Tv-Leap: Dex and the City
von Carsten Maday

Kapitel
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>Ich habe die Schnauzte voll<, sagte ich den Tränen nah aber an der Verzweiflung längst angekommen. Ich stürzte den letzten Rest meines Kaffees herunter, verschlang das mikroskopisch kleine Stückchen Gebäck auf der Untertasse und stieß zum Entsetzen meiner Freundinnen die Gabel kalorienverachtend in das Stück Torte. Meine Freundinnen sahen mich mit einer Mischung aus Mitleid und Neid an. Ich musste nichts sagen. Zwei Stück Torte am helllichten Tag in aller Öffentlichkeit verrieten den drei Frauen am Tisch alles. Nur eines konnte in ihrer Welt eine Frau so nahe an den Abgrund bringen.
>Okay<, sagte Pamela, die große, schlanke Brünette, die harte Anwältin, die Männer reihenweise zum Frühstück vernaschte und sich doch in ihrem tiefen Inneren, das längst nicht so tief war, wie sie vorgab, nach dem Einen sehnte.
>Wie heißt der Kerl<, fragte sie und ergriff beistehend meine Hand. Ich stieß einen verzweifelten Seufzer aus und mit ihm Sahne und Krümel, von dem einiges auf Miras Kostüm landete. Mira war meine beste Freundin und meine Verlegerin. Sie war klein, blond und süß, liebte Hunde und Kinder und sehnte sich nach dem Einen, mit dem sie beides haben konnte.
>Ach, Männer<, sagte schließlich Kate, ein feuriger Rotschopf, Zynikerin, durch eine Scheidung wohlhabend und verbittert geworden. Sie hatte der Liebe abgeschworen und ihre regelmäßigen Rückfälle hatten sie darin nur bestätigt. Sie hatte eine harte Schale, aber der weiche Kern sehnte sich nach dem Einen mit dem richtigen Nussknacker.
Die drei sahen mich gespannt an. Sie erwarteten eine Geschichte, einen Namen, einen Mann. Aber es gab keinen.
>Es gibt keinen Mann<, sagte ich zwischen zwei Bissen.
>Ja, aber was hast du dann<, fragte Pam überrascht. Und das war mein Problem. Was sollte ich sagen? Dass das Leben in einer fiktionalen, alternierenden Realität, in dem ich in immer neue Rollen von schlechten Filmen und Serien sprang, mich langsam mürbe, mich wahnsinnig machte? Gebetet hatte ich, wieder und wieder, dass das Schicksal, Gott oder wer auch immer sich meiner erbarmen sollte, mich vielleicht nicht erlösen, aber mich zumindest einmal in einen Film scheuchen sollte, in dem man mir nicht nach dem Leben trachtete, nein, wo das Leben friedlich war und der Tod, besondern meiner, nicht im Script stand.
>Verfluchter Dreck<, spie ich frustriert eine Sahnefontäne aus. >Konnte ja nicht ahnen, dass jemand auf mich hört.< Ich sah in die vollendet geschminkten Gesichter meiner Freundinnen, in die sich neben Sorge langsam auch Angst schlich.
>Ich frage mich, wer ich bin<, schniefte ich leise vor mich hin.
>Du bist Terry<, sagte Mira mitfühlend. >Terry, die liebenswürdige, chaotische Schriftstellerin, mit dem bestechenden Blick für die menschliche Interaktion.<
>Ich weiß<, sagte ich. >Das stand auf dem Einband meines letzten Buches.<
>Komm schon<, sagte Pam. >Du bist eine moderne Frau, die ihren Platz in der Welt längst gefunden hat. Wir brauchen keine Männer dazu-<
An dieser Stelle nahm das Verhängnis seinen Lauf. Eines der unzähligen Probleme, die das Leben in alterierenden, fiktionalen Realitäten, mit sich brachte, war, dass man mit niemanden darüber sprechen konnte. Die Leute reagierten erstaunlich unaufgeschlossen darauf, wenn man ihnen sagte, sie wären nur billige Produkte skrupelloser Drehbuchautoren. Die Wahrheit aber wollte hinaus und ließ sich nicht ewig verschweigen. Der Druck wuchs, bis er sich endlich in regelmäßigen Abständen mit der Unaufhaltsamkeit eines Vulkanausbruchs Luft verschaffen musste.
Ich sprang von meinem Stuhl auf, fuchtelte wild mit der Kuchengabel und schrie:
>Scheiß auf die Männer!<
>Amen<, kommentierte Kate, was mich noch mehr in Rage brachte.
>Verflucht, so habe ich das doch nicht gemeint. Wie wollt ihr denn auch sie scheißen, wenn sich euer ganzes Leben nur um sie dreht, hä? Ihr denkt die ganze Zeit an sie. Und denkt ihr mal nicht an sie, dann redet ihr darüber. Ununterbrochen, endlos, ohne dass je eine gelernte Lektion irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht. Man trifft Kerl, Kerl verlässt einen, man hat eine wilde und amüsante Sigle-Phase, und dann ist es so, als drücke einer die Reset-Taste und das System wird neu hochgefahren und der alte Beziehungsspeicher gelöscht. Und plötzlich liegt etwas in der Luft, ein Kribbeln, der Hauch einer Vorahnung, und man trifft unversehens einen Kerl.<
Sämtliche Gäste und die Belegschaft des trendigen und ruinösen Lokals sahen mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
>Entschuldigung<, sagte ich laut und setzte mich wieder. >Mein Freund hat mich heute verlassen<, schniefte ich entschuldigend. Verständnisvolles Gemurmel, wildfremde Frau riefen ein paar aufmunternde Worte zu mir herüber. Ich schoss wie ein geölter Blitz wieder aus meinem Stuhl.
>Was tut ihr?<, rief ich aufgebracht und genoss das befreiende Gefühl, als meine Frustration sich in einem weiteren Kuchengabelmonolog Luft verschaffte.
>Ihr seht eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, die zwei Stück Kuchen (entsetztes Raunen im Lokal) verschlingt und sich öffentlich lächerlich macht, aber sobald sie sagt, dass ein Mann daran schuld ist, ist alles in Ordnung? Ist das weibliche Solidarität? So etwas gibt es doch gar nicht. Seht uns nur an. Wir vier, die besten Freundinnen. Und doch belauern wir uns schärfer als die Sowjets und die USA im Kalten Krieg. Bei jedem Treffen: was trägt sie, hat sie zu genommen, ist sie dünner, attraktiver als ich? Seht Euch nur alle an, so dünn und makellos schön. Wir sitzen in einem Cafe, klatschen und tratschen und die Kellnerin sieht mich schockiert an, wenn ich zu meinem Kaffee ein Stück Kuchen möchte anstatt eines Salates, dessen Namen ich noch nicht einmal aussprechen kann. Das hier ist doch nicht normal. Das ist Amerika. Wo sind die Fetten? Versteckt hinter den dünnen? Wir sorgen uns so um unser Aussehen, dass wir uns um den Schlaf bringen. Lasst wohlbeleibte Menschen um mich sein, die Nachts gut schlafen, rufe ich.< Ich warf Pam einen vernichtenden Blick zu.
>Moderne Frauen sollen wir sein, die ihren Platz in der Welt gefunden haben? Ja, wie denn, um Himmels Willen? Wie sollen wir den Platz in einer Welt finden, von der auch nichts das geringste wissen. Wir sind gut ausgebildet, harte Workaholics, intelligent, kennen uns aus im Job und Beziehungen. Ja, verflucht ist das denn alles? Was ist mit der Welt, in der wir unseren Platz gefunden haben? Wie sieht sie aus? Politik, Geschichte? Wann haben wir jemals darüber gesprochen? Nie? Was für ein hohles Rollenvorbild soll das sein. Es leben die Egozentriker dieser Welt. Sie sehen stets von ihrem Mittelpunkt die Welt um sich herum. Aber zumindest sehen sie noch die Welt. Wir sind über dieses Stadium längst hinaus. Die Emanzipation war keine Befreiung, nein, lediglich die Verlegung in ein anderes Gefängnis. Die Zellen sind größer, die Aussicht besser und wir stellen selbst die Wachen.<
Ich ging vor Wut schäumend zum Ausgang und trat hinaus in den ewigen Trubel von New York, den eiligen Fußgängern, den lärmenden Taxis und rauschenden Bussen. Ich wartete an einer Ampel auf grün, als meine Freundinnen mich einholten. Die waren zu besorgt um beleidigt zu sein.
>Oh, mein Gott, Terry, was ist nur mir dir<, fragte Kate bestürzt.
>Ich kann einfach nicht mehr<, sagte ich. >Ich bin so müde. Es ist wie mit meinen Schuhen. Alle wollen sie, aber mich bringen sie um.<
>Oh, mein Gott<, stieß Mira hervor. >Terry, du Biest, du hast die neuen Manolos!< Die beiden anderen sahen ebenfalls aus meine Schuhe. Ich wollte etwas sagen, aber die Frustration hatte sich in Resignation aufgelöst. Ich zuckte mit den Schultern, zog die Schuhe aus und ging barfuss über die Straße.
>Ich rufe euch morgen an, Mädels<, rief ich über die Schulter zurück.
>Aber wohin gehst du<, rief Mira.
>Ich gehe nach Hause und spiele mit meinen Brü-< Dann erwischte mich der Bus.

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