TV-Leap: Die Power Shaolin vs. Meister Ling Liu
von Carsten Maday

Kapitel
 

>Wirklich klasse<, sagte ich zur Fauligen Bestie des Krieges, als wir durch die engen Marktgassen von China Town wandelten. >Und so unauffällig.< Trotz der Enge der Gasse machten die Passanten eine weiten Bogen um den zwei Meter großen, traditionell gekleideten Mandarin, seinen buckligen Diener mit den haarigen Händen und lüsternen Blick und der Leibwache aus vier Phantomkriegern, die ihre blauen Gesichter unter schwarzen Motorradhelmen verborgen hatten. Wir hatten ihnen die Helme besorgt, nach dem man sie zu oft um ein Autogramm der Blue Men Group gebeten hatte.
>War die Leibwache wirklich nötig?<, maulte ich.
>Aber, natürlich, Meister. Jetzt, wo die Power Shaolin von unserem Plan wissen, können wir nicht vorsichtig genug sein.<
>Verfluchte Power Shaolin. Wenn wir nur ihre geheime Identität kennen würden, dann könnten wir die leichter aufspüren.<
>Das ist leider nicht möglich, Meister. Ich sogar versucht, sie zu verfolgen. Ihre Spur verläuft sich immer wieder bei ihren Freunden, den PETZ.<
>Den PETZ?<
>Ja, Meister. Das ist eine sehr bekannte Rockband. Hier.< Die Faulige Bestie des Krieges fingerte ein Photo aus der Tasche. Es sah verdächtig benutzt und klebrig aus. Das Photo war verschwommen, aber man sah deutlich die übergroße Ähnlichkeit der Bandmitglieder der PETZ mit den Power Shaolin. Leider half mir diese neue Erkenntnis nicht weiter, da die Power Shaolin mich und meine Phantomkrieger ohne das Zepter immer noch einfach so vermöbeln konnten.
>Wir sind da<, sagte die Faulige Bestie des Krieges. Wir standen vor einer Kung-Fu Schule.
>Fräuleins Chens Schule des Schwarzen Kung-Fu< stand auf der Eingangstür.
>Ich muss dich warnen, Meister<, sagte die Faulige Bestie des Krieges, als ich die Tür öffnete. >Chen hat sich ziemlich verändert.<
Ich war gespannt. Vieles wusste ich nicht mehr von Chen, außer dass sie meine Art Darth Vader gewesen war, nur besser bei Atem und attraktiver. Meister Ling Liu hatte sie zum Bösen verführt, aber es schlummerte noch immer genug Gutes in Chen, um mir jederzeit in den Rücken zu fallen. Aber ich hatte keine Wahl. Nur sie wusste, wo das Orakel von Zos lag.

Ich glitt lautlos durch die Tür ins Innere des Gebäudes und kam in einen großen, in geschmackvollen Farben gezeichneten Arkadenhof. Überall an den Wänden standen martialische Waffen. Nur eine Gestalt war zu sehen, die mit dem Rücken zu mir kniete. Sie trug einen gelben Kimono und das schwarze, lange Haar zum Zopf geflochten. Neben der Frau lag ein langer Speer auf dem Boden.
Meine Begleiter traten lautlos neben mich.
>Lange Zeit ist vergangen<, sagte die Frau auf einmal. Ich zuckte zusammen. Anscheinend hatte sie meine Gegenwart gespürt. Sie erhob sich langsam und drehte sich auf ihren Speer gestützt zu mir um. Jetzt erinnerte ich mich wieder an Chen. Selbst in ihrer Trickfilmversion sah sie traumhaft aus. Sie verfügte über die edlen Züge und den erwachsenen Sexappeal einer Michelle Yeoh, die sie weit über die jugendliche Austauschtauschbarkeit anderer Kung-Fu Schönheiten erhoben.
Als ich in ihr makelloses, reifes Gesicht sah, erschrak ich. Wie die anderen Figuren auch hatte sie riesige Augen, tief wie Bergseen. Aber die weißen Flecken in ihren schwarzen Pupillen waren erloschen. Chen war blind.
>Meine Güte<, keuchte ich leise zu der Fauligen Bestie des Krieges. >Sie ist blind.<
>Ja, Meister. Es geschah, als die Explosion die Lawine auslöste, die dich begrub. Dabei verlor sie ihr Augenlicht.<
Es tat mir in der Seele weh, die Schöne derart verletzt zu sehen. Aber vermutlich half ihr ihr Kung-Fu dabei, auf weise, ehrwürdige Art damit umzugehen.
>Das ist ja wie Zatoichi, der blinde Samurai<, flüsterte ich.
>So ähnlich, Meister.<
>Oder wie die süße Zhang Ziyi in House of the flying Daggers.<
>Na ja, es kommt dem sehr nahe, aber es gibt gewisse Unterschiede.<
Chen unterbrach unsere geflüsterte Unterhaltung. Natürlich hatte sie mit ihrem Kung-Fu verstärktem Gehör jedes Wort verstanden.
>Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dich jemals wiederzusehen.<
Jetzt war ich aber doch gerührt. Soweit ich mich entsinnen konnte, hatte sie bei unserem letzten Treffen mal wieder eine ihrer guten Phasen. Ich erinnerte mich daran, dass mir beim Endkampf gegen den Obershaolin irgendjemand einen gemeinen Tritt in den Rücken gab. Dadurch stürzte ich und konnte der Lawine nicht mehr rechtzeitig entkommen. Aber das war Schnee von gestern. Wer konnte einer attraktiven Kung-Fu Heldin wie Chen schon lange böse sein?
Ich machte einen Schritt auf sie zu und wollte sie begrüßen, als Chen einen Arm in ihre Seite stemmte und mich vorwurfsvoll anfunkelte.
>Hast du auch an alles Gedacht? Hast du auch nicht das Bier und die Chips vergessen? Es geht gleich los.<
>Wie bitte<, fragte ich überrascht. Bei dem Klang meiner Stimme sprang Chen erschrocken in Abwehrstellung. Die Spitze des Speeres blitzte bedrohlich in der Sonne, zeigte aber irgendwie zu neunzig Grad in die falsche Richtung.
>Ich bin´s, Chen<, rief die faulige Bestie des Krieges. >Ich habe den Meister mitgebracht. Er ist wieder zurückgekehrt.< Chen drehte sich in die richtige Richtung zu uns. Sie löste ihre Verteidigungsposition auf und lehnte sich wieder lässig auf ihren Speer. Sie sah eher enttäuscht als ängstlich aus.
>Ich dachte, ihr wärt die kleine Mai mit meinen Einkäufen<, sagte sie mürrisch. >So, der alte Ling Liu ist wieder im Lande, eh? Und was führt euch zu mir?<
>Nun ich-<, begann ich, aber eine Handbewegung Chens unterbrach mich.
>Ja, ja, das ist alles sehr interessant. Aber leider fängt jetzt meine Folge Grey´s Anatomy an. Ihr könnte euch nützlich machen und mir beschreiben, was darin passiert. Das macht Mai normalerweise. Aber die hat sich mal wieder mit meinem Einkaufsgeld verlaufen.<
Wir folgten Chen in Hausinnere. Nach einer Stunde mit unzähligen Werbeunterbrechungen und ebenso vielen emotionalen Verwickelungen, war Chen bereit uns anzuhören. Mehr oder weniger.
>Also, ich verstehe die Frau nicht<, meinte Chen. >Die kann sich nie entscheiden. Sie will immer mit diesen Arzt zusammen sein, aber wenn sie es endlich ist, will sie nicht mehr.<
>Warum siehst du´s dir dann an<, fragte ich.
>Man sieht, dass du keine Ahnung vom Fernsehen hast. Ich warte eben darauf, dass sie es irgendwann richtig macht. Genau so, wie ich es von ihr erwarte. Außerdem gibt es in der Serie immer diese weisen Kommentare aus dem Off. Die sprechen einer Frau wie mir wie aus der Seele.<
>Einer Frau, die ihre Seele verpfändet hat und Handlangerin eines Dämons ist?<
>Ganz genau. Die junge berufstätige Frau von heute eben. <
>Na, so jung bist du aber auch nicht mehr. Meinen Aufzeichnungen zufolge bist du bereits fünfhundertvierundvierzig.<
>Fünfhundertneununddreißig<, korrigierte Chen empört.
>Bist du sicher? Die Lohnabrechnungen dieser Zeit besagen-<
>Ja, ich bin ganz sicher! Also, was wollt ihr?<
Wir fassten unser Anliegen in Kürze zusammen.
>Aha<, sagte Chen am Ende unser Ausführungen. >Das Orakel von Zos. Ich werde euch sagen, wo es liegt. Aber ich werde euch dahin begleiten. Ohne mich schafft ihr es eh nicht.<
Die Faulige Bestie des Krieges und ich mussten lachen.
>Bei aller Liebe, Chen<, sagte die Faulige Bestie des Krieges. >Aber ich wüsste nicht, wie uns eine Blinde beistehen könnte.<
Chen sah ihn wütend an.
>Das muss ich mir von Onans perversen Bruder nicht bieten lassen. Ich werde dir zeigen, dass ich noch kämpfen kann. Also FBK-<
>FBK<, fragte ich überrascht.
>So kürzt Chen mich immer ab<, sagte die Faulige Bestie des Krieges. >Mir gefällt es ganz gut.< Ich nickte. Klang nicht schlecht. Sparte auf Dauer sicherlich einige Drehbuchseiten.
>Also, FBK<, fuhr Chen fort. >Deine fünf Phantomkrieger-<
>Es sind vier, Chen!<
>-Vier Phantomkrieger sollen sich bereit machen. Wenn ich sie besiege, dann komme ich mit.<
>Abgemacht<, sagte ich.
Die vier Phantomkrieger nahmen ihre Helme ab und stellten sich in der Mitte des Atriums zum Kampf auf.
>Jetzt wird Chen ihr blaues Wunder erleben<, kicherte die Faulige Bestie des Krieges.
>Verstehst du, Meister. Blaues wunder. Wo die Phantomkrieger doch blau sind.<
>Ja, ja, ich habe es mitbekommen, FBK. Sehr lustig, wirklich.<
Chen drehte sich um und schritt auf einen kleinen Schrein zu, der am Rande des Hofes lag. Bei dem Schrein ihrer verehrungswürdigen Vorfahren lag eine lange Kiste aus edlem Holz.
>Das ist bestimmt das Grüne Schwert des Schmerzes drin<, spekulierte ich. Ich entsann mich der herrlichen Klinge, die Chen auf meisterhafte und sexy Art und Weise zu führen verstand.
Chen öffnete die Kiste, griff hinein und fummelte darin herum. Dann erklang etwas, das verdächtig nach einem zurückschnappenden Schlagbolzen klang. Ich riss FBK zu Boden, als Chen auch schon die MP hob und wild um sich feuerte. Das Mündungsfeuer blitzte auf. Kugeln zirpten über uns vorbei. Chen bestrich großzügig die Mitte des Hofes, ließ aber auch die Randbereiche nicht ungeschoren, nur für den Fall, dass sich dort einer der Phantomkrieger hinflüchten wollte. Vasen zerbarsten, Papierwände zerfetzten, Männer schrieen. Dann erklang ein erlösendes Klicken, als das Magazin leer war.
Der Hof war leer. Nur vier Kampfstäbe lagen auf dem Boden. Die Phantomkrieger hatten sich in die Phantomzone verabschiedet.
>Seid ihr noch da?<, rief Chen uns zu.
>Nicht antworten<, flüsterte FBK. >Das könnte eine Falle sein.<
Ich achtete nicht auf ihn.
>Ja<, antwortete ich. >Wir sind hier drüben.<
>Oh<, machte Chen enttäuscht. >Na gut. Wie sieht es aus? Bin ich jetzt dabei oder was?<
Ich half FBK auf. Wir sahen uns den verwüsteten Innenhof an und dann einander.
>Du bist dabei<, sagten wir wie aus einem Munde.
>Gut<, nickte Chen. >Holt mich in einer Stunde hier ab. Ich muss noch packen.<
>Eine Stunde zur freien Verfügung<, schlug ich FBK vor, als wir wieder vor Chens Kampfschule auf der gut bevölkerten Straße standen. FBK nickte begeistert.
>Und was hast du vor, FBI?<
>Du meinst FBK, nicht wahr, Meister?<
>Natürlich.< FBK zeigte auf den Markt.
>Ich will mir mal die Melonen der Frau dort drüben ansehen.<
Ich folgte seinem Blick, sah aber nichts.
>Wo?<
>Da drüben. Zwei Stände neben dem Obst- und Gemüsehändler. Und du, Meister?
>Mir wird schon etwas einfallen.<

>...Aber die Power Shaolin sind nicht mein eigentliches Problem, Doktor Manchu.< Der Psychiater nickte zustimmend und kritzelte etwas in seinen Notizblock. Der gute Doktor hatte zum Glück für mich noch eine freie Stunde auf seiner Couch gehabt.
>Es ist so, dass ich manchmal aufwache und einfach nicht mehr weiß, wer ich bin. Sie kennen das vielleicht?<
>Nein, aber fahren sie nur fort.<
>Na ja, irgendwie ist dann alles fremd. Die Leute sehen und kennen mich. Aber ich kenne sie nicht. Ich kenne nicht einmal mich selbst. Weiß nicht, welche Rolle ich spielen soll.<
>Warum glauben sie denn eine Rolle spielen zu müssen?<
>Weil man das von mir erwartet.<
>Wer erwartet das von ihnen.<
>Ich weiß es nicht. Gott? Das Schicksal?<
>Oder sie selbst vielleicht?<
>Eigentlich erwarte ich nicht von mir, der böse Meister Ling Liu sein zu müssen, oder was meinen sie?<
>Gut. Haben sie schon einmal versucht, keine Rolle zu spielen, sondern einfach nur sie selbst zu sein?<
>Wenn ich das versuche, wird alles nur noch schlimmer. Ich habe keine große Wahl, Doktor. Na ja, letztendlich ist die Welt eine große Bühne und wir alle spielen unsere Rolle.<
>Ist das nicht von Elvis?<
>Ja, von dem auch. Es wäre auch alles nicht so schlimm, wenn da nicht auch noch diese Einsamkeit wäre.<
>Warum empfinden sie diese Einsamkeit.<
>Nun, zum einen lasse ich ungern jemand auf Schussweite an mich heran.<
>Aha. Fühlen sie sich oftmals bedroht.<
>Geradezu ständig. Und wenn nicht, habe ich am meisten Angst. Wenn die Leute auf einen schießen, weiß man wenigstens woran man ist. Bei dem Rest weiß man nie, ob er nicht plant einen heimlich umzubringen.<
>Sie sagten, sie sind einsam. Es muss doch einmal jemanden gegeben haben, den sie mochten.<
>Den gibt es irgendwie ja immer. Aber nur eine, mit der es irgendwie geklappt hat. Sie hieß Mechthild.<
>Was machte sie so besonders?<
>Ihr Umgang mit den Breitschwert, glaube ich.<
Der Doktor ging seine Notizen durch wie ein Kellner die Rechnung.
>Nun, verehrungswürdiger Meister Ling Liu, alles in allem glaube ich, dass sie an einer extremen Form von Schizophrenie erkrankt sind. Kombiniert mit einer ausgewachsen Paranoia. Am Liebsten würde ich sie gleich einweisen.<
>Ich fürchte das schneidet sich mit meinen Weltunterwerfungsplänen, Herr Doktor.<
>Ich verstehe. Haben sie eigentlich oft diese Gewaltphantasien?<
>Erst seit ich diesen Blurpsy gesehen habe.<
>Oh, das ist völlig in Ordnung. Man kann ihn haben oder hassen. Meine Kinder lieben den kleinen Kerl über alles. Gottlob sehe ich sie nur jedes zweite Wochenende.<
Der Doktor erhob sich.
>Leider ist unsere Zeit schon vorüber. Tut mir leid, dass ich keine erfreulichen Neuigkeiten für sie hatte.<
>Schon in Ordnung, Doktor. Zumindest habe ich jetzt eine neue Theorie, warum mein Leben so ist, wie es ist.<
>Sehr schön. Das macht dann hundertdreißig Dollar.<
>Und wie viel ist das in Yuan?<
Ich zahlte und traf mich mit FBK und Chen. Es war Zeit das Orakel von Zos aufzusuchen.

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