Feuer. Gesamtausgabe
von Carsten Maday

Kapitel
[ 1 ]  [ 2 ]  [ 3 ]  [ 4 ]  [ 5 ]  [ 6 ]  [ 7 ] 
 

1. Teil

Landung

>Das kann keiner überleben! Das kann keiner überleben!< Fast beschwörend klangen die Worte in der dumpfen Stille des Landungsschiffes. Es roch nach Schweiß und Waffenöl. Die Luft war stickig und verbraucht. Irgendwo spielten Männer einen ewigen Skat, bei dem nur hier und da einmal die Spieler wechselten.
Der Mann sah auf. Sein Helmvisier war offen. Seine Augen blickten unterm Helmrand auf die anderen, der Reihe nach. Endlich lagen sie auf mir.
>Das kann doch keiner überleben, oder Feldwebel?<
Das ganze Schiff zitterte unter dem Wummern der Abschüsse. Seit zweiundsiebzig Stunden beharkte die Flotte den Planeten mit allem was wir hatten. Vom kleinsten Zerstörer bis zur Kanzler Hildegard, dem gewaltigen Schlachtschiff der neuen Super-Dreadnought-Klasse. Die größte Flottenkonzentration seit Ausbruch des Krieges.
>Mach dir mal keine Sorgen, Isaak. Unsere Jungs werden die Bunker der Bananenköppe schon knacken<, sagte ich.
>Yeah, Feldwebel<, meldete sich Petterson zu Wort. >Den 55 ´ern der Hildegard hält kein Schild stand. Da könnt ihr einen drauf lassen. Wenn wir Pech haben, ist für uns nix mehr übrig, wenn wir endlich ran kommen.<
>Ja, ja, Petterson. Pass mal lieber auf, dass dir da unten keiner eine in dein großes Maul verpasst. Das wird nämlich passieren, wenn du dich wieder so dämlich anstellst, wie in der letzten Übung, klar. Das gilt übrigens für euch alle. Wir haben es oft genug geprobt. Sobald die Rampe runtergeht, spring ihr zur Seite raus, verteilt euch, geht in Deckung und sichert für die anderen Landungsschiffe! Ist das klar?<
>Jawoll, Frau Feldwebel!<, riefen sie aus einem Munde. Ich sah sie an, meine Jungen und Mädchen. Der zwote Zug. Dreißig Mann, fünf Frauen. Mein Name ist Frederika. Ich war ihr Feldwebel und ihre Mutter. Ich war eine Lebenslange und hatte schon vor dem Krieg auf allen Pötten Dienst geschoben, hatte vor jeder Botschaft von Erin bis zum Wellington-Nebel Wache gestanden. Der Krieg hatte mich vom Dienst auf Zeta 12 erlöst, einem öden Außenposten im Nirgendwo, der mit seinen malerischen Sonnenuntergängen alle acht Stunden selbst mich romantische Natur zermürbte. Meine „Kinder“ waren Kriegsfreiwillige. Einige Siedler, raubeinige Gesellen aus den Kolonien, Handwerker, ein Busfahrer und jede Menge Studenten.
Allein bei uns Sturmtruppen hatte man zwanzig neue Divisionen aufgestellt. Alte Fahrensfrauen wie mich hatte man darauf verteilt in der frommen Hoffnung, dass etwas von unser „Weisheit“ auf die Jungen und Mädels abfärben würde. Die Ausbildung hatte das Weiche weggeschnitzt, hatte harte, grimmige Gesichter hervorgebracht, hatte Männer und Frauen aus ihnen gemacht. Nun sollten sie ins Feuer gehen.
Mein Blick blieb auf Älter liegen, einem Student von Rho-Theta 5. Ein kleingewachsener Junge in einer viel zu großen Rüstung. Ich wusste, dass er sein Mark ´47 Kampfgewehr in weniger als einer Minute mit einer Hand und dem Stiefelbeutel überm Kopf zerlegen und zusammensetzen konnte. Er war von drei Bieren betrunken, rastete von den Stimpacks förmlich aus, sprach sieben Sprachen und hatte seine Jungfräulichkeit an ein Mädchen namens Irene verloren, das er, wie er nach einem vierten Bier gestanden hatte, fast so sehr liebte, wie seine Kameraden vom zwoten Zug. All dies wusste ich. Aber warum er sich freiwillig gemeldet hatte, wusste ich nicht.
>He, Älter!<, rief ich. Der Soldat saß mir einige Plätze entfernt gegenüber. Er hatte die Augen geschlossen und tat so, als habe ich ihn aus dem Schlaf gerissen.
>Ja, Frau Feldwebel?<
>Kannst dir das „Frau“ ruhig sparen, Älter. Hab ich dir schon hundertmal gesagt.<
>Ja, Frau Feldwebel!<
>Sag, mal. Ich frage mich, was macht ein Junge wie du eigentlich hier?<
>Seine Pflicht, Frau Feldwebel!< Er strahlte mich an.
>Nana, veräpple mal keine alte Frau, ja!<
>Der war nur zu faul zum Lernen, Feldwebel<, meldete sich Petterson wieder zu Wort. >Mann, Ernst, hast wohl gedacht, so ein bisschen Kriegspielen ist nicht so anstrengend wie fürs Examen büffeln, was?<
>Genau<, sagte Älter. >Hast mich echt durchschaut, Rolf.<
>Das meine ich nicht<, sagte ich. >Sondern warum du hier bist. Warum hast du dich zu den Sturmtruppen gemeldet? Du sprichst doch sieben Sprachen, davon drei extraterrestrische, und bist so helle, dass du eine arme Frau wie mich ganz duselig reden kannst. Da hättest du doch auch woanders hin gekonnt. Zur Abwehr zum Beispiel...<
>Nee, Frau Feldwebel. Ich wollte...< Der Einsatzalarm riss ihm die Worte von den Lippen. Keiner, der nicht erschreckt zusammenzuckte. Gebannt starrte der zwote Zug auf das rote Licht über der geschlossenen Rampe.
>Jetzt sind wir dran<, dachte ich benommen. Ich spürte ein Schaudern im Nacken. Meine Unterarme waren schwer, als habe sich zuviel Blut darin gesammelt.
>Feldwebel!< Der Pilot kam rein. Ich sprang auf und machte artig meinen Diener.
>Es geht los.<, sagte er.

Der Eintritt in die Atmosphäre war ein höllischer Ritt. Mir wurde ordentlich blass um die Nase. Von überall kam Würgen. Neben mir zuckte Cyndi. Sie war grün im Gesicht und kämpfte verzweifelt dagegen an, sich zu übergeben. Ich drückte ihren Oberkörper nach unten, damit ihr die Kotze nicht in den Helm oder über die Ausrüstung lief. Das ätzende Zeug konnte die tollsten Kurzschlüsse an der Ausrüstung hervorrufen. Wäre nicht der erste Soldat, dem so etwas passiert. Hab mal gesehen, wie bei einem der Booster durchgebrannt ist. Der Mann bekam unkontrolliert Stimpacks, raste wie ein Berserker und hätte das Landungsschiff zum Absturz gebracht, wenn nicht sein Herz aufgegeben hätte. Kurzschluss.
>Kotzt nur nicht in eure Helme, Leute<, rief ich. >Wird bestimmt eine Zeit dauern, ehe ihr da wieder raus kommt.<
Dann waren wir durch die Wolken. Aus dem Bullauge sah ich die anderen Schiffe der Schwadron. Wir rasten zum Boden. Ich sah ihn nicht. Nur ein Meer von roten Staub. Abertausende von Einschlägen hatten die rote Erde in unserem Abschnitt pulverisiert und nach oben geschleudert.
Das Abwehrfeuer begann.
>Sieht so aus, Petterson, als ob doch noch welche für dich übrig wären!<, sagte ich.
Wir wurden wieder durchgeschüttelt. Stärker als zuvor. Kotzen aber wollte niemand mehr.

>A.L.T. eine Minute<, drang die Stimme des Co-Piloten durch unsere Helmlautsprecher.
>Also gut<, sagte ich. >Macht euch bereit! Visiere zu!<
Die Visiere fuhren zu. Die MKR II. war eine Ganzkörperrüstung mit hydraulischem Bewegungsunterstützer, der ihr Gewicht von über achtzig Kilo erträglich machte. Ausgestattet mit Atmosphären-Filter, Booster für Stimpacks und Tranquilizer, Nahrungsinjektionen und Rohstoffwiederaufbereitungsanlage konnte sie im geschlossenen Zustand einen Soldaten theoretisch für zwei Wochen am Leben erhalten. Praktisch ließ es sich nur drei Tage ohne frisches Wasser und feste Nahrung darin aushalten. Alles darüber hinaus wirkte sich katastrophal auf die Moral aus.
Ziel-, Status und Kommunikationsanzeigen erschienen vor meinen Augen. Der Zug hielt sich schwankend an den Haltegriffen fest, wartete auf die Landung, den Ausstieg, das Feuer.
>Bravo-Abschnitt meldet starkes Feuer!<, kam es aus dem Lautsprecher. >Eure Landezone ist heiß, Leute. Alles Gute. Ich hoffe sie hatten eine angenehme Reise und beehren uns bald wieder.<
Wir spürten den Gegenschub der Landungstriebwerke.
>Stimpack!<, befahl ich. Wir aktivierten den Booster. Sofort riss der Drogenstrom die Angst fort. Meine Hand umschloss eisern den Handgriff, die andere das Gewehr. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit durchfloss mich. Das Knurren der anderen kam durch meine Lautsprecher:
>Na los! Auf geht’s! Macht sie alle! Killen! Jaaaaaaa! Treten wir den Bananenköppen in den Arsch!<
In mir brannte die künstliche Mordlust. Meine Seele schrie nach Mord. Mein Geist aber war klar, ruhig, geduldig fast. Er wusste, er würde bald bekommen, wonach der Körper mit jeder Faser gierte. Und je ruhiger, je gründlicher er die Sache anging, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, länger leben, länger morden zu dürfen. Schlimm wurden die Drogen nur, wenn es keinen Feind gab, auf den man losgehen konnte. Kurzschluss.
Dann setzten wir auf. Die Rampe rasselte runter. Die ersten rannten raus. Ich sah wie sie fielen. Einer nach dem anderen wurde wie von unsichtbarer Hand gepackt, umgefegt. Leuchtspur kam aus dem roten Nebel, fraß sich durch meinen Zug, durch Cyndi, die vor mir stand. Das Feuer strich fort, anderswohin Tod tragend.
>Los raus!<
Ich schaffte es auf die Rampe und warf mich zur Seite in den Staub, griff mein Gewehr und robbte fort. Dumpf und leise schlugen Granaten ein, zerfetzen Metal wie Fleisch. Mein Helm dämpfte den Lärm, ließ nur die Stimmen meiner Leute durch, die schrieen, als die Leuchtspur sich besann, zurückkehrte und erneut die Rampe bestrich.
>Zur Seite! Zur Seite springen!<
Mein Ruf ging in den Todesschreien meiner Kinder unter.
Das Landungsschiff startete durch. Feuer prasselte an seiner Armierung ab. Es nahm die Hälfte des zwoten Zuges mit zurück in den Orbit, tot oder verwundet.
Wir Überlebenden krallten uns in die Erde und schossen in den roten Nebel.

>Sie kommen!<
>Feuer!< Der Infrarot-Sucher meines Gewehrs zeigte ein paar schwammige Flecken. Mehr war von dem Gegnern nicht zu sehen in dem undurchdringlichem Nebel. Ich zog ab. Die Schemen verschwanden, als sie sich in Deckung warfen. Sie erwiderten das Feuer. Der Mann neben mir wurde getroffen. >Oh<, sagte er noch ein wenig ungläubig. Dann sackte er zusammen und glitt den Hang des Granattrichters nach unten.
Wir hatten den Helmfunk ausgestellt, weil die Todesschreie jede Nachrichtenübermittlung vereitelten. Dann schon lieber die Einschläge und das Feuer.
Schüsse schlugen vor mir ein. Petterson feuerte.
>Halt<, rief ich der Handvoll Soldaten zu, die in diesem Trichter lag. >Feuer einstellen! Hört ihr nicht? Die schießen auch mit 47´ern.<
Petterson sah mich an.
>Scheiße, Feldwebel! Das kannst du doch gar nicht sagen. Bei dem Lärm!<
>Vertrau mir, Junge. Ich hab schon 47 ´er gehört, als du noch in die Hosen geschissen hast.<
>He, Frau Feldwebel! Ich glaub, dass ist bei Petterson gar nicht so lange her!<
>Halt bloß dein Maul, Älter, ja!<
>Haltet beide mal die Klappe!< Ich schob meinen Kopf über den Trichterrand und rief:
>He, ihr da drüben!<
Es kam keine Antwort.
Ein Pfeifen raste auf uns zu. >Granate!<
Ich sprang hinab. Es schlug am Rand des Trichter ein. Ich wurde durchgeschüttelt. Es regnete Steine und Erde auf mich. Dann traf mich etwas Schweres. Benommen wuchtete ich den Körper fort. Petterson. Helm und Brustpanzer waren zusammengequetscht wie eine Bierdose.
>Mir geht es gut.<, hörte ich mich sagen. >Mir geht es gut.< Ich rutschte von Petterson fort.
>Mich hat´s erwischt, Feldwebel!<, rief einer. Bewaffnete sprangen in den Krater.
>Wer hat das Kommando?<
Ich rappelte mich auf.
>Ich, Herr Major, Feldwebel Grabowski! Erste dreizwoundvierzig.<
Zwei Sturmtruppler schossen oben am Trichterrand.
>Wo ist der Kompanieführer?< Der Major legte sein Gewehr zur Seite und machte seine Kartentasche los.
>Hauptmann Gern ist vermisst. Tot wohl.< Ich sah wie Älter sich zu Petterson hinabbeugte.
>Wo ist der Rest ihrer Kompanie, Feldwebel?< Er zog eine Karte hervor, entfaltete sie. Er hielt sie hoch. Einschusslöcher waren darin. >Gut, dass ich auf die Karten bestanden habe<, murmelte er. >Der Laptop wäre jetzt hin.<
Älter hatte von Petterson gelassen und kümmerte sich um den Verwundeten. Oben wurde das Feuer stärker.
>Die meisten der Kompanie sind gefallen oder verwundet, Herr Major. Die haben uns mitten in ´ner Bunkerstellung rausgeworfen.<
Er nickte. Er zeigte auf die Karte.
>Richtig. Es sieht so aus, als hätten uns die Schwachköpfe von der Luftwaffe ganze zwei Kilometer westlich von unserer Landestelle abgesetzt. Sehn Sie? Hier.<
>Schweinerei!<
>Da gebe ich ihnen gerne Recht. Sehn Sie? Hier ist der Bunker. Zu dumm, dass der das Bombardement überstanden hat.<
Ja, zu dumm, dachte ich. Zu dumm, dass wir hier abgeworfen wurden, zu dumm, dass wir alle krepieren müssen, weil wir lächerliche zwei Kilometer abgekommen sind. Zu dumm auch, dass wir nun abgeschnitten waren. Eigentlich hätten seit geraumer Zeit die anderen Wellen anlanden sollen. Die kamen nun an dem richtigen Punkt runter. Wir saßen fest und bekamen keinen Nachschub, geschweige denn Unterstützung von schweren Waffen.
Wir kauerten uns hin, als eine Granate heranpfiff.
>Hören Sie, Feldwebel! Wir müssen diesen Bunker knacken. Wenn der uns noch länger festnagelt, sammeln sich die Bananenköppe noch und überrennen uns. Das wollen wir doch nicht, oder?<
>Nein, Herr Major. Aber wir haben keine schweren Waffen. Wie sollen wir den Bunker denn einnehmen?<
>Wir werden ja wohl noch ein paar Panzerabwehrraketen haben. Sehn sie hier. Dort befindet sich der Bunker. Die feindliche Gegenwehr konzentriert sich auf diesen Punkt. Ich glaube, wir haben die Bananenköppe ordentlich überrascht. Aber wenn wir jetzt nicht schnell machen, Feldwebel, führen sie Verstärkung heran. Dann ist es hier nicht mehr so gemütlich wie jetzt. Zweihundert Meter vor der Bunkerstellung verläuft ein trockenes Flussbett. Unteroffizier Gräbe hat es ausgekundschaftet. Eine ideale Ausgangsstellung für einen Angriff. Hier, sehn Sie...<
>Ein Frontalangriff?< Das konnte nicht sein Ernst sein. Wenn die Bunkerbesatzung mit Wärmesensoren ausgestattet war, würden sie uns selbst in dem roten Staub frühzeitig entdecken. Dann brauchte sie nur in die Staubwand zu feuern und zu beten, dass ihr die Munition nicht ausging, ehe wir alle tot waren.
>Ja, genau, Feldwebel. Hier. Fünfzig Meter vor der Stellung liegt ein Hang. Dort gehen Sie in Stellung und knacken den Bunker mit der PAR.<
>Herr Major. Bei allem gebührendem Respekt. Das ist doch Wahnsinn. Wir können Sie denn erwarten, dass wir hundertfünfzig Meter übers offene Feld schaffen?<
Ich sah sein Gesicht hinter dem getöntem Visier nicht. Sein Stimme aber war fest.
>Sie nehmen ihre Stimpacks und ran!<
Das wurde ja immer besser.
>Herr Major. Wir haben alle beim Absetzen Stimpacks genommen. Das ist keine Stunde her. Dienstvorschrift Nr. 23a untersagt ausdrücklich die erneute Verwendung von Stimpacks vor Ablauf von mindestens sechs Stunden.<
>Das ist mir scheißegal, Feldwebel. Sie sammeln jetzt ihre Männer und rücken ab. Und vor dem Angriff boosten Sie sich! Das ist ein Befehl!<, schrie er.
>Dann bitte ich den Herrn Major, mir diesen Befehl schriftlich zu geben<, sagte ich. Ich war seit zwanzig Jahren beim Verein und hatte noch ganz andere als den Major getroffen. Offizieren kam man am besten mit Schriftlichem. Das schienen sie zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Vielleicht weil es sie dazu zwang, ihre Anweisungen noch einmal auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
>Sehe ich wie eine wandelnde Schreibstube aus, Mann?<
>Ich bin eine Frau, Herr Major.< Wir sahen alle gleich aus in unseren Rüstungen. Rangabzeichen und Namenschild gaben alle Information, die man brauchte. Die vom Helmlautsprecher verzerrte Stimme war auch kein sicheres Indiz. Vor Gott und in der Sturmtruppe sind alle gleich.
>Dann ersuche ich Sie ihren Befehl vor zwei weiteren Zeugen zu wiederholen Herr Major.<
>Wie können...<, fuhr er mich an, besann sich und sprach dann ruhig:
>Hören Sie, Frau Feldwebel. Vielleicht sterben ein paar an einer Überdosis, aber was glauben Sie wie hoch ihre Aussicht ist, es zu schaffen, wenn Sie sich nicht boosten? Wie viele müssen dann durch ihren Starrsinn dran glauben?< Er faltete die Karte zusammen, nahm sein Gewehr auf. Der Lauf zeigte wie zufällig auf mich.
>Überlegen Sie es sich, Frau Feldwebel! Angreifen müssen Sie. Auf die eine oder andere Weise.<
Ich atmete aus. Ich nickte. >Gut<, sagte ich.
Zufrieden packte er mich an der Schulter. >Na, also. Auf geht´s!< Er erhob sich und krabbelte den Krater hinauf. Ich befahl den Aufbruch. Älter stand wieder an Pettersons Leichnam.
>Alles klar bei dir, Älter?<, fragte ich. Er schaute auf.
>Alles klar, Frau Feldwebel.<, sagte er. >Es ist nur...<
>Ja?<
>Ach, weißt du, Frau Feldwebel, es tut mir leid, dass ich Petterson veralbert habe. So etwas sollte man nicht als letztes zu hören bekommen, ehe man stirbt. Meinst du nicht auch?<
Ich konnte das Schluchzen in seiner Stimme hören. Wenn die Drogen nachließen wurde man oft schwermütig. Ich griff ihn am Arm.
>Ich hatte ihn doch gern<, sagte er.
>Ich weiß, Ernst. Und Petterson wusste es auch. Komm! Wir müssen los.<
Wir krochen über den Krater ins Feuer. Petterson und den Verwundeten ließen wir zurück.

Das Geschützfeuer ließ nach, konzentrierte sich auf die anderen Landezonen, wo nun Welle auf Welle von Sturmtruppen anbrandete. Gewehrfeuer kam uns nur vereinzelt entgegen. Das verschaffte uns Luft. Wir sammelten wen wir fanden. Bald kauerten an die hundert Mann in dem ausgetrockneten Flussbett. Ganze hundert Mann, zusammengewürfelt aus fünf Kompanien. Die verlorenen Kinder.
Der Tag rückte voran. Mit ihm stieg die Temperatur. Selbst ohne uns zu bewegen, schwitzen wir bereits stark in den Rüstungen. Die Sonne brannte auf die Staubwolke. Sehen konnten wir sie nicht. Auch den Bunker nicht. Nur das entsetzliche Geräusch und das Aufblitzen des Mündungsfeuers seiner Geschütze verriet uns seine Lage. Zwei Siebensechszwoer, ähnlichen unseren Gatlinggeschützen. Ihre rotierenden Läufe bliesen sechstausend Schuss pro Minute raus. Das war nicht gut.
Wir hatten uns in drei Gruppen aufgeteilt. Die linke und rechte Flanke sollte mit zwei kostbaren PARs voranstürmen, die Mitte den Bunker mit ihren 47´gern belegen. Der Rest meiner Kompanie steckte im linken Flügel. Den rechten befehligte Unteroffizier Gräbe. Herr Major zog es vor, die Mitte zu koordinieren.
Dann ging es los. Die 47´er schossen.
>Stimpacks!<, schrie ich. Wir drückten den Booster. Ich spürte den Schub, spürte mein Herz wummern, als ich über den Rand der Deckung sprang. Es war, als wolle es mehr Blut durch meine Adern pressen, als diese aufnehmen konnten, als staue sich die Mordlust, als arbeite mein Herz in einer wahnsinnigen Frequenz, die nicht viel hinter der der Bunkergeschütze zurücklag, die nun zu feuern begannen. Ich spürte wie Geschoss- und Rüstungstrümmer auf mir einschlugen, als ein Soldat neben mir zerfetzt wurde. Ich machte mich lang, wartete, bis das Feuer fortstrich. Meine Mordlust brachte mich auf die Beine. Ich konnte nichts sehen. Zu dem Staub legte sich nun auch ein Nebel vor meine Augen. Ich bekam kaum Luft. Mein Puls schien in meinem Kopf zu schlagen. Als wollte er ihn zertrümmern. Links und rechts liefen, fielen, starben sie. Ich betete. Rannte. Meine Kameraden neben mir trieben mich weiter. Ich feuerte. Blindlings, aber es verlieh mir das Gefühl mich schützen zu können, nicht ein Spielball der Wahrscheinlichkeit zu sein, Einfluss zu nehmen.
Links schrie Älter im Rausch. Isaak überrannte mich. Ich verfluchte meine Körpergröße. Mit einssiebenundfünfzig hatte ich einfach zu kurze Beine für diesen Sprint. Granatfeuer setzte ein. Fast eine Erlösung. Die Explosionen störten die Wärmesensoren. Ein Schrei. Wo war Älter? Dort. Gott erbarme dich unser, schrie ich während ich feuerte, blind, bis die Munition aus war und ich mich an dem Hang unterhalb des Bunkers in Deckung schmiss. Wir luden nach. Feuerten. Warteten auf die anderen. Gaben Deckung. Viele kamen nicht. Nur zwanzig. Gottlob hatten wir eine PAR durchs Feuer gebracht.

>Gib mir eine Minute, Feldwebel<, keuchte der Soldat. Er hieß Thomsen und rühmte sich der beste PAR-Schütze seiner Kompanie zu sein. Die war allerdings nur noch sieben Mann stark.
Er hatte sich in den Hang gepresst und atmete nun schwer. Wir alle. Der Lauf war mörderisch gewesen. Er hielt mir seine Hand hin.
>In einer Minute hört das Zittern bestimmt auf.<
>Ich geb dir zwei<, stieß ich hervor. >Vorher kann ich nicht weiter. Keiner von uns.<
Das Feuer strich den Hang ab, fraß einem Mann, der seine Hacken nicht eingezogen hatte, den Fuß ab. Er schrie, bäumte sich auf. Ehe seine Kameraden ihn niederdrücken konnten, traf es ihn. Dutzende Einschläge zerrissen ihn. Die MKR II schützte gut gegen kleinkalibrige Waffen, Stoß- und Schrapnellwirkung und vor dem Explosionsdruck. Der konnte die Lungen zum Platzen bringen. Panzerbrechende Hochgeschwindigkeitsgeschosse wirkten sich verheerend aus. Sie durchschlugen den Panzer nicht, sie zerrissen ihn förmlich. Die Splitter verursachten böse Wunden. Die Zahl der Verwundeten nahm bei dieser Munitionsart dementsprechend ab.
Ich sah mir meine Kinder an. Die meisten waren fertig. Die Anstrengung und die Drogen hatten sie erschöpft. Ich hörte sie hecheln. Ich atmete tief ein. >Hört mal her!<, rief ich.
>Wir machen es so: zwei Gruppen robben links und rechts den Hang entlang. So weit es eben die Deckung hergibt. Die dritte mit Thomsen bleibt hier. Hand aufs Herz. Wer kann nicht mehr?< Sieben Mann meldeten sich.
>Ist keine Schande.<, sagte ich ihnen. >Ihr bleibt hier und gebt Thomsen mit den 47´ern Deckung. Auf geht´s!<
Ich robbte mit meiner Gruppe nach links. Soldat Gylf führte die rechte Gruppe. Unteroffizier Gräbe war nicht gekommen.
Nach zehn Metern endete der tote Winkel. Wir ruhten uns einen Augenblick aus. Ich schob meinen Kopf über den Rand. Zog ihn zurück. Kugeln klatschten über mir auf die Erde. Ich hatte den Bunker gesehen. Ein kleiner, unscheinbarer Schemen in dem Staub. Aus seiner Schießscharte flammte Geschützfeuer auf.
>Los!< Ich sprang auf. 47´er bellten los. Ich sah ihre Einschläge auf dem Beton. Ich rannte. Die Anstrengung schloss sich wie eine Klaue um mein Herz. Ich bekam keine Luft. Der Drang liegen zu bleiben, das Visier aufzureißen, war übermächtig. Meine Kameraden trieben mich weiter. Sie rannten. Ich mit ihnen. Das Feuer warf sie um, wanderte zur Mitte, schlug in der rechten Gruppe ein. Ich wandte den Oberkörper. Sah Älter neben mir. Sah den Abschuss, als Thomsen den Auslöser der PAR durchzog. Mit lautem Zischen schob sich die Rakete durch den roten Staub, fast anmutig langsam. Gott! Sie schlug ein. Thomsen, du Teufelskerl! Durch die Schießscharte. Jaaaaaa! Ich rannte. Das Feuer verstummte für einen Augenblick. Dann brach es wieder los. Keine gleißende Explosion verglühte den Bunker. Blindgänger. Aber der kurze Augenblick der Verwirrung rettete uns. Wir erreichten die Stellung, umgingen sie seitlich, sprangen feuernd in den Schützengraben hinab.
>Vorwärts!< Ich verfeuerte mein Magazin. Älter ging vor, bis der Graben abknickte. Ich lud durch. Älter sicherte. Ich warf eine Granate um die Ecke, presste mich an die Grabenwand. Es krachte. Splitter regneten an mir vorbei. Ran! Feuer! Die anderen rückten nach. Ich lud ein neues Magazin nach. Dann war es ruhig. Der Graben war leer. Niemand war da. Waffen und Munitionsreste lagen herum. Alles sah so aus, als habe man überstürzt die Stellung geräumt.
Kein Bananenkopp, weder tot noch lebend. Ein Stichgraben führte in eine rückwärtige Stellung. Zwei Mann sicherten ihn gegen mögliche Eindringlinge. Isaak, Älter und Gefreiter Moraff von dritten Zug folgten mir bis zum Bunker. Die stählerne Sicherheitstür stand offen.
Wir hörten die Geschütze. Dann wurde es still.
>Granate!<, forderte ich Älter auf. Er zögerte.
>Granate, Älter. Was ist?<
>Sollten wir sie nicht auffordern sich zu ergeben?<, meinte er. Seine Stimme hörte sich ein wenig beschämt an. Das Blut rauschte in meinem Kopf. Von der Aufregung, nicht länger von der Mordgier. Die Erschöpfung hatte sie fortgewischt, ohne dass es mir bewusst geworden war. Ich war es, die sich schämen sollte. Was konnte es schaden?
>Also gut, Älter. Versuch macht klug. Du sprichst doch ihre Sprache?<
>Ja, so einigermaßen. Was soll ich sagen?<
Ich überlegte. >Sag einfach, sie sollen sich ergeben und raus kommen, sonst verpassen wir ihnen eine Handgranate.<
Älter schob sich an den Eingang und fing auf einmal an zu kichern. Er drehte sich zu uns um.
>Frau Feldwebel, ich weiß nicht, was Handgranate auf Peregrin heißt.< Er zuckte mit den Schultern, lachte und schüttelte sich.
>Ich war doch auf einer zivilen Universität<, schluchzte er. >Da hab ich das Wort einfach nie gebraucht. Handgranate. Meine Examensarbeit ging um den Symbolismus in den Sonetten des großen Quiriten Palm. Hab sie alle übersetzt. Aber Handgranate...<
Er sah auf. >...nur unnutzes Zeug gelernt.<
Ich legte ihm die Hand an die Schulter.
Isaak sah mich an. >Vielleicht<, begann er. >Na ja, Ernst. Vielleicht kannst du es ja umschreiben. So etwas wie: Wir verpassen euch ein Ei, das explodiert.<
>Oder Ei, das bumm macht<, sagte Moraff hilfreich.
>Das geht vielleicht.<, meinte Älter. Er schrie einige kehlige Worte in den Eingang.
Es kam keine Antwort. Die Geschütze feuerten wieder. Älter nahm eine Granate, zog den Sicherungsstift ab und warf. Wir drückten uns links und rechts in Deckung. Wumm. Rein. Wir schossen in den Qualm. Der Sucher meines 47´ers erfasste niemanden. Die Geschütze schossen unaufhörlich weiter. Dann erstarb das Feuer. Nur das leere Rotieren der Läufe des Doppelgeschützes war zu vernehmen. Isaak hatte die Munitionszufuhr unterbrochen.
Langsam löste sich der Qualm. Wir standen erstarrt da. Dann fing Moraff an zu lachen. Erst ein leises Kichern, bald schallendes Gelächter.
>Moraff, reiß dich zusammen!<, schnauzte ich ihn an. Mehr brachte ich nicht raus.
>Mann, Feldwebel!<, kreischte er. >Guck dir das mal an. Nichts! Niemand hier!<
Er trat gegen die Geschütze. >Nur diese Scheißdinger!< Er ging zu Isaak, schüttelte ihn an den Schultern. >Nur diese Scheißdinger. Computer gesteuert!< Sein Lachen wurde immer hysterischer. Er hatte recht. Man konnte nur lachen oder weinen. Hier gab es keine Bananenköppe, keinen Sammelpunkt für einen Gegenangriff, keinen Feind, der uns überrennen konnte. Nur zwei Geschütze, die darauf programmiert waren, alles und jeden zu vernichten, der vor ihren Lauf kam.
>Nur diese Scheißdinger!< Moraff fasste sich an die Rüstung, über der Brust. Er röchelte, sackte zusammen. >Ich...ich...Luft..<
>Scheiße. Er hat einen Infarkt!<, schrie ich. Wir sprangen zu ihm. Ich löste den Helm. Sein Gesicht war blau, sein olivefarbenes Kopftuch schweißgetränkt. Er hatte die Augen weit aufgerissen. >Stirb nicht, stirb nicht!<, schrie Isaak. Aber als wir endlich die Rüstung herunter hatten, war Moraff bereits tot. Kurzschluss.

Vom rechten Trupp hatten vier Mann überlebt. Wir sicherten den Bunker. Wir schickten einen Melder los. Der kam unbeschadet zu dem Flussbett. Herr Major rückte an, ließ die Überlebenden in Stellung gehen. An ein weiteres Vorgehen war nicht zu denken. Nach vier Stunden gelangten Abteilungen von den anderen Landezonen zu uns. Der Feind war nach hartnäckiger Gegenwehr von dort geflohen. Insgesamt war die Operation ein voller Erfolg. Es bestätigte sich wieder einmal des alte Wort bei den Sturmtruppen: Der Tod vor Augen nimmt dem Soldaten die Sicht auf das größere Ganze.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5364 Beiträge veröffentlicht!