Tv-Leap: Dex and the City
von Carsten Maday

Kapitel
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Ich erwachte. Mein Geist fühlte sich benebelt an und das Gefühl verschwand auch nicht, als ich die Augen aufschlug. Für gewöhnlich zögerte ich diesen Augenblick hinaus, um einen Moment der Ruhe zu haben, ehe ich mich den Schrecken einer neuen Rolle stellte. Diesmal jedoch erregte ein Piepsen meine Aufmerksamkeit. Ich kniff die Augen zusammen und mein verschwommener Blick wurde etwas klarer. Ich lag in einem Krankenbett in einem Zimmer, allein, angeschlossen an ein EKG. Das EKG piepte unkontrolliert und funktionierte offensichtlich nicht korrekt.
Mir stockte der Atem. Konnte es sein? War ich vielleicht wirklich erwacht? War ich doch ein Komapatient, der nur wilde, alptraumhafte Phantasien durchlebte? Bitte, ja! Ich würde nie wieder springen müssen. Mein Leben würde langweilig an mir vorbei plätschern. Großartig!
Ein Blick auf die Wand zerstörte meine Hoffnung. Wenn man in immer neue Rollen sprang, ohne jemals irgendwo verweilen zu dürfen, hatte man nicht besonders viele Konstanten im Leben. Eine von den wenigen war mein Geschlecht. Ich hatte vor Zeiten beschlossen, dass ich in meinem früheren Leben mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ein Mann gewesen sein musste. Die anderen zwanzig Prozent sprachen für ein Frau mit ausgesprochen lesbischer Neigung, was letztlich die Mann-Theses unterstrich. Was ich auch gewesen sein mochte, eines war er sicherlich nicht, ein New Yorker. An der Wand hing ein großes schwarzweiß Foto von New York. Ich fasste mir erschrocken an die Brust. Ich spürte etwas angenehm Weiches. Oh, mein Gott, ich bin eine Frau. Ich sah in den Ausschnitt meines Nachthemdes und seufzte befriedigt. Dann reifte die schreckliche Erkenntnis. Ich war nicht weitergesprungen, ich hatte den Busunfall überlebt und war noch immer Terry, die lustige Singlefrau und Autorin. Jetzt musste ich noch mehr amüsante erotische Abenteuer durchstehen.
>Warum<, rief ich verzweifelt. Ich bekam keine Antwort. Auf dem Nachttisch lag eine Brille. Ich setzte sie wie selbstverständlich auf. Mein Blick wurde scharf. Alles war still. Eigentlich sollte in einem Krankenhaus um diese Zeit eifrige Betriebsamkeit herrschen, aber kein Laut drang in mein Zimmer. Ich setzte mich auf, löste die EKG-Kontakte und stand auf. Schmerzen hatte ich keine, aber ich fühlte mich benommen. Vielleicht waren es Medikamente. Sie beeinträchtigten vermutlich meine Wahrnehmung. Alles kam mir etwas größer vor als normal.
Ich kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und schlurfte im Krankenhemd und barfuss zur Tür. Ich öffnete die Zimmertür und trat hinaus auf einen verwaisten Gang. Niemand war zu sehen. Ich rief nach Hilfe. Keine Antwort. Ich wankte zum Fahrstuhl. In der Notaufnahme würde sicherlich jemand sein. Die Fahrstuhltüren schlossen sich. Auf dem speckigen Metall spiegelte ich mich undeutlich. Süßes Gesicht mit schwarzem Haar. Der Fahrstuhl fuhr nach unten. Mit einem Ruck hielt er an und öffnete seine Tür. Der Gang war leer. Keine Jungärzte, die hektisch Neuzugänge in der Notaufnahme zusammenflickten, waren zu sehen. Ich ging den Gang bis zu einer Abzeigung entlang. Als ich vorsichtig um die Ecke lukte, stieß ich erleichtert meinen Atem aus. Zwanzig Meter vor mir im Gang war jemand. Eine gebeugte Person im Nachthemd und mit grauem Haar schlich mit einer Gehhilfe langsam den Gang entlang. Es war stil. Nur ein leises Scharren war zu hören, wenn die Gehhilfe einen kleinen Schritt weiter vor geschoben wurden. Ich machte einen Schritt in der Gang und ging auf den Menschen zu, der mir den Rücken zu gekehrt hatte.
>Entschuldigen Sie bitte<, rief ich. Die Gestalt reagierte nicht und schlurfte ruhig weiter. Sie ging an dem Schwesternzimmer vorbei, das durch eine große Plexiglasscheibe von dem Gang abgetrennt war. Ich hatte die Person fast erreicht. Es war eine alte Frau. Ich sah blasse Waden und Füße, die in ausgelatschten Pantoffeln steckten. Das graue Haar war fettig und wirr. Im Ohr sah ich ein Hörgerät.
>Anschalten, Omi<, dachte ich und wollte der Alten gerade von hinten auf die Schulter tippen, als mich ein Gedanke wie ein glühendes Messer durchfuhr: Terry hatte keine Brille, und wenn, dann kein Kassengestell Marke Nana Mouskouri. Und Terry war blond, nicht dunkelhaarig! Ich riss den Kopf zur Seite und starrte auf die Plexiglasscheibe. Der Blick rettete mir das Leben. Ich sah mein Spiegelbild, dunkles Haar und ein bekanntes, süßes Gesicht, das in letzter Sekunde wegtauchte, als eine zusammengekrallte Hand mit grünlichen, gesplitterten Fingernägel nach ihr schlug.

Ich rannte den Sprint meines Lebens, raste vorbei an umgestürzten Liegen und Geräten, die wild verstreut in den Gängen lagen. Der Schrecken hatte die Drogen aus meinem Körper vertrieben. Ich war nüchterner, als mir lieb war. Hinter mir hörte ich das Klappern einer Gehhilfe, die mit aberwitziger Geschwindigkeit hinter mir her hetzte. Ich achtete kaum darauf, nur auf die massive Tür, die vor mir lag. Ich riss die Tür auf, warf sie hinter mir zu und verriegelte sie. Schwer atmend stützte ich mich auf den Oberschenkeln ab.
>Patricia<, stieß ich keuchend hervor. >Doch nicht Patricia Miller! Bitte nicht ! Das kann doch nicht wahr sein!< Ich drehte mich um und richtete mich auf meine Zehenspitzen auf, damit ich durch das Sichtfenster in der Stahltür sehen konnte. Erschrocken machte ich zwei Schritt zurück, als etwas auftauchte, das einmal das Gesicht einer alten Frau gewesen war. Nun war es totenbleich und von Gier entstellt. Die wenigen Zähne im weit aufgerissenen Mund waren gelb. Getrocknetes Blut klebte am Mund und hatte das Nachthemd an der Brust rostig braun gefärbt. Zersplitterte grünliche Fingernagel kratzten wild an der Glasscheibe und versuchten an das Leben auf der anderen Seite zu gelangen.
Ich schluckte beklommen.
>Ja<, sagte ich laut, >Das sieht eindeutig nach Patricia aus.< Ich vergewisserte mich, dass die Tür hielt, und rief mir dann die Rolle von Patricia Miller, die zu spielen ich schon einmal die zweifelhafte Ehre gehabt hatte, in Erinnerung.
Patricia, von ihren Freunden Patt genannt, war ein kleingewachsenes Mädchen von einszweiundfünfzig gewesen, die kurz vor ihren Highschool Abschlussball stand und den Hauch von Speck auf den Rippen trug, der sie zum Inbegriff der süßen, liebenswerten BestenFreundin-Nebenrolle abstempelte. Was als entspannter Teenie-Liebesfilm anfing, endete irgendwie in einem Teenie-Zombiefilm, den Patt und ihre Freunde nur mit viel Glück und zwei Sherman Panzern durchstanden. Jetzt also die Fortsetzung.
>Verdammt<, brummte ich entrüstet. >Wer brauch von so etwas denn einen zweiten Teil?< Mir fielen auf Anhieb einige Antworten ein, beschloss aber anstatt mein Schicksal zu bejammern, es zu meistern. Ich sah mich um. Ein kleiner Raum, vollgestopft mit Schränken und Apparaturen. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine weiter Tür. Im Zombie-Streifen war es überlebenswichtig, immer in Bewegung zu bleiben. Ruhte man sich an einem vermeintlich sicheren Ort aus, war man im nu von einer Horde Untoter umziegelt. Ich verlor keine Zeit, sah mich rasch um, fand nichts, was als Waffe dienen konnte, und ging zur anderen Tür. Ich wütender Zombie wartete auf mich. Er lag fixiert auf einem Labortisch und bäumte sich wie irre gehen seine Fesseln auf, als er mein lebendes Fleisch spürte.
Ich befand mich in einem großen, hellen Obduktionssaal. Neben dem Zombie lag auf einem Tisch ein Sammelsurium von Instrumenten. Ich griff mir vorsichtig eine klobige Knochensäge. Der Zombie, ein ehemaliger Mann, sah mich fauchend an. Ich trat hastig zurück und ging zu der zweiten Tür in dem Raum. Ich entriegelte sie. Ich dem Raum dahinter lag das gesuchte. Über einer großen Flügeltür wies ein grünleuchtendes Schild auf den nächsten Notausgang. Das musste die Leichehalle sein. Die Kälte und das Knurren des gefesselten Zombies verursachten mir eine Gänsehaut. Zwischen mir und dem Weg zum Notausgang lagen ein gutes Dutzend aufgebarter, in schwarze Plastiksäcke gehüllte Leichen. Nichts regte sich. Vielleicht waren sie ja nur tot und nicht untot, hoffte ich für einen närrischen Augenblick. Ich seufzte, drehte mich um und zählte leise bis drei. Dann drehte ich mich wieder der Leichenhalle zu. Ich seufzte erneut. Die eingetüteten Leichen saßen nun aufrecht auf ihren Baren.
>Ist doch immer das gleich<, sagte ich müde. Anscheinend gab es irgendein filmisches Gesetz, nachdem sich Tote in Leichenhallen auf ihren Liegen aufrichten mussten, sobald der Held ihnen einen flüchtigen Moment den Rücken zu drehte.
>Ich bin sehr enttäuscht von euch<, rief ich in die Leichenhalle hinein. Eine erste Klaue schoss durch einen Plastiksack. Die Zombies befreiten sich. Die Witterung von Frischfleisch hatte eine Art Leben in sie gebracht. Ich schloss hastig die Tür und verriegelte sie. Der fixierte Zombie sah mich böse an. Nun musste ich einen anderen Fluchtweg finden. Ich wog die Säge in der Hand. Mit einem Zombie könnte ich es wohl aufnehmen. Immerhin hatte ich als böser Meister Ling Liu in „Die einhundertzweiunddreißig Todeskammern des Shaolin“ ein paar Tricks lernen können. Am besten ich verpasste der alten Dame eine und versuchte auf dem Weg zu entkommen, der mich in diese Sackgasse gebracht hatte.
Zurück am Sichtfenster musste ich feststellen, dass die alte Dame Verstärkung geholt hatte. Ein halbes Dutzend Untoter wummerte an die Tür. Ich war gefangen. Es gab keinen Ausweg. Mit so vielen konnte ich es nicht aufnehmen. Es waren keine Zombies der alten Schule, die im Schneckentempo stöhnend umherschlurften, es waren moderne Zombies: schnell und tödlich. Das hatten sich mal wieder irgendwelche kranken Autoren einfallen lassen, um dem untoten Zombie-Genre neues Leben einzuhauchen. Vielen Dank auch!
Ohne Alternativen machte ich mach daran, mein zwei Räume großes Alamo zu durchsuchen. Derweil rief ich mir alles Überlebenswichte über Zombies in Erinnerung, was sich auf zwei Punkte reduzieren ließ: Zerstörung ihres Gehirns oder Genicks brachte sie um, und nie verwunden lassen, damit man sich nicht selbst in einen der ihren verwandelte. Das konnte ich mir merken.
Die Durchsuchung brachte nicht viel zu Tage. Verbandszeug, einige Instrumente und Anatomiebücher sowie jede Menge schwarzer Leichensäcke. Irgendjemand schien erkannt zu haben, dass dies eine größere Sache werden würde. Ich besah mir meinen Fund und überlegte fieberhaft, wie ich entkommen konnte, ehe ich verhungerte. Die Zombies witterten mein Fleisch, d.h. ich konnte keinen gelangweilten Gesichtsausdruck aufsetzen, stöhnen und mich schlurfend als einen der ihren ausgeben. Und was, wenn ich ihre Witterung beeinträchtigte? Aber wie?
Neben mir grunzte der fixierte Zombie und starrte mich an. Die Gier in seinem Gesicht sah beinahe wie ein Grinsen aus. Ich sah ihn an. Dann grinste ich und griff mir das Anatomiebuch.

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