MIT TRETEN UND TORKELN
von Jürgen Karl Otto Bartsch (bartsch)

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Wie der Bodensee zum Wein kam

MIT TRETEN UND TORKELN
Wie der Bodensee zum Wein kam.
Von
Jürgen Karl Otto Bartsch


Hinweis:
Originaltext mit vielen Bildern hier …
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–> Seepferd
–> Wein


„Wir leben in einem begnadeten Landstrich, der für seinen Weinbau nachgerade berühmt, ach was, weltberühmt ist.“ So spricht er, der Bodenseeschwabe, und er outet sich dadurch als besserer Mensch, als Kenner nämlich, fest verwurzelt in der Tradition seiner Heimat. Mithin als Träger einer soliden Weltanschauung zudem.
Worum geht es? Um eine trinkbare Lösung von zumeist zehn bis 13 Prozent Alkohol und etwa 20 bis 30 Promille anderer Substanzen in Wasser. Die Flüssigkeit wird durch Gärung aus dem Saft frisch gepresster Trauben gewonnen. Das ist die eine, die sachliche Seite des Weines, die haargenau niemanden interessiert. Abgesehen von ein paar Chemikern vielleicht, tagsüber …
Ganz anders, wenn Herzblut ins Spiel gerät:?„Unser Wein!“ Gerade am Bodensee gehört es zum guten Ton, unverzüglich und eindeutig Stellung zu beziehen. „Unser Wein ghört zu den beschten Weinen der Repeblick. Er ischt Teil unserer seeschwäbischen Identität! Hawa!“ Spielt es eine Rolle, dass er zwar grenzenlos überzeugt, aber eben auch ein bisschen ahnungslos ist, der Seeschwabe …

Zwar gehört Wein schon irgendwie in die Region, nach Lindau ein bisschen, und nach Meersburg, vor allem, oder nach Salem. Nur … auf der einen Seite des Sees sind es Bayern, die den weinmäßigen Weltruf des Bodensees begründen, und auf der anderen Seite eben Badener. Nur Kressbronn rettet den schwäbischen Ruf und wird vom einen oder anderen Autor als Württembergs südlichste Weingemeinde aufgeführt. Doch es hilft nichts: Schwäbischer Wein ist eine Sache von Stuttgart, Tübingen und Heilbronn.
Immerhin ist der See von reger Weinkultur umzingelt. Und der Seeschwabe – wenn schon nicht Produzent – versteht sich wenigstens auf die andere Seite: auf das Trinken. Allerdings war das nicht immer so. Wie wir nämlich aus der Geschichte wissen, unterscheidet sich der Geschmack des modernen Bodenseeweins ziemlich gravierend von dem, der bis ins 19. Jahrhundert dort angebaut wurde. Der frühere war arg trocken.
Überliefert ist die Geschichte des Streits zweier Bodenseewinzer. Der eine schimpfte den Wein des anderen als so sauer, dass er Löcher in den Magen brenne. Der andere konterte: „Und deiner ist so sauer, dass er die Löcher sofort wieder zuzieht.“
Tatsächlich entschied sich der Teufel der Sage nach – vom lieben Gott ob seiner Missetaten vor die Wahl gestellt, entweder täglich ein Gläsle Seewein zu trinken oder in der Hölle zu schmoren – für das kleinere Übel, wie man weiß. Und obwohl man aus diesem Beispiel ersieht, dass der Weinbau am Bodensee doch zuweilen ziemlich hochrangige Stellen beschäftigte, begann er eher schüchtern, als Hobby römischer Legionäre und Veteranen. Das war vor relativ genau 2 000 Jahren.

Wirtschaftspolitik …
Einen ersten Aufschwung erfuhr der süddeutsche Weinbau als Akt offener Rebellion gegen die Wirtschaftspolitik des römischen Kaisers Domitian. Domitian, der von 81 bis 96 seinem Beruf als Herrscher nachging, sah sich seinerzeit mit massiven Forderungen seiner eigenen – also italienischen – Weinbauern konfrontiert, den Anbau von Reben in den unzivilisierten nördlichen Provinzen ein für allemal zu beenden. Die entsprechend folgsame Anordnung des Kaisers führte dazu, dass überall nördlich von Italien Reben ausgerissen wurden. Dies wiederum hatte drei Folgen, eine offizielle, eine nicht ganz offizielle und eine historisch bedeutsame. In der offiziellen Folge genoss der hiesige Trinker fortan italienischen Importwein, ganz im Sinne der Verordnung. Das war stilvoll, es entsprach dem Stand und den Gepflogenheiten der damaligen Kultur, und es war ziemlich unbezahlbar.
Notgedrungen kam es unmittelbar nach Domitians Dekret zur zweiten, nicht ganz so offiziellen und auch nicht gänzlich stillosen Folge. Die Anordnung trieb den nordalpinen Weinbauern quasi unverzüglich in den Untergrund. Angesichts eines solch schwachsinnigen Gesetzes baute er seinen Wein eben heimlich an.
Und drittens führte die offensichtliche Weltfremdheit der Verordnung Domitians bereits rund 180 Jahre und wenige Kaiser später zur Abschaffung des Weinanbauverbots. Der mutige und weitsichtige Herrscher Aurelius Probus (auch er Berufskaiser) hob das unglückselige Gesetz Domitians wieder auf. Das war um das Jahr 250.

… und Leidenschaft
Bis heute gilt Aurelius Probus (nach dem keineswegs die Wein-„Probe“ benannt wurde) als Vater des Weinbaus in Deutschland. Doch erst aus dem achten und neunten Jahrhundert erreichen uns Berichte über erste Anpflanzungen in unserer Region. Der absolut erste Ort war Manzell beim heutigen Friedrichshafen im Jahre 812.
In diesem Jahr war Karl der Große gerade seit zwölf Jahren Berufskaiser. Das ist insofern erheblich, als ebendieser Karl der Große als größter Freund des Weinbaus in die Geschichte einging. Tatsächlich ließ er in seinem gesamten Reich – also ungefähr Europa – Weinberge anlegen, beispielsweise die Weingebiete entlang des Rheins und der Mosel. Und im Zuge dieser Bewegung in vino et veritas („in Wein und Wahrheit“ – oder so) kam der Wein letztlich auch wieder an den schwäbischen Teil des Schwäbischen Meers. Allerdings waren die Badener und Thurgauer in dieser Angelegenheit ein bisschen früher. Im Thurgau entstanden die ersten Weinberge um 670, und vom badischen Weinbau auf der Reichenau hören wir ab 724.
Jedenfalls, nach Karl dem Großen stand dem zügigen Ausbau des Weinbaus nichts mehr im Wege. In der Tat entwickelte er sich am Bodensee zu einem Wirtschaftsfaktor ersten Ranges. Führende Weinstädte waren Buchhorn, Ravensburg, Lindau, Konstanz und vor allem Überlingen, das den weitaus größten Rebbesitz innehatte, ferner Markdorf, Hagnau und Immenstaad.

Sechs Pfennig für‘s Treten
Im Mittelalter entwickelte sich der Wein zum Volksgetränk, gerade auch in Süddeutschland. Der Weinbau hingegen wurde hier vor allem vom Adel und von der Geistlichkeit gepflegt, was zu einer starken Konzentration auf wenige und recht große Weingüter führte. Bis heute bewirtschaften nur vier Unternehmen beinahe die Hälfte der gesamten Rebfläche im deutschen Bodenseeraum. Diese sind das Markgräfliche Weingut in Salem, das Staatsweingut in Meersburg sowie die Spitalweingüter Konstanz und Überlingen.
Allerdings entsprach der mittelalterliche Weingeschmack nicht unbedingt unserer heutigen Vorstellung von einem guten Tropfen: „Nimm Eier mitsamt der Schalen, darzuo Milch und Mehl und rüehr das ineinander: macht schön Win.“

Der Siegeszug der Technik
In Verbindung mit der massenhaften Verbreitung des Weines veränderten sich auch die Methoden der Herstellung. Noch im 14. Jahrhundert wurde der Saft mit den Füßen aus den Trauben herausgetreten. Das hatte den Vorzug, daß die harten Bestandteile der Früchte – Kerne und Stiele – nicht zerquetscht wurden, die den Wein bitter machen. Aus dem Jahre 1864 ist bekannt, dass Überlingen einen Tagelohn von sechs Pfennigen an jeden Treter zahlte.
Wenig später war das, was Kaiser Karl schon Jahrhunderte vorher wollte, endlich erreicht. Dank einer Erfindung, die die alten Griechen bereits Jahrtausende früher gemacht hatten, berührte kein menschlicher Fuß mehr die Weintrauben. Diese Erfindung ist der Torkel, der seinen Namen nicht etwa von glückseligen Menschen in seiner Umgebung hatte, sondern vom lateinischen Wort torquere (= drehen) abgeleitet war. Mit ihm wurden die Trauben quasi maschinell ausgepresst.
Der Torkel wurde aus riesigen Eichenstämmen hergestellt und vom neu entstandenen Berufsbild des Torkelmeisters beaufsichtigt. Bereits um 1600 besaß Überlingen allein 110 Torkel, Markdorf hatte 60, Hagnau 26 und Ravensburg 17. Weil aber auf diese Art der Wein zunehmend in Strömen floss, brauchte es bald ein wenig Messbarkeit. Denn was nützt der beste Geschmack, wenn man ihn nicht begründen kann?
Folglich kam den Winzern – und dem deutschen Gesetzgeber – eine Erfindung des Pforzheimer Goldschmieds Ferdinand Öchsle (1774 bis 1852) gerade recht, die Mostwaage. Mit ihr kann man nachwiegen, um wieviel das spezifische Gewicht des Mosts höher liegt als das von Wasser. Und es lohnt sich, das zu wissen; aus der Differenz errechnet sich der Zuckergehalt des Mosts. So geben die berühmten und in neuerer Zeit ein wenig umstrittenen Öchslegrade einfach das Gewicht von einem Liter Most an, das über 1 000 Gramm liegt. In Deutschland regelt das Weingesetz die verschiedenen Qualitätsstufen des Weines nach eben diesen Öchslegraden.
Ob einem selbst aber ein bestimmter Wein schmeckt, darüber sagt das Weingesetz eigentlich nichts. Da muss man schon selbst aktiv werden. Wenn‘s auch schwerfällt …

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