TV-Leap: Die Power Shaolin vs. Meister Ling Liu
von Carsten Maday

Kapitel
 

Ich schloss die Augen und barg mein Gesicht in meinen krallenbewehrten Händen. Verwirrt spürte ich die langen Fangzähne in meinem Gesicht. Ich legte meine Hände schnell auf die Armlehnen meines Thrones, zählte ruhig bis zehn und öffnete dann müde die Augen.
Vor mir lag ein prachtvoller, GEZEICHNETER Thronsaal. Am Ende des Saals befand sich eine riesige Flügeltür. Von dort führte ein roter Teppich, links und rechts von Säulenreihen flankiert, bis zu mir. Vor der Flügeltür und an jeder Säule standen Wachen in schwerer Rüstung und mit Speeren. Stilisierte Tierhelme verbargen ihre Gesichter. Vor mir stand das Grüppchen meiner Untertanen und sah mich abwartend an. Einen Schritt vor der Gruppe stand das werwolfartige Wesen. Ich kannte es. In meiner Erinnerung war es allerdings irgendwie weniger gezeichnet, aber ja, das Gesicht und die Züge...
>Faulige Bestie des Krieges<, fragte ich zaghaft.
>Ja, Meister?<, sabberte das Untier zwischen seinen spitzen Zähnen hervor. Ich vergrub mein Gesicht erneut in meinen Klauen.
>Oh nein, ich bin Meister Ling Liu!<, seufzte ich. Vor einiger Zeit hatte ich die zweifelhafte Ehre gehabt, den Erzbösewicht in dem Kung FU-Film „Die dreihundertelf Todeskammern der Shaolin“ spielen zu dürfen. Durch einen Pakt mit bösen Mächten hatte sich Meister Ling Liu vor langer Zeit in einen Dämon verwandelt. Mit Fangzähnen, Klauen, schuppiger Haut, Hörnern, ledernen Schwingen und allem drum und dran. Der Film war ziemlich mies gewesen, und ich konnte nur mit viel Mühe mein Leben vor einem dieser Bruce Lee-Epigonen aus den 70´er Jahren retten. Wenigstens hatte ich einiges an Kampfkunst erlernen können, was mir mehr als einmal das Leben gerettet hatte.
Das war das eine Gute, das ich mit der Rolle verband. Das andere war die Tatsache, dass der Film damals mit echten Schauspielern besetzt gewesen war. Nun hatte man ein Zeichentrickfilm daraus gemacht, ein filmischer Adelsschlag der zweifelhaftesten Güte. Ich sah auf meine gezeichneten Finger und schüttelte traurig mein Haupt.
>Was ist nur aus mir geworden?<, schluchzte ich vor mich hin.
>Meister<, fing das Biest an. >Weißt du denn nicht mehr was passiert ist?<
>Nun ja, Faulige Bestie des Krieges, ich gestehe, dass ich verwirrt bin. Das letzte woran ich mich erinnern kann, ist, dass die Mönche des Shaolin-Ordens die dreihundertelf Todeskammern überwinden konnten und es ihnen anschließen unter einer sehr unglücklichen Verknüpfung von Umständen gelang, mich in einer Schneelawine im Himalaja zu begraben. Ich bin gestorben.< Die Sache war damals denkbar eng gewesen. Zum Glück war ich noch rechtzeitig weiter gesprungen, ehe mich die Schneemassen davon reißen konnten.
>Nein, Meister, du bist nicht gestorben.<
>Ah, das ich eine Erleichterung, Faulige Bestie des Krieges.<
>Ja, nicht wahr, Meister. Du wurdest im Schnee tiefgefroren und hast laaaaange geschlafen.< Das Biest unterstrich seine Worte durch eine ausdehnende Bewegung der Arme. >Fünfhundert Jahre lang.<
>Aha. Aber ich wurde gefunden und aufgetaut?<
>Ja, Meister. Aber wir mussten auch deine Seele aus der zehnten Hölle des tiefen Frostes beschwören. Und nun bist du stark genug, um wieder Verderben über die Welt zu bringen.<
>Verderben, wie? Und die Shaolin-Mönche?<
>Längst vergangen, Meister.<
>Ah, das ist gut.<
>Aber ihre Abkömmlinge folgen in den Fußspuren ihrer ehrwürdigen Vorfahren und stellen sich deinen Welteroberungsplänen in den Weg. Sie sind mächtige Gegner und niemand kennt ihre wahre Identität. Sie nennen sich selbst die Power Shaolin- Meister, geht es dir nicht gut?<
>Doch, doch, nur ein plötzlicher Anfall von Migräne<, sagte ich und massierte meine pochende Stirn. Die Power Shaolin. Verdammt. So albern es auch klang, ich musste auf der Hut sein. Die Rolle des Schurken war aus schauspielerischer Sicht sicherlich lohnenswert. Die meisten Filme lebten von einem brillant gespielten Bösewicht. Das dumme an dieser fiktionalen, alternierenden Realität war, dass sie, nun ja, real für mich war. Und die Menschen und Wesen darin – ich konnte sie anfassen, fürchten, hassen und manchmal auch lieben. Und was für einen Schauspieler, der den Bösewicht nur mimte, ein großer Spaß war, erschien für mich in einem anderen ethischen Licht. Länder mit Krieg zu überziehen, Menschen quälen, zu versklaven und töten hielt ich nicht für sonderlich erstrebenswert.
Moralische Skrupel waren in meinem Fall mit bitteren Konsequenzen verbunden. Man konnte als Bösewicht nicht so einfach seine Welteroberungspläne an den Nagel hängen. Die ehemaligen Opfer würden einem nicht trauen und die eigenen Leute- nun wenn ein Herr Sauron über Nacht beschloss, künftig im besten Einvernehmen mit Menschen, Elfen und Zwergen zu leben, ließ er eine Menge enttäuschter Orks zurück. Wenn man die Bahnen eines Filmes verließ, rächte der sich eiskalt mit einem Genrewechsel. Plötzlich war man nicht mehr in Herr der Ringe sondern in Sauron und die Putschisten. Wenn man also nicht die Rolle eines massenmordenden Tyrannen spielen oder sterben wollte, bedurfte es besonderen Geschicks.
Ich erhob mich aus dem Thron und warf mich in Rednerpose:
>Freunde, Ungeheuer, Mitverdammte, leiht mir euer einem Ohr nahekommendes Hörorgan. Wir stehen am Rande einer neuen Ära. Lasst sie uns einleiten durch den tiefen Fall der, ähm-<
Die faulige Bestie des Krieges soufflierte mir hilfreich.
>Durch den tiefen Fall der POWER SHAOLIN. Oh, mein Gott, warum nur? Nun ja, wie dem auch sei. Der Gegner ist stark aber wir werden siegen, nicht wahr?<
Zustimmendes Nicken und Gemurmel bei den Ungeheuern.
>Ah<, stieß ich hervor. Ich pickte mir das muskelbepackte Schlangenwesen aus der ersten Reihe heraus. >Werden wir das, ja?<
>Natürlich, Meister<, kam die leicht lispelnde Antwort.
>Und wie werden wir siegen?<
Die Schlange sah mich erschrocken an. Sie errötete und kratzte sich verlegen am Kopf. Ich ließ die Schlange einige Zeit zappeln, ehe ich sie erlöste.
>Kann jemand der anderen ihr helfen?< Der Arm der fauligen Bestie des Krieges schoss empor. Der Rest meiner Lakaien sah betroffen zu Boden. Sie hatten Glück, dass ich ihre Namen nicht kannte. Beim nächsten Mal würde ich sie Namenschildchen aufstellen lassen.
>Ja, faulige Bestie des Krieges<, sagte ich schließlich, ehe das Unheuer seinen wild nach oben zuckenden Arm noch verlor.
>Wir werden die Welt mit Krieg überziehen und sie durch unsere überlegene Stärke unterwerfen.<
>Sehr gut, Faulige Bestie des Krieges. Gerade von dir hätte man diese Antwort wohl nicht erwartet.<
Ich genoss dieses kranke Machtspielchen mehr und mehr. Und schließlich erwartete man vom dämonischen Meister Ling Liu ja eine gewisse Grausamkeit.
>Nun, sagt mir, wie werden wir die Erde mit Krieg überziehen? Nein, nicht wieder du, Faulige Bestie des Krieges. Lass auch mal jemand anderen dran. Ja, genau, du da hinten.<
Einer machte immer der Fehler, fühlte sich angesprochen und hob den Kopf. In diesem Fall war es eine sehr blasse Asiatin mit Vampirzähnen. Sie sah mich entsetz an. >Ähm<, stammelte sie. >Mit unserer Armee von blauen Phantomkriegern?<
Ich sah sie verblüfft an. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet.
>Blaue Phantomkrieger? Sind das viele?<
>Ihre Zahl ist Legion<, rief die Faulige Bestie des Krieges euphorisch.
>So, so. Und warum werden wir siegen, meine Untertanen?<
>Weil wir ihnen überlegen sind.<
>Sind wir das? Diese Phantomkrieger, können wir mit ihnen eine Atommacht wie z.B. die USA überrennen?< Alle sahen zu Boden und schwiegen peinlich berührt.
>Nicht? Dann vielleicht Russland? Nein? Frankreich? Auch nicht? Was ist mit Pakistan? Nee? Versuchen wir mal etwas anderes. Die Schweiz. Was ist mit der Schweiz. Keine Atombomben.<
>Ist aber ziemlich hügelig da, Meister<, gab die Faulige Bestie des Krieges zu bedenken.
>Richtig< Ich schnappte anerkennend mit den Fingern. >Wir sehen also, dass wir ihnen an Stärke nicht überlegen sind. Das ist keine Schande. Immerhin ist dieses Menschengeschmeiß ziemlich zahlreich. Aber wir sind ihnen doch überlegen, oder?<
>Natürlich<, riefen alle wie aus einem Munde.
>Verstehe. Dann müssen wir ihnen also auf andere Weise überlegen sein. Wir sind nicht stärker, aber dafür-< Ich machte eine fortführende Klauenbewegung.
>Dafür sind wir ihnen intellektuell überlegen<, sagte ein riesiger Körper mit einem winzigen Schrumpfkopf aus der letzten Reihe.
>Genau<, stimmte die Faulige Bestie des Krieges zu. >Unser Geist kann schreckliche Maschinen entwerfen, die die Menschheit vernichten werden, Meister.<
>Aha. Und werden diese Maschinen schrecklicher sein als, sagen wir mal, eine Wasserstoffbombe?<
Die Faulige Bestie des Krieges scharrte verlegen mit dem Fuß und schüttelte mit dem Kopf.
>Wir sehen also, unsere Überlegenheit beruht nicht auf Stärke und Intellekt sondern...<
Ich sah in ausdruckslose und leere Gesichter
>Ich gebe einen kleinen Tipp. Es hat mit der Art und Weise zu tun, wie man sein Leben lebt. Die Menschheit baut Atombomben, wir nicht. Also...<
Ein lüsterner Satyr in der ersten Reihe meldete sich.
>Also sind wir ihnen moralisch überlegen<, fragte er zögerlich.
>Richtig<, rief ich eine Spur zu laut. Alle bis auf die Faulige Bestie des Krieges fuhren erschrocken zusammen.
>Wir sind ihnen moralisch überlegen. Da wir ihnen jedoch unsere überlegene Moral nicht durch unsere unterlegene Stärke aufzwingen können, müssen wir sie durch unser eigenes moralische Vorbild zur Tugend führen. Verba docent, exempla trahunt, wie der Lateiner sagt, was?<
>Wie nun definiert sich unsere moralische Überlegenheit<, fragte ich nach einer kurzen Pause, in der sich das neue, gewaltfreie Konzept setzen konnte.
Der Arm der Fauligen Bestie des Krieges schoss erneut wild nach oben.
>Vorsicht<, mahnte ich mit erhobenem Zeigefinger. >Das ist eine Fangfrage.< Der Arm fiel verwirrt nach unten. Meine Lakaien sahen sich ratlos an. Ich lächelte milde.
>Ich will euch nicht länger quälen, liebe Untiere. Ihr könnt es gar nicht wissen. Wir befinden uns ja noch ganz am Anfang. Wir brechen kühn zu unentdeckten Gestaden auf. Hier wird noch echte Grundlagenforschung betrieben. Die fundamentale Definition dessen, was recht und unrecht ist, fällt einem nicht in den Schoß. Sie muss erschaffen, quasi aus dem Leben selbst extrapoliert werden. Dies kann nicht von heute auf morgen geschehen. Darum sage ich, lasst uns einen Ausschuss bilden, der Moral unter besonderer Berücksichtigung der Interaktion mit dem elenden Menschenpack definiert. Nur die Besten und Angesehensten meiner Diener sollen, bei angemessenen Diäten, diesem Rat der Weisen und Lenker angehören. Wer also fühlt sich zu diesem Unterfangen berufen?< Alle Hände fuhren nach oben. Ich lächelte erleichtert.
>Alle, wie? Gut, dann werden wir zusätzliche Unterausschüsse bilden müssen. Ich verlange regelmäßigen Bericht. Einmal die Woche. Nun, sagen wir einmal im Monat. Ich möchte hier keinen unnötigen Druck aufbauen. Nichts schriftliches. Nur ein, zwei kurze Sätze. Wir dürfen uns nichts vormachen, Leute. Dies ist ein langwieriger Prozess. Aber zusammen werden...<
Ein infernalischer Lärm riss mir die Worte ab. Meine Diener erstarrten erschrocken, als sie mein Entsetzen sahen. Es trat die unheimliche Stille ein, die kurz davor herrschte, wenn cholerische Tyrannen einen Wutanfall bekamen und reihenweise Köpfe rollen ließen. In dieser Stille erklang erneut der grässliche Laut, obszön und herausfordernd wie eine Kriegserklärung.
>Wer zum Teufel hat hier gerülpst<, schrie ich mit Zornesadern am Hals.

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