TV-Leap: Die Power Shaolin vs. Meister Ling Liu
von Carsten Maday

Kapitel
 

Der Rülpser war nur die verdreckte Spitze des Eisberges. Er stammte von einem Wesen, das man Blurpsy nannte. Es war klein, gelb, hatte riesige Ohren, Puschelschwanz und große Kulleraugen. Es sollte süß und knuddelig wirken und war das auserkorene Maskottchen der Power Shaolin mit Hang zum Tourettesyndrom. Skrupellose Geschäftemacher hatten Blurpsys Fäkalausbrüche als Handyklingeltöne vermarktet, die bei dem degenerierten Menschengesindel unverständlicherweise reißenden Absatz fanden. Einer meiner Lakaien hatte sich einen solchen Klingelton heruntergeladen. Er durfte nun in den Feuergruben über dieses Konsumverhalten nachdenken.
Aber das war wie gesagt nur die Spitze des Eisberges. Wie es aussah, steckte hinter den Power Shaolin eine gigantische Marketing und Devotionalienindustrie. Es gab kein Produkt, das nicht mit ihnen warb. Ich hielt das Handy meines Lakaien in der Klaue und sah es versonnen an. Es hatte eine dieser grellen Farben, die aus unerfindlichen Gründen pubertäre Mädchen besonders ansprachen. Man konnte die Verkleidung des Handy auswechseln. Das war vermutlich hilfreich, wenn man mal genug von Rosa hatte und sich nach Babyblau sehnte.
Ich sah wieder auf den Fernseher vor mir. Dort lief einer der unzähligen Power Shaolin Werbespots, die die Erde tyrannisierten. Ich sah genau hin, um meine Feinde zu analysieren. Es war schlimmer, als ich erwartet hatte.
>Das ist Schulmädchen<, sagte die Faulige Bestie des Krieges mit schwärmerischem Ton in der Stimme. >Ist sie nicht süß?<
Schulmädchen war ein junges Mädchen, das hoffentlich schon achtzehn war. Es war asiatisch und trug eine Schuluniform. Eine Zorromaske verbarg unzulänglich ihre geheime Superheldenidentität. Ich sah verstört zu, wie Schulmädchen zu einer schrillen Musik in videoclipartigen Einstellungen wahllos hin und her rannte, sprang und Kung Fu vorführte. Die Kraft dazu stammte augenscheinlich aus einem koffeinhaltigen Erfrischungsgetränk, das sie fortwährend schlürfte. Schulmädchen sprang. Ich war entsetzt.
>Ja, aber man sieht ihren Schlüpfer<, sagte ich schockiert.
>Das kommt schon mal vor<, sagte die Faulige Bestie des Krieges mit verklärtem Blick und Sabber am Mundwinkel.
>Aber man sieht ihn dauernd. Immer sozusagen. Warum? Perverse Zeichner!<
Nach und nach tauchten auch die anderen drei Power Shaolin auf. Sie waren alle jung und quirlig. Da war Nice, der muskulöse Surfertyp aus den USA. Ich sah Melody, die superintelligente Rothaarige aus Europa. Und zu guter letzt Chaos Boy aus Japan. Er war der Ziegen-Peter unter den Superhelden. Lieb, trottelig und unsterblich in Melody verknallt.
Der Werbclip endete mit einer Einstellung von Blurpsy, der einen guten Schluck dieser Brühe tat, genüsslich rülpste und frech in die Kamera grinste.
Ich war gelähmt vor Empörung und Versuchung. Wie verlockend war es, angesichts dieser kulturlosen Konsumgesellschaft der Terminologie der russischen Revolution nachzugeben. Mein Verstand aber sagte mir, dass mal selbst diesen Blurpsy nicht an die Wand stellen, liquidieren und ausmerzen durfte.
Ich atmete erleichtert aus. Es war immer schön, wenn man mal seinen eigenen moralischen Ansprüchen gerecht wurde. Aber es war knapp gewesen. Zu gerne hätte ich die Welt von den Power Shaolin befreit und Gebote betreffs Schlüpfer und Rocklänge erlassen. Ich hatte die dunkle Seite der Macht gesehen. Und nur ein kleiner Schups und ich wäre-
Es rülpste in meiner Hand.
Meine Lakaien hielten erschrocken den Atem an, als ich dran ging.
>Ja?< Eine junge Stimme meldete sich am anderen Ende.
>Einen wunderschönen guten Tag. Rede ich mit dem Schändlichen Gortek, dem Mandarin der Finsternis?<
>Wie? Nein, ich bin nicht der Schändliche Gortek. Der befindet sich zur Zeit auf Thermokur.<
>Darf ich dann fragen, mit wem ich die Ehre habe.<
>Ich bin Meister Ling Liu und-< Mein Gesprächspartner ließ mir keine Zeit, meinen Satz zu beenden, sondern überschüttete mich mit einem Redeschwall.
>Hallo, Meister Ling Liu. Heute ist ihr Glückstag. Sie wurden ausgewählt, um an einer einmaligen Gewinnausspielung teilzunehmen. Für nur 768 Yuan können sie sich noch heute ein Monatslos des PSL erwerben.<
>Der PSL<, fragte ich.
>Der Power Shaolin Lotterie<, sagte mein Gegenüber leicht darüber erstaunt, dass ich das nicht wusste.
>Aha. Und wie steht der Yuan gerade so?<
>Ein Yuan entspricht 0.067 Yen.<
>Das ist ja, ähm, sehr hilfreich. Und in Euro?<
>Der Euro steht bei 10.24 Yuan.<
>So, dann sind 768 Yuan...< Es folgte eine längere Rechenpause. >Was? Das ist ja unverschämt. Wissen Sie, was Sie mit ihrem Dreckslos machen können?<
>Dann darf ich Sie vielleicht mit einem anderen Angebot unser Produktpalette vertraut machen?<, sagte eine von meiner Empörung völlig unberührte Stimme. Ehe ich etwas sagen konnte, startete eine Stimme vom Band, die klang, als habe ihr Besitzer zu viele Kokainexzesse hinter sich. Dazu klang die dämliche Power Shaolin Musik.
>Rufe jetzt an für das Power Shaolin-Sparpaket. Lade dir die coolen Klingeltöne für dein Handy jetzt runter.< Völlig fassungslos verfolgte ich die Ansage weiter.
>Wähle die Eins für die coole Power Shaolin Hymne. Wähle die Zwei für Schulmädchens Schullied. Wähle die Drei, um Blurpsy kichern und rülpsen zu hören. Wähle die Vier, um Blurpsy rülpsen und kichern zu hören. Wähle die...< So ging es weiter und weiter. Mein Gesicht wurde länger und länger, meine Nerven dünner und dünner. Mit unmenschlicher Geduld hörte ich weiter zu. Meine Passion erweckte bei meinen Lakaien langsam Sorge.
>Oh, Meister<, sagte die Faulige Bestie des Krieges bekümmert. >Warum legst du nicht endlich auf? Das kann sich ja keiner mit ansehen.<
>Ich kann nicht, Faulige Bestie des Krieges. Es ist unhöflich einfach aufzulegen. So hat mich meine verehrungswürdig Mutter-<
>Die große Tempelhure des Dämons Chri?<, unterbrach mich die Faulige Bestie des Krieges.
>Ähm, ja, genau diese verehrenswerte Mutter meine ich. Sie hat mich zu einem sehr höflichen Menschen Schrägstrich Dämon erzogen. Darüber hinaus warte ich darauf, dass der elende Mensch noch einmal an den Hörer geht. Er hat perfider Weise seine Rufnummer unterdrückt. Wenn ich aus ihm heraus bekomme, von wo aus er anruft, können wir ihm eine ICBM rüber schicken.<
>Da brauch ich aber Geld fürs Porto, Meister<, gab die Faulige Bestie des Krieges zu bedenken. >Und die Post kommt erst am Mittwoch vorbei. Ist ziemlich abgelegen hier.<
Ich sah die Faulige Bestie des Krieges verwirrt an. >Wählen Sie die fünfundvierzig, um zu hören, was Blurpsy nach einem Liter Super Shaolin Cola macht-<, kam des aus dem Hörer.
>Das reicht<, sagte ich ins Handy. >Da ich augenscheinlich über keine Nuklearraketen verfüge-<, ich sah die Faulige Bestie des Krieges wütend an. >- kann ich genauso gut auflegen.<
Am anderen Ende hörte wohl doch noch jemand zu.
>Vielen Dank für ihren Anruf<, sagte der Mensch auf einmal.
>Was, ich habe doch gar nicht angerufen. Ihr habt mich angerufen!<, protestierte ich.
>Die Power Shaolin Inc. wird ihnen den Anruf für 100 Yuan/min. in Rechnung-<
Ich schmiss der Handy aus dem Fenster und sprang zornentbrannt auf.
>Diese Menschen<, schrie ich. >Es reicht. Es ist genug. Bis hier her und nicht weiter. Ab- hat jemand die genaue Uhrzeit?<
>Na los, ihr faules Pack<, brüllte die Faulige Bestie des Krieges, dass der Putz von der Decke rieselte. >Der Meister will die Uhrzeit!<
>Neunzehn Uhr siebenundzwanzig<, rief die Schlange erschrocken.
>Es ist neunzehn Uhr siebenundzwanzig<, wiederholte die Faulige Bestie des Krieges brüllend.
>Ähm, ja, vielen Dank. Ab neunzehn Uhr siebenundzwanzig wird zurückgeschlagen. Jeder weiß, dass Meister Ling Liu ein friedensliebender Dämon ist. Aber weil ich nicht als Verliebter kann kürzen diese feine beredten Tage, bin ich gewillt ein Bösewicht zu sein.<
Ich sah auf meine Lakaien. Sie sahen mich verständnislos an.
>Wir stellen Blurpsy an die Wand und liquidieren die Power Shaolin. Wir machen mobil!< Das hatten sie verstanden. Jubel entstand. Ich erhob mich. Die Faulige Bestie des Krieges war sofort an meiner Seite.
>Ganz wie in alten Zeiten, Meister<, sagte sie überglücklich.

Die Streitkräfte wurden mobil gemacht. Ich stand am Fenster meiner finsteren Trutzburg und sah auf den riesigen Burghof hinab. Dort zog die Militärparade der blauen Krieger aus der Phantomzone an mir vorbei. Ich hatte mich darauf gefreut, mich als Tyrann an meiner eigenen Machtzurschaustellung zu berauschen. Die Parade war auch beeindruckend. Auf ihre Weise.
>Also irgendwie hatte ich mir etwas anderes erwartet<, sagte ich zur Fauligen Bestie des Krieges. >Mehr Panzer, mehr Raketen auf Selbstfahrlafetten, mehr Bajonette, mehr Waffen, mehr blaue Phantomkrieger. Das sind ja keine zweitausend Mann. Hast du nicht gesagt, ihre Zahl sei Legion? Da darf man doch zumindest sechstausend erwarten.<
>Ja, Meister< Die Faulige Bestie des Krieges scharrte verlegen mit dem Fuß. >Ich dachte eher an eine cäsarische Veteranen Legion.<
>Aha, sehr schlau. Veteranen Legion, wie? Kurz nach einer verlustreichen Schlacht mit anschließender Dezimierung, wie? Selbst dafür wären es noch zu wenige.<
Die Faulige Bestie des Krieges zuckte mit den Schultern.
>Zur Zeit grassiert die Phantomgrippe. Und ein paar haben ja immer Urlaub.<
Ich sah auf das traurige Trüppchen, dass im miesen Gleichschritt an mir vorbei zog.
>Aha. Und warum haben sie keine Gewehre, sondern nur Stäbe als Waffen?<
>Das sind die traditionellen Waffen der Phantomkrieger. Mehr brauchen sie nicht, denn sie sind unsterblich.<
>Aha, das hört sich schon besser an. Mit Unsterblichen kann man was anfangen.<
>Ja. Wenn sie im Kampf fallen, kehrt ihr Geist in die Phantomzone zurück. Und nach drei Tagen materialisieren sie sich wieder hier in deiner Burg.<
Ich sah die Faulige Bestie des Krieges verblüfft an.
>Verstehe ich das richtig? Also, wenn meine stolzen Phantomkrieger die Schweiz angreifen, und von den Schweizern abgeknallt werden, können die Schweizer erst mal drei Tage Urlaub machen, bevor meine Phantomkrieger wieder hier sind?<
>Also wenn man es so ausdrückt, hört es sich natürlich etwas weniger imposant an, Meister.<
Ich sah versonnen auf den leeren Platz. Was konnte ich nur tun? Der Dunkle Imperator und Sauron hatten wenigstens ausreichend Truppen gehabt. Und was hatte ich? Eine zweitausend Mann starke Blue Men Group.
>Meister<, sagte die Faulige Bestie des Krieges. >Ich sehe, du planst in deinem genialen Hirn bereits etwas.< Die Faulige Bestie des Krieges sah mich erschrocken an.
>Oh, nein, Meister. Du denkst doch nicht etwa, was ich denke?<
>Hat es etwas mit Schulmädchen und Baumwollhöschen zu tun<, spekulierte ich drauflos. Die Bestie winkte verlegen ab.
>Aber nein, Meister. Ich meine ein uraltes Artefakt, das mächtig genug ist, die Power Shaolin zu besiegen. Ich meine das Zepter von Chi Gong.<
>Das Zepter von Chi Gong? Verflixt, du kennst deinen Meister aber gut, Faulige Bestie des Krieges. Genau das meine ich.<
>Aber dann müssen wir das Orakel von Zos aufsuchen. Und du weiß, was das heißt?<
>Natürlich, Faulige Bestie des Krieges. Aber weißt du es auch?<
>Ja, Meister. Das heißt, wir müssen zu Chen.<
Chen! Bei diesem Namen klingelte etwas. Ich kam nur noch nicht darauf.
>Richtig<, sagte ich und legte den Arm um die Faulige Bestie des Krieges. Wir gingen zurück in den Thronsaal.
>Bevor wir aber diese Chen aufsuchen, müssen wir noch ein paar Sicherheitsdetails klären. Beim letzten Mal konnten die Shaolin die dreihundertelf Todeskammern überwinden.<
>Keine Sorge, Meister. Wir haben nun ein völlig neues Sicherheitskonzept.<
>Oh, wie schön<, strahlte ich.
>Ja, Meister. Niemand kann dreihundertzwölf Todeskammer überwinden.<
Ich stieß einen Seufzer aus.
>Na gut<, sagte ich. Wir blieben vor einer der Wachen mit den Maskenhelmen stehen.
>Und das hier zum Beispiel. Als erstes sollten wir dafür sorgen, dass die Wachen keine Helme mehr tragen, die ihr Gesicht verbergen. Da könnte sich ja jeder Eindringling darunter verbergen. Also runter damit!<
>Na los, Mann<, brüllte die Faulige Bestie des Krieges. Die Wache nahm den Helm ab. Statt in ein blaues Gesicht eines Phantomkriegers starrten wir in das Gesicht von Nice. Bevor ich auch nur ALARM schreien konnte, drosch der Power Shaolin mir auch schon die Faust auf die Fangzähne und rannte davon.
Ich schüttelte die Sterne aus meinem Blick
>Das war jetzt doch überraschend<, sagte ich zu der Fauligen Bestie des Krieges.
>Soll ich ihn verfolgen lassen, Meister?<
>Würden meine Wachen ihn denn fangen?<
Die Faulige Bestie des Krieges zuckte mit den Schultern.
>Ach, warum eigentlich nicht, Faulige Bestie des Krieges. Wird eine gute Übung für unsere Jungs sein, was?<
Die Faulige Bestie des Krieges leitete die Verfolgung ein. Wie erwartet entkam der Power Shaolin durch eine Reihe spektakulärer Kung-Fu Tricks.
>Leider wissen die Power Shaolin nun von unseren Plänen, Faulige Bestie des Krieges.<
>Wirklich dumm, Meister. Wir sollten so schnell wir möglich Chen aufsuchen. Sie wohnt in San Francisco, Meister.<
Ich sah an mir herab.
>Das Problem ist nur, Faulige Bestie des Krieges, dass ich als zwei Meter großer, echsenhafter Dämon sogar in San Francisco auffallen würde.<
Die Faulige Bestie des Krieges sah mich erstaunt an.
>Wahrlich, Meister, du hast lange im ewigen Eis geschlafen. Hast du denn vergessen, dass du auch menschliche Form annehmen kannst?<

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