TV-Leap: Black Emmanuelle
von Carsten Maday

Kapitel
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oder Der Tag an dem die Lebenden fielen

1. Tag

Ich erwachte. Mein Leben in alternierenden fiktionalen Realitäten, in dem ich dazu verdammt war, in immer neue Filmrollen von unzweifelhafter Güte zu springen, ließ sich gut mit dem Leben eines normalen Arbeiters vergleichen. Es gab Wochenenden und Werktage. Bei mir überwogen allerdings die langen, regnerischen Montage. Als ich zum ersten Mal die Augen öffnete, um zu sehen, in welcher Art vom B-Movie ich nun schon wieder erwacht war, keimte in mir die Hoffnung, es könnte diesmal ein Sonntag sein. Mir gegenüber saß auf einem flauschigen Teppich in einem geschmackvoll eingerichteten Zimmer samt loderndem Kaminfeuer eine entzückende Blondine und lächelte mich an. Die junge Dame hatte ein süßes Gesicht und eine tolle Figur, die in der bedenklich engen Bluse und der abgeschnitten Jeans mehr als sichtbar wurde.
>Jap<, dachte ich mit erleichtertem Seufzer. >Das fühlt sich eindeutig wie ein Sonntag an.<
Die Blondine erzählte irgendetwas mit ihrer mädchenhaften Stimme. Zahlen kamen darin vor. Wahrscheinlich Statistiken und das hier war ein geschäftliches Meeting, wenn auch recht informeller Art.
>Mit dreißig Zentimeter Länge und fünf Zentimeter Durchmesser ist der Jolly Boy das Flaggschiff unserer Kollektion. Soll ich Ihnen das neueste Model einmal zeigen, Fräulein Clark? Ich habe es selbst noch nicht ausprobiert.<
Ich blickte verstohlen an mir herab. Ich steckte zweifelsohne in dem Körper einer Frau, obwohl ich davon von nicht viel sehen konnte, denn meine Oberweite blockierte die Sicht.
>Warum so förmlich?<, sagte ich. >Bitte, nenn mich doch, ähm, bei meinem Vornamen.< Unmittelbar nach dem Erwachen war es unerlässlich, möglichst viele Informationen über die neue Rolle zu sammeln und heraus zu finden, in welcher Art von Film man steckte. Kannte man erst das Genre, wusste man auch, wie sich die Handlung ungefähr zu entwickeln hatte. Diesmal hatte ich allerdings schon eine gute Ahnung, wo der Film in etwa angesiedelt war.
>Also gut<, sagte die süße Blonde und schenkte mir einen sinnlichen Blick, der meine neu entdeckte Weiblichkeit erzittern ließ. >Chantal, also.<
>Ja, du süß....Was? Chantal?< Ich verdrehte die Augen. >Vielleicht bleiben wir doch besser bei Fräulein, wie? Warum zeigst du mir nicht einfach, was du mitgebracht hast.<
Die Blonde kicherte niedlich und beschämt, griff aber nichtsdestotrotz hinter sich und zog eine geschmackvoll verzierte Schachtel hervor. Auf der Schachtel stand Fräulein Chantal´s Jolly Boy.
>Ach du meine Güte<, entfuhr es mir entsetzt. >Der ist ja gewaltig.< Die Blonde öffnete die Schachtel und zog den Jolly Boy heraus, ein wabbliges, zuckendes etwas von enormer Größe. Die junge Frau starrte mit hochrotem Gesicht auf den Dildo.
>Geht es dir gut, ähm...<
>Susi<, ergänzte das Mädchen abwesend, ohne sich zu wundern, dass ich ihren Namen nicht wusste. Dieses Silikonmonster nahm einfach alle Aufmerksamkeit in Anspruch.
>Susi, geht es dir gut?<
>Mir ist so heiß!<
>Aber natürlich. Wie dumm von mir. Draußen ist es bestimmt Sommer. Warum solltest du sonst in so einer verflucht kurzen Jeans herum laufen? Und ich Dummerchen mache noch den Kamin an.< Ich sah flüchtig aus dem Fenster und seufzte. Es war dunkel und Schnee fiel. >Soll ich das Feuer löschen, Schätzchen?<
>Kann ich nicht einfach meine Bluse ausziehen, Fräulein?<
>Oder so<, sagte ich. Oh, mein Gott, oh mein Gott. Wurde ich jetzt für alle meine Leiden belohnt? Bitte, ja!
Susi zog ihre Bluse aus. Meine Augen fielen beinahe aus ihren Höhlen.
>Ist das, ist das-<, stammelte ich perplex. >Ist das etwa- Ich meine, ich habe schon davon gehört, aber noch nie wirklich einen gesehen. Dachte immer, es ist nur eine urbane Legende. Ist der etwa von Victoria´s Secret?< Susi nickte sanft.
OH MEIN GOTT, OH MEIN GOTT.
Susi löste die Haken ihres köstlichen BH´s und warf sich auf mich.
>Oh, Fräulein<, wisperte sie mir ins Ohr, dass ich vor Wolllust erbebte. >Ich begehre dich so sehr. Bitte, nimm mich.<
Ich war so erregt, dass ich noch nicht einmal lachen konnte. Als sie mir einen Kuss auf die Lippen drückte, versuchte ich meine Hände auf ihre kleinen, straffen Brüste zu legen, um-
Ich hielt inne, meine Hände stoppten, obwohl sie danach schrieen, ihre Reise zu den herrlichen Hügeln fortsetzen zu dürfen. Susi´s Lippen lösten sich von denen meinen. Ich sah ihren fragenden Blick.
>Tut mir leid<, sagte ich mit Tränen in den Augen. >Ich kann nicht.<
>Oh, Fräulein<, sagte Susi enttäuscht und zog sich schnell die Bluse über. Die Brustwarzen stachen durch den Stoff, was es nicht gerade leichter machte, meine moralischen Bedenken aufrecht zu halten.
>Liegt es an mir<, fragte Susi bekümmert.
>Aber nein, Schätzchen<, versuchte ich sie zu trösten.
>Ist es, weil meine Brüste so klein sind? Das kann man ändern.<
>NEIN, NEIN<, entfuhr es mir. >Glaub mir, die sind super, so wie sie sind, so fest und- OH MEIN GOTT, lassen wir das! Es liegt an mir. Es ist so-< Ich suchte nach einer Antwort. Susi hatte sie.
>Gibt es jemand anderen?<, fragte sie.
Ich dachte darüber nach. Und zu meinem eigenen Erstauen nickte ich.
>Ja, Susi. Es gibt da jemanden. Und ich glaube, ich bin verliebt.<

Manch einer mochte denken, in immer neue Filmrollen trashiger B-Movies zu springen, klang doch wie ein Traum. War es nicht, es sei denn, man ergänzte Alp. Das Springen war meist Erlösung aus einer furchtbaren, lebensbedrohlichen Rolle. Aber was kurzfristig als Segen erschien, war langfristig mein Fluch. Nirgends durfte ich verweilen, wurde von einem perfiden Schicksal oder Gott immer weiter gehetzt. Mit den Menschen, die normalerweise versuchten mich umzubringen, ließ ich auch stets die anderen zurück, die ich mochte. Es ist wahr, dass alles fließt, und zwar in einem brodelnden, kochenden Strom, der mich mitriss an immer neue Ufer. Ich brauchte festen Halt und der einzige Ort an dem ich ihn finden konnte, war in mir selbst. So hatte ich mich entschlossen zu lieben und meiner Liebe treu zu sein, obwohl ich sie vermutlich nie wiedersehen würde, wenn nicht der Film, in dem ich sie getroffen hatte, irgendwann fortgesetzt wurde. Ich hoffte es. Das musste wohl Liebe sein musste, denn der Film war nicht gerade gut gewesen.
Also verkniff ich mir eine Nacht der heftigen Leidenschaft mit der bezaubernden Susi, um nicht anstatt eines festen Haltes ein schlechtes Gewissen zu erhalten. Es war ein übermännlicher Willensakt, der aber durch eines erleichtert wurde. Die Gelegenheit war zu gut, um wahr zu sein. Es war bestimmt eine Falle. Und vielleicht, wenn ich die Prüfung des Schicksals, Gottes oder wessen auch immer bestand, durfte ich meine Liebe wiedersehen. Oder zumindest mal eine harmlose Rolle spielen wie in Unsere kleine Farm, oder so.
>Und wie sieht deine Liebe aus<, fragte Susi, die nahtlos von der Rolle als lesbische Gespielin in die der um Liebesdinge besorgten besten Freundin geschlüpft war.
>Wie sieht sie aus?<, sagte ich. >Groß, muskulös, starke Arme, brünett, gibt sich nach außen gerne hart und gnadenlos, hat aber ein liebenswürdiges Wesen.<
>Das klingt nach einem tollen Mann<, schwärmte Susi.
>Ähm, Mann? Na ja, eigentlich ist Mechthild...< Das Schrillen der Haustür ersparte es mir, meine mir selbst bisweilen rätselhafte Zuneigung zu der hünenhaften Germanin näher zu erläutern.
>Wer kann das sein<, fragte ich.
>Oh<, sagte Susi peinlich berührt. >Das wird April sein. Sie hat bestimmt die anderen Stücke aus unser Kollektion dabei.<
OH MEIN GOTT, OH MEIN GOTT! Ein flotter Dreier! Ich sah es förmlich vor mir. Susi und ich vergnügen uns auf dem Teppich, als April herein kommt (in diesem Falle wäre die Haustür freilich geöffnet gewesen.) Sie würde uns sehen, sich über die Lippen lecken und weise Dinge wie z.B. „Ah, ich sehe, ihr habt schon ohne mich an gefangen. Etwas dagegen, wenn ich rasch dazustoße?“ sagen, in rekordverdächtiger Zeit ihre spärliche Bekleidung ablegen und...
>Ist dir nicht gut<, fragte Susi und riss mich aus einer neuerlichen Revision meiner Liebe. Ich meine, wie gut kannte ich diese Mechthild eigentlich wirklich?
Ich seufzte.
>Ach, Susi. Mir ist nicht gut. Vielleicht lässt du mich besser allein und nimmst April mit. Wir sehen uns dann morgen in der Firma.< Ich wollte besser nicht riskieren, April zu sehen. Falls sie nur halb so entzückend war wie Susi, könnte ich noch schwach werden. Als Susi und April gegangen waren, stand ich im Wohnzimmer und wartete.
>Was<, rief ich nach einiger Zeit. >Ich bin hier fertig. Ich kann jetzt springen. Hab ich nicht gemacht, was ich sollte?< Statt einer Antwort erhielt ich Schweigen, was mir immer noch lieber war als hämisches Gelächter. Hatte ich gemacht, was ich machen sollte? Ja, nein? Ich wusste es nicht. Aber ich wusste eines: da ich nicht mit Susi geschlafen hatte, hatte ich nicht meine Rolle erfüllt. Der Film konnte dies gnadenlos mit einem Genrewechsel bestrafen. Ich erschauderte. Das war das schlimmste. Alles konnte passieren.
Auf dem Weg zur Garderobe kam ich an einem Spiegel vorbei. Ich war hochgewachsen, hatte kastanienbraunes, langes Haar, war schlank und hatte einen Atombusen, dessen Größe, wie sich nach einem Abtasten bestätigte, Mutter Natur so sicherlich nicht geplant hatte. Er war schwer, prall und unbequem, hatte aber glücklicherweise durch seine Mächtigkeit das Schönheitsoperationsbudget so überstrapaziert, so dass es für das Gesicht nicht mehr reichte. Es war ein attraktives Gesicht mit den Spuren einer Frau Anfang Vierzig, sagen wir mal Ende dreißig, ach was soll´s, MITTE dreißig, das es eigentlich nicht nötig hatte, das zunehmende Alter mit zunehmenden Brustumfang ausgleichen zu müssen.
Ich zwinkerte meinem Spiegelbild neckisch zu, griff mir den Mantel und verließ die Wohnung, um in der Nacht zu tun, was getan werden musste.

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