TV-Leap: Im Weltall ist die Hölle los
von Carsten Maday

Kapitel
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Das Protoabenteuer. So nannte ich es. Eine erste Mission vor dem eigentlichen Abenteuer, in dem der Zuchauer im besten Fall die Protagonisten lieb gewinnen konnte, und im schlechtesten Fall ein erstes, nichtssagendes Action-Highlight vorgesetzt bekam. Ich hatte bereits einige Erfahrung darin sammelt dürfen. Daher hatte es mich nicht überrascht, als Nial Kerbogha und Netral uns in einen kleinen aber wendigen Raumtransporter Namens „Zorn Gottes“ setzten und uns auf eine Mission schickten, auf die sie uns aus fadenscheinigen Gründen nicht begleiten wollten.
Wir sollten nach Rhema IV fliegen und dort unseren Piloten abholen, der ein Agent des Widerstandes war und den Aufenthaltsort der Oberprogrammiererin ermittelt hatte. Zusammen sollen wir dann die Oberprogrammiererin befreien. Ich tippte darauf, dass er Pilot ein verwegener, wenngleich liebeswürdiger Halunke war. Und ein Frau. Es fehlte immer noch an Sex in unserem Abenteuer. Mechthild war auf ihre Weise durchaus anziehend, aber, nun ja, kaum für ein größeres Publikum.
Unser Protoabenteuer lief wie erwartet. Zum Großteil zumindest. Auf Rhema IV befand sich eine danischmidische Garnison. Aus Gründen der Tarnung sollte das Treffen mit den Piloten in der obligatorischen Bar voller Abschaum stattfinden. Es kam zu den erwarteten Konflikten in dem Etablissement, die Mechthild überraschend brutal niederschlug. Wir erfuhren, dass man unseren Piloten verhaftet hatte, da er im betrunkenen Zustand anti-danischmidische Parolen gegrölt hatte. Durch einige haarsträubende Tricks gelang es uns, den Piloten aus dem Gefängnis zu holen, uns durch eine wilde Schießerei zu unserem Schiff durchzuschlagen und uns endlich nach einer noch wilderen Weltraumverfolgungsjagd in den Hyperraum zu flüchten, wo wir die überlegende Geschwindigkeit der „Zorn Gottes“ ausspielen konnten.
Während des Protoabenteuer hatten wir einige wichtige Dinge abgearbeitet. Fakr und Bertrand hatten gelernt, ihre religiösen Streitigkeiten beizulegen, sich gegenseitig zu respektieren und als Team zusammen zu arbeiten. Die neue Harmonie wurde nur durch die Rivalität um die Gunst unseres Piloten getrübt, der eine sehr attraktive Blondine war.
Ich selbst hatte es vermieden, mir von Mechthild das Leben retten zu lassen. Das war ja ein beliebter dramaturgischer Handgriff, wenn man den einen Charakter den eigenen Todfeind retten ließ, nur um die Durchführung der Mission nicht zu gefährden, wie z.B. Anthony Quinn und Gregory Peck in „Die Kanonen von Navaronne.“ Stattdessen rettete ich Mechthild in einer klassischen Der-Feind-schleicht-sich-von-hinten-heran-Szene. Ich hoffte, wenn ich Mechthild einmal umgebracht und einmal gerettet hatte, würde sich die Sache irgendwie ausgleichen. Einen sonderlich dankbaren Eindruck machte Mechthild allerdings nicht, als wir in der Messe unseres Raumschiffes saßen und unser weiteres Vorgehen besprachen. Der einzige Punkt, in dem ich mich getäuscht hatte, war unser Pilot. Sie war nicht der hinreißenden Halunke mit dem Herz aus Gold, sondern eine goldige Hippie-Braut in langem bunten Kleid und einem selbstgeflochtenen Stirnband im schönen, langen Haar. Mechthild hasste sie vom ersten Blick an. Schwer zu sagen, ob daran lag, dass der Pilot die Aufmerksamkeit von Fakr und Bertrand auf sich zog, oder an ihrer für einen Weltraum-Action-Kracher recht pazifistischer Einstellung.
>Vielen Dank, dass ihr mich befreit habt<, sagte der Pilot, der Liana Safka hieß. >Ihr solltet in Zukunft jedoch dafür sorgen, dass nicht ganz so viele Leichen euren Weg pflastern.<
>Auf gepflasterten Wegen kann ich besser laufen<, knurrte Mechthild zwischen ihren zusammen gepressten Zähnen.
>Bitte, Mechthild<, sagte Bertrand und sah Liana schmachtend an. >Lass unseren Piloten doch weiter reden.<
Mechthild lief rot an, sagte aber nichts und fuhr mürrisch damit fort, mit dem Wetzstein ihr Bowiemesser auf eine international geächtete Schärfe zu bringen.
Liana klärte uns über den Punkt auf, der mir bereits seit einiger Zeit sorgen gemachte: die Arachnoiden.

Die Arachnoiden waren eine Spezies von Spinnen. Sehr großen Spinnen wohlgemerkt. Anders als ihre kleineren Verwandten auf den Erde fingen sie ihre Beute nicht mit Netzen sondern mit der Kraft ihrer Gedanken. Die Arachnoiden hatten sich auf menschenartige Spezies spezialisiert, die sie mit ihren hypnotischen Kräften in ihre Gewalt bringen konnten. Der Chip, den unsere kleinen Aliens in unsere Köpfe eingepflanzt hatten, sollte dafür sorgen, dass die Spinnen keine Kontrolle über unseren Geist erlangen konnten. Vermutlich schirmte uns ein Kraftfeld ab.
Im Laufe der Jahrhunderte hatten die Arachnoiden ein komplexes Herrschaftsgebilde entwickelt, das eine Vielzahl von Planeten umfasste. Die Bevölkerung der Planeten arbeitete in den Produktionsanlagen der Arachnoiden unter hervorragenden Lebensverhältnissen und einem Höchstmaß an individueller Entfaltung. Der Preis dafür war, dass sie nach Ablauf des dreißigsten Lebensjahres von den Arachnoiden gefressen wurden. Kontrolliert wurde die Bevölkerung von einer Kaste von Kollaborateuren, die für die Arachnoiden Aufsichts- und Militärdienst verrichteten. Dafür wurden sie nicht gefressen. Wenn wunderte es, dass da die arachnoidische Armee nicht über Nachwuchs an willigen Rekruten klagen konnte. Vor einigen Jahren waren die Arachnoiden von den Danischmiden unterworden worden, denen sie Treue schwören mussten. Ein arachnoidisches Kaperschiff hatte die Oberprogrammiererin vor einigen Wochen aufgebracht, aber noch nicht an die Danischmiden ausgeliefert. Vermutlich wollten sie den Preis in die Höhe treiben. Leana hatte den Aufenthaltsort des Schiffes ausfindig gemacht.
>Wie gehen wir also vor<, fragte Leana, als sie ihren Arachnoiden-Exkurs beendet hatte.
>Na ja<, sagte ich. >Wir aktivieren die Schiffstarnung, verschaffen uns Zugang zum Feindschiff, befreien die Oberprogrammiererin und nieten jede Spinne um, die wir sehen.< Ich hatte eine ausgesprochene Arachnophobie und dementsprechend wenig moralische Hemmungen.
>Das ist mal ein Plan<, rief Mechthild und nickte mir anerkennend zu. Auch Fakr und Bertrand regten ihre Daumen, obwohl Leana deutlich die Nase rümpfe.
>Ich weiß<, sagte sie mit ihrer liebreizenden und verständnisvollen Stimme. >Dies alles wirkt sicherlich fremd und verwirrend auf euch. Aber dürfen wir uns anmaßen über eine Kultur zu urteilen, nur weil sie anders ist? Innerhalb des arachnoidischen Reiches gibt es keine Kriege...<
>Das kann man ändern<, flüsterte mir Mechthild zu.
>UND<, fuhr Leana lauter fort, >es gibt praktisch keine Krankheiten in ihrem Reich. Sie investieren Unsummen ins Gesundheitssystem...<
>Ja<, gab ich zu. >Aber bei der Rentenauszahlung holen sie´s wieder rein.<
Mechthild lachte. Auch Fakr und Bertrand konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
>Liebste Leana<, sagte der charmante Sarazene. >Es sind Spinnen. Sie halten sich Menschen, um sie zu fressen.<
>Ja<, sagte sie traurig. >Aber ihr Menschen, ihr haltet doch auch Tiere und esst sie...<
>Klar<, meinte ich. >Und wenn mir eine Kuh mit ´ner UZI begegnet, bin ich der erste, der diese Handlungsweise überdenkt. Aber es sind Spinnen. Sie fressen Menschen!<
Als Leana ein letztes Mal protestieren wollte, knallte Mechthild mit der Faust auf den Tisch.
>Es reicht. Von Ethik krieg ich nur Kopfschmerzen. Wir stimmen einfach ab.<
Es ging wie erwartet aus. Vier zu eins für die harte, spinnenfeindliche Vorgehensweise. Und als Leana zögerlich ihre Hand zur Gegenstimme hob, da sah ich, dass sie es froh war. Sie war nur die kleine moralische Stimme in einem Action-Spektakel. Welche Alternative gab es schon zu einem fulminanten Finale mit viel Ballerei und Explosionen?
Nach der Entscheidung zog sich ein jeder zurück. Morgen früh würden wir an den Feind geraten. Als Dienstältester kam mir die verantwortungsvolle Autoritätsrolle zu. Ich inspizierte also das Schiff ein letztes Mal vor der Schlacht und machte mich dann auf den Weg in mein Quartier. Ich wollte früh schlafen. In dem Korridor von den Lagerräumen zu den Mannschaftsunterkünften hörte ich auf einmal ein Geräusch hinter mir. >Ein Weltraummonster?<, schoss es mir durch den Kopf. Hatte ich denn des Genre gewechselt? Ich verfluchte mich, weil ich unbewaffnet war. Ich dreht mich ruckartig um und sah die riesige Gestalt von Mechthild. Ich fluchte erneut, dass ich meine Waffen vergessen hatten. In Mechthilds Augen sah ich ein rasendes Glühen, als sie auf mich zu schoss, mich packte und an die Stahlwand des Korridors knallte. Ihr rechter Unterarm drückte bedenklich auf meinen Kehlkopf. Ihre Linke hielt mich im eisernen Griff. Meine Füße baumelten eine Handbreit überm Boden.
>Du hast mir das Leben gerettet<, sagte sie. Ihr Gesicht war kaum einen Zentimeter von dem meinen entfernt.
>Einen Mann, der das vermag, respektiere ich.<
Sie lockerte den Druck auf meine Kehle. Ehe ich wieder Luft holen konnte, verstärkte Mechthild den Druck jedoch wieder.
>Und du hättest mich umgebracht, wenn mich die Aliens nicht heraus geholt hätten. Ein Mann hat mich besiegt<, knurrte sie. >So einen Mann kann ich nur...< Sie beendete den Satz nicht. Sie presste ihr Lippen auf die meinen. Und als ich ihre wilde Leidenschaft erwiderte, verschwand der Druck auf meines Kehle, als ihre Hand woanders nach festem Griff suchte.

Ich erwachte. Ich hielt die Augen geschlossen, aber das leise Vibrieren des Schiffrumpfes verriet mir, dass ich nicht gesprungen war. Hatte ich geträumt? Ich atmete tief ein. Es roch nach einer dunkelhaarigen Kriegerin und einer stürmischen Liebesnacht. Wer weiß, was Mechthild an mir fand. Vielleicht brauchte es manchmal nicht so viel, Feindschaft ins Gegenteil zu verkehren. Liebe und Hass lagen ja nahe beieinander, so nahe wie die Bataverin mir jetzt war. Ich öffnete die Augen. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich das Licht der Sterne, die als verschwommene Streifen im Hyperraum durchs Bullauge meines Quartiers schienen, auf Mechthilds gestählten Leib spielen sah. Die Bataverin lag schlafend auf der Seite, das dünne Laken war bis zu ihrer Hüfte hinabgeglitten. Ihr kraftvoller Arm war züchtig so drapiert, dass ich nur den Ansatz ihres Busen sehen konnte.
>Unfassbar<, entfuhr es mir. Mechthild drehte sich auf den Rücken, der Arm glitt zur Seite. Ich beugte mich hinüber und hauchte ihr einen Kuss auf den Waschbrettbauch. Die Muskeln zuckten zusammen. Sie bekam eine Gänsehaut. Ich zog ihr leise die Decke nach oben.
Unfassbar! Ich hatte zum ersten mal Sex gehabt. JA! Nun, vielleicht hatte ich diese Erfahrung schon als normaler Mensch vor meiner derzeitigen verwirrenden Existenz machen dürfen, erinnern konnte ich mich aber nicht daran. In meiner bemitleidenswerten Filmkarriere war ich bislang immer weiter gesprungen, ehe es zum intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten kommen konnte. Und nun kam Sie. Eine Frau, gehauen wie aus Marmor. Es war unschwer zu sehen, was sie hatte, das andere Frauen nicht hatten. Ich gab meiner Hünin einen Kuss. Sie öffnete die Augen und strahlte mich an. Wir liebten uns erneut. Irgendwann kam Leanas Stimme über die Sprechanlage:
>Wir verlassen in einer Stunde den Hyperraum. Machen wir uns besser bereit.<

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