Bulgakov in Holmgardir
von Rutz Rische

Kapitel
 

8.

Das Knurren des Hundes reißt den Maler aus dem Dämmerschlaf. "Ich alter Kauz!" denkt er verärgert: "Jetzt penn' ich schon über der Arbeit ein."
Ächzend bückt er sich nach dem Pinsel, der einen roten Fleck auf dem Fußboden hinterlassen hat.
"Mist. Eingetrocknet." Denkt er, da beginnt der Fleck, sich auszuweiten und seine Füße zu umspülen. Der Künstler setzt einen Fuß nach vorne, die rote Farbe folgt seinem Fuß. Der Hund fletscht die Zähne und drängt ihn Richtung Tür.
Gegen seinen Willen greift der Künstler nach dem Korb mit den Spraydosen.
"Ich Idiot. Das sollte ich wirklich der Jugend überlassen."
Doch die rote Farbe ignoriert seinen Einwand und drängt ihn aus der Wohnung, auf die Straße, durch die Stadt, an die Kremlmauer.
"Blödsinn" denkt der Künstler und will umkehren, doch sein Hund versperrt ihm den Weg und knurrt bedrohlich.


"Was ist das für ein Feuer auf dem Fluss?" Alle wenden die Köpfe. "Ach, das sind bestimmt die Dörfler." Erklärt Danilov. "Manche entzünden Flöße auf dem Wasser, um die bösen Geister zu verjagen."
"Schön." Suse schaut gebannt in die Ferne.
"Los, komm." Wispert Natascha Abel ins Ohr und zieht ihn mit sich fort.
Abel kichert. "Nicht, wenn Jana mich sieht."
"Ach lass, doch Jana. Du hast doch gesagt, du hättest Schluss gemacht." Bettelt Natascha mit kindlich verstellter Stimme. "Genau, die Alte kann mich ma." raunzt Abel und kneift Natascha in den Hintern.
Knutschend und kichernd folgen die beiden einem Feldweg.
"Komm!" Raunt Natascha, als eine kleine Kirchenruine aus der Dunkelheit aufragt.
Der Mond scheint auf eine verdreckte Kuppel.
Natascha zieht Abel in einen Torbogen und saugt sich an seinen Lippen fest.
Abel umfasst ihre Brüste. "Sag mal, hast du dir heute schon die Füße gewaschen?" Natascha schüttelt den Kopf.
Ein Käuzchen fliegt über ihnen hinweg. Erschrocken blickt Abel in Nataschas Augen. "Verdammt, du hast magische Kräfte."
Natascha lacht.
"Lach nich, du Hexe!" Abel gibt ihr eine schallende Ohrfeige.
"Abel!" Natascha bricht in Tränen aus.
"Heul nich, Satansbraut. Willst mich verhexen."
Natascha will sich losreißen, doch Abel erwischt den Saum ihres Kleides.
Aus der Tasche fällt ein Gegenstand. "Was hast du da?" Blitzschnell bückt sich Abel danach und hält ein Amulett in der Hand. "Ein Beweis." Brüllt er wie irre.
"Abel, komm zur Vernunft, das habe ich heute bei der Grabung gefunden."
Abel schüttelt das Mädchen. "Und warum hast du es dann nicht abgegeben. Eine Diebin? Nein, das glaube ich dir nicht. Du willst mich verhexen."
"Abel!" Natascha fällt zu Boden. "Hexenschlampe!" Wie ein besessener tritt Abel auf den Mädchenkörper ein.
Natascha schreit ein paar mal auf. Blut tropft aus ihrem Mund. Ein paar Knochen brechen. Dann ist alles still.
Ein Glühwürmchen lenkt Abels Aufmerksamkeit auf sich. Verwirrt reibt er sich die Augen. Dann fällt sein Blick auf die tote Natascha.
"Oh, mein Gott, was hab ich nur getan?" Abel fällt auf die Knie und untersucht den Körper. "Mein Gott", heult Abel erneut auf. "Ich muss wahnsinnig sein. Natascha, bitte verzeih mir."
Doch Natascha kann nicht mehr verzeihen.
"Was habe ich nur getan?" Schluchzt Abel, dann greift er in seine Hosentasche, zieht das Schweizer Messer heraus und öffnet seine Pulsadern. So wie er es vor drei Jahren schon einmal getan hat. Aber diesmal werden sie ihn nicht frühzeitig finden.



"Die Reihen lichten sich. Hej, seid ihr alle schon am pennen?" Danilov zählt die Gesichter, die um das Feuer sitzen. Manch eines sieht er doppelt.
Eine schwedische Studentin erzählt ein Mittsommernachtsmärchen.
Da dringt Weinen zum Feuer herüber.
Die Studenten sind arlamiert.
"Wo kommt das her?" fragt Suse erschrocken.
"Sicherlich nur ein paar streunende Katzen." versucht Danilov zu beruhigen. "Kümmert euch nicht darum. Wir haben wichtiges vor: Wir müssen noch die Seelen der Verstorbenen begießen."
"Da ist es wieder!" Nina schmiegt sich an Werners Schulter: "Klingt wie Kindergeschrei."
Das Wehgeschrei wird lauter. "Vielleicht hat sich eines der Kinder aus dem Pionierlager verlaufen?" mutmaßt Suse.
"Kommt, wir sehen nach, ich muss eh mal pinkeln." schlägt Nina tatkräftig vor. Die beiden ziehen los, bleiben nach einer Weile stehen, weil sie Schritte hören.
"Ich bin's", hören sie Werners Stimme. "Oder glaubt ihr, ich lass euch alleine durch die Finsternis gehen."
"Wieso, es wird doch allmählich wieder hell." Wehrt Suse ab und zeigt auf einen Lichtstreif, der vom Pionierlager herleuchtet.

Je näher sie dem Lager kommen, desto lauter werden die Schreie.
Ein Zelt geht in Flammen auf.
Zornige verdreckte Männer treiben wild fluchend eine halbnackte Erzieherin über den Platz und zerren sie schließlich in ein Gebüsch.
"Scheiße, was machen wir denn jetzt?" Fragt Nina unter Tränen.
Werner bückt sich nach einem dicken Ast. "Los!" kommandiert er und stürzt sich in das Gemetzel. Ein Wahnsinniger, bewaffnet mit einer Axt und einer widerwärtigen Fahne, tritt ihm entgegen. Gerade will er ausholen, als ihn Werner Knüppel in den Unterleib trifft. Suse springt hervor, greift nach der Axt und spaltet den Schädel des Wahnsinnigen. "Komm, Nina, wir sind ihnen überlegen!" brüllt sie blutrünstig ihrer Freundin zu.
Am nächsten Zelt sehen die drei, wie ein in Lumpen Gekleideter ein kleines Mädchen bei den Haaren packt.
"Verfluchte Bojaren-Brut", spuckt er hervor und durchschneidet die Kehle der Kleinen.
"Bastard!" Stößt Suse zwischen den Zähnen hervor. Siegessicher setzt sie die Axt an.
"Nimm seine Klinge!" Befiehlt Werner und Nina gehorcht.
"Seid ihr verfickte Varäger?" Will ein Lump wissen, der auf einem Auge blind ist.
"Was kümmter ihr euch um unsere Angelegenheiten. Verpisst euch in euer verdammtes Schweden!"
"Du mieser, kleiner Wixer. Kein soziales Unrecht rechtfertigt es, dass ihr euch an wehrlosen Kindern vergreift." meint Nina zornig und sticht ihrem Gegenüber auch das zweite Auge aus. Unter Schmerzen brüllend taucht der seinen Kopf in ein Wasserfass.
Jetzt kommen die Aufständischen aus allen Himmelsrichtungen vorbei. Doch Nina, Suse und Werner schlagen sich tapfer. Suse erträgt eine kleine Fleischwunde.
Aus Werners Wange tropft es rot herab und Nina erschlägt aus Raserei versehentlich ein Kind. Weinend sinkt sie auf den Boden. "Das hab ich nicht gewollt!" Jammert sie.
Ein zotteliger Bär will sich gerade auf sie stürzen, da fallen helle Lichtkegel auf unsere Helden. "Geben Sie auf! Das Lager ist umstellt." Ruft eine tiefe Stimme.
Mit einem Mal verschwinden die Aufständischen, lösen sich in Luft auf. Nina, Suse und Werner schauen sich verwirrt um. Zu ihren Füßen liegen Kinderleichen.
Werner wirft mit einer hektischen Bewegung den Knüppel von sich.
Da durchlöchern Schüsse seinen Körper. Er fällt in sich zusammen. Auf Nina und Suse, die bereits tot am Boden liegen.

"Hoppla! Schüsse!" Denkt Danilov, als er das Feuer ausmacht.
"Nix mehr los mit der Jugend, alle ham sich zurückkezogen." Danilov setzt die Flasche an. "Mann und Maus un die Schweden auch."
Die ersten Sonnenstrahlen durchweben den Himmel.
Ein Sensenmann steht vor Danilov. "Ach, du Scheiße! Das haben wir fast vergessen. Aber ein Schluck is nocha." Lallt er der Erscheinung entgegen.
Der Sensenmann setzt die schwarze Kaputze ab. "Ach, dich kenn ich doch!" Freut sich Danilov, als er den gespaltenen Schädel aus dem Klosterkeller erkennt.
"Aber wir hatten dich doch so schön wieder zusammengeklebt!"
"Ich habe Durst" Fordert der Sensenmann. "Ach, da geht's dir wie mir." Nickt Danilov.
"Dann wollen wir mal. Wo ruhen denn deine Lieben?"
Der Sensenmann setzt sich in Bewegung. Danilov folgt.
"Sach ma, haste gar kein Pferd?" Will Danilov wissen, dem vom Vortag noch die Füße weh tun.
Der Sensenmann antwortet nicht. Schweigend marschieren sie durch die Graslandschaft, dem Morgengrauen entgegen.
"Ich muss nachher unbedingt noch ein Foto von dir machen!" erklärt Danilov dem Sensenmann."Sonst glaubt mir das keine Sau."
Dann lacht er schallend. "Der Sensenmann und ich." Singt Danilov und setzt noch einmal die Flasche an die Lippen.
Der Sensenmann sieht ihn strafend an. "Schon gut, schon gut, für euch ist noch genuch da!"
Der Sensenmann führt ihn weiter weg vom Fluss, vorbei an der Kirchenruine, das Pionierlager verschwindet in der Ferne. "Komisch, wie ruhig es da ist." Denkt Danilov. "Nur die Polizeisirenen stören ein wenig. Polizeisirenen hier draußen, ich muss total besoffen sein." Lachend folgt er dem Sensenmann, bis die ersten kleinen Wohnhütten auftauchen. Eine Kuh muht sie erschrocken an. Der Sensenmann bläst sie an. Die Kuh fällt tot um.
Das erste kleine Holzkreuz taucht auf.


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