TV-Leap: Im Weltall ist die Hölle los
von Carsten Maday
Ich erwachte. Ich unterdrückte den Instinkt, meine Augen aufzureißen, drückte sie stattdessen fest zu. Ich war nach wie vor dazu verdammt, in immer wieder neue Rollen irgendwelcher Glasperlen der Filmgeschichte zu springen. Ich war erleichtert, aus meiner letzten Rolle entkommen zu sein. Es war ein grauenhafter Porno gewesen, und nein, in einem Porno mitzuspielen ist nicht so lustig, wie ich es mir selbst anfangs vorgestellt hatte. Der Plot war bescheiden. Ich hieß Igor und war der Bodyguard eines Bosses der Russenmafia. Zwecks Erpressung hatten wir die Tochter des russischen Präsidenten entführt. Süße achtzehn. Laut Drehbuch. In Wirklichkeit den vierzig näher als den zwanzig. Oberweite und Gesicht eine leblose Operationswüste. Der Körper, in den ich gesprungen war, zeichnete sich immerhin durch ein enormes Organ aus. Ich hatte da schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Als nun mein Boss befahl, die junge Schülerin einzureiten, wie er es so charmant ausdrückte, wollte angesichts der ethischen Fragwürdigkeit der Handlung und der zweifelhaften Attraktivität der Hauptdarstellerin keine rechte Stimmung bei mir aufkommen. Nun, das kam in den besten Familien vor. Ich war wild entschlossen, dennoch mein bestes zugegeben und die Rolle, nun ja, auszufüllen, um nur nicht wieder den Plot zu ändern. Das war nie gut und die Dinge, die dadurch passieren konnten, waren meist noch schlimmer. Ehe ich meinen Boss nach ein paar Viagra fragen konnte, befahl er mir jedoch, Hasso hereinzubringen. Hasso war zu meinem Erstaunen leider nicht der Komplize zahlloser Verbrechen, sondern eher mein Partner mit der kalten Schnauze. Ein ziemlich struppiger Schäferhund.
>Nein<, schrie ich meinen Boss empört an. >Doch nicht so ein Film! Herrgottnochmal! Da muss es doch noch anderes geben. Was Normales zum Beispiel!< Zum Glück war ich körperlich auch sonst recht kräftig ausgestattet. Als ich meinem Boss die Faust ins Gesicht drosch, kippte er um wie ein nasser Sack. Ich schnappte mir die abgetakelte Schülerin und stürmte aus dem Versteck. Und gleich wieder hinein, um Hasso zu holen. Was konnte denn der Hund dafür? Der Film dankte mir meine Tat und wechselte das Genre. Unversehens sah ich mich auf den Strassen Moskaus wieder. Mit einer Meute Mafiosi auf den Fersen, einer gestrafften Dame und einem Hund an den Händen. Die Mafiosi waren schlimm und setzten mir sehr zu. Schlimmer war die Tochter des Präsidenten. Sie wollte mir bei jeder möglichen Gelegenheit die ihr einzig bekannte Art der Dankbarkeit zeigen. Ich war froh, als das gerettete Töchterchen endlich ihren Vater sicher und etwas anzüglich umarmen und ich weiter springen konnte.
Ich war also erleichtert. Aber panisch auch. Wohin war ich nun gesprungen? Mir schlotterten die Knie, was meine Angst nur noch mehr erhöhte. Ich hörte ein metallisches Scheppern, als die Knie gegeneinander klapperten. Ich öffnete die Augen.
>Verdammt!<, entfuhr es mir.
>Quid dicis?<, erkundigte sich eine Stimme neben mir. Ich stöhnte erschrocken auf, als ich den Mann neben mir sah. Braungebrannt, muskulös und in der Rüstung eines römischen Prätorianers gekleidet. Ich sah schnell zu Boden. Auf meine Füße. Mist! Ich trug Beinschienen aus Bronze. Und Sandalen. Nicht schon wieder!
Jetzt musste es schnell gehen. Ein Blick. Ich stand in einer prachtvollen, römischen Palasthalle, d.h. nach dem Lexikon des internationalen Films: jede Menge Marmor, Kohlebecken und Säulen. Aha, Antike also. Ein großer kupferner Schild hing an einer Wand. Ich sah mein verzerrtes Spiegelbild. Mein Kamerad war zweifelsohne ein Prätorianer. Ich ebenfalls. Dem Rang nach Zenturio und ein ganzes Stück älter als mein Kamerad. Wir standen vor einer prachtvollen Flügeltür. Verflucht, durchfuhr es mich. Ich stehe Wache vor den kaiserlichen Gemächern. Wenn ich nur wüsste, welcher Kaiser. Nachdenken!
>Quid dixistis?<, erkundigte sich mein Kamerad erneut und sah mich misstrauisch an. Warum redete der nur Latein? Das verstand doch kein Zuschauer, es sei denn...Mein Gott, nur keinen dieser modernen Avantgarde-Filme! Mussten Filme nun nicht mehr nur politisch sondern auch historisch korrekt sein? Beruhige Dich. Vielleicht war es eine Dokumentation. Über einen Kaiser. Über seine, neeeeeeeeein, Ermordung! Ich konnte meine Hand, die instinktiv nach dem Schwert greifen wollte, gerade noch stoppen. Der Prätorianer schaute noch misstrauischer drein.
>Ähm, nihil<, versuchte ich ihn mit den Resten meiner Lateinkenntnisse zu beruhigen. Nur ja einfache Worte. Bloß nicht konjugieren, oder wie das hieß.
Mein Kamerad sah wieder geradeaus. Ich spürte, dass er wachsam war, gespannt wie ich auch.
Drei Möglichkeit gab es, schloss ich. Erstens: Mein Kamerad war ein gedungener Mörder, der erst mich, dann den Kaiser hinter der Tür ermorden sollte. Zweite Möglichkeit: Ich sollte meinen Kameraden umbringen und dann den Kaiser. Diese Möglichkeit war sogar noch unangenehmer. Wenn ich es nicht tat, würden meine Auftraggeber mich liquidieren lassen. Durfte ich denn morden? Wenn nun gar ein Caligula hinter der Tür wartete? Vielleicht war es sogar besser, ihn zu beseitigen. Die alte Frage nach dem Tyrannenmord also. Dritte Möglichkeit: Eine Horde Meuchelmörder stürmte herein, brachte meinen Kameraden und mich um die Ecke und beseitigte dann den Kaiser. Die Möglichkeit, dass nichts davon geschah und ich hier nur einfach meine Wache abriss, war so unwahrscheinlich, dass sie es noch nicht einmal verdiente, beziffert zu werden. In solchen Filmen landete ich nie.
Also, eins oder zwei erschienen mir am wahrscheinlichsten, weil sie am gemeinsten waren. Vielleicht auch eine Kombination mit drei. Meuchelmörder stürmten herein und der Prätorianer versuchte mich umzubringen. Oder ich ihn?
Ich kramte in meinen Lateinkenntnissen. War nicht Cicero seinen Zeitgenossen während der Verschwörung des Catilina mit der selbstgefälligen Behauptung, er sei über alles in Bilde, auf die Nerven gefallen. Wie hieß das noch? Ah!
Ich sah zu meinem Kameraden hinüber. Der bemerkte meinen Blick. Ich kniff scharf die Augen zusammen und verlieh meiner Stimme einen überzeugten, wissenden Ton:
>Omni comperi! Haha!< Mein Kamerad sah erschrocken aus. Für den Bruchteil einer Sekunde. Dann zog er sein Schwert. Zu spät. Ich rammte mein Knie in seine Weichteile. Heulend krachte er auf dem Boden. Seine Rüstung schepperte laut, als sie auf den Marmor schlug.
>Fellator!<, zischte er durch vor Schmerz aufeinander gepresste Lippen.
>Wer ist hier ein Lutscher?<, rief ich empört. Ich vergalt die Unverschämtheit mit einen Tritt gegen seine Schläfe. Der Mann wurde bewusstlos.
Ehe ich die Tür öffnen konnte, hörte ich es hinter mir lärmen. Stimmengewirr. Bewaffnete Männer drangen in die Halle. Mist, doch die Eins-Dreier-Kombination. Die Meute sah erst mich, dann ihren Mitverschwörer, der wie tot am Boden lag. Sie zogen blank und stürmten auf mich zu. Ich gab mit meinen genagelten Sohlen Fersengeld, öffnete die Tür und verriegelte sie hinter mir. Ich atmete wild vor Angst. Das prachtvolle Gemach des Kaisers lag vor mir. Niemand hier. Da, eine Bewegung. Ich sah, wie eine Gestalt durch eine Geheimtür in der Marmorwand verschwand.
>Mane, Imperator! Te servare volo!< Ob das nun richtig war, oder nicht, die Gestalt machte keine Anstalten auf mich zu warten. Die Tür schloss sich, ehe ich sie erreichen konnte. Es gab ein höhnisches Klicken, als ein Mechanismus einrastete. Die Geheimtür war verschlossen, und ich hatte keine Ahnung, wie sie sich wieder öffnen ließ. Andere Ausgänge schien es nicht zu geben. Es hämmerte an der Flügeltür. Eine Art improvisierter Rammbock donnerte dagegen. Was tun? Ich zog mein Schwert. Vielleicht konnte ich die zwanzig Mann überwinden. Ich schüttelte den Kopf.
>Nun dann<, seufzte ich. >Dann wenigstens mit Würde abtreten! Wie hieß das denn noch? Ah, genau. Morituri te salutant. Hahaha! Eh, Moment mal. Ist das nicht Plural? Wie heißt das denn im Singular? Moriturus te salutat, oder? Ne, Scheiße, das ist ja nicht einer, den ich grüße, sondern gleich eine ganze Horde. Was heißt eigentlich: Bitte, bitte, nicht töten?<
Die Tür barst krachend auf. Männer stürmten auf mich zu. Dann wurde es hell, als ein gleißendes Licht um mich herum erschien. Ein seltsames Gefühl ergriff mich. Mein Körper fühlte sich leicht an. Beinahe wie beim Springen in eine neue Rolle, aber nicht genau so. Amüsiert sah ich noch, wie einer der Männer mitten durch meinen Körper stürmte. Dann löste ich mich in ein sprudelndes Prickeln auf.