TV-Leap: Die Power Shaolin vs. Meister Ling Liu
von Carsten Maday

Kapitel
 

Das Kloster Pesch. Keine monströsen Wächter lauerten auf uns, keine uralten Mönche mit noch älteren Weisheiten warteten, nur eine in Ruinen liegende Tempelanlage und jede Menge Spinnweben. Der Wind pfiff kalt und scharf in dem kleinen Tal, das zu drei Seiten von Berghängen des Himalaja eingeschossen war. Zur anderen Seite endete das Tal in einem jähen Abgrund. Die Luft war dünn in dieser Höhe. Der Ort war schon seit langer Zeit verwaist. Die vermoderten Eingangstüren zerfielen in unseren Händen, als wir sich zu öffnen versuchten. Wir drangen ins Innere des in den Berg gehauenen Gebäudes vor und wirbelten die Jahrhunderte alte, jungfräuliche Staubschicht auf. Wir suchten eine Weile, bis wir an einen dunklen Treppeneingang kamen, der in die steile Tiefe führte. Mit improvisierten Fackeln bewaffnet stiegen wir hinab. Es dauerte lange, bis wir den Grund erreichten. Niemand sprach ein Wort. Jeder schwieg in banger Erwartung vor dem, was er dort unten vorfinden würde. Das Zepter von Chi Gong oder den Tod?
Wir folgten einem langen Gang, der endlich in eine riesige Höhle mündete. Eine bodenlose Kluft teilte die Höhle entzwei. Am anderen Ende stand ein kleines Heiligtum, auf dessen Altar das Zepter von Chi Gong in dem gleißenden Licht der Sonne erstrahlte, die durch einen endlosen Schacht in der Höhlendecke den Weg selbst in diese Tiefe fand. Ein Pfad von fragilen Basaltsäulen, die wie Mikadostäbchen aus der finsteren Tiefe empor stachen, überbrückte die Kluft. Man würde Tollkühnheit und ein ausgeprägtes Balancegefühl brauchen, um sicher hinüberzuschreiten. Und einen Lageplan, der einem die trittsicheren Säulen verriet, denn dieser Weg konnte nur eine Falle sein für Unwürdige, die das Zepter zu rauben beabsichtigten.
>Ich gehe<, sagte Chen ohne zu zögern.
>Aber du bist blind. Du siehst doch gar nicht, wo du hintreten sollst<, sagte FBK.
>Ich fühle, wohin ich treten muss. Mein schwarzes Kung-Fu wird mich gefahrlos hinüberbringen.<
>Das sagt die Frau, die in Shanghai eine halbe Stunde mit einem Briefkasten geflirtet hat.<
>Ich dachte, es wäre der eher stille Typ<, murmelte Chen kleinlaut.
>Lass mich gehen, Meister<, sagte FBK. >Ich bin schnell und geschickt.<
>Mit den Händen, vielleicht<, höhnte Chen.
>Alles war ich mit den Händen schaffe, schaffe ich auch mit den Füßen<, protestierte FBK.
Wir sahen ihn erschrocken an.
>Wir wäre es, wenn ich gehe<, schlug ich schließlich vor. >Ich kann fliegen.<
>Das ist allerdings recht praktisch<, gab Chen zu.
Ich nahm Anlauf, erhob mich in die Lüfte und flog mit drei, vier Schwingenschlägen über den Abgrund auf die andere Seite. Ich landet sicher, ging zum Altar und schnappte mir das Zepter. Nichts geschah. Keine geheimen Todesmechanismen setzten sich nach Äonen mit einer Zuverlässigkeit in Gang, um die sie manch Neuwagen beneidet hätte. Als mir niemand nach dem Leben trachtete, flog ich erleichtert zurück.
>Das war leicht<, sagte FBK fast enttäuscht.
>Man muss auch mal Glück haben<, meinte Chen. Wir machten uns auf den Weg zurück.
>Ich frage mich, wie dieses Zepter wohl funktioniert<, überlegte ich laut, als wir aus dem Kloster ins Freie traten.
>Das kann ich Ihnen sagen<, hörte ich eine Stimme aus dem Schatten neben dem Tempeleingang sagen. >Es ist ein temporaler Remitter.<
Wir fuhren erschrocken zusammen. Ich sah die Umrisse einer kleinen knuddeligen Gestalt mit spitzen, langen Ohren und einem Puschelschwanz.
>Blurpsy<, entfuhr es mir.
>Die Power Shaolin<, sagte FBK erschrocken.
>Wo?<, sagte Chen.
>Ganz richtig<, sagte die Figur. >Ich bin Blurpsy.< Die Gestalt trat aus dem Schatten.
>Oder sollte ich lieber sagen Oberst von Braunstedt.<
>Wie bitte!<, schrie ich hysterisch, als ich den widerlichen kleinen, gelben Kerl in einer SS-Uniform vor mir sah. Blurpsy war schon nackt grotesk genug, aber das war zuviel des guten.
>Du kleiner, dreckiger Mistkerl-<, begann ich, brach aber ab, als aus dem Schatten zwei weitere dieser Abnormitäten traten. Der eine, eine grüne Version von Blurpsy, trug ebenfalls eine SS-Uniform. Der andere, lila, war in die Uniform eines japanischen Majors aus dem Zweiten Weltkrieg gekleidet. Sie zielten mit kleinen, knuddeligen Maschinenpistolen auf uns.
>Was zur Hölle geht hier vor<, fragte ich vollends verwirrt. >Und was ist ein temporaler Remitter?<
Blurpsy erzählte es uns mit hämischen Vergnügen. Im Jahre 1942, einige Wochen nach Pearl Harbor und der Kriegserklärung Deutschlands an die USA, beschlossen Deutschland und Japan ein gemeinsames Forschungsprojekt, um die Alliierten in die Knie zu zwingen. Die Sache ähnelte stark dem legendären Philadelphia Experiment und verlief in ungefähr genauso erfolgreich. Anstatt einen japanischen Kampfkreuzer unsichtbar zu machen, wurde das Schiff fünfzig Jahre in die Zukunft geschleudert. Die Besatzung und die Forscher machten bei der Zeitreise eine kleine körperliche Veränderung durch.
>Nazi-Tamagochies<, stöhnte ich entsetzt. Von Braunstedt nickte.
>Sie können sich vorstellen, wie erstaunt wir erst waren. Aber ich machte das Beste aus dieser Lage. Es gelang mir, mich als Maskottchen bei den minderwertigen Power Shaolin einzuschleichen. Ich ermunterte diese Untermenschen dazu, ihr gesamtes Marktpotenzial auszuschöpfen. Einen Teil dieser riesigen Einnahmen leitete ich auf schwarze Konten um, durch die ich unsere Sache finanzierte.<
>Und was ist nun ein transtemporaler Remitter?<, wollte ich wissen.
>Sagen Sie´s ihm, Major Ito.< Die Ito-Kreatur verbeugte sich zackig und begann mit einer unangenehmen kreischenden Stimme zu erzählen:
>Es ist uns gelungen, die einstigen Versuchsparameter exakt zu rekonstruieren. Wir sind bereit, in unsere eigene Zeit zurückzukehren. Das Wissen um neue Technologien und den Verlauf des Krieges werden unsere Völker zu einem glorreichen Sieg führen.<
Das machte Sinn, soweit hier überhaupt noch etwas Sinn machte. Man stelle sich nur ein paar Stealth-Bomber mit Atomwaffen im Zweiten Weltkrieg vor. Oder was geschehen würde, wenn die Japaner den genauen Verlauf der Seeschlacht von Midway im voraus gekannt hätten. Zwei Dinge wunderten mich jedoch.
>Wie konntet ihr uns hier finden und wozu braucht ihr überhaupt noch den Remitter, wenn ihr ohnehin schon bereit für die Rückreise seid?<
Blurpsy schenkte mir ein hässliches Grinsen und zeigte auf FBK.
>Wir konnten sie leicht über das Handy der Fauligen Bestie des Krieges verfolgen. Mit jedem Klingelton lädt man ein Virus herunter, dass das die Position des Gerätes auf Abfrage verrät. Und was den Remitter betrifft. Nur er kann die temporalen Kraftfelder so kontrollieren, dass wir unser ursprüngliches Aussehen zurück erhalten. Wir wollen ja nicht ewig als grenzdebile bunte Tierchen leben.<
>Ich verstehe<, sagte ich mitfühlend. >Und dieses ständige Rülspen. Wie vulgär.<
Blurpsy sah mich verwundert an.
>Was für ein Rülpsen<, fragte Blurpsy mich verwundert.
>Oh<, sagte ich und verkniff mir einen Kommentar. Die SS war ja bekannt dafür, dass sie nicht nur das Bildungsbürgertum anzog.
>Nun<, sagte der knuddelige Oberst von Braunstedt und streckte seine gelbe Hand aus. >Den Remitter, bitte.<
>Gibt ihn ihnen nicht<, flüsterte mir Chen zu. >Ich erledige den zu Blurpsys Rechten und du den zur Linken.<
>Die stehen doch beide zu seiner Linken, Chen.< Blurpsy streckte die Hand mit Nachdruck aus. Es rülpste.
>Also, Herr Oberst<, sagte Chen indigniert. >Doch nicht vor einer Dame.<
>Das war ich nicht, Fräulein Chen<, beteuerte Blurpsy mit roten Bäckchen.
>Ist mein Handy<, meinte FBK und ging ran, ehe die absonderliche Kreaturen ihn daran hindern konnten.
>Faulige Bestie des Krieges. Ja. Ehem. Ja. Okay. Es ist für dich, Meister.< Er reichte mir das Handy.<
>´Tschuldigung<, sagte ich in die Runde. >Ja, Meister Ling Liu. Aha. Ja. Gut. Ach, und auf meinen Befehl, entlasst ihr die Hölle, ja?< Kaum hatte ich aufgelegt, als von den umgebenen Berghängen Hörner erklangen. Überall tauchten blaue Phantomkrieger auf.
Die drei Zeitreisenden sahen sich panisch um.
>Wir haben keine Angst vor deinen bescheuerten blauen-<, begann von Braunstedt.
>Wir haben sie neu bewaffnet<, unterbrach ich ihn. Von den Hängen brach Feuer von automatischen Waffen los, als die Phantomkrieger wild in die Luft feuernd die Hänge herab stürmten. Blurpsy grinste verlegen. Dann gaben die putzigen Viecher Fersengeld. >Hinterher<, rief ich und schwang kampflüstern das Zepter von Chi Gong. >Die schnappen wir uns.< Die seltsamen Kreaturen saßen in der Falle. Wir waren ihnen auf den Fersen und von den Hängen strömten die Phantomkrieger. Blurpsy und sein Kameraden rannten in die einzige Richtung, die ihnen offen stand, zum Abgrund. Ich sah, wie Blurpsy etwas in eine Art Sprechfunkgerät brüllte.
Ich rannte und überlegte mir, wer sich nur solchen Wahnsinn ausdachte. Das war das schlimme an diesen Mangas. Sie waren so wirr, dass manche arme Seelen sogar glaubten, sie wären Kunst. Ich schüttelte den Gedanken aus meinem Kopf und rannte schneller.
Wir hatten sie beinahe erreicht, als ein riesiger Schatten aus dem Abgrund aufstieg. Der gigantische Körper eines Luftschiffes stieg rasch über den Rand der Schlucht. Auf seinem grauen Leib prangten Hakenkreuz und die sechzehnstrahlige Sonne der kaiserlichen Marine in anachronistischer Eintracht. Die großen Propeller brummten auf, als der Zeppelin rasch an Höhe gewann. Ein Strickleiter baumelte von dem Luftschiff und aus der offenen Gondeltür winkte eine rote Kreatur seine Kameraden auf dem Boden herbei. Eine weitere Kreatur hockte in einer Kanzel unter der Gondel an einem MG. Zum Glück für uns nahmen Blurpsy und seine Kameraden dem Bordschützen das freie Schussfeld.
Von Braunstedt und seine Kameraden sprangen im vollen Lauf über die Kante des Abgrundes auf die Strickleiter. Ich stoppte gerade noch rechtzeitig. Ich nur ein sehr durchschnittlicher Flieger. In einer windstillen Höhle ein paar Meter zu fliegen war etwas anderes, als hier an einem schroffen Abgrund bei heftigen Wind und dünner Luft. Selbst wenn die Turbulenzen mich nicht gegen den Berg warfen, würde der Bordschütze ein leichtes Spiel mit mir haben. Und das Luftschiff aus sicherer Entfernung zu verfolgen, wäre auch unmöglich. Für Langstrecken war meine Flugmuskulatur zu schwach. Also versuchte ich statt dessen mit dem Zepter nach den Flüchtenden zu schlagen, aber die Strickleiter schwang durch das Gewicht der drei nach vorne über den Abgrund und aus meiner Reichweite. Der Pilot gab Gas und gewann an Höhe.
>Verfluchter Blurpsy<, rief ich und fuchtelte wütend mit dem Zepter über dem Kopf. Die Strickleiter hatte den Scheitelpunkt erreicht und schwang zurück. Blurpsy flog auf mich zu, riss mir das Zepter aus der Hand und verschwand lachend damit in dem wolkenverhangenen Himmel des Himalaja.
>Du Arsch<, schrie ich empört hinter her.

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