte ich nicht, verstehst du? Ich musste dann immer verlegen lachen und dann habe ich ihr erzählt, von Dir, Isaak und den anderen. Lustige Sachen. Auch schlimme, aber es war doch nie die Wahrheit, nie alles. Wie soll man das denn jemandem erzählen? Es geht gar nicht. Da wollte ich lieber tot sein, als dass sie hier hin muss. Sie ist doch alles was ich habe und ich, ich bin doch schon ein Krüppel. Sie hat doch noch was vom Leben.<
Er lachte bitter.
>Es hatte auch den Vorteil, dass ich nicht so ne olle Prothese verpasst bekommen habe, sondern ein richtiges, künstliches Bein. Ich soll ja auch wieder ordentlich vorstürmen können. Die Veteranen, die nicht mehr zu gebrauchen sind, bekommen nur Gliedmaßen zweiter Wahl.<
Er machte Anstalten weiterzugehen. Ich hielt ihn zurück.
>Und sonst, Älter. Wie klappt es mit Irene, der Ehe und so?<
Er sah mich an.
>Ich liebe Sie. Gott ist mein Zeuge...<
>Aber?<
>Ich...ich bin froh, dass ich weg bin von ihr. Schrecklich, so etwas zu sagen. Die Gedanken an sie haben mich doch so lange am Leben erhalten und tun es noch immer. Aber es ist... der Krieg ist einfach nicht aus. Für mich nicht. Er ist überall. Wenn ich sie ansah, da sah ich die Liebe, die ich zerstört hätte, wenn ich geblieben wäre. Es ist absurd, ich weiß, aber hier, hier vorne, da ist der Krieg nicht da. In den Gedanken, weißt du? Man überlebt einfach. Die Liebe, die ist hier, hier in mir. Zu Hause wartet der Krieg.
Vielleicht wird es besser, wenn Frieden kommt. Irgendwann. Wenn ich froh sein darf zu leben, Irene zu lieben und mich nicht mehr schämen muss zu leben, während noch immer meine Kameraden fallen.<
Wir rauchten schweigend unsere Zigaretten zu Ende. Dann schlossen wir die Visiere und setzten den Rundgang fort.


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Hpt. Jakowlewa S. RS02981818:2244/AC005269
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HFw. Grabowski F. A. BS 00817581:2233/AC010000

Liebe Anna.
Ihre Ahnungen, von denen Sie mir vor einigen Wochen geschrieben haben, scheinen sich zu bewahrheiten. Ich kann nur soviel sagen, dass hier irgendetwas im Busch ist.
Ich fürchte, ich werde mich in den kommenden Wochen nicht mehr so regelmäßig melden können. Ich weiß schon jetzt, wie sehr mir der Briefwechsel mit Ihnen fehlen wird.
In den vergangenen Wochen sind wir uns doch nahegekommen. Ihre Briefe und die Gedanken an Sie werden mir in den kommenden Wochen eine große Stütze sein.
Ich vermisse Fred sehr. Ich war nur wenige Tage mit ihm zusammen, aber sie haben mein Leben verändert. Zum Guten will ich meinen. Irgendwie weiß ich, dass es ein gutes Ende für uns geben wird. Vielleicht, eines Tages, wenn der Krieg vorbei ist und wir uns endlich wieder sehen, können wir so etwas wie eine Zukunft haben. Zusammen leben. Wäre das erste Mal seit meiner Scheidung damals, dass ich an so etwas überhaupt denke, mit jemanden zusammen leben. Die Zeit wird ´s zeigen.
Ihre Freundlichkeit steckt tief in mir. Ich nehme sie mit auf unsere Reise.
Denken Sie an mich.
Ihre Svetlana.
Jakowlewa, Svetlana, Hauptmann.



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Hpt. Jakowlewa S. RS02981818:2244/AC005269

Liebste Svetlana,
Ich hoffe, mein Brief erreicht Sie noch. Gerüchte sind nun auch an unseren Außenposten gelangt. Ich denke täglich an Sie. Passen Sie auf sich auf. Sie werden ja noch gebraucht, von Fred und mir. Der darf sich glücklich schätzen so jemanden wie Sie zu haben.
Ich träume auch manchmal vom Frieden. Es wäre schön, dann jemanden zu haben. Ich persönlich habe so etwas noch nicht erfahren. Es gab immer nur die Sturmtruppe. Vielleicht blieb mir deshalb eine Scheidung erspart.
Der Gedanke daran ist so fern und unvorstellbar, dass er schon wieder schön ist. Es müsste aber schon jemand besonderes sein. Wenn ich mal so viel Glück haben sollte wie ihr Fred... Wer weiß?
Immer schön in Deckung gehen.
Ihre Anna

P.S. Älter lässt Sie herzlich grüßen. Er meint, Ihr positiver Einfluss auf mich sei kaum zu übersehen.
Grabowski, Frederika Anastasia, Feldwebel.



Admiralität Coreolan-System
CS 3002 Dienststelle 21:29042277
Admiral Yakamura, Hoshido.
An:
HFw. Grabowski F. A. BS 00817581:2233/AC010000

Sehr geehrte Frau Grabowski.
Leider müssen wir ihnen mitteilen, dass Hauptmann Svetlana Jakowlewa am 19.04.2277 in Erfüllung ihrer Pflicht gefallen ist.
In tiefstem Bedauern
Yakamura, Hoshido, Admiral.


Es war ruhig, friedlich beinahe. Hinter den Hügeln ging die Sonne auf. Die Dreckshöhe warf ihren dunklen Schatten auf die Ebene, färbte den roten Staub der Schlacht zu einem finsteren Nebel, der voran stürmte mit dem Lauf der Sonne, unaufhaltsam und sich erst an den Hängen der anderen Hügel brach, die bereits im goldenen Licht des Morgens erstrahlten. Die Schatten endeten dort. Die Wogen des roten Staubes ebenfalls, denn der Wind wehte sie fort von den Hängen der Höhen, gab den Blick frei auf die ausgebrannten Wracks und Leichen.
Ich wandte mich ab, sah in die Sonne, deren Schönheit mich geblendet hätte, wenn ich nicht das Visier meiner Rüstung nach unten gefahren hätte.
Sie schützte mich, meine Rüstung. Auch vor dem Wind der hier oben mächtig pfiff, weil die eisige Luft der Wüstennacht sich langsam erwärmte und auf den Höhen in Bewegung geriet.
Ich sah die Staubwirbel, die Einschläge und die weißen Wölkchen der zerplatzenden Schrapnells, die der Wind erfasste, fortriss und langsam ins Nichts auflöste. Ich sah ihn, den Wind, wusste, dass er da war, aber spüren konnte ich ihn nicht.
Vielleicht war es so mit Svetlana, mit meiner Trauer um sie. Ich wusste, dass sie da war. Sie musste da sein. Aber spüren konnte ich nichts davon. Ich hätte wütend sein müssen. Wütend über ihren Tod, wütend, dass man sie mir geraubt hatte, wütend, dass ich so ausgebrannt war. Nur eines fühlte ich. Es war Erleichterung. Liebe, Hoffnung und Zukunft waren fort. Sie hatten die Angst mit sich genommen. Was sollte ich noch fürchten, nun da Svetlana fort war? Es machte das Überleben leichter. Und überleben wollte ich. Und sei´s nur, um auf meine Kinder aufzupassen. Dafür wurde ich schließlich bezahlt.
Ich hockte am Rand eines Trichters. Hinter mir hörte ich Handgranaten krachen, als meine Kinder die letzten Löcher der Peregrin ausräucherten.
Ich fuhr mein Visier hoch. Die Sonne schmerzte, bis mir die Tränen kamen. Ich erhob mich und sammelte den Rest meines Zuges. Wir befanden uns auf dem Gipfel der Höhe Palatin, die wir in der Nacht gestürmt und endlich eingenommen hatten.

In der OHL schien man endlich zu meinen, dass wir unseren Teil getan und eine kleine Ruhepause verdient hatten. Wir wurden zurückgenommen und durften durchs Portal nach Zeta 2, um uns zu erholen.
Die Offensive war ohnehin mit der Einnahme des Palatin zum Erliegen gekommen. Der Status quo, wie er vor der Eröffnung der dritten Rom-Schlacht geherrscht hatte, war wieder hergestellt. Die Hauptkampftätigkeiten hatten sich ins Coreolan-System verlagert, von wo täglich mehr und mehr Latrinenparolen bei uns eintrafen.
Wir waren in einer der riesigen Kasernen, die in der Nähe des Portals angesiedelt waren, untergebracht worden. Wir genossen es, mal wieder in richtigen Betten schlafen und regelmäßig duschen zu können. Drill und Waffenübungen standen auf der Tagesordnung, doch wurde es nicht übertrieben. Meine Kinder nutzen die Zeit. Jeden zweiten Tag gab´s Urlaub bis zum Wecken.
Ich schob Nachtwache am Lagereingang zusammen mit Siefken und ein paar Frischlingen. Ich saß mit Siefken hinter der Panzerscheibe des Wachgebäudes. Ich hatte schon seit ein paar Tagen gesehen, dass Siefken etwas auf dem Herzen hatte und auf eine günstige Gelegenheit wartete, um die Sache los zu werden. Siefken hatte sich gut von dem Granatschock erholt. Ein Andenken hatte sie allerdings behalten.
>Dddddu Ffffeldwwwebel, ich hahahahabe dddda jemamamanden kkkkennen ggggelert, weiß ddddu?<
Ihre Stotterei war schon viel besser geworden. In der Nervenanstalt hatte man sie nach einer Woche wieder kriegsverwendungsfähig geschrieben, da man außer dem Stottern nichts an ihrem Zustand auszusetzen gehabt hatte. Die Herren und Damen Doktoren meinten wohl, zum Kämpfen müsste man nicht unbedingt perfekt sprechen können.
Hauptmann Jonsson hat nicht schlecht gestaunt, als Siefken sich zurückgemeldet hat. Er hat es mit Humor genommen und sie erst mal zu den Funkern versetzt, bis die im Stab ihm diesen Unsinn untersagt haben.
Siefken nahm ihre Stotterei gelassen. Sie zeigte den guten, alten Kampfgeist der Sturmtruppe: ein Zurückweichen gab es nicht. Sie kämpfte mit jeder noch so widerspenstigen Silbe, bis sie sie endlich überwunden hatte.
>So?<, meinte ich. >Wen hast du denn kennen gelernt?<
>Vovovovor nnnnnner Woche, auf Uuuuuuuu...<
>Urlaub?<
Sie nickte.
>Er ist bbbei der Teeeeeeeaaaage.<
>TEAG? Ein Zivilist?<
Sie nickte etwas peinlich berührt.
>Na ja, wenn schon ein Zivilist, dann einer von der TEAG. Die riskieren wenigsten auch ihren Arsch fürs blöde Celerium, was?<
>Rrrrichtig. Er ist sssso, nnna ja, ssoo...<
Ein Jeep fuhr vor. Der Fahrer stieg aus und wechselte draußen ein paar Worte mit der Torwache. Die deutete auf das Wachgebäude. Der Fahrer kam zu uns herüber. Es war ein Leutnant der Luftwaffe.
>Nabend.<
>Guten Abend, Herr Leutnant. Was kann ich für sie tun?<
>Ich suche einen Feldwebel Grabowski.<
>Der bin ich.<
Der Leutnant öffnete seine Brusttasche und zog einen ziemlich ramponieren Umschlag hervor.
>Dann ist das hier für sie.<
Er schob mir den Umschlag durch den Schlitz in der Panzerscheibe rüber.
>Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich hab nicht früher raus gekonnt.<
Ich stand auf, salutierte.
>Herzlichen Dank, Herr Leutnant.<
Er erwiderte meinen Gruß und ging zu seinem Wagen zurück.
Ich griff den Brief.
>Ich dreh mal ne Runde<, sagte ich zu Siefken.
>Alllles klllar, Ffffeldwebel.<
Ich machte ein paar Schritte in die Nacht hinaus. Ich hockte mich auf ein paar Sandsäcke und schaltete den Helmscheinwerfer meiner Rüstung an.
Es stand kein Absender auf dem Umschlag. Nur mein Name und der meiner Einheit. Darunter stand in großen Buchstaben „An Anna“.

Geliebte.
Hört sich das nicht gut an? Geliebte. Endlich einmal schreiben, was ich denke. Die Zensur ist schon eine nervende Sache. Früher ist man ja noch davon ausgegangen, dass Offiziere durchaus in der Lage sind, darauf zu achten, was sie schreiben dürfen und was nicht. Na, was ist heute schon wie früher?
Ich muss zugeben, einen gewissen Reiz hat das Versteckspiel vor der Zensur schon, obwohl unsere Beziehung doch noch viel zu kurz ist, als dass wir irgendwelche „Rollenspiele“ nötig haben sollten.
Unser Bordarzt hat mir erzählt, dass er um zehn Ecken einen Piloten kennt, der in euer System versetzt werden soll. Da hab ich die Gelegenheit ergriffen, um Dir so einen echten Brief, handschriftlich und mit allem drum und dran, zukommen zu lassen. Ein echter Liebesbrief also!!
Geliebte Anna. Ach, es tut so gut, das zu schreiben. Ich hoffe, du freust Dich, unverhofft ein Lebenszeichen von mir zu erhalten.
Es ist schon etwas seltsam. Ich habe mir immer wieder überlegt, was ich dir alles sagen und schreiben möchte, wenn ich nur könnte. Aber nun, nun fällt mir gar nichts ein. Außer, dass ich Dich von ganzem Herzen liebe und vermisse. Eigentlich ist das doch gar nicht so wenig, oder?
Hier bei uns geraten die Dinge in Bewegung. Unsere Schiffe, die gute, alte Nephelis, wurde zu einem Sammelpunkt beordert. Den Namen des Planeten möchte ich lieber nicht nennen. Es ist ja etwas anders, ob man wegen Verbrüderung mit den niederen Diensträngen (nichts für ungut) wegen der Preisgabe von militärischen Geheimnissen vors Kriegsgericht kommt.
Jedenfalls gingen wir dort auf Patrouille. Weiß du, was wir dort im Schatten des Mondes gesehen haben? Die Kanzler Hildegard!
Es war ein überwältigender Anblick ein Schiff der Super-Dreadnought-Klasse von so nahem zu sehen. Du kennst sie wahrscheinlich noch von eurer Landung her. Ein wenig seltsam ist es schon, welche Zuversicht dieses Prachtexemplar der Zerstörung einem schenken kann, was?
Es scheint, als habe sich die gesamte Flotte hier versammelt. Täglich kommen mehr und mehr Schiffe an. Zerstörer, Kreuzer, Schlachtschiffe. Und jede Menge Truppentransporter. Es sieht so aus, als solle es der Handelsallianz diesmal an den Kragen gehen.
Es ist unsäglich und peinlich, doch es geht das Wort um, das auch auf mich seine Wirkung nicht verfehlt: Siegfriede. Wie viele hat das Wort schon verschlungen, wie viele müssen noch dafür krepieren, und doch... Ich kann ´s nicht leugnen, ich bete dafür, dass wir siegen, wenn wir dafür nur den Frieden erlangen. Seit ich dich kenne, habe ich einen Grund zu kämpfen. Es ist komisch. Es ist wohl der Fehler, der in diesem Denken steckt, der so viel Unheil über uns Menschen gebracht hat: dass es immer einen Grund gibt zu kämpfen, dass das Kämpfen nur durch Gewalt beendet werden kann. Du und ich, soviel habe ich von Dir sehen dürfen an unseren herrlichen Tagen am See, wir sind uns ähnlich. Wir sind zu sehr im Kriege gefangen, kommen nicht raus, obwohl wir es besser wissen sollten.
So träume auch ich von diesem Siegfrieden, der wohl nur ein eitler Traum ist und wohl nur deshalb erstrebenswert scheint, weil er als einziger überhaupt einen Weg zum Frieden bietet. Es mag mir verziehen sein, dass ich etwas Hoffnung brauche in den nächsten Wochen, dass ich eine Ausrede bekomme, um mein Leben zu wagen, wo ich doch so sehr daran hänge, es nicht verlieren, sondern mit Dir verbringen will.
Ach, meine Geliebte. Ich glaube fest an unsere Zukunft. Wenn du es auch tust, was soll uns da schon passieren? Der Krieg kann doch nicht alles zerstören, oder?
Ich träume davon, in deinen Armen zu liegen.
Ich küsse Dich.
In Liebe,
Deine Svetlana.
10.03.2277

>Aaalles in Oooordnung mmmmit dir, Fffff...<
>Ja, alles in Ordnung. Es geht mir gut. Erzähl mir doch von deinem Liebsten.<
>Daaaa giibt ´s gggar nicht sssso viel zzzu erzählllen. Eeees ist vvvvvor aaallllem sehr kkkk...<
>Komisch?<
>Ggggennnau. Daaaass wir uns sssso mmmmögen, ooooooooo...<
>Obwohl ihr euch doch kaum kennt?<
Siefken nickte.
>Eeeerschreckkkk...<
>Erschreckend?<
Sie nickte wieder.
Ich legte Siefken meine Hand auf die Schulter und lächelte ihr zu.
>Ach weißt du, Siefken<, sagte ich. >Du solltest nicht groß darüber nachdenken. Einfach genießen. Ist ganz normal, wenn dir das etwas Angst macht. So ist das bei uns Frontschweinen. Für uns ist der Schrecken so natürlich, dass uns das Natürliche erschreckt.<

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