Bulgakov in Holmgardir
von Rutz Rische

Kapitel
 

4..

Am nächsten Morgen ist Abel der erste, der auf den Beinen ist.
Endlich wird er seine Jana mit den schmutzigen Füßen wiedersehen.
Die kürzeste Nacht des Jahres wollen alle gemeinsam im Lager der Wikingergrabung feiern. Auch Pavel Iljitsch wird mitkommen. Samt Töchtern.
"Ohne traditionelle Musik versteht ihr gar nicht, was ein traditionelles Sonnenwendfest ist." droht er. "Und vielleicht schaff ich es, mit meinen Pfeifen die Wassergeister zu wecken."
"Und um Mitternacht baden wir alle nackt!" freut sich Danilov mit langem Blick auf Nina.
Die 12 Kilometer geht die deutsch-russische Gruppe zu Fuß. Manch eine Flasche Wodka wird dort gelehrt.
"Sauft nicht zuviel." mahnt Danilov. "Die Schweden haben heute morgen ein Grab ausgehoben. Wir müssen eine Flasche für die Geister der Toten aufheben."
"Sag das nicht zu laut", meint Nina: "Sonst kriegt Abel wieder ne Krise."
Im Lager der schwedisch-russischen Gruppe ist das Feuer bereits entfacht, obwohl es
weder dunkel noch kalt ist.
Jana fällt Abel um den Hals. Sie hat sich die Füße gewaschen, stellt Abel frustriert fest.
"Machts kurz, ihr Turteltäubchen!" stört Danilov:"Wir müssen den anderen noch helfen, die letzten Vermessungsarbeiten an der Grabanlage durchzuführen. Ihr Frauen könnt ja schon mal kochen, wie's sich gehört."
Die Mädchen murren und zischen Worte wie "Macho".


"Das ist ja der Hammer. Rein nordische Bestattungsrithen. Also stimmt es doch, dass die Wikinger hier eine Art Festung hatten." Werner ist beeindruckt.
"Ja und von hier aus haben die Bastarde ihre Raubzüge geplant. Wir werden unsere Geschichte umschreiben müssen." Peter seufzt.
"Erst einmal werden wir trinken. Um Mitternacht. Alle zusammen. Und vergeßt nicht: Eine Flasche ist für die Geister." Doziert Danilov.
"Aber das sind doch nur olle Wikinger! Wenn's Russen wären!" Versucht Peter einzugreifen.
"Keine Widerrede - Tradition bleibt Tradition." Danilov läßt sich nicht beirren.

"Was sollen wir hier denn kochen?" Suse rümpft die Nase.
"Kartoffeln, Fleisch und Brühe. Alles in diesem Zinkeimer." Erklärt Jana, die hier draußen schon etwas abgehärtet ist.
Während Jana ihrer Freundin von all den Funden erzählt, die sie aus dem Fluß gefischt hat, läßt Natascha heimlich ein paar Pilze in den Zinkeimer fallen.



"Einfach irre, bei euch. Jetzt hat es schon wieder fünf Minuten lang geregnet." Werner hebt sein Glas: "Auf euch und eure wandernden Regenbogen."
Die Gruppe stößt an.
"Ich war gerade ein wenig spazieren. Da ist ja noch ein Zeltlager. Gehört das auch zu euch?" will Nina wissen.
"Nein, nein. Nur ein Pionierlager. Es gibt immer noch Familien, die die gute alte sozialistische Tradition fortführen." Erklärt Natascha.
"Wahrscheinlich werden die Erzieherinnen sich heute abend mal wieder über Ruhestörung beklagen." Jana kichert.
"Hast ja wohl ziemlich abgefeiert, während du von mir getrennt warst." Abel ist entrüstet.
"Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass es abends nur für 1 bis 2 Stündchen dunkel wird." lenkt Jana ab.
"Tja und heute ist die kürzeste Nacht des Jahres." sinniert Pavel Iljitsch und schlägt einen Akkord auf der Gitarre an. Die Gruppe singt.

"Ej Peter, mach mal noch ne Flasche auf!" Werner hat Probleme seine Zunge ordnungsgemäß zu entrollen.
Der Zinkeimer ist fast leer. Einige Flaschen auch. Die Gespräche werden sinnlos.
Nebel sind vom Fluß her aufgezogen. Der Himmel hat sich dunkelgrün gefärbt.
Pavel Iljitsch bläst eine wehmütige Melodie auf einer seiner Miniaturpfeifen.
Seine kleinen Töchterchen spielen ruhig am Flussufer. Aus bunten Blumen flechten sie Kränze.
Abel und Jana haben sich ein wenig von der Gruppe abgeseilt.
"Meinst du, die sehen uns?" flüstert Jana. "Glaub ich nicht, die sind alle so blau." gluckst Abel und fingert an Janas Bluse herum. Jana läßt sich ins Gras fallen und genießt Abels gekonnte Handgriffe. Von fern klingt Pavel Iljitschs Pfeife.
Abel küßt mit Nachrduck Janas Lippen. Ihre Zungen finden sich.
Plötzlich setzt Abel sich auf. "Hast du das gehört?"
"Was?" fragt Jana trunken.
Abels Blick wandert von ihrer inzwischen offenen Bluse ins hohe Gras. Sorgfältig streicht er die langen, festen Halme auseinander.
"Mensch, Abel, was soll das jetzt wieder?"
"Pssst!" Abel legt einen Finger an die Lippen.
"Ich wußte es, da ist sie." flüstert er.
"Wer?" Jana setzt sich ebenfalls auf.
"Da im Gras. Die Hexe. Siehst du sie?" flüstert er, einer Panik nahe.
Jana springt auf und knöpft sich die Bluse zu. "Ich hab echt die Schnauze voll von deinen Spinnereien. Hexe! Du hast se ja nich mehr alle."
Abel versucht sie zurückzuhalten. "Aber wenn ich's dir doch sage. Hier ist sowieso alles so mysteriös."
"Mysteriös ist hier nichts. Außer der Tatsache, dass ich mit einem Spinner zusammen bin." Jana setzt sich in Bewegung.
"Wenn du mich liebtest, würdest du wenigstens mal versuchen, die Welt mit meinen Augen zu sehen!" ruft Abel verärgert.
Doch Jana reagiert nicht und verschwindet in Richtung Lagerfeuer.

"Hej, Jana, kommst gerade recht. Wir haben noch ne Flasche aufgezogen."
Danilov reicht ihr ein Wasserglas mit Wodka.
Dann stellt er sich vor die Gruppe und spricht: "Liebe Freunde, wir haben hier einen tollen Sommer verlebt. Ihr habt klasse mit angefasst. Hoffentlich sehen wir uns im nächsten Jahr wieder. Na Zdarovje." "Na Zdarovje!" stimmt die Gruppe ein.
"Und denkt daran" kichert Suse:
"Eine Flllasche fürdie Geisterr."
Pavel Iljitsch setzt erneut das Pfeifchen an.



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