Bulgakov in Holmgardir
von Rutz Rische

Kapitel
 

1.

"Väterchen, möchtest du unsere Flaschen mitnehmen?"
Der grauhaarige Mann nähert sich schleppend den jungen Leuten,
die im Schatten der alten Mauer zusammensitzen, um ein paar
Bierchen zu zwitschern.
"Danke", murmelt es aus seinem zahnlosen Mund und er
steckt die leeren Pfandflaschen in seinen gelben Wanderrucksack.
Er betrachtet die legere Kleidung der jungen Leute.
"Ihr sprecht mit einem Akzent. Wo kommt ihr her?" will er wissen.
"Aus Deutschland." antwortet
eine junge rothaarige Frau.
"Was treibt euch her?" fragt der Alte.
"Nun, die sagenumwobene alte Stadt hat uns gelockt. Aber leider ist ja kaum etwas übrig geblieben von der alten Architektur. Alles verbaut."
Der Alte nickt:
"Immerhin haben sie die Festungsmauer stehenlassen."
"Väterchen, was ist das eigentlich für ein Graffitty hier an der Wand?
Gestern war es noch nicht da."
"Doch, Kinderchen, gestern war es schon da, und vor einem Jahr - und auch das Jahr davor. Welches Datum haben wir heute?"
"Den 20. Juni." antwortet ein rauchender Junge in Jeans.
"Gott sei uns gnädig." Der Alte bekreuzigt sich. "Tausendmal haben wir
diese Schmiererei schon überstrichen, aber jedes Jahr genau an diesem Tag, blättert die Farbe wieder ab."
"Was hat das denn mit dem Datum zu tun?" fragt die junge Frau und wirft ihren Begleitern einen vielsagenden Blick zu.
"Die Nacht der tanzenden Schatten. Die Nacht der singenden Feuer,
die Nacht, in der die Tiere zu sprechen beginnen, und die Geister der Vergangenheit nicht zur Ruhe kommen." fabuliert der Alte mit irrem Blick. "Geht von der Mauer weg. Vor zehn Jahren war schon einmal eine Gruppe aus eurem Land hier."
"Was ist mit ihr passiert?" will einer der jungen Männer wissen.
Der Alte setzt sich zu ihnen auf die Decke und erzählt.

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