Der größte Hexer aller Zeiten kehrt zurück
von Carsten Maday

Kapitel
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Heftig drang der Sturm gegen den Hügel an, trug heulende Laute durch die Nacht, Laute, die wie verzweifeltes Stöhnen klangen.

Chor der Gefallenen:

Weh, weh uns Armen,
die im graus´gen Kriege wir starben.
Für Gott und Vaterland wurden wir entsandt,
des Feuers Hitze uns zur Schlacke hat verbrannt.
Verglüht, zerwühlt, begraben
in jenem Hügel, dem kargen,
liegen wir, tief unterm Grase,
und schreien mit Lungen wund vom Gase:

Keine Kugeln mehr! Keine Mine! Kein Schrapnell,
Ach, unser Leben war kurz, der Tod, er kam zu schnell.
Himmlischer Herr, schütze unsre Ruh´,
es nahen zwei, die fügen uns Schaden zu.
Herr, auf deine Rettung hoffen wir,
wir, die Toten von Höhe dreinullvier.

>Hast du das gehört?<
>Was?<, fragte Karl. Er blieb stehen, drehte sich um und leuchtete Aische mit der Taschenlampe ins regennasse Gesicht. Karl war geladener als der unheilsschwangere Himmel. Aische, die „Kreische“, hatte die gesamte Fahrt über geplappert: Nein, dass die Herrin ausgerechnet mir die Leitung der Mission übertragen hat. Nein, diese Verantwortung. Huch, welch Vertrauensbeweis, blablabla und noch mehr bla. Obendrein noch das Hotel. Ausgebucht! Nur noch ein Doppelzimmer war zu bekommen. Kaum hielt die Dicke ihr Maul und schlief, fing sie auch schon an zu schnarchen. Karl bekam kein Auge zu. Er ging hinaus um etwas frische Luft zu schnappen und die Bremsschläuche am Wagen des Wirtes zu kappen. Aber selbst das verbesserte seine Stimmung kaum.
Übermüdet saß Karl am nächsten Tag hinterm Steuer. Aische weigerte sich beharrlich ihn abzulösen. Nein, ich trau mich nicht so einen gro0en Wagen zu fahren. Hab immer nur so einen kleinen Fiat Panda gehabt und damit bin ich nur Kurzstrecke...blablabla.
Nein, Karl war nicht bester Laune.
>Ich habe Stimmen im Sturm gehört<, rief Aische durch das Tosen. Eigentlich hieß sie Melanie und studierte orientalische Kunstgeschichte. Aber als aufstrebende Jung-Satanistin empfand sie „Melanie“ nicht länger als ausreichend. Aische sollte es also sein. Ein wenig fremdartig angehaucht und doch auf einem gesunden gesellschaftlichen Fundament fußend. Aische war klein, dick und hatte langes schwarzgefärbtes Haar. Schwarz war auch die Schminke, die nun in dunklen Strömen über ihr bleiches Gesicht lief und sich mit dem Blut der zahllosen Kratzer verband, die das Unterholz gerissen hatte.
Aische bewunderte Karl, seine selbstbewusste Art, seinen muskulösen, großgewachsenen Körper. Sie sah ihn als eine Art Lehrmeister an. Gewiss, er war sehr hart zu ihr, aber sie wusste, dass seine schroffe Art Teil ihrer Ausbildung war. Vielleicht mochte sie ihn sogar etwas mehr, aber das gehörte sich wohl unter Schüler und Meister nicht. Aische war wild entschlossen eventuelle Annäherungsversuche zurückzuweisen. Vorläufig zumindest.
Karl hasste Aische. Nicht weil er etwas gegen Dicke hatte. Karl mochte Dicke. Wenn man an ihr Herz wollte, musste man lediglich etwas tiefer schneiden. Kein Problem.
Eigentlich hasste er nicht Aische als solche. Sie war lediglich der dicke Teil des berühmten größeren Ganzen, Karls Moby Dick, dem er all die Sünden der neuen Generation von Satanisten aufband. Karl war noch Satansjünger der alten Schule. Geboren um 1600 (Gott war nicht der einzige, der seine Gunst durch die Gabe eines langen Lebens bewies) hatte er bereits einiges gesehen, zuviel wohl, um noch Neues erleben zu wollen. Anders als die Herrin, die sich mit dem ihr eigenen Hedonismus auf diese neue Bewegung warf, empfand Karl nur Ekel vor diesen Möchtegernsatanisten. Verzogene, ziellose Gören oder kranke Spinner, die irgendeinen Grund dafür suchten, den ganzen Tag lang in schwarzen Klamotten durch die Gegend zu laufen. Noch ein umgekehrtes Kreuz um dem Hals, fertig war der Rebell. Pah, die hatten keine Ahnung. Früher hat man sich gehütet aufzufallen. Solche Flausen hatte einem die Inquisition schon ausgebrannt. Von denen kannte doch keiner mehr die Bibel. Scheißen auf die Kirche und wissen nicht, worum es dabei überhaupt geht. Karl liebte die Bibel, kannte sie in und auswendig, las täglich darin, fieberte jedes Mal mit, wenn sein Chef Jesus verführte: Spring schon, Junge, los, spring schon!
Und dann natürlich die Opfer. Menschenopfer waren nicht mehr „in“. Als wenn so etwas aus der Mode kommen konnte. Pah! Zugegeben, die Herrin lag in vielem nicht falsch. In dem modernen Überwachungsstaat konnte man nicht jede Menge Leute ausweiden. So etwas fiel einfach auf. Mann, was waren das tolle Zeiten im Dreißigjährigem Krieg! Heute war alles anders. Die Herrin verglich es gerne mit Tierversuchen. Bei wirklich, wirklich wichtigen Anlässen konnte man darauf zurückgreifen, aber für schnöde Kosmetikexperimente war es einfach überflüssig. Karl musste zugeben, dass es bei den meisten Ritualen nicht nötig war, einen Menschen zu opfern. Meist dienten sie nur dazu, ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Kultanhängern zu erzeugen, einen ordentlichen „Korpsgeist“, wie Karl es nannte. Das erreichte die Herrin nun mit diesen unsäglichen Gruppengesprächen mit Priester/Opfer-Rollenspielen. Schrecklich!
Und wenn man mal eine Leber oder ein Herz brauchte, war es einfach bequemer seine Kontakte in den Kliniken auszuspielen, als gleich einen ganzen Menschen zu schlachten. Und wenn einmal ein Menschenopfer vollzogen werden musste, dann wurden die überzähligen Organe fein säuberlich entnommen und tiefgekühlt aufbewahrt, um vielleicht noch in einem anderem Ritual verwendet zu werden. Effektivitätsmaximierung, nannte das die Herrin. Wenn es hoch kam, dann opferte Karl nur noch ein, zwei Mal im Jahr. Da freute er sich drauf, wie ein guter Christ auf Weihnachten.

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