Lemming
von Carsten Maday

 

Kapitel

Oh, Hass war nicht das einzige was in mir brodelte, doch er war der Nährboden auf dem alles andere wuchs. Es gab keine guten, keine schlechten Eigenschaften in mir, nur willenlose Kreaturen, die ER sich dienstbar machte. Hass gierte nach Rache und Rache nach Zielstrebigkeit. Doch ist man erst der zielstrebige Rächer, sieht man sich mit dem Problem der Zeit konfrontiert. Hass schuf, was von Nöten war. So kam es, dass ich mich in Geduld übte und drei Tage an der Stelle wartete, wo ich die Schnee-Eule aus den Augen verloren hatte.
Wer denkt, dass das Schicksal launisch sei, der kennt nicht das Wetter in den Bergen. Drei Tage, die ich im Regen und Schlamm verbrachte, ohne Schlaf und Nahrung, da ich stets fürchtete, die Eule könne an mir vorbei gelangen, während ich niedere Bedürfnisse befriedigte. Mein Pelz hatte eine perfekte Tarnung aus Schlamm und Exkrementen angenommen, und ich fühlte mich so, wie ich aus sah. Endlich sah ich sie, die Mörderin, und ich rannte in die Richtung, aus der sie gekommen war. Irgendwann versagten meine Beine und ich musste fressen und mich ausruhen. Gegen Abend kam die Eule von ihrem Raubzug zurück und ich folgte ihr erneut, bis sie verschwand. Warten, hoffen, warten, allein beflügelt von der Gier nach Rache, die mich unweigerlich verzehren würde, wenn ich sie nicht stillen konnte. Wie viele Tage? Neun, ja ganz sicher, hab sie mit gezählt. Neun, doch der Zehnte lohnte sie mir tausendfach.
Ich sah, wie sie sich in die Lüfte schwang, sah ihr Muster, sah, was sie zurück ließ. Als ich mich vergewissert hatte, dass keine Gefahr mehr bestand, erhob ich mich aus meinem Versteck und hielt auf die kleine Bodenmulde zu. Piepsende Töne drangen an mein Ohr, als ich das Nest erreichte.

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